Archiv des Autors: Anatol Stefanowitsch

Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

Sprachverbote

Von Anatol Stefanowitsch

Ich ver­suche nor­maler­weise, alles zu ignori­eren, was Josef Joffe von sich gibt. Er schafft es immer wieder, unin­formiert kon­tro­verse Mei­n­un­gen zu vertreten (der Irak-Krieg ist gut, Kli­mawan­del existiert nicht, das Inter­net böse und Print­jour­nal­is­mus ist immer Qual­ität­sjour­nal­simus), ohne dabei irgen­det­was Inter­es­santes zu sagen. Aber manch­mal klicke ich aus Verse­hen auf einen Link auf eine sein­er Kolum­nen, und wenn ich erst ein­mal ange­fan­gen hat, zu lesen, überkommt mich eine der­ar­tig bleierne geistige Trägheit, dass ich nicht aufhören kann, bis der Text zu Ende ist.

In ein­er aktuellen Kolummne geht es ums The­ma Sprache, speziell zu „Denk- und Sprechver­boten“. In typ­is­ch­er Joffe-Manier mäan­dert die Kolumne vor sich hin und es bleibt, wie so oft, unklar, worauf er eigentlich hin­auswill, außer, dass irgend­wie die Post­mod­erne, die Polit­i­cal Cor­rect­ness und der Mul­ti­kul­tur­al­is­mus an allem Schuld sind.

Er ver­mis­cht munter völ­lig ver­schiedene Arten von Sprachregelun­gen und Sprachver­boten, vom alttes­ta­men­tarischen Ver­bot, den Namen Gottes auszus­prechen über das Ver­bot der Majestäts­belei­di­gung bis hin zum Ver­bot der Volksver­het­zung und von Euphemis­men über poli­tisch kor­rek­te Sprache bis hin zu Orwells Neusprech. Alles inter­es­sante The­men und Grund genug für mich, mich ein­mal selb­st mit diesen Sprachregelun­gen auseinan­derzuset­zen, und sei es nur, um wieder wach zu werden. 

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Am Ende des Tages [Neufassung]

Von Anatol Stefanowitsch
Bremer Sprachblog - Neufassung

Bre­mer Sprach­blog — Neufassung

Sprach­nör­gler zeich­nen sich häu­fig dadurch aus, dass sie immer wieder dieselbe Hand­voll sprach­lich­er Phänomene kri­tisieren: die ange­blich unl­o­gis­che Redewen­dung Sinn machen, den Ser­vice Point, die Bahn­hof­s­toi­lette Mc Clean und den Radlei­h­di­enst Call-a-Bike der Deutschen Bahn, das Schein­lehn­wort Handy. Man hat manch­mal den Ein­druck, mit fünf kleinen Änderun­gen am Sprachge­brauch könne man sämtliche Sprachkri­tik zum Ver­s­tum­men brin­gen. Ab und zu find­en die Anglizis­men­jäger aber doch ein neues Fein­dob­jekt. So haben sie vor kurzem die Phrase am Ende des Tages ent­deckt und auf die Liste der zum Abschuss freigegebe­nen  Redewen­dun­gen gesetzt.

Hier zunächst ein paar Beispiele für diese Redewendung:

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Von Tablet PCs und Damenbinden

Von Anatol Stefanowitsch

Das iPad sym­bol­isiert alles, was an Apple has­senswert ist, seit man in Cuper­ti­no das Wort „Com­put­er“ aus dem Fir­men­na­men gestrichen hat: es fes­selt die Nutzer an Apples pro­pri­etäre Dateifor­mate, an Apples dig­i­tales „Rechte“-Management, an Apples iTunes-Soft­ware, an Apples App­Store, an Apples Update-Zyk­lus — es entzieht den Nutzern also kom­plett die Kon­trolle über ihre Geräte.

Das Tech­nikfeuil­leton stört sich an all dem nicht. Es wird höch­stens moniert, dass das Gerät in Flash pro­gram­mierte Inhalte nicht wiedergeben kann. Stattdessen macht man sich gerne über den Namen lustig. Das fing schon kurz nach der Präsen­ta­tion des Geräts im Jan­u­ar an. Ich nenne nur drei Beispiele.

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Deutsch im Außendienst

Von Anatol Stefanowitsch

Beson­ders span­nend ist es nicht, aber irgend­wie habe ich das Gefühl, ich müsste ein paar Worte dazu sagen: Seit ein paar Tagen wird in der deutschen und europäis­chen Presse ein Brief des deutschen Außen­min­is­ters Gui­do West­er­welle an die Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicher­heit­spoli­tik Cather­ine Ash­ton disku­tiert, in dem es um die Rolle der deutschen Sprache im derzeit in der Pla­nung befind­lichen Europäis­chen Auswär­ti­gen Dienst (EAD) gehen soll. Viel genauer kann ich es nicht sagen, denn der Text des Schreibens ist nicht öffentlich. Ich habe ver­sucht, ihn direkt vom Auswär­ti­gen Amt zu erhal­ten, aber man möchte den Inhalt des Briefes dort nicht öffentlich machen, ange­blich, um die Ver­hand­lun­gen um den EAD nicht zu gefährden. Warum es keine Gefahr ist, dass der Brief in der Presse bre­it­ge­treten wird, erschließt sich mir nicht, aber sei’s drum. Grob gesagt scheint es in dem Schreiben darum zu gehen, dass bei der Ein­stel­lung für den EAD deutsche Sprachken­nt­nisse vorgeschrieben bzw. Bewerber/innen mit solchen Ken­nt­nis­sen bevorzugt behan­delt wer­den sollen:

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Zuerst“ bedeutet nicht „wenige Tage danach“

Von Anatol Stefanowitsch

Nach­dem ich Vorgestern auf die im Net­za­uftritt des VDS nachzule­sende, frei erfun­dene Behaup­tung hingewiesen habe, die amerikanis­che Unab­hängigkeit­serk­lärung sei zuerst auf Deutsch veröf­fentlicht wor­den, ist diese Behaup­tung gestern still und leise kor­rigiert worden.

Gut zu wis­sen, dass man beim VDS das Sprachlog liest und manch­mal sogar
ver­ste­ht, was ich hier schreibe. Vielle­icht dringt auf diese Weise etwas Ver­nun­ft in die irra­tionale Phan­tasiewelt der Anglizis­men­jäger ein.

Etwas ver­störend, allerd­ings, dass man Fehler kor­rigiert ohne sie einzugestehen.

So sah die Seite Vorgestern aus, als ich meinen Beitrag schrieb:

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Erfolgte die amerikanische Unabhängigkeitserklärung auf Deutsch?

Von Anatol Stefanowitsch

Ist ger­ade Voll­mond, oder was lockt die VDS’ler in Scharen unter den Steinen her­vor, unter denen sie nor­maler­weise leben? Nach dem reizen­den Kom­men­tar, den Region­alleit­er Lietz mir am Woch­enende hier hin­ter­lassen hat, finde ich heute mor­gen diese deut­lich höflich­er und orthografisch kor­rek­tere E‑Mail in meinem Postfach:

Sehr ungeehrter Junior­pro­fes­sor! Als Englis­ch­pro­fes­sor ist Ihnen die deutsche Sprache natür­lich nichts wert, mit ihr kön­nen Sie sich nicht brüsten. Wer befan­gen ist, sollte ein­fach schweigen! Für einen Pro­fes­sor sind Sie außer­dem ziem­lich unge­bildet. Sie müssten wis­sen, daß Deutsch fast Amtssprache der USA gewor­den wäre und daß sog­ar die amerikanis­che Unab­hängigkeit­serk­lärung zuerst auf Deutsch veröf­fentlicht wurde. http://vds-ev.de/verein/aha/aha.php Mit unfre­undlichen Grüßen, Hol­ger (Mit­glied beim VDS)

Ehrlicher­weise muss ich dazu sagen, dass ich nicht beurteilen kann, ob es sich beim Autor wirk­lich um ein VDS-Mit­glied han­delt. Die E‑Mail ist über einen anony­men E‑Mail-Dienst ver­schickt wor­den und „Hol­gers“ ange­bliche E‑Mail-Adresse scheint nicht zu existieren. Die Anrede „Junior­pro­fes­sor“ deutet allerd­ings auf ein VDS-Mit­glied hin, da man im Forum des VDS der irri­gen Mei­n­ung ist, ich sei Junior­pro­fes­sor und da mich schon des öfteren nachvol­lziehbar authen­tis­che VDS-Mit­glieder so angeschrieben haben.

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Die Deutsche Bahn, Bewahrerin der englischen Sprache

Von Anatol Stefanowitsch

Ich bin ja zurzeit viel mit der Deutschen Bahn unter­wegs und nutze, um die Reisezeit opti­mal zu ver­w­erten, die Durch­sagen als Forschung­sob­jekt. Deshalb habe ich mich natür­lich beson­ders über den aktuellen Beitrag in Kristin Kopfs „Sch­plock“ gefreut, in dem sie sich mit ein­er Beson­der­heit des Bah­nenglisch befasst, die deut­lich inter­es­san­ter ist als die Frage, ob „Call-a-Bike“ bess­er „Ruf-ein-Rad“ heißen sollte:

Fast jedes Mal, wenn ich mit dem Zug unter­wegs bin, fällt mir eine kleine Eigen­heit im Bah­nenglisch auf:
“Ladies and Gen­tle­men, we arrive Berlin-Spandau …“
Die Wen­dung scheint fest zu sein, äußerst sel­ten höre ich Vara­tio­nen mit ein­er Prä­po­si­tion, die to arrive ja eigentlich fordert: Man kann nur at (oder in) arriv­en, nackt ist das Verb nicht brauch­bar. Ganz abge­se­hen davon, dass die Verb­form eine andere sein müsste (we will be arriv­ing …).

Die Frage der Verb­form würde ich etwas dif­feren­ziert­er sehen. Der gram­ma­tis­che Kon­text ist ja nor­maler­weise In a few min­utes, we arrive… oder We arrive … at 19:47, und da wäre es vorstell­bar, dass die intendierte Aus­sage eine habituelle sein soll, also etwa „Zum Zeit­punkt X erre­ichen wir immer/jeden Tag …“. In diesem Fall wäre die Form we arrive annehm­bar. Wenn das spez­i­fis­che Ereig­nis des Ankom­mens an diesem einen Tag um diese eine Zeit gemeint ist, dann wäre ein Futur nötig, entwed­er in der Ver­laufs­form, wie Kristin vorschlägt, oder in der ein­fachen Form, also we will arrive…. Tat­säch­lich kön­nte das we arrive ein­fach ein undeut­lich aus­ge­sproch­enes ein­fach­es Futur sein: we’ll arrive.

Aber um die Zeit­form geht es ja auch gar nicht, es geht um die Frage, ob arrive ein direk­tes Objekt erlaubt (We arrive [Objekt Berlin-Span­dau]), oder ob das Ziel als adver­biale Ergänzung in Form ein­er Prä­po­si­tion­alphrase benan­nt wer­den muss (We arrive [Adver­bial at/in Berlin-Span­dau]). Kristin geht davon aus, dass ein direk­tes Objekt nicht möglich ist, und erk­lärt den Fehler als Inter­ferenz aus dem Deutschen:

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Weltliterarische Illusionen

Von Anatol Stefanowitsch

Die „Aktion Lebendi­ges Deutsch“, bei der vier Ober­sprach­nör­gler jeden Monat nach Alter­na­tiv­en für englis­che Lehn­wörter suchen, scheint zu schwächeln. Seit Ende Novem­ber ste­ht auf der Web­seite der Aktion unverän­dert fol­gen­der Aufruf:

Von „State­ments“ wer­den wir umzin­gelt, Fest­stel­lun­gen also, mehr oder weniger wichti­gen Ver­laut­barun­gen, zumal von Poli­tik­ern. Sollte sich dafür nicht ein schlichteres, ein saftiges deutsches Wort find­en lassen? Ange­bote bitte bis 18.12.2009.

Die deutsche Sprache würde es verkraften, wenn die Aktion ein­schliefe, aber für mich wäre es eine mit­tlere Katas­tro­phe: Ich kon­nte die ganzen let­zten Jahre immer darauf bauen, dass die Aktion mir ein­mal im Monat Stoff für mein Blog liefern würde.

Da mir diese Inspi­ra­tion nun fehlt, musste ich die Web­seite der Aktion nach anderen The­me­nan­re­gun­gen durch­forsten. Und natür­lich wurde ich schnell fündig: Hin­ter der Verknüp­fung Weltlit­er­atur ver­birgt sich das passende Gegen­stück zu den sprach­lichen Unter­gangsphan­tasien der Sprach­nör­gler: kul­tureller Größen­wahn. Unter dem Titel „Das Sam­mel­beck­en der Weltlit­er­atur?“ wollen uns die Aktioneure weis­machen, dass man als kul­turell und lit­er­arisch inter­essiert­er Men­sch eigentlich nur eine einzige Sprache ken­nen muss: Deutsch.

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