Archiv des Autors: Anatol Stefanowitsch

Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

Schneeschleudern

Von Anatol Stefanowitsch

Im Lan­guage Log, der Mut­ter aller Sprach­blogs, kämpft man seit vie­len Jahren gegen den Mythos von den vie­len (50, 100, 200, 500, …) Eski­mo-Wörtern für Schnee, den ich im Bre­mer Sprach­blog auch schon ein paar Mal behan­delt habe. Obwohl die Kol­le­gen in Dutzen­den von Beiträ­gen ver­sucht haben, den Mythos zu entkräften, find­et sich fast jede Woche jemand, der ihn an sicht­bar­er Stelle in den Medi­en wiederholt.

Es ist deshalb sich­er ver­ständlich, dass die Autoren des Lan­guage Log mit­tler­weile auf die bloße Erwäh­nung von Schnee­vok­ab­u­lar gereizt reagieren. Trotz­dem finde ich, dass Lan­guage Log­ger Ben Zim­mer in seinem jüng­sten Beitrag zum The­ma etwas überempfind­lich wirkt. The­ma des Beitrags ist fol­gen­des Wer­be­plakat des isländis­chen Bek­lei­dung­sh­er­stellers 66° North:

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Public Viewing zum Dritten

Von Anatol Stefanowitsch

Wie gesagt, Sprach­nör­gler inter­essieren sich nicht beson­ders für Tat­sachen, und darum war es vorherse­hbar, dass sie sich auch durch ein repräsen­ta­tives Kor­pus nicht von ihrer mor­biden Inter­pre­ta­tion des Begriffs Pub­lic View­ing abbrin­gen lassen würden.

Tom S. Fox, der schon im Bre­mer Sprach­blog aus­giebig getrollt hat und vor eini­gen Wochen unter dem Namen A. Nonym auch im Sprachlog angekom­men ist, nen­nt in seinem Kom­men­tar zu diesem Beitrag zwei Quellen, die er für gewichtiger hält als ein 100-Mil­lio­nen-Wörter-Kor­pus: Den amerikanis­chen Autor John Madi­son, der das Blog „Noth­ing for Ungood“ betreibt, und einen nicht genan­nten Fre­und, dem er eine E‑Mail geschrieben hat.

John Madi­son behauptet das in der Tat. Allerd­ings ver­di­ent er nun ein­mal sein Geld damit, Deutschen einzure­den, er beschreibe „[d]eutsche Selt­samkeit­en aus amerikanis­ch­er Per­spek­tive“ (so der Unter­ti­tel seines Buch­es zum Blog). Dabei liegen die Selt­samkeit­en sehr häu­fig einzig und allein an sein­er Überzeu­gung, dass er ganz per­sön­lich der Maßstab dafür sei, wie die Amerikan­er denken, sprechen und han­deln. Mit anderen Worten, er ist eine Art Bas­t­ian Sick für in Deutsch­land lebende Amerikan­er. Man mag das, was er schreibt, amüsant find­en (über Humor lässt sich ja lei­der nur schw­er stre­it­en), aber man sollte seine Glossen nicht mit Tat­sachenbeschrei­bun­gen verwechseln.

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Public Viewing oder die Rückkehr der Leichenbeschauer

Von Anatol Stefanowitsch

Da selb­ster­nan­nte Sprach­be­wahrer im All­ge­meinen kein großes Inter­esse an sprach­lichen Tat­sachen haben, dafür aber umso lieber auf den immer gle­ichen, meis­tens dutzend­fach wider­legten Irrmei­n­un­gen herum­re­it­en, war es unver­mei­dlich, dass mit der Fußball­welt­meis­ter­schaft auch der Mythos von der öffentlichen Auf­bahrung von Leichen durch die Zeitungs­land­schaft getrieben würde. Das näm­lich, so erfahren wir dieser Tage zum Beispiel aus der Köl­nis­chen Rund­schau und der Frank­furter Rund­schau, sei die eigentliche Bedeu­tung des Wortes Pub­lic View­ing.

Ich habe bere­its vor zwei Jahren — zur Europameis­ter­schaft — im Bre­mer Sprach­blog darauf hingewiesen, dass das nicht stimmt, und dass pub­lic view­ing im Englis­chen im Prinzip genau das bedeutet, was man erwarten würde, wenn man die Wörter pub­lic und view­ing zu einem Kom­posi­tum zusam­menset­zt: das öffentliche Anguck­en von allem Möglichen.

Aber genutzt hat es eben nichts. Der Beitrag ist zwar inzwis­chen gut fün­fzehn­tausend Mal aufgerufen wor­den, aber Sprach­be­wahrer waren unter den Lesern offen­sichtlich schwach vertreten.

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Klassenlose Sprache

Von Anatol Stefanowitsch

Ich lese ger­ade Craig Rus­sels The Valkyrie Song (dt. „Walküre“), das seit zwei Jahren unge­le­sen in meinem Bücher­re­gal stand, und obwohl ich das Gefühl habe, dass der Autor ein wenig das Inter­esse an seinem Ham­burg­er Kom­mis­sar Jan Fabel ver­loren hat und der Roman atmo­sphärisch nicht ganz an seine vier Vorgänger Blood Eagle („Blu­tadler“), Broth­er Grimm („Wolfs­fährte“), Eter­nal („Brand­mal“) und The Car­ni­val Mas­ter („Carneval“) her­an­re­icht, macht es mir wieder großen Spaß, meine Heimat­stadt durch die Augen eines britis­chen Krim­i­nalschrift­stellers und für ein inter­na­tionales Pub­likum auf­bere­it­et zu erleben.

Rus­sel ken­nt nicht nur Ham­burg gut, auch bei sein­er Ver­wen­dung deutsch­er Wörter und Sprach­schnipsel unter­laufen ihm sel­ten die Fehler, die man son­st häu­fig sieht, wenn Schriftsteller/innen fremde Sprachen ver­wen­den, um ihrem Text Lokalkolorit zu verleihen.

Das ist auch in The Valkyrie Song nicht anders, wo er dieses Stilmit­tel allerd­ings auch weniger stark ein­set­zt als in den vorherge­hen­den Roma­nen. Dafür unter­läuft ihm auf ein­er abstrak­teren Ebene ein sprach­wis­senschaftlich­er Fehler, der zwar mein Lesev­ergnü­gen nicht geschmälert hat, der aber trotz­dem inter­es­sant ist. Im vierten Kapi­tel schreibt er an ein­er Stelle Fol­gen­des, wobei es mir um den her­vorge­hobe­nen Satz geht:

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Wir sind Englisch

Von Anatol Stefanowitsch

Deutsch­land darf wieder mal harm­los und hys­ter­isch stolz auf sich sein. Wir sind nicht nur Papst, wir sind jet­zt auch Lena — dem Wun­der von Oslo sei Dank.

Eigentlich kön­nte mir das egal sein. Als ich das let­zte Mal den Euro­vi­sion Song Con­test gese­hen habe, hieß er noch Grand Prix d’Eu­ro­vi­sion, und Kat­ri­na and the Waves waren vorherse­hbare Sieger. Ich will gar nicht wis­sen, wann das war, ich merke dann nur wieder, dass ich alt werde. Und Lena Mey­er-Lan­drut geht mir mit ihrer pen­e­tran­ten Ich-bin-nur-ein-neun­zehn­jähriges-Schul­mäd­chen-aus-Han­nover-und-singe-son­st-nur-unter-der-Dusche-Num­mer etwas auf die Nerven.

Ander­er­seits ist sie natür­lich nur ein neun­zehn­jähriges Schul­mäd­chen aus Han­nover und singt son­st nur unter der Dusche, also kann man es ihr irgend­wie nach­se­hen. Und vor allem hat sie es nicht ver­di­ent, wegen ihres englis­chen Akzents so ange­fein­det zu wer­den, wie es der britis­che Jour­nal­ist Mark Espin­er auf Spiegel Online getan hat:

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Sprachstücke

Von Anatol Stefanowitsch

Erstens, Gespräch in der S‑Bahn:

SOHN (ca. 9 Jahre alt). „Papa, ist das hier überall?“

VATER. „Fre­und­chen, ein Satz beste­ht aus Sub­jekt, Prädikat und Objekt, und ‚Ist das hier über­all‘ ist kein voll­ständi­ger Satz.“

(Eigentlich klang es, rustikal nord­deutsch, eher so: „Froinchen, oin Sätz beste­jht aus Sub­jekt, Predikoot und Objekt, und ‚Is däs hiä übäooll‘ is koin voll­stän­niger Sätz“.).

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Le Sprachschützer, c’est moi

Von Anatol Stefanowitsch

In einem Artikel des Wis­senschaft­sjour­nal­is­ten Arndt Zick­graf auf Tele­po­lis spiele ich — teils gewollt, teils unge­wollt — aus­nahm­sweise mal die Rolle des Sprach­schützers. Gewollt, weil Zick­graf in seinem Artikel, in dem es ihm um die Zukun­ft des Deutschen als Wis­senschaftssprache geht, über meinen Ver­such berichtet, die deutsche Web­seite der Vierten Inter­na­tionalen Kon­fer­ez der Deutschen Gesellschaft für Kog­ni­tive Lin­guis­tik weit­ge­hend frei von englis­chem Lehngut zu hal­ten, und von diesem Ver­such habe ich ihm frei­willig erzählt.

Unge­wollt, weil ein paar der Zitate im Zusam­men­hang des Artikels, und ohne den Kon­text, in dem ich sie pro­duziert habe, den Ein­druck erweck­en kön­nten, ich hielte ich das Ver­schwinden des Deutschen als Wis­senschaftssprache für ein Prob­lem und meine Kon­feren­zweb­seite für einen entschei­den­den Beitrag zum Erhalt der bedro­ht­en deutschen Sprache. Das ist nicht Zick­grafs Schuld, wer sorgfältig liest, dürfte meine tat­säch­liche Mei­n­ung zu diesem The­ma erken­nen. Aber die kom­prim­ierte Form des Artikels, in dem lei­der kein Platz für aus­führliche Hin­ter­grund­in­for­ma­tio­nen ist, ver­leit­et eventuell manche Leser/innen zu vor­eili­gen Schlüssen, vor allem, weil Sprach­nörgelei und Katas­tro­phen­szenar­ien die Mehrheitsmei­n­ung sind.

Deshalb möchte ich hier sowohl meinen sprach­pflegerischen Ver­such als auch meine Mei­n­ung zum The­ma Wis­senschaftssprache Deutsch noch ein­mal kurz klarstellen.

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Keine Wissenschaft ohne Mathematik

Von Anatol Stefanowitsch
Bloggewitter: Mathematik, Sprache, Wissenschaft

Blogge­wit­ter: Math­e­matik, Sprache, Wissenschaft

In einem mein­er ersten Beiträge hier im Sprachlog ging es um die Frage, ob das Deutsche als Wis­senschaftssprache an Bedeu­tung ver­liert, und wenn ja, ob das schlimm wäre. Meine Antwort auf die erste Frage, das wird nie­man­den über­raschen, war ein klares „Ja“. Meine Antwort auf die zweite Frage ist dif­feren­ziert­er. Für die Wis­senskul­tur in Deutsch­land, Öster­re­ich und der Deutschschweiz wäre es ein Ver­lust, wenn das Deutsche völ­lig aus der Wis­senschaft ver­schwände. Gesellschaftliche und kul­turelle Prozesse wer­den in diesen Län­dern in deutsch­er Sprache ver­han­delt, und eine Wis­senschaft, die an diesen Prozessen beteiligt sein will, kann auf die deutsche Sprache nicht verzichten.

Zumin­d­est in der Kom­mu­nika­tion nach außen muss Wis­senschaft also in der jew­eili­gen Lan­dessprache ver­mit­tel­bar bleiben, und dafür ist es sich­er von Vorteil, wenn auch ein Teil der Kom­mu­nika­tion unter Wissenschaftler/innen in dieser Lan­dessprache stat­tfind­et. Der große Teil der inter­nen Wis­senschaft­skom­mu­nika­tion muss aber in ein­er Sprache stat­tfind­en, die von anderen Wis­senschaftlern weltweit ver­standen und ver­wen­det wird. Der einzige Kan­di­dat für eine solche Sprache ist derzeit Englisch, und deshalb find­et die Kom­mu­nika­tion unter Wis­senschaftlern (der Ideenaus­tausch in Fach­pub­lika­tio­nen, auf Kon­gressen und natür­lich auch in den häu­fig inter­na­tion­al zusam­menge­set­zten Arbeits­grup­pen einzel­ner Lehrstüh­le und Insti­tute in englis­ch­er Sprache statt. Das ist gut so, und es ist für die deutschsprachige Wis­senschaft und die deutschsprachi­gen Sprachge­mein­schaften völ­lig unproblematisch.

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Der Adler ist ausgeflogen

Von Anatol Stefanowitsch

Der aktuelle XKCD behan­delt mal wieder ein sprach­lich­es Phänomen:

Außerhalb der Saison beschäftige ich einen Dompteur, der mir dabei hilft, Geheimagenten mit Situationen zu konfrontieren, die sie nicht per Funk weitermelden können.

Außer­halb der Sai­son beschäftige ich einen Domp­teur, der mir dabei hil­ft, Geheim­a­gen­ten mit Sit­u­a­tio­nen zu kon­fron­tieren, die sie nicht per Funk weit­er­melden können.

 

© 2010, xkcd
(Deutsche Bear­beitung © 2010 Ana­tol Stefanowitsch).
Sowohl das Orig­i­nal als auch die deutsche Bear­beitung ste­hen unter der Creative-Commons-BY-NC‑2.5‑Lizenz.

[Dieser Beitrag erschien ursprünglich im alten Sprachlog auf den SciLogs. Die hier erschienene Ver­sion enthält möglicher­weise Kor­rek­turen und Aktu­al­isierun­gen. Auch die Kom­mentare wur­den möglicher­weise nicht voll­ständig übernommen.]

Danebenliegende Sprachnörgelnde

Von Anatol Stefanowitsch

Ein kurz­er Nachgedanke, der im Beitrag vom Fre­itag keinen Platz mehr hat­te. Joffe geißelt in sein­er Kolumne die „Sprach-Ver­schlin­gun­gen durch ‚Gen­der-Main­stream­ing‘“ und ver­weist auf Max Goldt, der diese Ver­schlin­gun­gen „anhand der Phrase ‚ster­bende Studierende‘ (nach einem Uni-Mas­sak­er)“ aufzeige: „Wie kann man gle­ichzeit­ig ster­ben und studieren?“

Max Goldt ist ein inter­es­santes Phänomen. Er hat bril­liante Momente (hier dür­fen Ver­weise auf Katz und Goldt und Ich und mein Staub­sauger nicht fehlen), aber wenn er sich dem The­ma Sprache zuwen­det, wie in der von Joffe angeris­se­nen Pas­sage, bleibt von sein­er Bril­lianz nichts übrig:

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