Archiv des Autors: Anatol Stefanowitsch

Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

Sprachliche Heimaten: Mein Dialekt ist meine Burg

Von Anatol Stefanowitsch
Bloggewitter Heimat und Identität

Blogge­wit­ter Heimat und Identität

Nichts ist so wichtig für unser Gefühl von Heimat und Iden­tität, wie die Sprache, mit der wir aufwach­sen. Wer schon ein­mal län­gere Zeit in einem frem­den Land gelebt hat, ken­nt das Gefühl der Ver­trautheit, das man in der Fremde fast automa­tisch jedem ent­ge­gen­bringt, der einen in der eige­nen Sprache anspricht. Als ich vor vie­len Jahren zum Pro­movieren nach Texas gegan­gen bin, standen gle­ich am zweit­en Abend nach mein­er Ankun­ft drei öster­re­ichis­che Kom­mili­tonin­nen vor der Tür meines Wohn­heimz­im­mers und luden mich ein, Mit­glied des öster­re­ichis­chen Stammtis­ches zu wer­den — dass ich Ham­burg­er war und öster­re­ichis­ches Brauch­tum nur aus „Der dritte Mann“ und den Wieder­hol­un­gen von „Zeit im Bild“ auf 3sat kan­nte, störte dabei eben­so wenig wie die Tat­sache, dass ich Sprach­wis­senschaftler war, während Rest des Stammtis­ches aus Mathematiker/innen und Naturwissenschaftler/innen bestand. Die drei wussten ja ohne­hin nichts über mich, außer eben, dass ich ihre Sprache (bzw. eine ihrer Sprache ähn­liche Sprache) sprach. Der Stammtisch wurde für mich ein wichtiger Rück­zug­sort, bei dem ich den andauern­den tex­anis­chen Kul­turschock bekämpfen und Heimat­ge­fühl — mit Wiener und Salzburg­er Akzent — tanken konnte.

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Sprachpanscher und Nichtsversteher

Von Anatol Stefanowitsch

Ich habe lange nichts über den Vere­in Deutsche Sprache geschrieben, dabei hätte der etwas dig­i­tale Aufmerk­samkeit drin­gend nötig: Für den Such­be­griff VDS bietet Google derzeit als ersten Tre­f­fer die Seite des Brand­schutzex­perten „Ver­trauen durch Sicher­heit“ an, erst an zweit­er Stelle fol­gen die Anglizis­men­jäger aus Dort­mund. Der Such­be­griff Sprach­nör­gler führt dage­gen nach wie vor tre­ff­sich­er zum gewün­scht­en Ziel.

Da ich per­sön­lich die Hauptver­ant­wor­tung für die Ver­bre­itung dieses Begriffs trage (wobei ich sein­erzeit Schützen­hil­fe von Wortis­tik­er Detlef Gürtler hat­te), würde ich zum Aus­gle­ich gerne etwas Nettes über den VDS sagen. Aber so sehr ich mich bemühe, in den Pressemit­teilun­gen der Möchte­gern-Sprach­schützer irgen­det­was zu find­en, das tat­säch­lich etwas mit Sprach­pflege zu tun hätte, ich finde immer nur Sprach­nörgeleien, die in ihrer humor­be­fre­it­en Blöd­haftigkeit zum Verzweifeln sind.

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Kevin allein in der Unterschicht?

Von Anatol Stefanowitsch

Die Vor­na­men-Studie, die ich hier am Sam­stag besprochen habe, hat auch Chris­t­ian Rein­both (Frisch­er Wind/ScienceBlogs.de) beschäftigt. Er über­legt (ähn­lich wie Sprachlogleser Arndt in einem Kom­men­tar zu meinem Beitrag), ob Kinder mit unter­schicht­typ­is­chen Namen möglicher­weise deshalb als weniger leis­tungs­fähig ange­se­hen wer­den, weil sie es im Durch­schnitt eben auf­grund ihrer Schichten­zuge­hörigkeit tat­säch­lich sind. In diesem Zusam­men­hang fragt er, ob es über­haupt schich­t­en­typ­is­che Namen gibt, denn das wäre natür­lich eine Voraus­set­zung für diese Überlegung.

Zu der grund­sät­zlichen Über­legung selb­st kann ich nicht viel sagen. Ich halte sie nicht für grund­sät­zlich unplau­si­bel, wobei ich noch ein­mal darauf hin­weisen muss, dass Lehrer/innen sich von möglichen Vorurteilen gegenüber bes­timmten Namen bei der Notenge­bung eben nicht bee­in­flussen lassen.

Aber die Frage, ob es schicht­en­spez­i­fis­che Vor­na­men gibt, kann ich auf der Grund­lage ein­er aktuellen, sehr aus­führlichen Studie des berlin­er Sozi­olo­gen Jür­gen Ger­hards klar mit „Ja“ beantworten.

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Die mit den Prolls tanzt

Von Anatol Stefanowitsch

Wer­den Schüler mit Namen wie Kevin oder Mandy für dieselbe Leis­tung schlechter benotet als Schüler mit Namen wie Max­i­m­il­ian und Char­lotte? Müssen sich Justin und Jacque­line schon wegen ihrer Namen auf eine Hauptschulka­r­riere ein­stellen, wärend Alexan­ders und Kathari­nas Eltern schon mal einen Platz im Stu­den­ten­wohn­heim reservieren lassen können?
Die kurze Antwort lautet „Nein“, auch wenn die Medi­en uns seit eini­gen Tagen das Gegen­teil erzählen.

Die lange Antwort lautet eben­falls „Nein“, nur ist der Weg dahin etwas komplizierter.

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SMS-Kürzel im 19. Jahrhundert

Von Anatol Stefanowitsch

 

SMS-Kürzel aus dem 19. Jahrhundert

SMS-Kürzel aus dem 19. Jahrhundert

Vio­la hat mich auf einen Artikel im Guardian hingewiesen, in dem es um eine neue Ausstel­lung der British Library geht: Evolv­ing Eng­lish: One Lan­guage, Many Voic­es.

Die Ausstel­lung, die am 12. Novem­ber 2010 eröffnet wird und bis zum 3. April 2011 laufen wird, bietet einen umfassenden Ein­blick in die (doku­men­tierte) Geschichte der Englis­chen Sprache. Wertvolle Manuskripte aus den let­zten tausend Jahren wer­den dort eben­so zu bestaunen sein wie Tonauf­nah­men ver­schieden­er englis­ch­er Dialek­te aus der ganzen Welt.

Der Guardian freut sich aber am meis­ten über ein soge­nan­ntes „Emblema­tis­ches Gedicht“ aus dem 19. Jahrhun­dert, das dort zu sehen sein wird und das zeigt, dass die bei britis­chen Sprach­nör­glern beson­ders ver­has­sten SMS-Abkürzun­gen schon damals üblich waren:

… 130 years before the arrival of mobile phone tex­ting, Charles C Bom­baugh uses phras­es such as “I wrote 2 U B 4”. Anoth­er verse reads: “He says he loves U 2 X S,/ U R vir­tu­ous and Y’s,/ In X L N C U X L/ All oth­ers in his i’s.”

Für die Leser/innen des Sprachlogs ist mir kein Aufwand zu groß, deshalb habe ich das voll­ständi­ge Gedicht bei Google Books gesucht, gefun­den und abgetippt:

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Historiendramen der Zukunft

Von Anatol Stefanowitsch

Endlich mal wieder ein XKCD-Car­toon zum The­ma „Sprache“ (Dank an Peter Dar­cy für den Hinweis):

Die Leute, die ihre Wochenenden mit historischen Blogger-Nachstellungen verbringen, werden sich über Anachronismen in historischen Filmen aufregen, aber sonst wird es niemanden kümmern.

Die Leute, die ihre Woch­enen­den mit his­torischen Blog­ger-Nach­stel­lun­gen ver­brin­gen, wer­den sich über Anachro­nis­men in his­torischen Fil­men aufre­gen, aber son­st wird es nie­man­den kümmern.

Bei mein­er Über­set­zung habe ich ver­sucht, die Sprach­va­ri­etäten des Orig­i­nals nachzuempfind­en. Weit­er­lesen

Außerirdische in den USA?

Von Anatol Stefanowitsch

In den Kom­mentaren zu meinem let­zten Beitrag zitiert Leser/in Bal­anus fol­gende inter­es­sante Pas­sage von ein­er Nachricht­en­seite und fragt, ob es stimmt, was dort über das Wort alien gesagt wird:

Der Stre­it um das Gesetz in Ari­zona, das jet­zt eine Rich­terin erst ein­mal zu Fall brachte, hat die Stim­mung lediglich zusät­zlich ange­heizt. „Ille­gal aliens“ — so nen­nen vor allem Kon­ser­v­a­tive immer häu­figer die Ein­wan­der­er ohne Papiere. Schön klingt das nicht, eher bedrohlich: Aliens — das sind auch die Mon­ster aus dem All. [Link]

Tat­säch­lich wer­den gle­ich drei Behaup­tun­gen über den Begriff ille­gal alien aufgestellt: Erstens, dass er Assozi­a­tio­nen „Mon­stern aus dem All“ aus­löst; zweit­ens, dass es sich um einen neuen Begriff han­delt („immer häu­figer“); drit­tens, dass es sich dabei um einen Kampf­be­griff der amerikanis­chen Kon­ser­v­a­tiv­en han­delt („vor allem Konservative“).

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Zwischendurch

Von Anatol Stefanowitsch

Um mich zwis­chen beru­flichen Verän­derun­gen und einem drin­gend benötigten Urlaub wenig­stens kurz zu im Sprachlog blick­en zu lassen, hier drei Kurzmel­dun­gen (bitte langsam lesen — da ich nicht weiß, ob ich in der näch­sten Woche Inter­net­zu­gang habe, müssen sie vielle­icht bis zum Ende des Monats reichen).

Sarah Palin als Sprachschöpferin

Die ehe­ma­lige amerikanis­che Vizepräsi­dentschaft­skan­di­datin Sarah Palin zeigt sich als Sprach­schöpferin. In einem Tweet ver­wen­dete sie das Wort refu­di­ate, ver­mut­lich eine Ver­mis­chung von refuse („ver­weigern“) und repu­di­ate („nicht anerken­nen“, „zurück­weisen“):

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Grundformen der Tangst

Von Anatol Stefanowitsch

Die jour­nal­is­tis­che Ver­mit­tlung wis­senschaftlich­er Forschungsergeb­nisse ist eine schwierige Sache. Solche Ergeb­nisse sind kom­plex und vieldeutig, sie sind auf vielfältig ver­net­zte Weise in die ver­schieden­sten, teil­weise jahrzehnte- oder jahrhun­derteal­ten Forschungsstränge einge­bun­den, und ihre Einord­nung und Inter­pre­ta­tion erfordert sowohl umfan­gre­ich­es fach­spez­i­fis­ches als auch all­ge­mein wis­senschaft­s­the­o­retis­ches Vor­wis­sen. Zeitungs- und Zeitschrifte­nar­tikel müssen dage­gen ein­fach und ein­deutig sein, sie müssen für sich ste­hen und dür­fen deshalb beim Leser kein­er­lei Vorken­nt­nisse voraussetzen.

Das macht es selb­st für erfahrene und gut geschulte Wissenschaftsjournalist/innen schwierig, ihre Auf­gabe gut zu erledi­gen und es gibt nur wenige — zum Beispiel unseren hau­seige­nen Lars Fis­ch­er — denen es durchgängig gelingt. Die jour­nal­is­tis­chen Generalist/innen, die in den Redak­tio­nen tage­sak­tueller Print- und Onlineme­di­en sitzen, sind damit völ­lig über­fordert. Diese Über­forderung kann man ihnen natür­lich nicht zum Vor­wurf machen, wohl aber, dass sie (und ihre Chefredakteur/innen) diese nicht erkennen.

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Ein Traum in Weiß

Von Anatol Stefanowitsch

Im Zusam­men­hang meines Beitrags über isländis­che Wörter für Schnee weist mich ein/e Leser/in per E‑Mail darauf hin, dass Schneewörter von Vorgestern sind. Der mod­erne Sprachken­ner weiß längst, dass die Eski­mos über Schnee nicht gerne reden, dass aber dafür ihr Far­b­vok­ab­u­lar in einem entschei­den­den Bere­ich erstaunlich dif­feren­ziert ist. Er/sie schickt mir fol­gen­des Zitat von der Web­seite des Desy, dem Ham­burg­er Teilchenbeschleuniger:

Far­ben sind alles anderes als uni­versell. Welche Far­ben wie emp­fun­den und unter­schieden wer­den, hängt stark vom jew­eili­gen Kul­turkreis ab. So gibt es in eini­gen Sprachen keine eige­nen Worte für Grün und Blau oder Gelb und Orange, während Eski­mos alleine 17 Wörter für das Weiß ken­nen. [Desy 2000]

Was sagen Sie dazu?“, fragt er/sie.

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