Archiv des Autors: Anatol Stefanowitsch

Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

Nen kurzer Nachtrag

Von Anatol Stefanowitsch

Ein kurz­er Nach­trag zu nen: Ein
Kom­men­ta­tor dort hat im Dig­i­tal­en Wenker-Atlas nachgeschla­gen und darin Belege für nen biss­chen gefun­den (diese Phrase taucht dort in Satz 31 auf und die For­men des indef­i­niten Artikels sind auf Karte 432 zusammengetragen).

Ich habe diesen Dialek­tat­las, in dem der Dialek­tologe Georg Wenker die Ergeb­nisse ein­er Frage­bo­gen­er­he­bung fes­thielt, die er 1887 durchge­führt hat­te, daraufhin noch ein­mal sys­tem­a­tisch durch­sucht und die Belege für nen biss­chen in eine Google-Karte über­tra­gen (dabei bin ich nach Augen­maß vorge­gan­gen, die geo­graphis­chen Koor­di­nat­en sind also nur unge­fähr). Hier ist die Aus­beute, in Farbe und unver­pix­elt (man muss etwas her­aus­zoomen um alle Belege zu sehen): Weit­er­lesen

Schneewittchen does Peking

Von Anatol Stefanowitsch

Durch einen Tweet vom exzel­len­ten Markus Trapp bin ich eben auf eine AFP-Mel­dung aus Chi­na aufmerk­sam gewor­den, die seit ein paar Tagen durch die west­liche Presse geis­tert und in der es um einen schein­bar pein­lichen Fehler bei der Über­set­zung von Grimms Märchen ins Chi­ne­sis­che geht. Hier die deutsche Ver­sion der Meldung:

Peking — Eine neue Auflage der Grimm­schen Märchen ist in Winde­seile aus den Kinder­buchre­galen in Chi­na genom­men wor­den, weil der zuständi­ge Ver­lag aus Verse­hen eine pornografis­che Vari­ante des welt­bekan­nten Werkes über­set­zen ließ. „Wir kon­nten die deutsche Orig­i­nalver­sion der Märchen der Gebrüder Grimm nicht find­en“, entschuldigte sich ein Vertreter von Chi­na Media Time in der Zeitung „Gob­al Times“. „Also nah­men wir eine japanis­che Aus­gabe und über­set­zten diese“, fügte der nur Yuan genan­nte Ver­lagsvertreter hinzu.

Dum­mer­weise han­delte es sich bei der Vor­lage um eine pornografis­che Nacherzäh­lung der Märchen. Darin hat beispiel­sweise Schnee­wittchen Sex mit den sieben Zwer­gen. [Pressemel­dung der Agence France-Presse]

Eine vergnügliche Geschichte über die Gefahren des lit­er­arischen Über­set­zens — wenn sie wahr wäre. Dass sie aber nicht stim­men kann, sollte beim aufmerk­samen Lesen aber auf­fall­en. Weit­er­lesen

Muschi gesucht

Von Anatol Stefanowitsch
Wissenschaftsblog-Auslese 2010

Wis­senschafts­blog-Auslese 2010

Was ist Edmund Stoiber für den Kose­na­men ver­lacht wor­den, den er sein­er Frau gibt. Während des Wahlkampfes zur Bun­destagswahl 2002 hat­te man tageweise den Ein­druck, sein (schein­bar) unglück­lich gewähltes „Muschi“ sei das eigentliche Prob­lem, und nicht, dass er damals schon die katas­trophale Poli­tik gemacht hätte, die die schwarzgelbe Koali­tion heute macht.

Aber war der Spott gerecht­fer­tigt? Oder war es nur unsere kollek­tive schmutzige Phan­tasie, die ein unschuldiges Wort für kleine Kätzchen mit ein­er neck­ischen Beze­ich­nung für das primäre weib­liche Geschlecht­sor­gan des Men­schen in Verbindung brachte? Heißt Muschi eigentlich „Katze“, oder heißt es eigentlich „Vul­va (+ Vagi­na)“? Diese Frage, also die danach, welch­es die ältere Bedeu­tung ist, stell­ten sich vorgestern auch zwei Men­schen in mein­er Twit­ter-Time­line und riefen mich um Hil­fe an. Und wenn Fremde einem im Inter­net poten­ziell ver­saute Fra­gen stellen, dann sollte man die natür­lich unbe­d­ingt beant­worten, son­st wird das Inter­net irgend­wann so lang­weilig, wie es unsere Poli­tik­er dieser Tage ein­stim­mig gerne hätten.

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Kein Bock auf nen interessantes grammatisches Phänomen?

Von Anatol Stefanowitsch

Vor eini­gen Wochen hat mir Kathrin Pas­sig die fol­gende, mit der Betr­e­f­fzeile „Ich hab nen Haus, nen Äffchen und nen Pferd“ verse­hene sprach­wis­senschaftliche Frage gestellt:

Etwa ein­mal imJahr ver­suche ich zu ergoogeln, ob inzwis­chen jemand eine Erk­lärungfür den Vor­marsch des „nen“ gefun­den hat, das an die Stelle von„n“ tritt. Ich weiß nicht ein­mal, ob es sich um ein regionale­sPhänomen han­delt; in Berlin ist es jeden­falls häu­fig zu hören.Leider bleiben meine Googlever­suche ergeb­nis­los bis auf das üblicheGenörgel, das den Sprech­ern unter­stellt, sie seien schlicht zu blödzur kor­rek­ten Geschlechtsbestimmung.

Das ist es aber­sich­er nicht, erstens, weil das sowieso nie die Erk­lärung ist,zweitens, weil auss­chließlich das Neu­trum zum Maskulinum wird undan­dere Ver­tauschun­gen nie vorkom­men und drit­tens, weil es nur indiesem einen Zusam­men­hang passiert. Ich hege die vage Ver­mu­tung, dass­es sich eher um einen Ver­such han­delt, für mehr Ord­nung und­Deut­lichkeit zu sor­gen, und dass man sich als deutsch­er Sprech­er (und­Schreiber, denn das Netz ist voller schriftlich­er Belege) mit einem­so unklaren Ein­buch­staben­wort wie „n“ und dem damitein­herge­hen­den Apos­tro­phen­ver­dacht leicht unwohl fühlt. Vielle­ichthaben Sie ja Lust, eines Tages Licht in die Angele­gen­heit zu bringen?

Als Beispiel des üblichen Genörgels nen­nt sie unter anderem eine von Bas­t­ian Sicks Zwiebelfisch-Kolum­nen, auf die ich gle­ich zurückkomme.

Wie der Zufall es wollte, hat­te ich das The­ma schon seit Län­gerem im Hin­terkopf und so nahm ich die Anfrage zum Anlass, einige Kolleg/innen zu kon­tak­tieren, die sich mit der Syn­tax des gesproch­enen Deutsch beschäfti­gen. Das Phänomen war natür­lich allen bekan­nt, aber eine Forschungsar­beit zu dem The­makon­nte mir nie­mand nennen.

Ein­mal her­vorge­holt kon­nte ich das The­ma aber nicht wieder in meinen Hin­terkopf ver­ban­nen. Hier deshalb mein Ver­such, selb­st Licht in die Angele­gen­heit zu brin­gen. Eine War­nung vor­weg: Der Beitrag ist lang, und ich tue let­zten Endes nicht viel mehr, als Kathrin Pas­sigs vage Ver­mu­tung zu bestäti­gen (dafür schreibe ich aber bald wieder etwas über Eski­mos und Schnee!).

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Was hast du getan, Google?

Von Anatol Stefanowitsch

Heute hat Google den Dienst Street View in Deutsch­land ges­tartet. Nach­dem ja bere­its bekan­nt war, dass etwa 250 000 Men­schen die Ver­pix­elung ihrer Häuser und Woh­nun­gen beantragt hat­ten, war ich auf das Schlimm­ste gefasst, als ich mich auf einen virtuellen Spazier­gang durch meine Geburtsstadt Berlin begeben habe.

Aber ich habe dabei unter­schätzt, wie sehr die Straße­nan­sicht­en durch die Ver­pix­elung tat­säch­lich entstellt wer­den. Die eingetrübten Vier- und Vielecke, die einem alle paar Schritte die Sicht versper­ren, sind wie ein Schlag vor den Kopf.

In Straßen mit Einzel­häusern, so wie hier in Alt-Marien­dorf, kann man das noch verkraften:

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Gerechte Sprache und Sprachpurismus

Von Anatol Stefanowitsch

Ich werde immer wieder dafür kri­tisiert, dass ich mich um poli­tisch kor­rek­te Sprache bemühe (siehe z.B. hier, hier und hier), obwohl dies doch im direk­ten Gegen­satz zu mein­er Grundüberzeu­gung stünde, dass ein nor­ma­tives Herange­hen an Sprache sinn­los und falsch sei. Sehr klar hat diese Kri­tik Sprachlogleser Gre­gor in einem Kom­men­tar zu meinem Beitrag über das Wort Rehkid formuliert:

Ich finde diesen Blog dur­chaus inter­es­sant und rel­e­vant, und obwohl ich per­sön­lich dur­chaus für eine behut­same Sprach­pflege bin, kann ich vieles, was hier gesagt wird, nachvollziehen.

Ich finde nur, dass A.S. zwei Rollen ein­nimmt, die er aus mein­er Sicht etwas sauber­er tren­nen sollte.

Ein­er­seits tritt er uns als der entspan­nte Sprachex­perte ent­ge­gen, der übereifrigen Sprach­puris­ten die Sinnlosigkeit ihres Treibens auf wis­senschaftlich fundierte Weise vorhält.

Ander­er­seits ist er selb­st engagiert­er Sprach­poli­tik­er, der bes­timmte Posi­tio­nen zum The­ma Sprache von seinen Nor­men her polemisch kri­tisiert und andere pos­i­tiv darstellt.

Bei­des ist legit­im. Allerd­ings fände ich es fair­er, wenn er offen sagen würde „ich lehne von mein­er gesellschaft­spoli­tis­chen Posi­tion her das Bemühen ab, die deutsche Sprache von Anglizis­men zu reini­gen, weil dieses Bestreben his­torisch oft mit nation­al­is­tis­chem Gedankengut gepaart war und bin für eine poli­tisch kor­rek­te Sprache, weil diese Diskri­m­inierung ent­ge­gen­wirken kann“ (oder so ähn­lich). Anstatt dessen wech­selt er je nach Bedarf zwis­chen der Rolle des neu­tralen Experten, der das Tun ander­er analysiert, und des Sprach­poli­tik­ers, der uns seine eigene Mei­n­ung unter­jubeln will.

Wenn ich mich nicht irre, habe ich auf diese Kri­tik noch nie eine aus­führliche Antwort gegeben. Höch­ste Zeit also.

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Affensprache

Von Anatol Stefanowitsch

Jedes Mal, wenn ich mich aus irgen­deinem Grund auf die Web­seit­en des VDS begebe (was übri­gens sehr sel­ten ist: In den bish­er fün­fzig Beiträ­gen im Sprachlog wer­den die Dort­munder Sprach­nar­ren nur vier­mal erwäh­nt, [1], [2], [3], [4]), finde ich neben der typ­is­chen sprach­pflegerischen Wirr­nis auch Kuriositäten, über die sog­ar andere Sprach­nör­gler nur den Kopf schüt­teln dürften.

In der unteren Ecke der Start­seite ver­linkt der Vere­in per Zufall­sro­ta­tion auf die Pressemel­dun­gen des Jahres, und als ich für meinen let­zten Beitrag recher­chiert habe, stieß ich auf dieses Juwel vom März oder April dieses Jahres:

Einen Fehltritt leis­tete sich Thomas Ste­in­feld von der Süd­deutschen Zeitung. Er behauptete, der Vere­in Deutsche Sprache würde die Ver­flachung des Deutschen mit „Affen­sprache“ beze­ich­nen. Noch dazu hat­te er schlecht recher­chiert und glaubte, die „Deutsche Sprach­welt“ sei die Vere­in­szeitung des VDS. Nach vie­len Beschw­er­den erfol­gte einige Tage später eine teil­weise Kor­rek­tur der SZ. [Pressemel­dung des VDS, 2010]

(Der Artikel, auf den sich die Pressemel­dung bezieht, find­et sich hier, die erwäh­nte „teil­weise Kor­rek­tur“ kon­nte ich nicht finden).

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Die vielstimmige Gesellschaft und ihre Feinde

Von Anatol Stefanowitsch

Der Vere­in Deutsche Sprache hat ja bekan­ntlich große Angst vor einem Ver­fall, wenn nicht sog­ar vor einem Ausster­ben, der deutschen Sprache. Seit Jahren agi­tieren die sprach­lichen Kle­ingärt­ner aus Dort­mund deshalb gegen die Ver­wen­dung von englis­chen Lehn­wörtern, zum Beispiel, indem sie regelmäßig einen Promi­nen­ten für „beson­ders bemerkenswerte Fehlleis­tun­gen im Umgang mit der deutschen Sprache“ als Sprach­pan­sch­er des Jahres an den Sprach­pranger stellen. Allerd­ings mit gemis­chtem Erfolg: Die alljährliche Wahl, die in der Anfangszeit noch ein bre­ites Pressee­cho fand, schafft es inzwis­chen kaum noch in die Medi­en. Zu ermü­dend sind die immer gle­ichen Bezich­ti­gun­gen wegen der gele­gentlichen „Anglizis­men“ die der „Sprach­pan­sch­er“ ver­wen­det, oder, wie im Fall des aktuellen Titelin­hab­ers Fritz Pleit­gen, nicht ver­hin­dert haben soll.

Für ein poten­ziell unheil­volleres Anliegen hat die sprach­liche Jagdge­sellschaft nun aber einen starken Medi­en­part­ner gefun­den: Seit Jahren agi­tiert der Vere­in für die Auf­nahme der deutschen Sprache ins Grundge­setz. Ab und zu ist es ihm gelun­gen, einen Hin­ter­bän­kler oder einen pro­fil­süchti­gen Poli­tik­er im Som­mer­loch von diesem Anliegen zu überzeu­gen, und sog­ar der CDU-Parteitag hat sich vor zwei Jahren gegen den aus­drück­lichen Willen von Bun­deskan­z­lerin Angela Merkel für einen entsprechen­den Antrag aus­ge­sprochen. Aber genutzt hat das bis­lang nichts.

Das kön­nte sich jet­zt ändern, denn dem VDS ist es gelun­gen, die BILD für die Sache zu gewin­nen. Auf BILD.de wirbt die seit gestern für eine Unter­schrifte­nak­tion des Vere­ins und fordert die Leser/innen auf, den fol­gen­den Text auszu­druck­en und unter­schrieben an den Vere­in weiterzuleiten:

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Sprachverfall in deutschen Wäldern

Von Anatol Stefanowitsch

Ich bekomme nicht mehr soviel (physis­che und elek­tro­n­is­che) Post von Sprach­nör­glern wie zu meinen besten Sprach­nör­glernör­gler-Zeit­en, aber zwei- bis dreimal im Monat bekomme ich immer­noch E‑Mails, und manch­mal sog­ar Briefe, in denen mir besorgte Mit­bürg­er ein­dringlichst den apoka­lyp­tis­chen Zus­tand der deutschen Sprache vor Augen führt und mich dann mehr oder weniger fre­undlich auf­fordern, meinen sprach­wis­senschaftlichen Häre­sien abzuschwören und mich endlich dem Kampf gegen die „Anglizis­men“ und das „Denglisch“ anzuschließen.

Dabei argu­men­tieren die Sprach­nör­gler häu­fig so klis­chee­haft, dass ich davon aus­ge­hen muss, es mit hin­ter­gründi­gen Par­o­di­en zu tun zu haben. Bei dieser hier in Auszü­gen wiedergegebe­nen E‑Mail bin ich mir nicht sicher:

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Verzerrte Realitäten

Von Anatol Stefanowitsch

An vie­len Orten der Welt bemühen sich Sprachwissenschaftler/innen darum, ster­bende Sprachen zu doku­men­tieren. Das ist nicht nur für die Sprach­wis­senschaft wichtig, son­dern manch­mal auch für die betrof­fe­nen Sprachge­mein­schaften, wenn die nach­fol­gen­den Gen­er­a­tio­nen die Sprache ihrer Vor­fahren wieder­beleben möcht­en. Wer die Doku­men­ta­tion ster­ben­der Sprachen unter­stützen möchte, kann das z.B. durch eine Spende an die Gesellschaft für Bedro­hte Sprachen tun.

Ab und zu ent­deck­en die Forscher/innen bei ihrer Doku­men­ta­tion­sar­beit sog­ar bis­lang unbekan­nte Sprachen. Aus sprach­wis­senschaftlich­er Sicht ist das beson­ders beson­ders span­nend, weil immer die Möglichkeit beste­ht, dass die neu ent­deck­te Sprache Eigen­schaften hat, die wir vorher für unwahrschein­lich oder sog­ar für unmöglich gehal­ten hät­ten. So zum Beispiel, als der Mis­sion­ar und Feld­forsch­er Desmond Der­byshire im Rah­men sein­er Mis­sion­stätigkeit die Sprache Hixkaryana ent­deck­te, deren grundle­gen­der Satzbau die bis dato für unmöglich gehal­te­nen Rei­hen­folge Objekt-Verb-Sub­jekt aufwies (Der­byshire 1961).

Aber als ich die fol­gende Schlagzeile in meinem Fee­dread­er sah, war ich dann doch über­rascht: „Lin­guis­ten ent­deck­en neue Sprache, die unsere Real­ität verz­er­rt“, schreibt das Tech­nikblog „Giz­mo­do“ (nur, damit kein falsch­er Ein­druck entste­ht: Ich lese Giz­mo­do nicht, aber mein Fee­dread­er durch­sucht für mich Google News nach Wörtern wie „Anglizis­mus“, „Sprach­wan­del“ und eben auch „Lin­guis­ten“).

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