Archiv des Autors: Anatol Stefanowitsch

Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

Ramsauer, einfach unverbesserlich

Von Anatol Stefanowitsch

Ich habe das Ver­hält­nis der Deutschen Bahn zur englis­chen Sprache schon kri­tisi­ert und gelobt, aber eigentlich lässt es mich völ­lig kalt.

Mich regt etwas anderes auf: dass die Deutsche Bahn kom­plett den Anspruch aufgegeben hat, auch nur Anstal­ten zu machen, so zu tun als ob sie den Anschein erweck­en wolle, zumin­d­est ein Lip­pen­beken­nt­nis bezüglich ein­er prinzip­iellen Bere­itschaft abzugeben, wenig­stens vorzutäuschen, uns ein leeres Ver­sprechen machen zu wollen, dass sie the­o­retisch vorhabe, ihr Monopol auf den Schienen­verkehr in Deutsch­land zum Anlass zu nehmen, diesen auf eine Art zu betreiben, die wenig­stens für das zwanzig­ste Jahrhun­dert nicht völ­lig unangemessen gewe­sen wäre.

Wenn es einen Satz gibt, der bei mir Has­s­ge­füh­le aus­löst, dann ist es nicht „Thank you for trav­el­ling with Deutsche Bahn“, son­dern „Wir bit­ten um ihr Ver­ständ­nis“. Weit­er­lesen

Anglizismus des Jahres: Jury und Modalitäten

Von Anatol Stefanowitsch

Um die Ern­sthaftigkeit der Wahl zum Anglizis­mus des Jahres zu unter­stre­ichen, habe ich die Jury noch um zwei Mit­glieder erweit­ert und außer­dem Wahlmodal­itäten fest­gelegt. Wie man sieht, haben wir eine ganz her­vor­ra­gende Jury und ein sehr trans­par­entes Ver­fahren, sodass die Wahl zum Anglizis­mus des Jahres 2010 der Beginn ein­er lan­gen und erfol­gre­ichen Tra­di­tion wer­den dürfte. 

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Unabhängig des Genitivs

Von Anatol Stefanowitsch

Die Berlin­er Mor­gen­post liefert jahreszeitlich passend eine Bilder­strecke mit der Über­schrift „Ein Fest unab­hängig jed­er Reli­gion”. Diese Über­schrift ist interessant

Unabhaengigjederreligion

Erstens, weil sie gel­o­gen ist — die Bilder­strecke bringt ein Beispiel nach dem anderen dafür, wie Chris­ten Wei­h­nacht­en feiern. Andere Reli­gio­nen kom­men nur auf einem einzi­gen Bild mit der fol­gen­den Bil­dun­ter­schrift vor: „Aber nicht über­all kommt das Fest gut an. Der islamis­che Gelehrte Jus­suf al-Kar­dawi will Wei­h­nacht­en ver­bi­eten lassen, weil es nicht mit dem islamis­chen Glauben vere­in­bar ist.“ Weit­er­lesen

Wahlaufruf zum Anglizismus des Jahres 2010

Von Anatol Stefanowitsch

Alle has­sen englis­che Lehn­wörter. Wir nicht. Wir geben jedem neuen Wort, egal, woher es stammt, zunächst ein­mal die Gele­gen­heit, seinen kom­mu­nika­tiv­en Nutzen unter Beweis zu stellen und ver­trauen darauf, dass die Sprachge­mein­schaft über­flüs­sige Wörter schnell wieder aussortiert.

Um den mehr oder weniger auf­schlussre­ichen Wahlen zum Wort und/oder Unwort des Jahres, mit denen uns ver­schiedene Sprachge­sellschaften und ‑vere­ine uns zum Jahreswech­sel beglückt haben oder dies noch tun wer­den, eine weit­ere hinzuzufü­gen, möcht­en wir den Beitrag, den die englis­che Sprache zur Entwick­lung des Deutschen macht, angemessen würdigen.

Wir bit­ten deshalb um Nominierun­gen für den „Anglizis­mus des Jahres 2010“.

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Bock zum Gärtner

Von Anatol Stefanowitsch

Während die Sprach­nör­gler in Deutsch­land sich haupt­säch­lich auf englis­che Lehn­wörter ein­schießen, bekämpfen ihre britis­chen Brüder und Schwest­ern im Geiste von der britis­chen Plain Eng­lish Cam­paignhaupt­säch­lich SMS- und Jugend­sprache, lange Sätze, Meta­phern — im Prinzip alles, was sie nicht verstehen.

Zum The­ma „Meta­phern“ geben sie den um eine klare Sprache bemüht­en Besuch­ern ihrer Web­seite zum Beispiel diese War­nung auf den Weg:

George Orwell’s advice is still worth fol­low­ing: ‘Nev­er use a metaphor, sim­i­le, or oth­er fig­ure of speech which you are used to see­ing in print.’ („George Orwells Rat gilt immer noch: Ver­wende nie eine Meta­pher, einen Ver­gle­ich oder son­st irgen­deine Rede­fig­ur, die du regelmäßig gedruckt siehst.“)

Irgend­je­mand hat aber offen­sichtlich vergessen, das der Press­esprecherin des Vere­ins zu sagen. Die äußerte gegenüber der Tageszeitung Dai­ly Mail gegenüber näm­lich jüngst Fol­gen­des (Rede­fig­uren, die man schon eine Mil­lion mal gedruckt gese­hen hat, sind in Fettdruck dargestellt): Weit­er­lesen

Wörterwahl nach Wutsherrenart

Von Anatol Stefanowitsch

Ich habe ja nie ein Geheim­nis daraus gemacht, dass ich wenig Begeis­terung für die Wahl von Wörtern zum Wort, Unwort, Jugend­wort oder über­flüs­sig­sten Wort des Jahres oder Monats, zum schön­sten aus­ge­wan­derten oder einge­wan­derten oder zum schön­sten Wort über­haupt auf­brin­gen kann. Ich habe ja nichts gegen Wörter. Viele mein­er besten Fre­unde sind Wörter. Aber, das wird man ja wohl noch sagen dür­fen, ausze­ich­nen sollte man keins von ihnen. Wörter sollen ihre Arbeit erledi­gen, näm­lich, uns beim Reden zu helfen, und davon abge­se­hen sollen sie uns in Ruhe lassen.

Das gilt natür­lich auch für das gestern von der Gesellschaft für deutsche Sprache zum „Wort des Jahres 2010“ gekürte Wut­bürg­er. Aus sprach­wis­senschaftlich­er Sicht ist das Wort ohne­hin völ­lig unin­ter­es­sant; es ist ein ganz nor­males Nom­i­nalkom­posi­tum, von denen das Deutsche eins pro Sekunde prä­gen kön­nte, wenn es nur wollte. Und es wollte schon oft: ich nenne nur bespiel­haft Ehren­bürg­er, Schild­bürg­er, Spießbürg­er, Welt­bürg­er, Bun­des­bürg­er, Erden­bürg­er, Net­zbürg­er, Pfahlbürg­er, Cheese­bürg­er und Staats­bürg­er.

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Säumige Handwerker

Von Anatol Stefanowitsch

Die Ham­burg­er Handw­erk­skam­mer wirbt seit eini­gen Monat­en in Bah­nen, Bussen und Zeitun­gen, und im Sep­tem­ber sog­ar mit einem Groß­plakat am Dock 10, mit dem Slo­gan „Zugegeben, Ham­burg ist uns gut gelun­gen. Aber wir hat­ten ja auch 1.200 Jahre Zeit“.

Hamburgistunsgutgelungen

Ich nehme an, dass das Handw­erk sich mit diesem Werbe­spruch pos­i­tiv darstellen will, auch wenn ich den ver­schlun­genen Gedanken­gang nicht nachvol­lziehen kann, auf dem ein Wer­ber zur Überzeu­gung gelangt ist, dass der Slo­gan diesen Zweck erfüllt.

Denn dass die Ham­burg­er Handw­erk­er min­destens 1.200 Jahre brauchen, um über­haupt mal vor­bei zu schauen, das wussten wir auch so. Neu ist nur, dass sie auch noch stolz darauf sind.

Schneechaos

Von Anatol Stefanowitsch

Spiegelfechter Jens Berg­er hat sich vor ein paar Tagen mit der Frage beschäftigt, seit wann die Medi­en jeden Schneefall und die damit ein­herge­hen­den Verkehrs­be­hin­derun­gen als „Schneechaos“ beze­ich­nen und in den Archiv­en von Spiegel und ZEIT den Win­ter 1978/1979 ausgemacht.

Eine Suche auf Google Books zeigt, dass das Wort an sich viel älter ist: Der erste Beleg stammt aus dem Jahr 1900, aus den „Berggeschicht­en“ eines Arthur Achleit­ner, der über ein Law­ine­nunglück schreibt: Weit­er­lesen