Archiv des Autors: Anatol Stefanowitsch

Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

Der Mythos vom Tal zwischen den Brüsten

Von Anatol Stefanowitsch

Vor einiger Zeit habe ich hier im Sprachlog eine Rei­he von „Sprachtipps“ von Bild.de disku­tiert, unter denen auch diese Per­le war:

Busen oder Brüste – wo liegt der feine Unter­schied? Antwort: In der Mitte liegt er, genau in der Mitte. Denn der Busen ist in sein­er Ursprungs­be­deu­tung nichts anderes als das Tal zwis­chen den Brüsten. Das Dekol­leté, mit anderen Worten. [10 falsch ver­wen­dete Wörter, Bild.de, 23. Mai 2011]

Ich habe diese Behaup­tung sein­erzeit umfassend entkräftet und dem Ver­fass­er der Sprachtipps dann vorge­wor­fen, die Geschichte vom Busen als „Tal zwis­chen den Brüsten“ von der Rück­seite ein­er Corn­flakespack­ung abgeschrieben zu haben. Ein besorgter Leser hat mich kurz darauf in einem Kom­men­tar zu einem anderen Beitrag ermah­nt, ich solle die „Gegen­seite“ nicht immer „als nur aus Vol­lid­ioten beste­hend hin­stellen, denen jeglich­er Sachver­stand abgeht“.

Diese Ermah­nung nehme ich natür­lich sehr ernst, denn ich will keines­falls für einen Ver­fall der hohen Diskus­sion­skul­tur im Inter­net ver­ant­wortlich sein. Ich möchte mich für meine Gemein­heit deshalb entschuldigen: Verzei­hung, liebe Corn­flakes-Pro­duzen­ten, ich weiß natür­lich, dass ihr der­ar­ti­gen Unfug niemals auf eure Ver­pack­un­gen druck­en würdet.

Bleibt die Frage, woher die Idee vom Busen als „Tal zwis­chen den Brüsten“ denn dann kommt.

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For You, Verbohrt

Von Anatol Stefanowitsch

Deutsche Fir­men, die sich für englis­che (oder deutsch-englis­che) Fir­men­mot­tos und Werbeslo­gans entschei­den, kön­nten natür­lich ein­fach dazu ste­hen. Sie wer­den sich ja etwas dabei gedacht haben.

Nehmen wir zum Beispiel die Fir­ma Schleck­er, die mit dem Mot­to „FOR YOU. VOR ORT.“ von sich reden gemacht hat. Wenn denen jet­zt jemand einen empörten Brief schreiben würde, in dem die mögliche Rolle dieses harm­losen Wort­spiels bei einem endgülti­gen Unter­gang der deutschen Sprache ange­sprochen und eine sofor­tige Erset­zung des­sel­ben durch einen rein deutschen Werbe­spruch gefordert würde, kön­nte Schleck­er wie fol­gt antworten:

Vie­len Dank für Ihre Anfrage. Wir ver­ste­hen, dass nicht jed­er unseren deutsch-englis­chen Slo­gan mag, aber uns und unseren Kun­den gefällt er. Er ist einzi­gar­tig, er fällt auf, er bleibt im Gedächt­nis hän­gen — kurz, er erfüllt alle Anforderun­gen an ein präg­nantes Fir­men­mot­to. Die deutsche Sprache hat die Auf­nahme hun­dert­er von lateinis­ch­er, franzö­sis­ch­er und englis­ch­er Fremd­wörter glänzend über­standen, und wir glauben nicht, dass sie aus­gerech­net an diesem harm­losen Wort­spiel zugrunde gehen wird. [Hypo­thetis­ch­er Antwort­brief der Fa. Schlecker] 

Aber man muss natür­lich nicht zu seinen Slo­gans ste­hen. Man kön­nte beim Erhalt eines sprachkri­tis­chen Briefes auch sofort einknick­en, dem Brief­schreiber zus­tim­men, dass die Pflege der deutschen Sprache ein hohes gut ist, dass die eige­nen Kun­den aber lei­der zu dumm sind, um das einzuse­hen. Dass die Kun­den in ihrer Beschränk­theit eben auf deutsch-englis­chem Sprach­mis­chmasch beste­hen und man nicht umhin komme, ihnen genau das zu liefern. 

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Urgermanische Sprachpflege

Von Anatol Stefanowitsch

In der let­zten Woche wurde im Säch­sis­chen Land­tag ein Antrag der NPD ver­han­delt, der Regierung und Ver­wal­tung zur Ver­mei­dung von Anglizis­men verpflicht­en sollte. Dieser Antrag hat den grü­nen Abge­ord­neten Miro Jen­ner­jahn zu einem Aus­flug in die deutsche Sprachgeschichte inspiri­ert, der es ver­di­ent, als großer Moment der Sprach­nör­glerkri­tik in die Chroniken einzugehen. 

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Stille Post sie spielen

Von Anatol Stefanowitsch

Ich bin gedanklich schon auf der Open Mind 11 und der noch etwas unaus­ge­gore­nen Vision von der Zukun­ft der insti­tu­tion­al­isierten Wis­senschaft, die ich dort mor­gen früh vor­tra­gen werde, aber da ich jet­zt mehrfach auf die Mel­dung ange­sprochen wor­den bin, will ich doch schnell etwas dazu sagen: Die Früh­men­schen, meldet Spiegel Online, sprachen wie Yoda aus Star Wars — oder, wie SpON titelt, Früh­men­schen wie Yoda sprachen.

Eine schöne Geschichte, wenn etwas daran wäre. Wer würde nicht gerne wenig­stens seinen sprach­lichen Stamm­baum bis zu dem kleinen aber äußerst kampf­s­tarken grü­nen Jedi-Rit­ter zurück­ver­fol­gen kön­nen. Lei­der stimmt an der Mel­dung, die im Prinzip nur eine leicht über­ar­beit­ete Fas­sung ein­er dpa-Mel­dung ist, so gut wie gar nichts. Sie ist besten­falls ein Beispiel dafür, dass man Pressemel­dun­gen zu wis­senschaftlichen Stu­di­en nicht übernehmen sollte, ohne einen Blick auf die Studie selb­st zu wer­fen. Vor allem aber sollte man sie nicht umschreiben, ohne die Studie zu ken­nen und ver­standen zu haben. Tut man es doch, spielt man im Prinzip stille Post — im Jour­nal­is­mus grund­sät­zlich eine äußerst schlechte Idee.

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Bislang kein Dialekt

Von Anatol Stefanowitsch

Obwohl ich als Sprach­wis­senschaftler natür­lich Deskrip­tivist bin, den Sprachge­brauch also beschreibe und erk­läre, ohne ihn in Kat­e­gorien wie „gut“ und „schlecht“ zu bew­erten, ver­suche ich mich beim Ver­fassen mein­er Texte im Großen und Ganzen an präskrip­tiv­en (vorschreiben­den) Sprach­nor­men zu ori­en­tieren. Ein­fach, weil es viel Ärg­er und über­flüs­sige Diskus­sio­nen mit der (ver­legen­den und lesenden) Kund­schaft erspart.

Um mich präskrip­tiv auf Spur zu brin­gen, nutze ich unter anderem den Duden Kor­rek­tor, der seine Arbeit im Großen und Ganzen sehr ordentlich macht. Nur manch­mal ver­hält er sich etwas merk­würdig, zum Beispiel, als er eine Zeit lang den geografis­chen Namen Bre­men als Dialek­t­wort markierte, weil dies auch die Plu­ral­form der Breme, einem mundartlichen Aus­druck für die Stech­fliege, sein könnte.

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Wörterbuch der Verblendung (I): Chemiekeule

Von Anatol Stefanowitsch
Wörterbuch der Verblendung

Wörter­buch der Verblendung

Vor einiger Zeit habe ich im Zusam­men­hang mit ein­er äußerst unkri­tis­chen GEO-Titelgeschichte zur „Alter­na­tivmedi­zin“ einige Aus­drücke unter­sucht, mit denen die Befür­worter der „Alter­na­tivmedi­zin“ die Welt passend zu ihrer Ide­olo­gie ver­sprach­lichen (darunter das Wort­paar Schulmedizin/Alternativmedizin. Bei der Hin­ter­grun­drecherche zu meinem heuti­gen Tele­po­lis-Beitrags zur „Alter­na­tivmedi­zin“ ist mir dann erst klar gewor­den, wie viele solch­er Aus­drücke es tat­säch­lich gibt und wie selb­stver­ständlich sie in Diskus­sio­nen über die Behand­lung von Krankheit­en ver­wen­det wer­den. Mit diesen Wörtern werde ich mich unter der Rubrik „Aus dem Lexikon der Verblendung“ beschäfti­gen, die in unregelmäßi­gen Abstän­den hier im Sprachlog erscheinen wird.

Begin­nen möchte ich heute mit dem Wort Chemiekeule, mit dem Befür­worter der „Alter­na­tivmedi­zin“ gerne die soge­nan­nte „Schul­medi­zin“ (oder, wie ich sie nenne, Medi­zin) beze­ich­nen.

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xkcd: Künstler, Comiczeichner, Denker

Von Anatol Stefanowitsch

Ab und zu über­set­ze ich ja hier sprach­wis­senschaftlich inter­es­sante Comics von Ran­dall „XKCD“ Munroe. An einem der besten habe ich mir vor einiger Zeit die Zähne aus­ge­bis­sen. Wie immer, wenn mir etwas nicht sofort gelingt, habe ich die ganze Angele­gen­heit ver­drängt, aber fre­undlicher­weise hat mich Ali „Zoon­poli­tikon“ Arbia anlässlich mein­er jüng­sten Über­set­zung daran erin­nert.

Was den Com­ic so unüber­set­zbar macht, wird klar, sobald man das Orig­i­nal ver­standen hat:

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Spaß mit Symbolen

Von Anatol Stefanowitsch

In vie­len Sit­u­a­tio­nen sollen Bildsym­bole dazu dienen, sprach­bar­ri­erenüber­greifende Kom­mu­nika­tion zu ermöglichen. Lei­der ist es gar nicht so leicht, unmissver­ständliche Sym­bole zu find­en, was immer wieder Anlass für mutwillige und sehr unter­halt­same Fehlin­ter­pre­ta­tio­nen liefert.

Ein Klas­sik­er mit einem fes­ten Platz im Olymp der Inter­net-Meme ist dabei natür­lich Push But­ton, Receive Bacon („Knopf drück­en, Speck erhal­ten“): Weit­er­lesen

Cereal Offenders

Von Anatol Stefanowitsch

Es gibt Lehn­wörter, über die regt sich nur der Vere­in Deutsche Sprache auf, während der Rest der Welt sie entwed­er ganz selb­stver­ständlich ver­wen­det (wer würde ern­sthaft „Klap­prech­n­er“ statt Lap­top sagen) oder längst vergessen hat (wer würde über­haupt noch Lap­top sagen).

Und dann gibt es Lehn­wörter, die lösen selb­st bei tol­er­an­ten Men­schen Abscheu oder sog­ar Rage aus. Ein solch­es Wort ist Cere­alien. Ich bin bish­er nie­man­den, wirk­lich nie­man­dem begeg­net, der bere­it wäre, dieses Wort auch nur zu tolerieren (außer mir selb­st, aber kann man sich selb­st begegnen?).

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