Archiv des Autors: Anatol Stefanowitsch

Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

Anglizismus des Jahres: Zwischenmeldung

Von Anatol Stefanowitsch
Button für den Anglizismus des Jahres 2011

But­ton für den Anglizis­mus des Jahres 2011

Obwohl die Nominierun­gen zum Anglizis­mus des Jahres noch bis zum 31. Dezem­ber laufen, ist es höch­ste Zeit für eine Zwis­chen­mel­dung. Bis heute sind näm­lich bere­its 46 Wortvorschläge einge­gange (einige davon mehrfach). Zum Ver­gle­ich: Im let­zten Jahr wur­den bis Ende Dezem­ber nur 38 Wörter nominiert.

Bei den The­men­bere­ichen, aus denen die nominierten Wörter stam­men, gibt es einen auf­fäl­li­gen Unter­schied zum let­zten Jahr: Die Finanzkrise, die uns ja eigentlich schon länger beschäftigt, ist mit­tler­weile offen­sichtlich so präsent, dass sie sich in ein­er Rei­he von Vorschlä­gen wieder­spiegelt: Bail-out, Com­pli­ance, Euro-Bonds, Hair­cut, Rating/raten, und Stresstest (wobei let­zteres natür­lich auch bei der öffentlichen Diskus­sion um die Abnei­gung der Stuttgarter gegen einen neuen Bahn­hof eine Rolle gespielt hat).

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Swaghalsige Jugendwörter

Von Anatol Stefanowitsch

Der Lan­gen­schei­dt-Ver­lag, der es als Her­aus­ge­ber exzel­len­ter Wörter­büch­er eigentlich nicht nötig hätte, macht sich seit 2008 jedes Jahr mit der Wahl zum „Jugend­wort des Jahres“ zum Affen.

Nicht, weil es keine Jugend­wörter gäbe — die gibt es, und sie wer­den auch sprach­wis­senschaftlich unter­sucht (zum Ein­stieg empfehle ich Schlobin­s­ki 2002). Son­dern, weil der Lan­gen­schei­dt-Ver­lag kein Inter­esse an Jugend­wörtern hat, und sich fol­gerichtig auch nicht bemüht, etwas über Jugend­wörter her­auszufind­en — oder wenig­stens Jugend­wörter zu finden.

Statt dessen wird ein­er Jury aus Jugendlichen (es geht ja um Jugend­sprache) und Journalist/innen (es geht ja um, äh…) jedes Jahr eine beliebige Auswahl von Wörtern aus allen möglichen Funk­tions­bere­ichen der Sprache vorgelegt, aus denen die dann ein Siegerwort küren soll.

Und in diesem Jahr ist die Beliebigkeit der Auswahl sog­ar der Jury selb­st aufge­fall­en. Ihre Begrün­dung für die fünf Final­is­ten und deren Rang­folge liest sich wie eine einzige lange Dis­tanzierung von dem, wozu sie sich da bre­itschla­gen lassen haben.

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Sprache diskriminiert

Von Anatol Stefanowitsch

Gestern habe ich an ein­er Podi­ums­diskus­sion der Bun­deszen­trale für poli­tis­che Bil­dung mit dem The­ma „Wort und Wirk­lichkeit: Kann Sprache diskri­m­inieren?“ teilgenom­men, deren Ergeb­nisse ich auf vielfachen Wun­sch in eini­gen Blog­beiträ­gen aufar­beit­en möchte. Ich beginne heute mit den Gedanken, die ich mir vor der Diskus­sion zu der Frage „Kann Sprache diskri­m­inieren“ gemacht und notiert hatte.

Das lateinis­che Verb dis­crim­inare bedeutet „tren­nen“, „unter­schei­den“, und in dieser Bedeu­tung wurde es im 17. Jahrhun­dert in ver­schiedene europäis­che Sprachen entlehnt. Im Deutschen find­et es sich zunächst sehr vere­inzelt, erst ab dem 19. Jahrhun­dert ist es häu­fig belegt, dann haupt­säch­lich in sein­er heuti­gen Bedeu­tung („her­ab­würdi­gen“, „benachteili­gen“).

Wie diese mod­erne Bedeu­tung ent­standen ist, lässt sich im Englis­chen sehr gut nachvol­lziehen, weil das Wort dort seit dem 17. Jahrhun­dert durchgängig im Gebrauch war und bis heute neben der mod­er­nen auch die ursprüngliche Bedeu­tung hat. Der erste Beleg für die mod­erne Bedeu­tung im Oxford Eng­lish Dic­tio­nary ist der folgende:

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Wortschatzerweiterungen

Von Anatol Stefanowitsch

Ab und zu fehlen selb­st den elo­quentesten Mit­gliedern ein­er Sprachge­mein­schaft die Worte — dann näm­lich, wenn deren Sprache für einen bes­timmten Sachver­halt schlicht kein Wort bere­it­stellt. In der Sprach­wis­senschaft spricht man hier all­ge­mein von lacu­nae, oder, weniger latin­isiert, von „lexikalis­chen Lücken“.

Inter­es­sant sind diese Lück­en natür­lich nur dann, wenn ein Wort für einen an sich bekan­nten Sachver­halt fehlt, und nicht dann, wenn ein Wort fehlt, weil das zu Beze­ich­nende selb­st unbekan­nt ist. Das Deutsche hat­te bis in die 1990er Jahre kein Wort für Sushi, aber weil nie­mand das damit beze­ich­nete Gericht über­haupt kan­nte, fehlte das Wort ja nicht im eigentlichen Sinne. Man kön­nte also etwas präzis­er von „Ver­sprach­lichungslück­en“ sprechen (aber das ist eine Eigenkreation, kein anerkan­nter Fachbegriff).

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Der Ekel des Hofmedicus vor kecken Studentinnen

Von Anatol Stefanowitsch

Im Zusam­men­hang mit mein­er kleinen Unter­suchung zu Auf­stieg und Fall des Wortes Studierende habe ich auch nach frühen Ver­wen­dun­gen des Wortes Stu­dentin gesucht, und dabei dieses Juwel ent­deckt: Hen­rich Matthias Mar­card, Königlich Großbrit­tanis­ch­er Hofmedicus zu Han­nover, Mit­glied der Königlichen Großbrittannischen
und Königlichen Dänis­chen Gesellschaften der Aerzte zu Edin­burg und zu
Copen­hagen, der Goet­tingis­chen Soci­etät der Wissenschaften
Cor­re­spon­den­ten
, beschreibt junge Men­schen, die er in Pyr­mont beobachtet hat.

Um es mal so zu sagen, er hat für junge Leute nicht viel übrig — und für kluge Frauen schon gar nicht: 

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Langlebige Studierende

Von Anatol Stefanowitsch

In einem kurzen Anflug von Ver­wal­tungs­frust habe ich gestern nos­tal­gisch fol­gen­den Satz getweet­ed: „Wisst ihr noch, früher, als die Uni­ver­wal­tung für die Lehren­den und Studieren­den gear­beit­et hat?“. Kein bedeut­samer Satz, denn einen kurzen Anflug von Ver­wal­tungs­frust hat jede/r Universitätsmitarbeiter/in (inklu­sive der­er in der Ver­wal­tung) etwa drei Mal pro Minute. Neben viel Zus­tim­mung kam kurz darauf aber auch die Antwort „Früher hießen die auch noch Pro­fes­soren und Stu­den­ten und nicht Lehrende und Studierende.“

Denn nichts löst so zuver­läs­sig Kopf­schüt­teln aus, wie mein Ver­such, möglichst durchgängig eine wenig­stens ober­fläch­lich geschlecht­sneu­trale (oder zumin­d­est geschlecherg­erechte) Sprache zu ver­wen­den. Das ist ja Polit­i­cal Cor­rect­ness, und irgend­wie scheinen viele anson­sten nette und kluge Men­schen der Mei­n­ung zu sein, dass aus­gerech­net diese Art der Kor­rek­theit abzulehnen sei. Weil es doch nur Sprache ist, und man über die Sprache nicht die Welt ändern kann. Und weil die Welt auch gar nicht geän­dert wer­den muss, weil sie doch längst ger­cht ist. Oder eben, weil geschlecht­sneu­trale und/oder geschlechterg­erechte Sprache irgend­wie nicht so ist wie früher, wo alles bess­er war.

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Anglizismus des Jahres 2011

Von Anatol Stefanowitsch

Zugegeben, der „Anglizis­mus des Jahres“, den wir 2010 erst­ma­lig gekürt haben, ist nicht auf ein­hel­lige Begeis­terung gestoßen. Der Redak­tion­sleit­er des „wochenkuri­er Ennepe-Ruhr“, zum Beispiel, reagierte auf die Pressemel­dung, in der die Jury ihre Entschei­dung für das Wort leak­en bekan­nt­gab, mit der „her­zlichen“ Bitte, „kün­ftig von solchen Zusendun­gen abzuse­hen“. Seine Zeitung, ließ er uns wis­sen „ver­sucht aus Überzeu­gung, Anglizis­men weitest­ge­hend aus dem Blatt her­auszuhal­ten.“ Außer­dem wisse er nicht, was „Leak­en“ über­haupt bedeuten solle.

Auch in der Poli­tik stießen wir auf vere­inzelte Unmut­säußerun­gen. Hans-Peter Fan­ti­ni, Stadtverord­neter der FDP in Neuss am Rhein, beschuldigte uns per E‑Mail, mit der Wahl des Wortes leak­en „einen weit­eren Beitrag zur Verun­sicherung der­er geleis­tet [zu haben], die ver­suchen sich in die Fein­heit­en der deutschen Sprache einzuarbeiten.“ 

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Die Staatssprache Deutsch vor dem Petitionsausschuss

Von Anatol Stefanowitsch

Wer die gestrige Sitzung des Peti­tion­sauss­chuss­es zu den Peti­tio­nen für und gegen die Auf­nahme der Deutschen Sprache ins Grund­getz ver­passt hat, kann sich die Aufze­ich­nung jet­zt auf der Web­seite des Bun­destages anse­hen (die Diskus­sion der Peti­tio­nen begin­nt bei 1:00:32).

Ich werde in den näch­sten Tagen noch einige Aspek­te in eige­nen Blog­beiträ­gen auf­greifen. Hier zunächst der Text mein­er Rede (in der Aufze­ich­nung fol­gt die der Rede des VDS-Vor­sitzen­den Wal­ter Krämer und begin­nt bei 1:10:24).

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Geschmacklich begründete Forderung nach einem Verbot von Anglizismen“ – Ein Interview mit Falco Pfalzgraf

Von Anatol Stefanowitsch

Sprach­puris­mus und sprach­puris­tis­che Vere­ine haben im deutschen Sprachraum eine lange Tra­di­tion, die immer wieder selb­st zum Forschungs­ge­gen­stand von Sprach­wis­senschaftlern gewor­den ist. Ein­er der derzeit führen­den Experten auf diesem Forschungs­ge­bi­et ist Fal­co Pfalz­graf, dessen Buch „Neop­uris­mus in Deutsch­land nach der Wende“ ein Stan­dard­w­erk für jeden ist, der sich wis­senschaftlich mit dem Vere­in Deutsche Sprache und anderen sprach­puris­tis­chen Vere­inen auseinan­der­set­zen will (oder muss).

Pfalz­graf beobachtet die Bestre­bun­gen des VDS und ander­er Grup­pierun­gen nach einem geset­zlichen Schutz der deutschen Sprache seit vie­len Jahren und hat eine Rei­he von Forschungsar­beit­en zu diesem The­ma vorgelegt. Ich freue mich, dass ich zur Vor­bere­itung auf meinen Auftritt vor dem Peti­tion­sauss­chuss des Deutschen Bun­destages am kom­menden Mon­tag das fol­gende E‑Mail-Inter­view mit ihm führen konnte.

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Petitionsausschuss berät über die Aufnahme der deutschen Sprache ins Grundgesetz

Von Anatol Stefanowitsch
Petition "Keine Aufnahme der deutschen Sprache ins Grundgesetz"

Peti­tion “Keine Auf­nahme der deutschen Sprache ins Grundgesetz”

Der Peti­tion­sauss­chuss des Deutschen Bun­destages berät in ein­er öffentlichen Sitzung am 7. Novem­ber 2011 über zwei Peti­tio­nen zur Ver­ankerung der deutschen Sprache im Grundge­setz. Für eine solche Ver­ankerung wirbt die Peti­tion Deutsch als Lan­dessprache ins Grundge­setz, die der Vor­sitzende des Vere­ins Deutsche Sprache, Wal­ter Krämer, ein­gere­icht hat. Gegen eine solche Ver­ankerung wirbt die Peti­tion Keine Auf­nahme der deutschen Sprache ins Grundge­setz, die ich selb­st als Reak­tion auf die VDS-Peti­tion ein­gere­icht habe.

Es ist mir eine große Ehre, mein Anliegen auf dieser Sitzung noch ein­mal per­sön­lich vor­tra­gen zu dür­fen. Wer Inter­esse hat, die Sitzung direkt oder per Par­la­ments­fernse­hen mitzu­ver­fol­gen, find­et am Ende dieses Beitrags alle rel­e­van­ten Infor­ma­tio­nen dazu.

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