Archiv des Autors: Anatol Stefanowitsch

Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

Sprache und Ungleichheit

Von Anatol Stefanowitsch

In der heute erschiene­nen Aus­gabe von Aus Poli­tik und Zeit­geschichte (ein­er Beilage der Wochen­zeitung Das Par­la­ment) schreibe ich über „Sprache und Ungle­ich­heit“.  Eins der schwierig­sten The­men über­haupt, das hier im Sprachlog regelmäßig Protest, Spott und Häme aus­löst und mit dem ich selb­st immer wieder kämpfen muss.

Die Gele­gen­heit, einige mein­er Blog­beiträge zu diesem The­ma in Form eines (populär-)wissenschaftlichen Auf­satzes noch ein­mal sys­tem­a­tisch aufzuar­beit­en, war mir deshalb sehr willkom­men und ich freue mich über Feed­back hier in den Kom­mentaren oder per E‑Mail (dabei gilt, wie immer und vor allem bei diesem The­ma: Kom­mentare, in denen Grup­pen von Men­schen her­abgewürdigt wer­den, sind nicht erwün­scht und wer­den gelöscht).

Wer nicht weiß, woher er/sie Das Par­la­ment bekom­men soll, kann die Beilage (in der ins­ge­samt neun höchst span­nende Beiträge zum The­ma „Ungle­ich­heit“ enthal­ten sind, auf der Web­seite der Bun­deszen­trale für poli­tis­che Bil­dung als PDF-Datei (2,5 MB) herun­ter­laden (natür­lich kostenlos).

[Dieser Beitrag erschien ursprünglich im alten Sprachlog auf den SciLogs. Die hier erschienene Ver­sion enthält möglicher­weise Kor­rek­turen und Aktu­al­isierun­gen. Auch die Kom­mentare wur­den möglicher­weise nicht voll­ständig übernommen.]

Sprachbrocken 15/2012

Von Anatol Stefanowitsch

Auf dem Bun­deskongress der Alt­philolo­gen in Erfurt hat der Öster­re­ichis­che Bil­dungsmin­is­ter Karl­heinz Töchter­le eine über­raschende aber höchst plau­si­ble Lösung für die „derzeit­ige Krise“ im Bil­dungssys­tem präsen­tiert: Mehr Latei­n­un­ter­richt! Denn ger­ade in Krisen­zeit­en, so zitiert die Thüriger All­ge­meine den pro­movierten Alt­philolo­gen, seien häu­fig sprach­liche und lit­er­arische Rückbesin­nun­gen zu beobacht­en. Außer­dem ver­mutet er pos­i­tive Auswirkun­gen auf die Mut­ter­sprache der Schüler/innen: „Mit Latein kön­nen Schüler mod­ell­haft ler­nen, wie Sprache funk­tion­iert und damit die eigene Sprache mit ihrer Gram­matik bess­er ver­ste­hen.“ Nen­nt mich ver­rückt, aber kön­nten sie nicht auch anhand ihrer eige­nen Sprache(n) mod­ell­haft ler­nen, wie Sprache funk­tion­iert? Und hätte das nicht den Vorteil, dass die Unter­richt­szeit, die son­st auf das Erler­nen ein­er toten Sprache ver­schwen­det würde, für Neben­säch­lichkeit­en wie mod­erne Fremd­sprachen zur Ver­fü­gung stünde, an denen man mod­ell­haft ler­nen kön­nte, wie man sich mit Men­schen aus anderen Län­dern und Kul­turen unterhält?

Ander­er­seits kön­nte ein wenig klas­sis­che Bil­dung den einen oder anderen Shit­storm ver­hin­dern. Wir erin­nern uns, wie es dem Fir­men­sprech­er von Schleck­er (ken­nen Sie Schleck­er noch?) sein­erzeit beina­he gelun­gen wäre, durch ein klares Beken­nt­nis zu einem an der Sprachkun­st der Antike ori­en­tieren Sprach­stil die Empörung über die Tat­sache, dass er die Kun­den sein­er Fir­ma für dumm und unge­bildet hielt, schon im Keim zu erstick­en. Wie ungeschickt erscheint im Ver­gle­ich zu dieser alt­philol­o­gis­chen Ele­ganz die Antwort „roflcopter gtfo“, mit der die Piraten­partei dieser Tage auf das abso­lut nachvol­lziehbare Ansin­nen eines selb­ster­nan­nten Parteina­men­warts reagierte, sie mögen doch bitte ihren Namen in etwas weniger piratiges ändern. Dass hier kein Shit­storm los­brach, lag sich­er nur daran, dass nie­mand wusste, was dieses kryp­tis­che Akro­nym bedeuten kön­nte. Der West­en schuf flugs Abhil­fe, in dem er einen „Grund­wortschatz zum Chat­ten“ veröf­fentlichte. Darin wird aus­füh­lich disku­tiert, was roflcopter bedeutet, und auch geheimnisvolle Neuwörter wie lol, nope und sry wer­den erläutert. Was gtfo heißt, mochte man den Leser/innen wohl nicht zumuten. Wir sind weniger zim­per­lich: Es bedeutet in etwa „Extra omnes, vel pedi­cabo ego vos et irrumabo“.

Aber es gibt Hoff­nung: Zwar ver­fällt der Sprachge­brauch der Jun­gend mit zunehmender Geschwindigkeit, aber dafür, berichtet die AFP, haben franzö­sis­che Forsch­er gezeigt, dass Paviane lesen kön­nen. Na gut, nicht „lesen“, eher „Kom­bi­na­tio­nen von Buch­staben von anderen Kom­bi­na­tio­nen von Buch­staben unter­schei­den“, was aber natür­lich weniger catchy klingt. Aber immer­hin bedeutet das, dass man in der Press­es­telle der Piraten­partei einen Pavian beschäfti­gen kön­nte, um den aus­ge­hen­den E‑Mail-Verkehr auf poten­ziell injuriöse Akro­nyme zu kon­trol­lieren. Er kön­nte sog­ar das belei­di­gende GTFO vom frölich-harm­losen TGIF und das anstößige WTF vom loben­den FTW unter­schei­den. Fäkalaus­drücke im mündlichen Sprachge­brauch kön­nte so ein Pavian lei­der nicht ver­hin­dern, dafür bräuchte man min­destens einen Ältesten­rat.

[Dieser Beitrag erschien ursprünglich als Gast­beitrag hier, wo auch Kom­mentare dazu zu find­en sind.]

Sprachbrocken 14/2012

Von Anatol Stefanowitsch

Unsere Sprache kön­nte ja so schön sein, wenn sie nur irgend­wie anders wäre. Nicht so englisch, nicht so preußisch, nicht so voller inner­er Prägungen.

In Sen­ften­berg irren Senioren sprach­lich völ­lig ori­en­tierungs­los durch die Straßen, berichtet die Lausitzer Rund­schau. Der Grund: Ein Wer­be­flächenan­bi­eter wirbt für seine Wer­be­flächen mit den deutsch-englis­chen Wort­spiel Miet Me!. Eigentlich sind die Rent­ner der Kreis­stadt ja weltof­fene Men­schen, aber diese „Englisch-Schwemme“ geht dann doch zu weit: „Ist es denn zu viel ver­langt, dass im Stadt­bild deutsche Begriffe ver­wen­det wer­den?“ fragt eine pen­sion­ierte Deutschlehrerin, deren Englis­chunter­richt zu lange her ist, um ihr bei Wörtern wie Sale und Open noch nüt­zlich zu sein. Wir rat­en ihr, das Mot­to ihrer Heimat­stadt zu beherzi­gen: investieren studieren flanieren.

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Aprilscherz aufgelöst

Von Anatol Stefanowitsch

Also, lösen wir den diesjähri­gen Aprilscherz auf — obwohl das gar nicht so ein­fach ist. Eins ist klar: ná’oolk­ilí ist zwar ein waschecht­es Nava­jo-Wort, es bedeutet aber nicht „Massenkaram­bo­lage“, son­dern „Uhr“.

Die Mehrzahl der Kommentator/innen hat also den Aprilscherz kor­rekt erkan­nt — woran, bleibt allerd­ings unklar, denn die Begrün­dun­gen sind alle­samt nicht nachvol­lziehbar. Ob Massenkaram­bo­la­gen im Gebi­et der Nava­jo häu­fig vorkom­men oder nicht, zum Beispiel, ist erstens irrel­e­vant für die Frage, ob die ein Wort dafür haben (wir haben ja auch ein Wort für das in jedem Fall sel­tenere Ereig­nis Venus­tran­sit); zweit­ens sollte man Massenkaram­bo­la­gen im Nava­jo-Reser­vat in Ari­zona nicht vor­eilig auss­chließen — wie ein Kom­men­ta­tor richtig beobachtet hat, führt mit der I‑40 eine wichtige Inter­state genau durch Nava­jo Coun­ty, auf der im Übri­gen des Öfteren Sand­stürme auftreten, die die Sicht sehr plöt­zlich und sehr stark behindern.

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Sprachbrocken 13/2012

Von Anatol Stefanowitsch

Den Mis­sion­aren und Mis­sion­ar­in­nen der Wycliffe Bible Trans­la­tors kann man vieles vor­w­er­fen (unter anderem eben, dass sie Mis­sion­ar­in­nen und Mis­sion­are sind), aber einen Vor­wurf kann man ihnen nicht machen: Falsche Beschei­den­heit. Bis 2050 wollen sie die Bibel in alle Sprachen der Welt über­set­zt haben. Das ist keine kleine Auf­gabe, denn derzeit wer­den, nach allem, was wir wis­sen, noch etwa 7000 Sprachen gesprochen, von denen laut Wycliff nur für 1211 wenig­stens das Neue Tes­ta­ment vor­liegt. Wenn der Plan aufge­hen soll, müssten die Bibelübersezter ab jet­zt alle zweiein­halb Tage eine neue Über­set­zung vorlegen.

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Schuldengrammatik

Von Anatol Stefanowitsch

Schon seit ein paar Monat­en geht eine Studie des Wirtschaftswis­senschaftlers Kei­th Chen durch die englis­chsprachige Presse, in der behauptet wird, dass die wirtschaftliche Men­tal­ität eines Volkes von sein­er Sprache abhängt. Eigentlich hat­te ich nicht vor, diese Studie zu kom­men­tieren (zu den Grün­den gle­ich mehr), aber vor zwei Wochen hat auch FAZ.net darüber berichtet und seit­dem bin ich mehrfach gebeten wor­den, etwas dazu zu sagen, vor allem von Leser/innen, die im Sprachlog gerne generell mehr über den Zusam­men­hang von Sprache und Denken lesen wür­den. Deshalb hier doch ein paar Gedanken zu der Studie.

Zunächst kurz zum Inhalt (wer es aus­führlich­er wis­sen will, dem sei der oben ver­link­te FAZ-Artikel emp­fohlen, wer es noch aus­führlich­er wis­sen will, kann die Studie selb­st [PDF, 450 KB] lesen). Chen teilt zunächst die Sprachen der Welt in zwei Grup­pen ein: die mit „schwachem Zukun­fts­bezug“ (weak future-time ref­er­ence) und die mit „starkem Zukun­fts­bezug“ (strong future-time ref­er­ence). Grob gesagt (es wird gle­ich noch fein­er) unter­schei­den let­zere in bes­timmten Zusam­men­hän­gen gram­ma­tisch zwis­chen Gegen­wart und Zukun­ft, während erstere das nicht tun. Will ich z.B. auf Deutsch aus­drück­en, dass ich für mor­gen Regen erwarte, kann ich dazu die Präsens­form (1) oder die Futur­form (2) verwenden:

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Sprachbrocken 12/2012

Von Anatol Stefanowitsch

Wenn Ein­wan­der­er die Sprache ihrer neuen Heimat nicht sprechen, bilden sich schnell Par­al­lelge­sellschaften. Das weiß man auch in Öster­re­ich, und bietet deshalb nun auch für Öster­re­ichs größte Ein­wan­der­ergruppe Sprachkurse an: Für die Deutschen. Denn um sich erfol­gre­ich inte­gri­eren zu kön­nen, müssen die ler­nen, dass Lun­gen­brat­en eigentlich Schweine­lende ist und dass Wir hal­ten Sie in Evi­denz eine gängige Absage auf Stel­len­be­wer­bun­gen ist (wörtlich bedeutet es so etwas wie „Wir behal­ten Sie im Auge/Hinterkopf“).

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Unter Schneeblinden

Von Anatol Stefanowitsch

Es ist völ­lig egal, wie oft man den Mythos von den „vie­len Eski­mowörtern für Schnee“ wider­legt — wie aus­führlich man z.B. die Struk­tur der Eki­mo-Aleut-Sprachen erk­lärt, wieviele all­t­agsmythol­o­gis­che Quellen man durch­forstet, wievie­len Auswe­ich­mythen man nachge­ht. Es gibt immer Leute — einen drit­tk­las­si­gen Krim­i­au­tor, zum Beispiel, oder seine folk­lorisierende Bürokraft — die das alles bess­er wis­sen. Denn sie kan­nten mal jeman­den, der einen kan­nte, der vielle­icht ein Eski­mo war oder zumin­d­est einen dick­en Anorak besaß, und der hat es ihnen gesagt. Außer­dem haben sie eine Liste! Mit ganz vie­len Eskimoschneewörtern!

Nun kön­nte so eine Wörterliste ja sog­ar bei der Beant­wor­tung der Frage weit­er helfen, ob die Eski­mos ent­ge­gen der detail­lierten Auskün­fte von Fach­leuten viele­icht doch „viele Wörter für Schnee“ haben — es kön­nte ja sein, dass es sich bei den Auskün­ften der Fach­leute um eine Ver­schwörung han­delt, um sich von staatlichen Forschungs­geldern ein faules Leben zu gön­nen, so eine Art Wörter­gate. Wäre es nicht toll, wenn der kleine Mann auf der Straße diese Ver­schwörung aufdeck­en kön­nte, in dem er die Wörterlis­ten öffentlich macht, die die Lin­guis­tik-Mafia so verzweifelt unter Ver­schluss zu hal­ten versucht?

Einen Ver­such wäre es wert. Nur reicht es dazu lei­der nicht, so eine Liste gedanken­los in einen aufge­blasen blub­bern­den Blogkom­men­tar zu kopieren oder sie auf der eige­nen gerne­großen pseudo­bil­dungs­bürg­ertümel­nden Lang­weil­er­web­seite vor der Welt zu ver­steck­en. Man muss dazu auch min­destens drei Fra­gen beant­worten können:

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Sprachbrocken 11/2012

Von Anatol Stefanowitsch

Über die Jugend­sprache wird viel geschrieben — meis­tens in Form von frei erfun­de­nen Wörtern wie Knutschbunker und Gam­melfleis­ch­par­ty. Aber Der West­en hat jet­zt her­aus­ge­fun­den, warum die „Jugend­szene“ (ern­sthaft, so heißen junge Men­schen in Bergka­men wohl) so komisch spricht: Um sich der Strafver­fol­gung zu entziehen. Denn wenn die Richter nicht ver­ste­hen, was Kläger und Beklagte ihnen da erzählen, ste­ht am Ende nicht ein­mal Aus­sage gegen Aus­sage. Im vor­liegen­den Fall ist der Richter ange­blich an den für mich völ­lig kryp­tis­chen Sätzen „Ouh, nichts damit zu tun“, „Weiß gar nicht, was der will, weiß du“ und „Kopf umge­dreht, boahh ei, dann noch ein Gong, weiß du ne“ gescheit­ert. Wenn Deutsch als Staatssprache im Grundge­setz stünde, wäre das nicht pass– ach, egal.

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