Archiv des Autors: Anatol Stefanowitsch

Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

Sind Piratinnen Piraten?

Von Anatol Stefanowitsch

In einem Text, in dem ständig über eine oder mehrere gemis­cht­geschlechtliche Per­so­n­en­grup­pen gere­det wird, muss man eine Lösung dafür find­en, wie diese zu beze­ich­nen sind. Vor diesem Prob­lem ste­ht im Moment die Piraten­partei mit ihrer Satzung, in der durchgängig von Pirat­en die Rede ist, obwohl natür­lich auch Piratin­nen gemeint sind. Eine Rei­he von Liq­uid-Feed­back-Ini­ti­ta­tiv­en befasst sich aktuell mit der Frage, wie dieses Prob­lem zu lösen ist, und Miri­am Seyf­far­th hat mich über Twit­ter gefragt, wie ich diese Ini­ti­ta­tiv­en bew­erte und ob ich bessere Vorschläge habe.

Natür­lich nutze ich die Gele­gen­heit gerne, dieses all­ge­meine Prob­lem anhand der Satzung der Piraten­partei und der erwäh­n­ten Ini­ti­ta­tiv­en zu diskutieren.

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Sprachbrocken 21.2/2012

Von Anatol Stefanowitsch

Die Bibel ist nicht nur eins der am meis­ten verkauften und am wenig­sten gele­se­nen, son­dern auch eins der am häu­fig­sten über­set­zten Büch­er. In über 400 Sprachen ist sie über­tra­gen wor­den, und seit kurzem, so meldet die Süd­deutsche Zeitung, zählt zu diesen Sprachen auch die Sprache der kanadis­chen Inu­it. Ein­fach war es wohl nicht, diese Über­set­zung anzufer­ti­gen, denn das Inuk­ti­tut hat keine Wörter für zen­trale bib­lis­che Konzepte wie den „Esel“ auf dem Jesus reit­et, die „Schäfchen“ (wie die Fol­low­er des „guten Hirten“ ja gerne beze­ich­net wer­den), das „Kamel“ oder die „Palme“. Man kön­nte sich nun fra­gen, was diese Konzepte eigentlich zur Botschaft des guten Buch­es beitra­gen und ob es nicht ark­tis­che Äquiv­a­lente gibt, die den Zweck eben­sogut erfüllen. Aber stattdessen entsch­ied man sich für Para­phrasen: Der Esel wurde zum „Tier, das lange Ohren hat“, der gute Hirte (ange­blich) zum „Babysit­ter für Schlit­ten­hunde“ und das Schaf zum „Tier mit gekräusel­tem Haar“. Das Kamel und die Palme blieben unüber­set­zt, wobei unklar bleibt, was gegen das „Tier mit den zwei Fet­tk­lopsen auf dem Rück­en“ oder den „Baum, der wie ein umge­drehter Wis­chmop aussieht“ sprach.

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Sprachbrocken 21.1/2012

Von Anatol Stefanowitsch

Manch­mal quäle ich mich ja etwas, um für diese Kolumne inter­es­sante oder kuriose Mel­dun­gen über Sprache und Sprachen zusam­men­zuk­lauben, aber diese Woche war die Aus­beute so reich­haltig, dass sie für zwei Mal Sprach­brock­en reicht. Und da ich zur Zeit son­st nicht viel schreibe, bekom­men die geschätzen Leser/innen des Sprachlogs deshalb heute und mor­gen eine Por­tion. Der erste Gang ste­ht dabei ganz im Zeichen unser­er Fre­unde vom Vere­in Deutsche Sprache, die ihr fehlen­des Wis­sen über Sprache ja stets sehr lobenswert durch lin­guis­tis­che Igno­ranz wettmachen.

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Sprachbrocken 19–20/2012

Von Anatol Stefanowitsch

Da gibt es eine winzige sprach­liche Min­der­heit, die sich nicht nur weigert, die Sprache der Mehrheit zu ler­nen, son­dern die es sog­ar geschafft hat, ihre Sprache durch Geset­ze schützen zu lassen. Und jet­zt beschw­ert sich diese Min­der­heit, die nur knapp 0,7 Prozent der Bevölkerung stellt, dass die Ret­tungsstellen nicht rund um die Uhr mit Leuten beset­zt sind, die ihre Sprache sprechen.

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Sprachbrocken 18/2012

Von Anatol Stefanowitsch

Wer mehrere Sprachen spricht, hat nicht nur mehr Gesprächspartner/innen, son­dern auch ein feineres Gehör. Das haben, wie man so schön sagt, amerikanis­che Wis­senschaftler her­aus­ge­fun­den (das Forschung­steam aus vier Frauen und einem Mann wird in der dpa-Mel­dung übri­gens kon­se­quent mit dem maskulinum „US-Forsch­er“ beze­ich­net — der klare Beweis dafür, dass es ein gener­isches Maskulinum sex­is­tis­che Sprache gibt). Es han­delt sich übri­gens um eine neu­rol­o­gis­che Studie mit spanisch-englis­chsprachig aufgewach­se­nen Teenagern, die zeigt, dass die Silbe da, die die Ver­suchsper­so­n­en in ein­er Train­ingsphase mehrfach vorge­spielt beka­men, bei den bilin­gualen Ver­suchsper­so­n­en unter durch Hin­ter­grundgeräusche erschw­erten Hörbe­d­i­n­un­gen eine deut­lichere Reak­tion im Hirn­stamm her­vor­rief als bei der mono­lin­gualen Kon­troll­gruppe (die Studie gibt es hier).

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Sag mir was du siezt

Von Anatol Stefanowitsch

Die Apotheken Umschau (sie schreibt sich wirk­lich so, was mich nicht weit­er stört, was ich aber trotz­dem gesagt haben will, falls es andere stört, die dann näm­lich wis­sen, dass es mich nicht stört) veröf­fentlicht jeden Monat eine repräsen­ta­tive Umfrage zu aktuellen The­men wie„Opfer des Jo-Jo-Effek­ts: Frauen oft von neuen Diät­meth­o­d­en ent­täuscht — Jede Zweite nahm rasch wieder zu“, „Trend zum rasierten Mann: Män­ner — vor allem die jün­geren — ent­fer­nen nicht mehr nur den Bart“, „Tal­is­man im Täschchen: Glücks­bringer sind Frauen­sache“ oder„Riskantes Fieber­messen mit Glas: Jed­er Vierte in Deutsch­land benutzt noch ein herkömm­lich­es Ther­mome­ter“ – ein regel­recht­es kleines Fen­ster in die deutsche Volksseele.

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Sprachbrocken 17/2012

Von Anatol Stefanowitsch

Da macht man sich ein biss­chen über die ange­bliche Mod­ell­haftigkeit des Lateinis­chen lustig und schlägt vor, doch lieber mod­erne Fremd­sprachen oder Piratisch zu ler­nen, und kurz darauf disku­tiert die deutsche Medi­en­land­schaft auf bre­it­er Ebene über die Sprache der alten Römer. Wie Der West­en berichtet, find­et plöt­zlich auch die Bun­desvere­ini­gung der Deutschen Arbeit­ge­berver­bände, dass der Latei­n­un­ter­richt nicht dazu taugt, die Schüler/innen zu zukün­fti­gen „Beschäftigten“ auszu­bilden. Und was tut der Vor­sitzende des Alt­philolo­gen­ver­ban­des, von dem die Idee der Mod­ell­haftigkeit stammt? Er stimmt zu: „Wer Rich­tung Wirtschaft denkt, ist mit aus­ge­fal­l­enen Sprachen wie Ara­bisch oder Chi­ne­sisch bess­er beraten.“

Und Rich­tung Wirtschaft denkt ja schließlich ganz Deutschland.

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Nackt im Schatten

Von Anatol Stefanowitsch

Schon mehrfach haben mich meine Co-Blog­ger Joachim Schulz (Quan­ten­welt) und Dierk Haa­sis (Con Text) gebeten, doch mal etwas über die englis­chen Wort­paare shadow/shade bzw. naked/nude zu schreiben (wer sich für welch­es Wort­paar inter­essiert hat, dürfte offen­sichtlich sein). Ich hätte ihnen den Gefall­en auch schon längst getan, nur ist mir nie eine inter­es­sante Per­spek­tive dazu einge­fall­en. Es sind eben Fälle, in denen es im Englis­chen zwei Wörter gibt, wo das Deutsche nur eins hat (nackt, bzw. Schatten).

Ein inter­es­santes The­ma wäre die Frage, ob das Englis­che grund­sät­zlich feinere Bedeu­tung­sun­ter­schei­dun­gen trifft, als andere (europäis­che) Sprachen. Ich habe diese Behaup­tung ab und zu während meines Studi­ums oder von Kolleg/innen gehört, und völ­lig unplau­si­bel ist sie nicht. Das Englis­che stand während der mehrere Hun­dert Jahre währen­den nor­man­nis­chen Besatzung in einem engen Kon­takt zum Franzö­sis­chen und hat in dieser Zeit außergewöhn­lich viele Lehn­wörter aufgenom­men, ohne die schon vorhan­de­nen Wörter auszu­sortieren; der englis­che Wortschatz ist deswe­gen an vie­len Stellen umfan­gre­ich­er als bei Sprachen mit wenig Lehngut, und das müsste ja eine Aus­d­if­feren­zierung von Bedeu­tun­gen mit sich brin­gen. Aber das tat­säch­lich zu unter­suchen, würde den Rah­men dieses Blogs natür­lich sprengen.

Weniger inter­es­sant schien es mir, die Bedeu­tung­sun­ter­schiede ein­fach zu erk­lären. Das Sprachlog ist schließlich kein Wörter­buch: Wenn Dierk und Joachim den Bedeu­tung­sun­ter­schied zwis­chen nude und naked oder shad­ow und shade wis­sen wollen, sollen sie ihn nach­schla­gen. Dachte ich zumin­d­est, bis ich das selb­st getan habe. Denn Wörter­büch­er helfen nicht unbe­d­ingt weiter.

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Sprachbrocken 16/2012

Von Anatol Stefanowitsch

Dass die deutsche Sprache ver­fällt, ist eine trau­rige Tat­sache, an der wir in den Sprach­brock­en nur schw­er vor­beikom­men. In Cot­tbus beispiel­sweise, erfahren wir in einem Leser­brief in der Lausitzer Rund­schau, wird Deutsch nur noch zu Hause gesprochen — in der Öffentlichkeit bedi­ent man sich nur noch der „Sprache der Vere­inigten Staat­en von Ameri­ka“ (wom­it ver­mut­lich Englisch gemeint ist). So wer­den „deutsche iden­titätss­tif­tende Werte unter den Tisch gekehrt“.

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