Mein Vortrag „Sprache und Plattformneutralität“, in dem ich über einige Aspekte von Ungleichheit und Diskriminierung von Sprache spreche, ist auf YouTube verfügbar. Ich verlinke ihn hier nur noch einmal, um einen Ort für die Literaturliste und für kleine inhaltliche Korrekturen zu haben.
Archiv des Autors: Anatol Stefanowitsch
Sprachbrocken 37/2012
Nichts gegen die Paläoanthropologie, aber es sei mir verziehen, wenn ich manchmal den Eindruck bekomme, sie sei nur erfunden worden, damit die Literaturwissenschaft keine methodologischen Minderwertigkeitskomplexe entwickelt. Da untersucht ein sechsköpfiges internationales Team das Skelett eines Neandertalers und belegt anhand von Abnutzungsspuren an den Zähnen etwas, das ohnehin bekannt war: Dass dieser Neandertaler (wie seine Artgenossen insgesamt) vermutlich Rechtshänder war. Soweit, so gut. Da das aber wohl nicht interessant genug war, schließt man im Schlusskapitel der Studie dann unvermittelt, dass dies auf eine menschenähnliche Ausprägung der linken Gehirnhälfte und damit auf die Fähigkeit zur Sprache hinweist. Und diese nicht weiter belegte Spekulation wird vorhersehbarer Weise der Aufhänger der Geschichte in der Presse. Ich wollte eine linkshändige Kollegin fragen, was sie von dieser Geschichte hält, aber natürlich konnte sie nicht antworten.
Sprachbrocken 36/2012
Literaten kommen im Sprachlog selten zu Wort, aber warum eigentlich? Schließlich stolpere ich bei meiner Suche nach Sprachbrocken ständig über Hinweise auf deren sprachlichen Genius, da müsste doch etwas zu holen sein. Diese Woche zum Beispiel lese ich auf nachrichten.at über den portugiesischen Schriftsteller Antonio Lobo Antunes, dass er mit „seiner unkonventionellen, energievollen und dichten Sprache, seinen an Atmosphäre und Metaphern reichen Texten … Fans weltweit“ begeistere. Und diese Metaphern klingen dann zum Beispiel so: „Ich mag es, die Buchstaben zu malen. Aufs Glas (des PC-Schirms) zu sehen, ist wie Liebemachen mit Kondom. Ich schreibe ohne Kondom.“ Ein harter Kerl ist er also, der nicht lange fackelt und seinen Kugelschreiber hinsteckt, wo er will. Und ich will nicht, das wir uns hier im Sprachlog mit textuell übertragbaren Krankheiten anstecken. Und deshalb kommen Literaten im Sprachlog selten zu Wort.
Sprachbrocken 35/2012 („Minus-DE“-Ausgabe)
Die Sprachbrocken #35, die ich heute morgen veröffentlicht habe, sind in ihrem Vorausblick auf ein Internet ohne Links und ohne Zitate ja etwas trübsinnig geworden. Aber so würde eine bundesdeutsche Ausgabe eben in Zukunft aussehen, beschweren Sie sich nicht bei mir, sondern beim Springer-Verlag (der ja im Übrigen schon immer eine reaktionäre, demokratiefeindliche Propagandamaschine war, also guckt halt nicht so überrascht). Da die Sprachbrocken in dieser Form auf Dauer keinen Spaß machen werden, präsentiere ich hier ein zweites mögliches Zukunftsszenario.
Sprachbrocken 35/2012
Mehrere deutsche Zeitungen berichteten in den letzten Tagen übereinstimmend, dass der Verein Deutsche Sprache den Vorstandsvorsitzenden der Kaufhauskette Karstadt, Andrew Jennings zum „Sprachpanscher des Jahres“ ernannt hat. Die Zeitungen stützen sich dabei auf den Bericht einer Presseagentur mit Sitz in Berlin. Wenn man den Berichten trauen kann, wirft man dem aus Großbritannien stammenden Manager (verzeihung, dem aus Großbritannien stammenden Schaffer/Macher [ist das richtig so, Herr Krämer?]) vor, in der Außendarstellung seines Unternehmens mit großer Konsequenz englische Wörter und Phrasen zu verwenden, wo nahezu poetisch anmutende deutsche Alternativen zur Verfügung stünden — so verwende Karstadt etwa den Begriff Midseason-Sale, statt des deutschen Zwischensaison-Ausverkauf (bei dem man sich freilich das Wort Saison wegdenken sollte, wenn man denn wirklich etwas gegen Sprachvermischung hat).
Sprachbrocken 34/2012
Wie Eltern ihre Kinder nennen dürfen, ist in Deutschland weitgehend den Standesbeamt/innen überlassen, mit denen sie es bei der Ausstellung der Geburtsurkunde zufällig zu tun bekommen. Aber es hilf sicher, wenn ein Name im Vornamens-Lexikon des Dudenverlags steht. Und da sich seit Jahrzehnten ein Trend zu möglichst individuellen Vornamen beobachten lässt, ist es eine gute Nachricht, dass in die aktuelle Auflage 200 Namen neu aufgenommen wurden — darunter Barack (aus dem Kisuaheli), Charlène (eine französisierte Version des englischen Charleen), Mert (alttürkisch für „freigebig, tapfer, aufrichtig“ und der schöne altdeutsche Name Eilrich — für „traditionelle, aber experimentierfreudige Eltern“, wie es in der dpa-Meldung freundlich formuliert heißt.
Legitimes Befremden
Todd Akin, Kandidat für den US-Senat, hat mit seinen Aussagen zu Abtreibung und Vergewaltigung nicht nur die Welt schockiert, sondern auch für sprachliche Verwirrung gesorgt. Die sprachliche Verwirrung kann ich aufklären, und damit vielleicht sogar zeigen, dass Akins schockierenden Aussagen ein schockierendes Weltbild unterliegt.
Sprachbrocken 33/2012
Die eigene Sprache ist uns vertraut, fremde Sprachen sind uns fremd — mit dieser Einsicht beginnt ein Artikel auf WELT ONLINE. Trivial, aber doch wenigstens wahr. Aber eine Sprache gebe es, überrascht uns die Autorin dann, die sei ganz anders: Wer das Glück habe, sie zu hören, erlebe gleichzeitig Heimat und Ferne. Es geht um das Friesische. Nach einem (gar nicht mal so schlechen) Kurzausflug in die Geschichte und geographische Verteilung dieser Sprache erfahren wir dann, warum die Sprache so ganz anders sein soll als alle anderen Sprachen: Weil wir (also, wir Deutschen) zwar „nicht unbedingt jedes Wort verstehen“ (für mich die Untertreibung der Woche) aber doch etwas „Vertrautes“ heraushören. Katze z.B. heiße kaat und Schiff skeb. Womit klar wäre, dass es mit der Einzigartigkeit des Friesischen nicht weit her ist, denn vage Wortähnlichkeiten können wir (also, wir Deutschen) in allen germanischen Sprachen, vom Nordkap bis in die Alpen und vom Harz bis an die Westküste der Vereinigten Staaten finden. Aber der Artikel stellt sich dann ohnehin als ein befremdlich umweghafter Geburtstagsgruß an die aus Friesland stammende Verlagseignerin Friede Springer heraus, als vertrauliches Fishing for Compliments bei der Chefin, also.
Ringen um Verständnis
Wer im Internet über alltäglichen Sexismus, Rassismus, Homophobie und andere Arten der Diskriminierung schreibt — zum Beispiel über die sexistische Werbung eines Musikversandhauses oder einer Fluglinie, über spärlich gekleidete Elfen mit Barbie-Körpern in Überraschungseiern für Mädchen, über rassistische Stereotype im beliebtesten Kinderbuch der Welt, über Frauen stereotypisierende Werbung in einer feministischen Zeitrschift, über Radiosendungen über Sexismus, zu denen nur Männer eingeladen werden, usw. –, braucht auf zwei Dinge nicht lange zu warten: Menschen, die feststellen, dass das Beschriebene völlig irrelevant ist und ganz und gar nichts mit „echter“ Diskriminerung zu tun hat und Menschen, die sich empört gegen den vermeintlichen Versuch wehren, ihnen Verhaltensvorschriften zu machen, wo sie doch ganz genau wissen, dass ihr Verhalten keinesfalls diskriminierend sein kann (falls es Diskriminierung in unserer modernen Gesellschaft überhaupt noch gibt).
Da weder die Feststellung noch die Empörung normalerweise mit Argumenten unterfüttert wird und da Erklärungs- und Diskussionsversuchen meist mit einer stumpfen Wiederholung der Feststellungen und der Empörung begegnet wird, steigt mit jedem Mal die Verlockung, diese Menschen als unverbesserliche Dummköpfe oder bösartige Trolle abzuschreiben, ihre Kommentare zu löschen oder gar nicht erst freizuschalten und sich auch sonst nicht mehr auf Gespräche mit ihnen einzulassen.
Sprachbrocken 32/2012
Sprachliche Minderheiten stoßen bei der Mehrheit selten auf offene Ohren, wenn sie einen offiziellen Status für ihre Sprache einfordern. „Wer hier leben will, soll gefälligst unsere Sprache sprechen“ gilt weithin als legitiaume Forderung (außer bei deutschen Auswanderern, die stattdessen nach dem Prinzip „Wo ich leben will, sollen die gefälligst meine Sprache sprechen“ handeln).