Archiv des Autors: Anatol Stefanowitsch

Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

April, April (2013 Edition)

Von Anatol Stefanowitsch

Da Aprilscherze am ersten April auch in Blogs nicht uner­wartet kom­men, gibt es im Sprachlog schon lange die Tra­di­tion, an diesem Tag vier schein­bare Aprilscherze zum The­ma „Sprache“ zu präsen­tieren, von denen drei aber tat­säch­lich die reine Wahrheit sind. So natür­lich auch dieses Jahr. Wer erken­nt den Aprilscherz unter diesen vier unglaub­würdi­gen Behaup­tun­gen? Um das Googeln zu erschw­eren, ver­rate ich die Namen der betr­e­f­fend­en Sprachen erst in der Auflö­sung, die mor­gen Nach­mit­tag erscheint. Und natür­lich wer­den Ihre Kom­mentare mit den Antworten bis dahin nicht freigeschal­tet! Weit­er­lesen

Sprachbrocken 13/2013

Von Anatol Stefanowitsch

Bun­desverkehrsmin­is­ter Peter Ram­sauer gerierte sich stets als Beschützer der deutschen Sprache vor dem verderblichen Ein­fluss des Englis­chen und ern­tete dafür aus sprach­nörgeli­gen Kreisen viel Lob. In Erin­nerung bleiben wird der denen jet­zt aber wohl (ver­mut­lich gän­zlich unver­di­en­ter Weise) als ihr Zer­stör­er, als jemand, der sich vom Tugend­furor der poli­tisch Kor­rek­ten dazu treiben lassen hat, die Straßen­verkehrsor­d­nung nicht nur um einige saftige (aber abso­lut angemessene) Erhöhun­gen von Bußgeldern, son­dern auch ein Bemühen um geschlechterg­erechte Sprache ergänzt zu haben. Zu Fuß gehende statt Fußgänger und Fahrzeugführende statt Fahrzeugführer heißt es dort nun. Das dürfte vie­len nur ein Schul­terzuck­en wert sein, eini­gen von uns vielle­icht ein anerken­nen­des Nick­en angesichts der sprach­lich gut gemacht­en Über­ar­beitung. Aber für den Verkehrsrecht­sex­perten des AUTO CLUB EUROPA, einen Volk­er Lempp, ist es ein Quell „unfrei­williger Komik“, der nur einem „Stu­di­en­ab­brech­er im Fach Ger­man­is­tik“ zu ver­danken sein kann. Was genau er an der gerecht­en Sprache so komisch find­et, und warum er sein feines Sprachge­fühl nicht lieber dem Dep­pen­leerze­ichen im Namen des Vere­ins wid­met, für den er arbeit­et, ver­schweigt er uns dabei. Nur, dass die Polizeibeamten in der StVO immer noch ganz maskulin Polizeibeamte heißen, lässt ihn — inner­lich männlich gluck­send — nach Alice Schwarz­er schreien. Und wem bei Geschlechterg­erechtigkeit nur Alice Schwarz­er ein­fällt, der ist als Verkehrsrecht­sex­perte bei einem Verkehrsvere­in ja auch ganz gut aufge­hoben. Weit­er­lesen

Sprachbrocken 12/2013

Von Anatol Stefanowitsch

Von ein­er Zeitschrift, die nach einem mächti­gen weißen Mann benan­nt ist, erwarten wir, dass sie die Befind­lichkeit­en mächtiger weißer Män­ner ver­tritt, und der CICERO erfüllt diese Erwartun­gen immer wieder in vor­bildlich­ster Weise. Im April hat man(n) sog­ar das Titelthe­ma ganz der Unter­drück­ung mächtiger weißer Män­ner gewid­met. Und der grausamen Mech­a­nis­men, mit­tels der­er sie unter­drückt wer­den – dem „Veg­gie Day“, zum Beispiel, der den Fleis­chess­er im Manne unter­drückt, in dem ihm vorgeschla­gen wird, an einem Tag in der Woche auf Fleisch zu verzicht­en. Oder Uni­sex-Toi­let­ten, die den het­ero­sex­uellen, cis-gegen­derten Mann im Manne unter­drück­en, indem sie ein­fach nur da sind. Aber das grausam­ste Unter­drück­ungswerkzeug von allen ist natür­lich die Sprache, die den Ver­bal­lib­ertären im Manne zu „schrill­sten PC-Blüten“ – wo habe ich nur kür­zlich schon ein­mal das Wort „schrill“ gele­sen? – zwingt. Bei den Bele­gen für diese schrillen PC-Blüten ver­mis­cht man(n) munter wün­schenswerte, aber nicht-exis­tente Beispiele gerechter Sprache wie Bürg­er­meis­terIn­nenkan­di­datIn (350 Google-Tre­f­fer, alle­samt auf Seit­en, die sich über „Polit­i­cal Cor­rect­ness“ beöm­meln) mit mächtigeweißemän­ner­hu­mori­gen Pseudobeispie­len gerechter Sprache wie Max­i­malpig­men­tierte. Außer­dem wird viel gejam­mert. Weit­er­lesen

In Memoriam Douglas Adams

Von Anatol Stefanowitsch

Heute wäre der große Dou­glas Adams 61 Jahre alt gewor­den. Mir bleibt er natür­lich als großar­tiger Sci­ence-Fic­tion-Autor, aber vor allem als genialer Wort- bzw. Bedeu­tungss­chöpfer in Erin­nerung. In The Mean­ing of Liff recycelt er Ort­sna­men, um Bedeu­tun­gen ein Wort zu geben, die bis­lang keines haben. ((Es gibt auch eine deutsche Über­set­zung, Der Sinn des Labenz von Sven Böttch­er; außer­dem betreibt Kil­ian Evang vom „Textthe­ater“ eine Web­seite, auf der er soge­nan­nte „Laben­ze“ sammelt.))

Um sein­er zu gedenken, biete ich hier drei eigene Zweitver­w­er­tun­gen über­flüs­siger Ort­sna­men an. Ich würde mich natür­lich freuen, wenn Leser/innen des Sprachlogs zusät­zliche selb­st aus­gedachte Vorschläge beisteuern.
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Sprachbrocken 6–10/2013

Von Anatol Stefanowitsch

Der Latei­n­un­ter­richt verkommt an deutschen Schulen zwar langsam aber sich­er zu dem Anachro­nis­mus, der er im Herzen schon lange ist, aber er hat eine erstaunlich bis­sige Lob­by. Kaum eine Woche, in der ich bei der Suche nach Sprach­brock­barem nicht auf einen Artikel stoße, der die die Vorzüge der Sprache Cäsars predigt. Ein gutes Argu­ment habe ich dabei nie gese­hen — bis Joseph Ratzinger seine Rück­zugspläne ankündigte, und die fast unbe­merkt geblieben wären. Denn, wie unter anderem die TAZ berichtete, gab Ratzinger seine bevorste­hende Pen­sion­ierung in ein­er Rede bekan­nt, die er auf Latein hielt, und bescherte der einzi­gen Lateinkundi­gen unter den anwe­senden Journalist/innen, der ANSA-Kor­re­spon­dentin Gio­van­na Chirri, den Scoop ihres Lebens. Wenn das kein Grund für einen flächen­deck­enden Latei­n­un­ter­richt ist, dann fällt mir auch kein­er mehr ein.
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Sprachschmuggler in der Wikipedia?

Von Anatol Stefanowitsch

In mein­er gestri­gen Lau­da­tio zum Anglizis­mus des Jahres 2012, Crowd­fund­ing, sprach ich meine Ver­mu­tung an, dass die vere­inzelt zu find­ende Ein­deutschung „Schwarm­fi­nanzierung“ eine Wortschöp­fung von Anglizis­muskri­tik­ern sei, die diese über den Wikipedia-Ein­trag zum Crowd­fund­ing zunächst in den jour­nal­is­tis­chen Sprachge­brauch eingeschleust hät­ten. Diese Ver­mu­tung stützt sich auf die Tat­sache, das die früh­este Ver­wen­dung, des Wortes, die ich find­en kann, eben aus diesem Wikipedia-Ein­trag, genauer, in der Artikelver­sion vom 23. März 2011 stammt. Einge­tra­gen wurde es von einem anony­men Nutzer, weshalb die Wikipedia-Soft­ware nur die IP-Adresse des Bear­beit­ers doku­men­tiert. Eine Über­prü­fung der Bear­beitun­gen, die unter dieser IP-Adresse im sel­ben Zeitraum vorgenom­men wur­den, zeigt, dass außer­dem das Schlag­wort „Schwarm­fi­nanzierung“ mit ein­er Weit­er­leitung auf den Artikel zu Crowd­fund­ing angelegt und das Wort Schwarm­fi­nanzierung in den Ein­trag zu ein­er bes­timmten Crowd­fund­ing­plat­tform hinein redigiert wur­den. Dass es sich bei dem anony­men Nutzer um einen Sprachkri­tik­er auf Sprach­säu­berungsmis­sion han­delte, schließe ich daraus, dass das Wort „Schwarm­fi­nanzierung“ im Anglizis­menin­dex des Vere­ins Deutsche Sprache ste­ht (dazu gle­ich mehr). Weit­er­lesen

And the Winner is: Crowdfunding!

Von Anatol Stefanowitsch

Zugegeben, der Anglizis­mus des Jahres 2012 scheint zunächst deut­lich weniger spek­takulär daherzukom­men als sein Vorgänger, der Shit­storm (es ist zum Beispiel unwahrschein­lich, dass sich in abse­hbar­er Zeit jemand für seine Mith­il­fe bei dessen Ver­bre­itung entschuldigen wird). Aber der beschei­dene Anschein täuscht, denn sowohl das Wort Crowd­fund­ing, als auch das, was es beze­ich­net, haben es in sich.

Zunächst zum Beze­ich­neten: Während der Shit­storm bei allem Pos­i­tiv­en, das er im Einzelfall bewirken kann, eher für die destruk­tiv­en Kräfte des World Wide Web ste­ht, zeigt das Crowd­fund­ing das pro­duk­tive Poten­zial der ver­net­zten Kul­tur des Net­zes: Wer eine gute Idee für ein Pro­dukt, ein Kun­st­pro­jekt oder einen guten Zweck hat, braucht sich dank der seit eini­gen Jahren entste­hen­den Crowd­fund­ing-Plat­tfor­men wed­er mit Banken oder Risikokap­i­tal­is­ten herumzuärg­ern, noch muss er oder sie sich mit der Sam­mel­büchse auf den Mark­t­platz stellen. Stattdessen wird das Pro­jekt mit­tels lieb gewonnen­er Prak­tiken wie Youtube-Videos und Blog­beiträ­gen möglichst eingängig vorgestellt, und alle, die es umge­set­zt sehen möcht­en, kön­nen sich mit Sum­men daran beteili­gen, die von einem Sam­mel­büch­seneu­ro bis zu mehreren tausend Risikokap­i­taleu­ros rang­ieren kön­nen. Abgewick­elt unbürokratisch mit ein paar Klicks auf ein­er Web­seite. Weit­er­lesen

Crowdfunding [Anglizismus 2012]

Von Anatol Stefanowitsch

Das Wort Crowd­fund­ing ist eine direk­te Entlehnung des englis­chen crowd­fund­ing. Wie im Englis­chen beze­ich­net es auch im Deutschen eine Art der Kap­i­talbeschaf­fung, bei der sehr viele Einzelper­so­n­en jew­eils eine kleine Summe beis­teuern und dafür je nach Höhe der Summe eine Gegen­leis­tung erwer­ben — diese kann von ein­er Danksa­gung auf der Fir­men­web­seite oder ein T‑Shirt über ein oder mehrere Exemplar/e des finanzierten Pro­duk­ts bis hin zu einem per­sön­lichen Tre­f­fen mit den Schöpfer/innen des Pro­duk­ts (z.B. Musiker/innen o.ä.) reichen. Typ­is­cher­weise find­et das Crowd­fund­ing über spezielle Web­seit­en, soge­nan­nte Crowd­fund­ing-Plat­tfor­men statt. Weit­er­lesen

Sprachbrocken 5/2013

Von Anatol Stefanowitsch

Dass die tra­di­tionellen Medi­en ins­ge­samt mit dem The­ma All­t­ags­sex­is­mus hoff­nungs­los über­fordert sind, haben sie ja zur Genüge bewiesen, aber der HESSISCHE RUNDFUNK hat sich offen­bar vorgenom­men, in merk­be­fre­ite Zonen vorzu­drin­gen, die nie ein Men­sch zuvor betreten hat. Clau­dia Saut­ter erk­lärt uns dort, dass das Ganze qua­si nur ein sprach­lich­es Prob­lem sei: Früher (ach, früher!) da habe es „eine Sprache der Erotik [gegeben] die alle ver­standen.“ Aber irgend­wie ist uns diese „öffentlich anerkan­nte Sprache der Erotik“ ver­loren gegan­gen. „Män­ner und Frauen in Deutsch­land“ wüssten schlicht nicht mehr, „wie man sich geistre­ich Anzüglichkeit­en“ sage, ohne gle­ich die „medi­ale Sit­ten­polizei“ auf dem Hals zu haben. All­ge­meine Rat­losigkeit herrscht dies­bezüglich auch bei der Bil­dredak­tion des HR: „Wie sollte ‘Mann’ das Dekol­leté ein­er Frau würdi­gen?“ fragt die Bil­dun­ter­schrift des Fotos eines (kopflosen) Dekol­letés, mit dem der Beitrag vorher­sag­bar, ja unver­mei­dlich illus­tri­ert wird. Weit­er­lesen