Wir befinden uns im Jahre 2013 nach Christus (einem Mann). Ganz Leipzig ist von den Feministinnen besetzt. Ganz Leipzig? Nein! Eine von unbeugsamen Männern bevölkerte Fakultät hört nicht auf, dem Eindringling Widerstand zu leisten. Auf der Startseite der Fakultät an prominenter Stelle verlinkt findet sich folgende Erklärung des Dekans (eines Mannes): Weiterlesen
Archiv des Autors: Anatol Stefanowitsch
Sprachbrocken 23/2013
Eine der unsympathischsten Aktionen des Vereins Deutsche Sprache ist die alljährliche Wahl eines „Sprachpanschers des Jahres“. Die funktioniert so: 1) Der Verein nominiert prominente Personen wegen abstrus konstruierter sprachlicher Sünden; 2) die Prominenz der Nominierten sorgt für eine breite Berichterstattung; 3) der VDS steht ohne nennenswerte Leistung als Wahrer der deutschen Sprache da. Getroffen hat es diesmal Wolfgang Schäuble, dessen Verbrechen gegen die Deutschlichkeit in „unbeholfenen Exkursionen ins Englische“ bestehe. Mit denen „mache er seit Jahren den Übersetzern in Brüssel Konkurrenz und falle damit allen Versuchen in den Rücken, Deutsch als echte Arbeitssprache in der EU zu verankern“. Weiterlesen
Das neue längste Wort des Deutschen
Da die „Abschaffung“ des längsten deutschen Wortes sehr viel mehr Aufsehen erregt hat, als ich es mir hätte vorstellen können – Glückwunsch an die dpa, übrigens, die als einzige das Potenzial dieser Meldung erkannt hat – hatte ich gestern viele Anfragen, was denn nun das neue längste Wort des Deutschen sei. Ich ignoriere einmal, dass Grundstücksverkehrsgenehmigungszuständigkeitsübertragungsverordnung und Rindfleischetikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetz ja nach wie vor Wörter des Deutschen sind, auch wenn die Gesetze, auf die sie sich beziehen, nicht mehr existieren (eine für mich recht einleuchtende Tatsache, die aber kaum eine/r der Anfragenden teilen mochte (David Charter von der Times erwähnt es in seinem Artikel immerhin). Aber lassen wir die beiden Wörter außen vor, so haben meine (aufgrund der unerwarteten Anfragen eher hastig durchgeführten) Recherchen Folgendes ergeben. Weiterlesen
Sprachliche Mengenlehre für Anfänger
Als erste Universität Deutschlands hat die Universität Leipzig das generische Femininum eingeführt: Amts- und Funktionsbezeichnungen werden in Zukunft grundsätzlich in der weiblichen Form genannt (Rektorin, Professorin, Studentin, …), eine Fußnote weist darauf hin, dass Männer mit gemeint sind.
Die Entscheidung stößt offenbar einige Professoren ((kein generisches Maskulinum)) so sehr vor den Kopf, dass sie alle Logik aufgeben: Weiterlesen
Das längste Wort
Vor einiger Zeit habe ich der dpa ein kurzes Interview zu langen Wörtern im Allgemeinen gegeben, und anlässlich der Aufhebung des Rinderkennzeichnungs- und Rindfleischetikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetzes (das war nämlich eins der längsten orthografischen Wörter des Deutschen) sind Teile dieses Interviews nun als Teil der dpa-Meldung über die Aufhebung des Gesetzes erschienen, nachzulesen z.B. auf Spiegel Online. Weiterlesen
Sprachbrocken 22/2013
Keine Woche vergeht, in der ich nicht irgendwo lese, dass die Sprache der „Schlüssel zur Integration“ sei. Dabei geht es meistens um Schulkinder mit Migrationshintergrund, denen mittels wenig nachvollziehbarer Kriterien mangelhafte Deutschkenntnisse attestiert werden. In Österreich, berichtet unter anderem der KURIER, dürfen Schuldirektor/innen solchen sprachlichen Schlüsselkindern in Zukunft die Schulreife absprechen und sie in gesonderte Vorschulklassen abschieben, wo sie dann ohne Kontakt zu deutschsprachigen Schüler/innen, also vermutlich durch Magie, Deutsch lernen sollen.
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Wider die Winzpartikel!
In der Überschrift eines Beitrags zur Nanotechnologie auf Spektrum.de habe ich heute morgen das Wort Winzpartikel (für Nanopartikel) gelesen. Das Wort hat mich, vor allem auf einer Wissenschaftsseite, etwas befremdet, weil es den verulkenden und gleichzeitig deutschtümelnden Klang typischer Wortschöpfungen der Sprachnörgler hat. Ich bat also die Spektrum-Redaktion per Twitter, das Wort nie wieder zu verwenden, da ich ihr andernfalls „eine wütende E‑Post von meinem Klapprechner“ schreiben würde.
Auf dem Weg zur Arbeit habe ich dann darüber nachgedacht, woher das Wort Winzpartikel wohl stammen mag. Eine Google-Suche ergab eine sehr überschaubare Anzahl von Treffern, sodass sich seine (bislang kurze, hoffentlich bald beendete) Geschichte weitgehend vollständig nachvollziehen lässt. Weiterlesen
Keine Austerität bitte, wir sind Deutsche
Wie viel Verantwortung die deutsche Regierung an der Wirtschaftskrise im Euro-Raum trägt, will ich nicht beurteilen (wenigstens nicht im Sprachlog), aber dass Außenminister Guido Westerwelle sich mit einem linguistischen Argument der Rechenschaft entziehen will, kann ich natürlich nicht durchgehen lassen. Vor allem nicht, weil das Argument nicht nur eine merkwürdige Vorstellung der Beziehung zwischen Sprache und Wirklichkeit offenbart, sondern auch sachlich falsch ist.
Westerwelles Argument ist das folgende:
Das dritte Zerrbild zeige ein Deutschland, das einem „Dogma der Austerität“ anhänge und der Frage neuen Wachstums gleichgültig, wenn nicht sogar ablehnend gegenüberstehe. „Das Wort ‚Austerität‘ gibt es in der deutschen Sprache nicht einmal“, sagte Westerwelle und versicherte, dass auch für Deutschland die Frage, wie sich neues und zugleich nachhaltiges, dauerhaftes Wachstum fördern lässt, ganz oben auf der Agenda stehe. ((Kaczmarek, Michael (2009) Westerwelle: EU-Reformen sind kein deutsches Diktat, euractiv.de, 24.5.2013 [Link]))
Deutschland kann für die europäische Austeritätspolitik also nicht verantwortlich sein, weil das Deutsche kein Wort für „Austerität“ habe.
Diese Aussage kann ich auf zwei Arten verstehen, von denen eine völlig und eine leicht verwirrt wäre (von der Tatsache, dass das Deutsche ganz offensichtlich sehr wohl ein Wort für Austerität hat, einmal abgesehen – auf die komme ich gleich zurück).
Entweder, Westerwelle meint hier, wer kein Wort für etwas hat, kann es nicht tun. Das wäre eine extreme Version der sprachlichen Relativität, die offensichtlich falsch ist: Hunde haben keine Worte für „seinen eigenen Schwanz jagen“, trotzdem können sie es tun. Deutsche bräuchten das Wort Austerität nicht, um auf die Idee zu kommen, den Staatshaushalt durch einen Investitionsstop und Kürzungen der Sozialausgaben auszugleichen.
Oder Westerwelle will sagen, da die Deutschen das Wort Austerität nicht erfunden, sondern entlehnt haben, müsse auch das dahinterstehende Konzept von jemandem anders erfunden worden sein. Das wäre ebenso falsch, denn natürlich ist es für eine Sprachgemeinschaft möglich, Wörter für etwas zu entlehnen, das sie bereits praktiziert. Die deutsche Sprachgemeinschaft hat z.B. mit hoher Wahrscheinlichkeit schon Sex gehabt, bevor sie das Wort Sex aus dem Englischen entlehnt hat. Außerdem wäre die Tatsache, dass auch das Wort Austerität (bzw. seine hier relevante Bedeutung) aus dem Englischen stammt, kein Grund, warum die aktuelle Austeritätspolitik nicht von Deutschland ausgehen sollte. Es ist ja problemlos möglich, anderen Menschen Dinge aufzuzwingen, die man nicht selbst erfunden hat: Alle Missionare machen das zum Beispiel so.
Bleibt die Frage, warum Westerwelle überhaupt auf die Idee kommt, das Deutsche habe kein Wort für Austerität. Natürlich hat es das, und Westerwelle verwendet es ja selbst: Austerität, halt. ((Im Duden steht es derzeit übrigens nicht.)) Was er damit nur meinen kann, ist, dass es sich bei diesem Wort nicht um eins handelt, das uns aus dem Proto-Germanischen erhalten geblieben ist. Stattdessen stammt es ursprünglich aus dem Lateinischen (austeritas), wo es „Herbheit“ (z.B. von Wein) und im übertragenen Sinne auch „Strenge, Ernst“ hieß. Mit dieser Bedeutung findet es sich schon im 14 Jahrhundert im Englischen:
- Þe gret austerité, Þat Crist sal shew þat day. [1340, cit. Oxford English Dictionary, s.v. austerity („Die große Strenge, die Christus an diesem Tage zeigen wird.“)
Ab Anfang des 17. Jahrhunderts findet es sich außerdem mit der Bedeutung „Selbstdisziplin, Zurückhaltung, moralische Strenge, Abstinenz, Asketentum“:
- Or on Dianaes altar to protest, For aye, austeritie and single life. [1600, Shakespeare, Midsummer Night’s Dream, cit. OED, s.v. austerity]
(In der Übersetzung von Schlegel wird austerity in Beispiel 2 recht eng mit „ehloser Stand“ übersetzt).
In dieser Bedeutung findet sich das Wort Austerität spätestens seit dem 18. Jahrhundert auch im Deutschen (Jahreszahlen verlinken auf die Quellen bei Google Books):
- Dieses erklären die Welt-Menschen also: wenn man bey einer lustigen Compagnie sey, so soll man mit machen, und nicht mit seiner Austerität sie in ihrer Lustbarkeit stören… [1738]
- Nun scheinet er zwar eines Theils die Sache fast allzuweit wegzuwerfen, andern Theils aber zu seiner Verwahrung eine übrige Austerität anzunehmen; allein im Mittel zu bleiben, ist es wohl zu erachten , daß er zu keiner solchen Conferenz vorjetzo leicht stimmen werde. [1745]
Die finanzpolitische Bedeutung („Ausgleich des Staatshaushalts durch strenge Sparmaßnahmen“) stammt aus dem Großbritannien des Zweiten Weltkriegs, das Oxford English Dictionary nennt die Times Weekly vom 2. Dezember 1942 als erste Quelle:
- A General Limitation Order—..which suggests that the United States have got quite a way on the road to austerity.
Im Deutschen findet sich diese Bedeutung spätestens 1954, noch in Anführungszeichen und im direkten Zusammenhang mit der britischen Austeritätspolitik, schon 1961 (und seitdem durchgängig) aber ganz selbstverständlich auch in anderen Zusammenhängen:
- Das britische Volk ist müde geworden durch Krieg und „Austerität”, eine zwiefache Prüfung, die der Amerikaner niemals kennengelernt hat. Der britische Stolz ist verletzt, weil Britanniens Gewicht in der Kräfteverteilung der Welt geringer geworden ist. [1954]
- Gleichzeitig ist in Belgien, keine 500 km von uns entfernt, die Wirtschaft durch die Evakuierung des Kongos und die Streiks so sehr durcheinander geraten, daß wohl nur ein Programm striktester Austerität das Land wieder auf die Beine kommen kann, wobei auch hier damit zu rechnen ist, daß ein beträchtlicher Pool von Arbeitslosen zurückbleiben wird. [1961]
Und sogar das Wort Austeritätspolitik findet sich schon seit 1960 im Deutschen:
- Die Voraussetzung einer Eindämmung der Geldschöpfung wäre die Herstellung eines Gleichgewichts zwischen den Einnahmen und den Ausgaben im Staatshaushalt gewesen. Es gab genug Möglichkeiten, wirksame Maßnahmen zur Erzielung einer Austeritätspolitik zu ergreifen. [1960]
Das Wort Austerität existiert also im Deutschen seit weit über 250 Jahren, und davon seit über 50 Jahren mit der für Westerwelles Zitat relevanten Bedeutung. Nun könnte er sich natürlich auf den Standpunkt stellen, dass lateinische Wörter niemals genuin deutsch werden, und deshalb auch nie genuin deutsches Denken oder Handeln bezeichnen können. Dann würde sich aber die Frage stellen, wie die FDP liberal (von lat. liberalis) sein kann. Hm, wenn ich so darüber nachdenke – vielleicht hat Westerwelle ja mit seiner Theorie doch recht.
Sprachbrocken 20/2013
Die französische Sprache steht kurz vor dem Aussterben: zu einer „banalen“, ja „toten Sprache“ werde es, befürchtet der Sprachschützer Bernard Pivot, wenn die französische Bildungsministerin sich mit ihrem Plan durchsetze, an französischen Universitäten auch das Englische als Unterrichtssprache zuzulassen. Denn Sprache, so Pivot, sei das, was eine Nation ausmache und schon seit jeher sei es so gewesen, dass Siegermächte den Besiegten ihre Sprache aufgezwungen hätten. Als Franzose kennt er sich da aus, denn die Kolonialmacht Frankreich hat das bestens vorgemacht, was es Pivot ermöglicht, in einem Nebensatz von „unseren“ – also französischen – „großen Schriftstellern aus Afrika und von den Antillen“ zu schwärmen. Aber wenn es das Französische ist, das verdrängt wird, und sei es nur aus ein paar Seminaren, dann steht die französische Nation vor dem Aus. Auch die Ironie, dass mit dem Englischen eine Sprache nach Frankreich zurückkehrt, die sich durch eine jahrhundertelange französische Besatzung bis zur Unkenntlichkeit verändert hat, entgeht ihm offensichtlich. Weiterlesen
Sprachbrocken 19/2013
Die Geschichte der geschlechtergerechten Sprache, das mussten wir auch dieser Tage wieder feststellen, ist eine Geschichte voller Missverständnisse. Voller mutwilliger, vermeidbarer Missverständnisse, die eigentlich bereits hundert Mal ausgeräumt worden sind.
Dass die Macher/innen der Heidelberger Studierendenzeitung RUPRECHT nicht die hellsten Sterne am qualitätsjournalistischen Sternenhimmel sind, wird schnell klar, wenn man mit dem konfrontiert wird, was diese für „Satire“ halten: Sexismus mit einer Prise Verharmlosung von rechtsextremem Terrorismus. Auf der Titelseite eines fiktiven „Heidelbergerinnener Studentinnenmagazins“ namens „carola“ finden sich Teaser wie „Ohne Lernen durch die mündliche Prüfung: Unsere besten Styling-Tipps“ aber auch „Frau Zschäpe plaudert aus dem Nähkästchen / Zwischen zwei Männern / Beate über die besten Untergrund-Stellungen für drei“. Anlass dieser „Satire“ ist die Entscheidung der „ruprecht“-Redaktion, ihre Texte nicht mehr zu „gendern“ und auch den Untertitel der Zeitschrift von Heidelberger Studierendenzeitung in Heidelberger Studentenzeitung zu ändern. Weiterlesen