Archiv des Autors: Anatol Stefanowitsch

Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

Lustig ist das Rassistenleben, faria, faria, ho

Von Anatol Stefanowitsch

Wenn man sich die fast wöchentlich hochkochen­den Diskus­sio­nen um poli­tisch kor­rek­te Sprache betra­chtet, bekommt man schnell das Gefühl, der Deutschen heilig­ste Kul­turgüter seien Schnitzel mit Papri­ka-Zwiebel-Soße, aufgeschäumter Zuck­er mit Schoko­ladenüberzug und schwedis­che Kinder­büch­er aus den vierziger Jahren in ihrer deutschen Über­set­zung aus den fün­fziger Jahren. Die ersten zwei dieser Dinge dür­fen keines­falls ihre „altherge­bracht­en“ Namen ändern, das dritte darf keines­falls sprach­lich über­ar­beit­et wer­den, denn das würde ja den Orig­inal­text… äh, die Orig­i­nalüber­set­zung… ach, egal, wir haben über Pip­pi Langstrumpf im Sprachlog so ziem­lich alles gesagt, was zu sagen ist. Heute soll es um das Schnitzel gehen.

[Hin­weis: Der fol­gende Text enthält Beispiele ras­sis­tis­ch­er Sprache.] Weit­er­lesen

Keine Kreativität bitte, wir sind Muttersprachler

Von Anatol Stefanowitsch

Vor ein paar Wochen habe ich an einem Son­ntag­mor­gen aus ein­er all­ge­meinen Unzufrieden­heit mit dem Zus­tand unser­er Gesellschaft (und aus etwas Langeweile) den fol­gen­den Satz getwittert:

  1. La rev­olu­ción es enfer­ma.

Das ist eine Abwand­lung des vor allem in Lateinameri­ka häu­fig zitierten rev­o­lu­tionären Sinnspruchs La rev­olu­ción es eter­na – etwa „Die Rev­o­lu­tion ist ewig (d.h. geht immer weit­er)“ –, ((Es stammt möglicher­weise ursprünglich vom mexikanis­chen Poli­tik­er Rodol­fo Sánchez Tabo­da [siehe hier], es find­et sich aber häu­fig, z.B. bei Raúl Cas­tro (im Futur) oder bei Hugo Chávez.)) nur, dass ich eben eter­na („ewig“) durch enfer­ma („krank“) erset­zt habe. Zwei mein­er Follower/innen waren nicht nur wach, son­dern auch spanis­che Muttersprachler/innen, und bei­de wiesen darauf hin, dass ich statt es hätte está schreiben müssen:

  1. La rev­olu­ción está enfer­ma. Weit­er­lesen

Warum der Plural kein Femininum ist

Von Anatol Stefanowitsch

In unserem Lek­türetipp vom Dien­stag ging es unter anderem um einen Beitrag, in dem der Sprach­wis­senschaftler André Mei­n­unger die eigen­willige These ver­tritt, dass das gener­ische Maskulinum ((Also die Ver­wen­dung masku­lin­er For­men für gemis­chte Grup­pen (In mein­er Vor­lesung sitzen 300 Stu­den­ten) oder abstrak­te Kat­e­gorien (In mein­er Sprech­stunde waren heute keine Stu­den­ten).)) keine Ungerechtigkeit gegenüber Frauen darstelle, da ihm im Plur­al ein gener­isches Fem­i­ninum gegenüber ste­he. Der Kern sein­er Argu­men­ta­tion geht so:

Das Deutsche ist so gerecht und frauen­fre­undlich, wie es mehr eigentlich gar nicht geht. Die Plu­ral­form ist die weib­liche. Wir sagen so selb­stver­ständlich „sie“, dass es gar nicht auf­fällt. Rein syn­chron, also auf den gegen­wär­ti­gen Sprachzu­s­tand bezo­gen, und for­mal, also auf die äußer­lich sicht­bare Erschei­n­ung bezo­gen, ist das Plu­ral­pronomen iden­tisch mit der weib­lichen Sin­gu­lar­form. Also: Selb­st wenn eine reine Män­ner­gruppe schießt oder alle Män­ner schwitzen, heißt es „sie schießen“ oder „sie schwitzen“. … Und das bedeutet, wir haben im Deutschen sehr wohl schon lange und vol­lkom­men unent­deckt ein gener­isches Fem­i­ninum. Dieses macht sich im Plur­al deut­lich – und ist dabei aber schein­bar so undeut­lich, dass es entwed­er nie­mand bemerkt hat oder wissentlich ver­schwiegen wird. Die deutsche Sprache ist also sehr gerecht. Im Sin­gu­lar scheint es eine Art gener­isches Maskulinum zu geben, im Plur­al ein fem­i­nines. Der Plur­al heißt “sie”. Und auch im Sub­stan­tivbere­ich ist der Artikel für die Mehrzahl for­m­gle­ich mit dem fem­i­ni­nen Artikel: “die”. ((Mei­n­unger, André (2013). Wie sex­is­tisch ist die deutsche Sprache? Die WELT, 7. Juli 2013.))

Die Sprach­wis­senschaft­lerin Luise Pusch antwortet in ihrem Blog aus­führlich auf Mei­n­ungers Argu­men­ta­tion und zeigt, dass der Plur­al im Deutschen keineswegs ein Fem­i­ninum ist, auch wenn Pronomen und Artikel im Plur­al und im Fem­i­ninum Sin­gu­lar gle­ich ausse­hen. Ihre Argu­men­ta­tion will ich hier nicht wieder­holen, wer ihren Artikel noch nicht gele­sen hat, sollte das jet­zt tun und dann zurückkommen.
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Pusch 2, Maskulinguisten 0

Von Anatol Stefanowitsch

Da wir Sprachlog-Autorin­nen so eine Art Mis­chung aus Hitze­frei und Hausar­beit­enko­r­rek­turzwang haben, hier ein Lesetipp für zwischendurch.

Die Uni­ver­sität Leipzig hat mit ihrer Entschei­dung, in ihrer Satzung das gener­ische Fem­i­ninum zu ver­wen­den, eine inter­es­sante öffentliche Debat­te um geschlechterg­erechte Sprache aus­gelöst, bei der – anders als es bei Diskus­sio­nen um Sprache son­st häu­fig der Fall ist – auch Sprachwissenschaftler/innen zu Wort kamen. So hat der Tagesspiegel meinen FU-Kol­le­gen Horst Simon inter­viewt, ich selb­st durfte Spiegel Online Rede und Antwort ste­hen, und Luise Pusch, eine der geisti­gen Müt­ter der Fem­i­nis­tis­chen Sprach­wis­senschaft, hat der Deutschen Welle erk­lärt, worum es geht (eine Langver­sion ihres Inter­views hat sie in ihrem Blog Laut & Luise veröf­fentlicht. Das ist aber noch gar nicht der Lesetipp, denn auf diese Texte haben wir in unserem Blogspek­tro­gramm bere­its ver­linkt. Weit­er­lesen

Shitstorm wem Shitstorm gebührt

Von Anatol Stefanowitsch

Das Oxford Eng­lish Dic­tio­nary ist ein­er lan­gen Tra­di­tion sorgfältiger lexiko­grafis­ch­er Arbeit auf höch­stem wis­senschaftlichen Niveau verpflichtet – es ist qua­si, wie sein Name schon sagt, das Oxford unter den Eng­lish Dictionaries.

Dabei spielt vor allem die Suche nach Erst­bele­gen – also den ersten schriftlich doku­men­tierten Ver­wen­dun­gen von Wörtern – eine Rolle. Diese wer­den häu­fig von lex­ophilen Laien an die Redak­tion des OED geschickt, wo sie dann sorgfältig nach allen Regeln der Wörter­buch­macherei über­prüft und gefak­tencheckt wer­den, bevor sie den bish­eri­gen Erst­be­leg eines Wortes auf die Müll­halde der Sprachgeschichte befördern dürfen.

Oder sie wer­den ein­fach aus Inter­netquellen mit notorisch unzu­ver­läs­siger Datierung über­nom­men ohne auch nur ober­fläch­lich auf Plau­si­bil­ität über­prüft zu wer­den. So geschehen im Fall eines alten Bekan­nten des Sprachlogs, dem shit­storm. Der find­et sich im OED als Unter­punkt des Ein­trags für shit und wird definiert als „a fre­net­ic or dis­as­trous event; a com­mo­tion, a tumult“ (ein hek­tis­ches oder katas­trophales Ereig­nis, ein Durcheinan­der, ein Tumult). Weit­er­lesen

Sprachbrocken: Der Shitstorm ist Establishment

Von Anatol Stefanowitsch

Da aktu­al­isiert die Duden-Redak­tion ihr Wörter­buch mit über 5000 Wörtern, darunter urdeutsche (und her­vor­ra­gend zueinan­der passende) Schön­heit­en wie Schulden­bremse und Vollp­fos­ten, und alles, was die inter­na­tionale Presse inter­essiert, ist – der Shit­storm. Nicht ganz unschuldig an dem inter­na­tionalen Medi­en­in­ter­esse: Die Sprachlogger/innen, unter deren Fed­er­führung Shit­storm zum „Anglizis­mus des Jahres“ 2011 gewählt wurde. Kaum ein Artikel, der diese Wahl nicht als Aufhänger nimmt (unser Jurymit­glied Michael Mann hat es über den dama­li­gen Bericht auf The Local sog­ar in den Bericht der BBC geschafft). Weit­er­lesen

Ich bin ein Sprachmythos

Von Anatol Stefanowitsch

Es wäre ja zu schön, wenn John F. Kennedy sich in sein­er viel zitierten und in der Wahrnehmung (west-)deutscher Medi­en his­torisch befremdlich über­höht­en „Ich-bin-ein-Berliner“-Rede tat­säch­lich als mit Marme­lade gefülltes Back­w­erk beze­ich­net hätte. Aber obwohl sich entsprechende Gerüchte vor allem in der englis­chsprachi­gen Welt hart­näck­ig hal­ten, hat er das nicht. Das durfte ich anlässlich des 50. Jahrestages sein­er Rede nicht nur der AFP erk­lären, son­dern das habe ich schon vor genau fünf Jahren – damals noch im Bre­mer Sprach­blog – aus­führlich disku­tiert. Und Susanne hat vor zweiein­halb Jahren beschrieben, wie und wo dieser Mythos ent­standen ist.

Für diejeni­gen, die sich nicht durch diese empfehlenswerten, aber alten, Blog­beiträge wühlen wollen: Der Mythos geht unge­fähr so. Kennedy hätte eigentlich sagen müssen Ich bin Berlin­er, da das soge­nan­nte Prädikat­snomen, also das Sub­stan­tiv, das dem Verb sein fol­gt, in dieser Art von Herkun­ft­szuschrei­bung keinen Artikel haben dürfe. Deshalb sei Kennedys Ich bin ein Berlin­er nicht als Herkun­ft­szuschrei­bung zu inter­pretieren, und Berlin­er könne sich hier nicht auf „Einwohner/in der Stadt Berlin“ beziehen. Die einzige Alter­na­tiv­in­ter­pre­ta­tion für Berlin­er sei „mit Marme­lade gefülltes rundlich-plattge­drück­tes Back­w­erk“. Weit­er­lesen

Deutsche, deutschere, deutscheste Bahn

Von Anatol Stefanowitsch

Dass deutsche Unternehmen die englis­che Sprache gerne ver­wen­den, um sich ein inter­na­tionales Image zu geben, ist nicht nur ein Triv­ialplatz, es ist sog­ar Gegen­stand sprach­wis­senschaftlich­er Forschung. ((Z.B. Ingrid Piller (2001) Iden­ti­ty con­struc­tion in mul­ti­lin­gual adver­tis­ing. Lan­guage in Soci­ety 30, 153–186.)) Beson­ders die Deutsche Bahn hat das in der Ver­gan­gen­heit so aus­giebig getan, dass sie sog­ar von Lehn­wortlib­eralen wir mir dafür schon (wenn auch sehr milde) kri­tisiert wor­den ist – wir haben sie im Sprachlog aber auch schon für ihre kreative Lehn­wor­tikono­grafie und für ihr nur schein­bar defizientes, tat­säch­lich aber his­torisch akku­rates Englisch gelobt. Weit­er­lesen

Sprachbrocken 25/2013

Von Anatol Stefanowitsch

Die sprach­liche Nachricht der Woche war fra­g­los „‚Tweet‘ kommt ins Wörter­buch“. Das Wörter­buch, um das es dabei ging, war das Oxford Eng­lish Dic­tio­nary, das tweet war das englis­che Verb to tweet. Und tat­säch­lich find­et sich der entsprechende Ein­trag bere­its in der Online-Ver­sion des Wörter­buchs, eben­so, wie der für das Sub­stan­tiv tweet. Dabei ist nicht das Wort selb­st neu, denn das stand bish­er natür­lich schon mit der Bedeu­tung „einen kurzen, hohen Ton oder eine Serie solch­er Töne machen“ (für das Verb) und „kurz­er, hoher Ton wie ihn ein klein­er Vogel macht“ (für das Sub­stan­tiv) im größten Wörter­buch der englis­chen Sprache. Nun kom­men zwei Verbbe­deu­tun­gen hinzu. Eine für das Verb ohne Objekt (z.B. John tweets): „einen Beitrag auf dem sozialen Net­zw­erk­di­enst Twit­ter machen. Auch: Twit­ter regelmäßig oder gewohn­heitsmäßig ver­wen­den“. Und eine für das Verb mit Objekt (z.B. John tweet­ed a pic­ture of a cat): „eine Nachricht, eine Infor­ma­tion auf Twit­ter veröf­fentlichen“. Als Erst­be­leg für Verb und Sub­stan­tiv gibt das OED derzeit einen Blog­beitrag auf dem Blog NevOn vom 15. März 2007 an – für Sprach­fans eine klare Her­aus­forderung, einen früheren Beleg zu find­en. Weit­er­lesen

Sprachbrocken 24/2013

Von Anatol Stefanowitsch

Die Über­schrift „Sprachre­form an der Uni Leipzig: Guten Tag, Herr Pro­fes­sorin“, mit der Spiegel Online die Mel­dung über das gener­ische Fem­i­ninum in der Grun­dord­nung der Uni­ver­sität Leipzig verse­hen hat, hat­te ihr Gutes und ihr Schlecht­es. Schlecht war, das die deutsche Presse diese Über­schrift flächen­deck­end wörtlich nahm und ein­er erstaunten Öffentlichkeit mit­teilte, dass (männliche) Pro­fes­soren in Leipzig ab sofort so anzure­den seien (das BILDBLOG hat das schön doku­men­tiert [1], [2]). Gut war, dass die Mel­dung, und damit auch das Prob­lem sprach­lich­er Diskri­m­inierung, auf diese Weise ins öffentliche Bewusst­sein gelangt ist. Ich sehe die Ver­ant­wor­tung für die Berichter­stat­tung auch gar nicht bei Spiegel Online, son­dern bei den Redak­tio­nen, die offen­bar gle­ich nach der Lek­türe der Über­schrift ihre eige­nen Mel­dun­gen ver­fassten, statt weit­erzule­sen und zu erfahren, worum es wirk­lich ging.

Keine Ver­ant­wor­tung tra­gen dage­gen die Kolumnist/innen, die dann auf der Grund­lage dieser Mel­dun­gen hämis­che und völ­lig unin­formierte Mei­n­ungsstücke in ihre Tas­taturen häm­merten. Denn anders als etwa Blogger/innen, von denen man eine gewisse Sorgfalt und Fachken­nt­nis gewohnt ist, muss sich das deutsche Feuil­leton ja an eine Selb­stverpflich­tung hal­ten, die max­i­male Empörung bei min­i­maler Zurken­nt­nis­nahme der Real­ität vorschreibt. Weit­er­lesen