Ein kurzer Nachtrag zur Sache mit dem Zigeunerschnitzel: Wie der Tagesspiegel berichtet, folgen Teile der Hannoveraner Gastronomie dem Beispiel der Stadt, und streichen dieses und ähnliche Wörter (z.B. Zigeunersauce und -gulasch) von der Speisekarte. Die Gerichte nennen sie stattdessen Puzsta-Schnitzel oder Schnitzel Ungarischer Art, Pikante Sauce oder Paprika-Sauce und Paprikagulasch. Weiterlesen
Archiv des Autors: Anatol Stefanowitsch
Crowdsourcing, Oxford-style
Don’t mention it – in etwa „nicht der Rede wert“ – ist im Englischen eine der Standardantworten auf Dankesbekundungen. Das Oxford English Dictionary hat dieses Motto so verinnerlicht, dass man sich dort gar nicht erst bedankt. Man stellt zwar ein Online-Formular bereit, über das Nutzer/innen Erstbelege, Wortvorschläge, Fehler und anderes melden können – Crowdsourcing hat beim OED eine lange Tradition, schon die erste Auflage stützte sich stark auf Sprachbelege, die von belesenen Sprachliebhaber/innen eingeschickt und in der Redaktion des Wörterbuchs von Hand sortiert und in Zettelkästen verwahrt wurden (für unsere jüngeren Leser/innen: Das Internet gab es im neunzehnten Jahrhundert noch nicht). Aber eine Reaktion bekommt man auch dann nicht, wenn der gemeldete Vorschlag umgesetzt oder Mangel behoben ist Weiterlesen
Besserwisserei: Teekesselchen im Chinesischen
Die häufigsten Beschwerden, die wir von den Sprachlogleser/innen zu hören bekommen, sind erstens, dass wir nicht kleinlich und besserwisserisch genug sind, und zweitens, dass wir häufige Beschwerden oft einfach erfinden. Wenigstens bezüglich des ersten Problems wollen wir gerne an uns arbeiten, und ab jetzt regelmäßig kleinliche Besserwissereien anbieten.
Die Qualitätsmedien liefern ja täglich Anlass dazu. Zum Beispiel schrieb die WAZ diese Woche:
Die Hand saust nach unten. Baowen Shis Handkante schneidet die Luft wie ein Schwert. Immer wieder. Zack. So zeigt die Lehrerin ihren Schülern, in welche Richtung die Betonung geht: Tang – Betonung nach unten. Denn die Melodie macht den Unterschied. In diesem Fall zwischen: super, Zucker, liegen oder heiß. Willkommen in der ersten Stunde Chinesisch. Die Sprache mit 1000 Teekesselchen. (WAZ, 26.9.2013)
Im Zenit der Macht
Merkel sei am (oder im oder auf dem) Zenit ihrer (oder der) Macht, berichtet die deutsche Presse einmütig. Ein paar der vielen Beispiele:
- Angela Merkel steht im Zenit ihrer Macht. (Tagesspiegel)
- Merkel ist jetzt auf dem Zenit ihrer Macht (Focus)
- Angela Merkels größter Erfolg: Bundeskanzlerin auf Zenit ihrer Macht (Rhein Zeitung)
- Die alte und wohl auch neue Kanzlerin steht im Zenit ihrer Macht. (Spiegel Online)
- Während François Hollande gerade mit nur noch 23 Prozent Zustimmung in der jüngsten Umfrage einen Tiefpunkt erreicht habe, stehe die Bundeskanzlerin im Zenit ihrer Macht. (Die WELT)
- Merkiavelli am Zenit der Macht (Wiener Zeitung)
Wahlprogrammlinguistik
Für Unentschlossene bietet das Sprachlog zur heutigen Bundestagswahl eine allerletzte Entscheidungshilfe. Für jede Partei, die in den Umfragen über 2 Prozent liegt, haben wir mittels quantitativer korpuslinguistischer Verfahren (einer distinktiven Kollexemanalyse, für diejenigen, die es genau wissen wollen) ermittelt, welche Wörter in ihrem Wahlprogramm häufiger vorkommen als in allen Wahlprogrammen zusammen. Das ist interessanter, als einfach für jedes Wahlprogramm die häufigsten Wörter zu ermitteln, weil wir auf unserem Weg für jede Partei besonders die Unterschiede zu allen anderen Parteien, also das, was sie besonders macht, herausfinden.
Wir präsentieren hier kommentarlos die Top 10 jeder Partei, wobei wir den jeweils eigenen Parteinamen und Teile davon, Funktionswörter (Präpositionen, Pronomen usw.) und Eigennamen sowie das Wort Wahlprogramm und seine Synonyme weggelassen haben. Weiterlesen
Krautspeak Day
To most Germans, today is just an ordinary Samstag (or Sonnabend, depending on where they live). But to German language prescriptivists, it is a quasi-national holiday, a linguistic Fourth of July and Fifth of November rolled into one: the Tag der Deutschen Sprache (“Day of the German Language”), a sort of prescient commemoration day for the German language as it will have been when it no longer is.
In the English-speaking world, prescriptivists are concerned mainly with a small set of words and grammatical structures that they call “bad grammar” – phenomena like the “split” infinitive or the passive (structures which they would like to remove from the language completely), the relative markers that and which (which they would like to see used for restrictive and non-restrictive relative clauses respectively), and certain sentential adverbs like hopefully (which they seem to think should never be used to express the speaker’s attitude towards the contents of a sentence). They typically justify their proscriptions and prescriptions by appeals to logic (although they never spell out what that logic actually is). Weiterlesen
Ein Feiertag für die deutsche Sprache
Das Deutsche hat eine Sprachgemeinschaft mit über 100 Millionen Mitgliedern, von denen die meisten im Alltag nie ernsthaft mit irgendeiner anderen Sprache in Berührung kommen.
Auf deutschen Fernsehkanälen laufen nicht nur den ganzen Tag lang qualitativ zweifelhafte aber unzweifelhaft deutschsprachige Eigenproduktionen, auch Filme und Serien aus dem Ausland werden ausschließlich in deutsch synchronisierten Fassungen gesendet. Kaum noch ein Kino zeigt Filme im Original und seit Online die DVD getötet hat, wird es immer schwerer, Originalfassungen überhaupt noch zu bekommen. Weiterlesen
Sprachpanscher und Sprachpinscher
Warum Menschen, die keine Ahnung von Sprache haben, sich ausgerechnet zu einem Verein zusammenschließen, dem es um Sprache gehen soll, werde ich wohl nie verstehen. Aber wenn ich so einen Verein hätte, würde ich es genau wie der Verein Deutsche Sprache machen, und mich darauf beschränken, anderer Leute Sprachgebrauch zu kritisieren. Denn die sind dann vielleicht so beschäftigt damit, sich gegen die Kritik zu verwahren, dass sie gar nicht nachfragen, worauf diese sich eigentlich gründet.
Ob das bei der DUDEN-Redaktion funktioniert, die vom VDS gerade zum Sprachpanscher des Jahres ernannt wurde, bleibt abzuwarten – die Redaktion des Wörterbuchs ist nicht gerade für eine sehr aktive Öffentlichkeitsarbeit bekannt (der letzte Tweet der Pressestelle stammt vom 4. April 2013, die letzte Pressemeldung von Anfang Juli). Aber wenn sie sich äußert, dann hat der VDS ihr mit der Begründung zur Sprachpanscher-Wahl eine Steilvorlage geliefert, anhand derer sie die Funktionsweise eines modernen Wörterbuchs erklären könnte: Weiterlesen
Die Kunst der Nichtschuldigung
Im Englischen gibt es das Wort „Notpology“ für die Äußerungen von Politiker/innen, Unternehmen und anderen Organisationen, die sich für etwas entschuldigen müssen, das aber nicht einsehen. Sie tätigen deshalb entschuldigungsähnliche Äußerungen, die aber tatsächlich keinerlei Entschuldigung enthalten, sondern die Schuld auf diejenigen verlagern, bei denen sie sich eigentlich entschuldigen sollen.
Ein lehrbuchartiges Beispiel bietet gerade die Firma Ferrero, die einen Werbespot für Pralinen aus weißer Schokolade geschaltet hat; in diesem Werbespot wird eine Wahlveranstaltung gezeigt, auf der Wahlplakate „Deutschland wählt Weiß!“ verkünden und die für diesen (gedankenlosen oder gezielten) Rassismus berechtigterweise massiv kritisiert werden (siehe z.B. hier, hier oder hier). Weiterlesen
Macht, Meme und Metaphern
Am Wochenende habe ich auf der Open Mind 2013 einen Vortrag über „Macht, Meme und Metaphern“ gehalten. Darin stelle das Konzept des Framings vor, wie es der amerikanische Sprachwissenschaftler George Lakoff vertritt:
Frames sind mentale Strukturen, die formen, wie wir die Welt sehen. Daraus folgt, dass sie unsere Ziele und Pläne formen, wie wir handeln, was als gutes oder schlechtes Ergebnis unserer Handlungen zählt. … Frames sind Teil dessen, was in den Kognitionswissenschaften „das kognitive Unbewusste“ genannt wird – Strukturen/Muster in unserem Gehirns, auf die wir nicht bewusst zugreifen können, die wir aber an ihren Konsequenzen erkennen können: Wie wir argumentieren und was als gesunder Menschenverstand gilt. Alle Wörter werden relativ zu konzeptuellen Frames verstanden.“ [Lakoff 2004, eig. Übers.]
Die Aufzeichnung des Vortrags ist jetzt online: Weiterlesen