Archiv des Autors: Anatol Stefanowitsch

Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

#seniorenwort

Von Anatol Stefanowitsch

Das Jugend­wort des Jahres hat gestern gle­ich zwei Sprachlogle­serin­nen dazu angeregt, das Fehlen eines Senioren­wortes als Gegen­stück zu fordern oder dessen Fehlen zu monieren. Da wir vom Sprachlog für Wörter­wahlen immer zu haben sind, haben wir nicht lange gezögert und per Twit­ter zu Nominierun­gen aufgerufen:

Die Reak­tion hat uns dann etwas über­wältigt: In den ersten zwölf Stun­den kamen über 7000 Tweets von über 1800 Twit­ter­ern und Twit­terin­nen zusam­men, das Hash­tag #senioren­tweet regierte unange­focht­en die deutschen Twit­tertrends. Den ganzen Tag kamen neue Tweets hinzu, und da inzwis­chen auch die Medi­en und Bild.de bericht­en, kann das natür­lich noch eine Weile so weit­erge­hen. Weit­er­lesen

Nachgedanken zum Jugendwort 2014

Von Anatol Stefanowitsch

Da ich für den Lon­don­er Radiosender Mon­o­cle (der mich immer anruft, wenn in Deutsch­land etwas sprach­lich Sig­nifikantes passiert) noch ein­mal den Siegern von Lan­gen­schei­dts Jugend­wort-Wet­tbe­werb hin­ter­her recher­chieren musste, hier noch ein paar Fak­ten und Nachgedanken zu unserem gestri­gen Leak (die Radiosendung selb­st gibt es als Pod­cast hier, ich komme ganz am Schluss). Weit­er­lesen

Ich war jung und brauchte das Wort

Von Anatol Stefanowitsch

Alle Welt redet heute über das „Jugend­wort des Jahres“, das der Ver­lag von Mario Barths „Deutsch-Frau Frau–Deutsch“ gegen jede himm­lis­che Gerechtigkeit jedes Jahr wählt. Lesen Sie exk­lu­siv im Sprachlog die geheime Geschichte dieses Wörter­wahl gewor­de­nen Scheit­erns lexiko­grafis­chen Sachver­stands. Weit­er­lesen

Gedeih und Verderb des deutschen Wortschatzes

Von Anatol Stefanowitsch

In der öffentlichen Diskus­sion um den Zus­tand der deutschen Sprache lag die Hoheit lange Zeit völ­lig unange­focht­en bei den Sprach­nör­glern. Wohl wagte sich ab und zu eine ein­same Stimme aus der Sprach­wis­senschaft ins Feuil­leton, um an der einen oder anderen Stelle etwas Real­ität in die Debat­te zu brin­gen, aber ins­ge­samt schien es intellek­tuell wenig befriedi­gend, sich in die unweiger­lich kla­maukhafte Auseinan­der­set­zung mit Anglizis­men­jägern und Sprachver­ar­mungs-apoka­lyp­tik­ern zu begeben – und vielle­icht war man sich auch ein­fach etwas zu schade dafür.

Das hat sich in den let­zten Jahren geän­dert. Büch­er wie das unglück­lich betitelte aber inhaltlich ordentlich gemachte Sick of Sick? Ein Streifzug durch die Sprache als Antwort auf den »Zwiebelfisch« von André Mei­n­unger, Du Jane, ich Goethe von Guy Deutsch­er oder Kiezdeutsch: Ein neuer Dialekt entste­ht von Heike Wiese nah­men zu The­men wie dem Ver­fall von Gram­matik, der Entste­hung von Sprache(n) u.a. Stel­lung, und seit 2007 bloggen Kristin (damals noch im Sch­plock) und ich (damals noch im Bre­mer Sprachlog) regelmäßig über Sprach­wan­del, Lehn­wörter, Jugend­sprache, Sprach­poli­tik und vieles mehr (später kamen andere junge Sprach­blog­gerin­nen dazu – z.B. unsere Sprachlogkol­le­gin Susanne, Michael Mann vom lexiko­grafieblog).

Über die Jahre ist es uns, denke ich, gelun­gen, die öffentliche Diskus­sion zu bee­in­flussen – zwar haben die Sprach­nör­gler immer noch die Ober­hand, aber vie­len inter­essierten Men­schen ist inzwis­chen klar, dass Sprach­nörgelei nicht die einzige Sichtweise auf Sprache ist (und auch nicht die richtige).

Es freut uns, dass nun mit etwas Ver­spä­tung (oder, sagen wir, mit ruhiger Würde) auch die insti­tu­tion­al­isierte Sprach­wis­senschaft die öffentliche Diskus­sion um Sprache sucht. Gestern Abend stell­ten die Deutsche Akademie für Sprache und Dich­tung und die Union der deutschen Akademien der Wis­senschaften unter dem Titel „Reich­tum und Armut der deutschen Sprache“ ihren „ersten Bericht zur Lage der deutschen Sprache“ vor. Die Presse berichtet bish­er eher zöger­lich, aber das kommt hof­fentlich noch [→Google News].
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Sprachbrocken: Krieg der Wörter

Von Anatol Stefanowitsch

Wir weni­gen verbliebe­nen gebür­ti­gen Berliner/innen leben ja seit Jahren mit der Schmach der schwäbis­chen Inva­sion. Nein, ich rede nicht von den Immo­bilien­in­ve­storen der ersten Nach­wen­de­gen­er­a­tion oder den Betreiberin­nen von Wal­dor­fkindergärten und Szener­estau­rants – ich meine Schwäbisch, die Sprache. Ich meine die Inva­sion der Berlin­er Bäck­ereien durch Wörter wie Wecke und Pflau­men­datschi, gegen die unser rev­o­lu­tion­ser­probtes Berlin­er Urgestein Wolf­gang Thierse Anfang des Jahres einen Auf­s­tand anführte. Der blieb damals schein­bar erfol­g­los – ihm fehlte ein knack­iger Slo­gan wie „Wir sind das Brot“. Unvergessen der zynis­che Ausspruch der siegre­ichen schwäbis­chen Zwetschgenköni­gin Anto­nia Marie, „Wenn sie keine Weck­en wollen, sollen sie doch Mutscheln essen.“ Weit­er­lesen

Halbzeit bei den Nominierungen zum Anglizismus 2013

Von Anatol Stefanowitsch

Bei unserem Vot­ing zum Anglzis­mus des Jahres 2013 haben wir einen Mile­stone erre­icht: Hal­bzeit bei der Nominierungsphase. Zeit, also, für eine Exec­u­tive Sum­ma­ry auch hier im Sprachlog. Bis gestern kon­nten wir auf unser­er Nominierungs­seite 41 Vorschläge unser­er Tar­get Group posten, und heute kamen noch ein­mal elf Wortkan­di­dat­en dazu, die die Jury in ein­er ersten eige­nen Recherche iden­ti­fiziert hat. Damit ste­hen wir in unser­er Com­pe­ti­tion aktuell bei 52 Wörtern, die um den Sieg in unser­er Win­ner-takes-all-Wörter­wahl kämpfen müssen. Weit­er­lesen

Anglizismus 2013: Es geht los

Von Anatol Stefanowitsch

Am Fre­itag haben wir darauf hingewiesen: Es ist die Jahreszeit der Wörter­wahlen, und damit auch Zeit für den „Anglizis­mus des Jahres 2013“: Wie schon in den let­zten drei Jahren wer­den wir mit Ihrer Hil­fe in den näch­sten Monat­en wieder das englis­che Lehn­wort wählen, das die deutsche Sprache im laufend­en Jahr am stärk­sten bere­ichert hat. Wir erin­nern uns: 2010 kam das Wort leak­en auf Platz 1 (und zwar ohne dass Mit­glieder der Jury das vor der Bekan­nt­gabe enthüllt hätte); im Jahr 2011 wurde der Shit­storm zum Sieger gekürt (eine Entschei­dung, die einen inter­na­tionalen Medi­en­sturm, aber keine Empörungswelle aus­löste; im let­zten Jahr gewann dann Crowd­fund­ing knapp vor Hip­ster und Frack­ing (die Kosten der Wörter­wahl trug die Jury ganz ohne finanzielle Hil­fe aus dem Netz). Weit­er­lesen

Blogspektrogramm 43/2013

Von Anatol Stefanowitsch

Falls Sie das hier lesen, hat Kristin ver­schlafen oder das Blogspek­tro­gramm ein­fach vergessen. Um das sou­verän zu über­spie­len, habe ich die durch die Zei­tum­stel­lung gewonnene Stunde genutzt, um selb­st ein paar Link­tipps zusammenzuwerfen.

Pronomen für alle

Von Anatol Stefanowitsch

Auch englis­chsprachige Sprachge­mein­schaften führen mal mehr, mal weniger erhitzte Diskus­sio­nen um geschlechterg­erechte Sprache. Dabei haben sie es sehr leicht: Da die meis­ten Sub­stan­tive im Englis­chen kein gram­ma­tis­ches oder natür­lich­es Geschlecht haben, sind es eigentlich nur die Per­son­al­pronomen für die dritte Per­son Ein­zahl und eine Hand­voll von Per­so­n­en­beze­ich­nun­gen wie chair­man, wait­ress oder clean­ing woman, die Prob­leme bere­it­en. Für let­ztere gibt es längst Alter­na­tiv­en (chair per­son, serv­er, clean­er), sodass genau genom­men nur die Per­son­al­pronomen übrig bleiben.

Bei englis­chen Pronomen wird (genau wie im Deutschen und vie­len anderen Sprachen) in der der drit­ten Per­son Ein­zahl – und nur dort – nach Geschlecht unter­schieden: männlich wahrgenommene Per­so­n­en wer­den mit he, weib­lich wahrgenommene mit she beze­ich­net. ((Ich kön­nte hier ein­fach „Män­ner“ und „Frauen“ schreiben, aber inter­es­san­ter­weise ver­wen­den wir Pronomen nicht nach dem tat­säch­lichen Geschlecht, für das wir ja bei den meis­ten Men­schen nur indi­rek­te Evi­denz haben, son­dern nach dem ver­muteten.)) Das ist in zweifach­er Hin­sicht problematisch.
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Das generische Femininum und die Gegner des Femininums

Von Anatol Stefanowitsch

Es mag diejeni­gen über­raschen, die mich für einen „poli­tisch kor­rek­ten“ Sprachex­trem­is­ten hal­ten, aber meine Mei­n­ung ist: Nie­mand muss gerechte Sprache gut find­en. Es gibt da schlicht keinen Zwang. Wer ungerechte Sprache ver­wen­den will, darf das selb­stver­ständlich tun, muss aber natür­lich mit den Kon­se­quen­zen leben. Die nor­maler­weise völ­lig aus­bleiben, und im unan­genehm­sten Fall darin beste­hen, auf die Tat­sache hingewiesen zu wer­den, ungerechte Sprache zu verwenden.

Und erst recht muss nie­mand bes­timmte Vorschläge für gerechte Sprache gut find­en. Ger­ade Sex­is­mus ist der­ar­tig tief nicht nur im Wortschatz, son­dern auch in der Gram­matik des Deutschen ver­ankert, dass fast jed­er Vorschlag zu ein­er gerechteren Sprache kurzfristig ein mehr oder weniger prob­lema­tis­ch­er Kom­pro­miss bleiben muss. Das wis­sen natür­lich auch die fem­i­nis­tis­chen Sprach­wis­senschaft­lerin­nen ((Aus Grün­den der Les­barkeit ver­wende ich hier und im Fol­gen­den in gener­ischen Zusam­men­hän­gen auss­chließlich die fem­i­nine Form; das männliche Geschlecht ist dabei selb­stver­ständlich mit gemeint.)) und Aktivistin­nen, von denen die Vorschläge kom­men, denn die haben sich ja im Zweifels­fall über­durch­schnit­tlich aus­führlich mit Sprache beschäftigt.

Und natür­lich ist es völ­lig legit­im, bes­timmte Vorschläge für gerechte Sprache aus der Per­spek­tive ein­er Sprach­wis­senschaft­lerin zu kri­tisieren. Aber wer das tut, sollte dann eben auch fundierte Argu­mente brin­gen. Das tun die Sprach­wis­senschaft­lerin­nen, die sich zum gener­ischen Fem­i­ninum bish­er zu Wort gemeldet haben, lei­der nur sel­ten. Wed­er der Freiburg­er Roman­ist Hans-Mar­tin Gauger noch der Berlin­er Sprach­wis­senschaftler André Mei­n­unger hat­ten irgen­dein Argu­ment zu bieten, das in der fem­i­nis­tis­chen Sprach­wis­senschaft nicht schon vielfach entkräftet wor­den wäre. Und auch dem jüng­sten Neuzu­gang in der Gruppe fem­i­ninumkri­tis­ch­er Sprach­wis­senschaft­lerin­nen, dem Frank­furter Ger­man­is­ten Horst Dieter Schloss­er, fällt keins ein.
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