Anglizismus des Jahres 2019 ist der Phraseologismus [… for future], der die Grundlage für den Namen der von Jugendlichen in vielen Ländern getragenen Klimaschutzbewegung „Fridays for Future“ bildet, aber der auch produktiv verwendet wird, um allgemein die Klimafreundlichkeit bestimmter Verhaltensweisen anzudeuten – zum Beispiel, wenn Umweltschutzorganisationen ein böllerfreies Silvester for Future anmahnen oder unter Feiern for Future Tipps für ein nachhaltiges Weihnachten geben, über eine klimaneutrale Wohngemeinschaft mit dem Begriff WG for future berichtet oder unter dem Begriff Grundgesetz for Future ein Verfassungsstatus für Nachhaltigkeit gefordert wird.
Diese sprachlich produktive Phraseoschablone (wie solche feststehenden Redewendungen mit einer frei besetzbaren Leerstelle genannt werden) leitet sich ab aus dem Namen der eben erwähnten Klimaschutzbewegung. Diesen Namen wiederum hat die schwedische Aktivistin Greta Thunberg geschaffen, die ihn am 8. September 2018 erstmals als Slogan in Form eines Hashtags in einem Tweet verwendete:
Vor- und Frühgeschichte
Eine englische Vorgeschichte hat der Ausdruck nicht: Es gibt im Englischen keine ähnlichen Slogans oder Namen für Bewegungen und Bündnisse. Das liegt nicht daran, dass man sich im englischen Sprachraum nicht um die Zukunft kümmert, sondern an der merkwürdigen grammatischen Form des Slogans: Im Englischen können nur nicht-zählbare Substantive wie humanity (Habitat for Humanity) oder Substative in der Mehrzahl (National Organization for Women) ohne einen Artikel wie the oder a(n) stehen. Da future zählbar ist, braucht es einen Artikel – so wie in den Bezeichungen für Institutionen wie Resources for the Future, Southern Forest for the Future und Women for the Future.
Beim Slogan „Fridays for Future“ fehlt der Artikel, was ihn im Englischen grammatisch merkwürdig erscheinen lässt – weshalb englischsprachige Medien ihn manchmal stillschweigend zu „Fridays for the Future“ korrigieren.
Für diese merkwürdige grammatische Form ist vermutlich eine grammatische Besonderheit von Thunbergs Muttersprache Schwedisch verantwortlich: Der definite Artikel (der, die das im Deutschen, the im Englischen) wird dort als Nachsilbe -en oder -et an das Substantiv gehängt: bil “Auto” ~ bilen “das Auto”, träd “Baum” ~ trädet “der Baum”, usw. Das grammatisch erwartbare englische Fridays for the future hieße auf Schwedisch fredagar för framtiden (z.B. hier), wobei die Endung -en eben dem englischen the entspricht.Als Thunberg das Hashtag #FridaysForFuture prägte, orientierte sie sich vermutlich an dieser oberflächlich artikellosen Struktur. Dafür spricht auch, dass zwei alternativen englischen Namen der Bewegung – School Strike for Climate (Australien) und Youth Strike for Climate (UK) – ebenfalls der definite Artikel fehlt: Beide Namen sind direkt an Thunbergs berühmtes Plakat Skolstrejk för Klimatet angelehnt, wobei die definite Nachsilbe -et des schwedischen Originals (klimat “Klima” ~ klimatet “das Klima”) bei der Übersetzung ebenfalls nicht mit übersetzt wurde.
Jüngere Geschichte
Zunächst benannten sich andere Bündnisse analog zu diesem Namen, wobei sie das Wort Friday durch eine Charakterisierung ihrer Mitglieder ersetzten – z.B. durch Berufsbezeichnungen, wie bei den Scientists for Future, den Students for Future oder den Omas for Future, oder durch Orts- und Herkunftsbezeichnungen wie Potsdam for Future, Kaarster for Future oder Bad Zwischenahn For Future. Auch ironische Verwendungen dieser Form und Bedeutung finden sich, wenn z.B. Versuche von Parteien, sich als umweltbewusst darzustellen, als Freie Demokraten for future oder CDU for Future bezeichnet werden.
Schon hier ist die Form der Schablone [… for Future] klar erkennbar. Eine erste Bedeutungserweiterung erfährt sie durch eine Ausweitung von Bündnissen auf konkrete Demonstrationen, z.B. Fahrradkuriere for Future oder den Slogan Tennis for Future, mit dem ein Tennisvereins dazu aufrief, vor einem Spiel noch bei der Fridays-for-Future-Demo mitzumachen. Interessant ist hier die Überschrift Flugbegleiter for Future zu einem taz-Artikel, in dem es um den Streik der Flugblegleiter/innen geht, die damit unabsichtlich zur Schonung des Klimas beitragen. [… for future] bezeichnet hier nicht die tatsächliche Intention, sondern eine Nebenwirkung.
Bald werden nicht nur Demonstrationen mit der Phraseoschablone benannt, sondern auch andere umweltbezogene Aktionen, etwa das Aufsammeln von Abfall – Bernsdorfer Oberschule for Future und Firmlinge for Future – und Informationsveranstaltungen zur Nachhaltigkeit – Alltag for future und Spielmobil for future. Im nächsten Schritt wird die Schablone erweitert, um ganz allgemein umweltfreundliche Verhaltensweisen zu benennen – Mehrweg for Future, Kleidertausch for future, Radeln for Future oder das oben schon erwähnte böllerfreie Silvester for Future. Die Wirtschaft hat die Formel noch nicht auf breiter Ebene für sich entdeckt, um Produkte als umweltfreundlich darzustellen – erste Versuche sind der Coffee for Future eines österreichischen Herstellers und die Nürnberger Spielzeugmesse Toys for Future.
Allerdings gibt es Versuche, die Schablone für Zwecke zu kapern, die mit Klima, Umwelt oder Nachhaltigkeit nichts zu tun haben, etwa, wenn der Zentralverband des Deutschen Handwerks mit dem Slogan Handwerk for Future „junge Menschen für das Handwerk zu begeistern“ gedenkt oder wenn die FDP mit dem Wahlslogan Bildung for Future Investitionen ins Bildungssystem verspricht. Dabei schwingt immer mit, dass die jungen Klimaaktivist/innen sich lieber um die genannten Dinge als um das Klima kümmern sollten.
Zukunft
Die zunehmende Integration des Ausdrucks for future in die Deutsche Sprache zeigt sich an ersten Veränderungen im grammatischen Verhalten – der Ausdruck for future löst sich aus der Phraseoschablone und tritt als adverbiale Bestimmung mit verschiedenen Wortarten auf. Zunächst gibt es Verwendungen, die formal noch der Schablone entsprechen, bei denen for future in seiner Bedeutung aber einer adverbialen Bestimmung der Art und Weise entspricht:
(1) Wir brauchen ein Parlament, das Klimaschutzverantwortung übernimmt, eine Politik for Future. (derStandard, 28.6.2019)
Noch deutlicher ist diese Funktion dort, wo for future mit Verben auftritt:
(2) Realschülerinnen pflanzen for Future (PNP, 29.10.2019)
(3) Länger tragen for Future (HORIZONTmagazin Modemarketing, 19.06.2019, Seite 3)
(4) Angekettet for future (taz, 18.3.2019)
Und sogar als eigenständiges Subjektsprädikativ kommt die Phrase bereits vor:
(5) Eine Klimaklage ist auch „for future“ (Tagesspiegel, 31.10.2019)
Fazit
Anglizismen – das zeigen die Ausdrücke, die wir in den letzten zehn Jahren in unserem Wettbewerb gekürt haben, immer wieder – überrollen das Deutsche (und andere Sprachen) nicht, wie eine Naturgewalt. Stattdessen eignen sich die Mitglieder ganz unterschiedlicher Sprachgemeinschaften englisches Wortgut aktiv an und nutzen es für ihre eignen kommunikativen Bedürfnisse. Im Falle des Phraseologismus [… for future] ist das Bedürfnis ein globales, und der Schöpfungsprozess ebenfalls: Eine schwedische Muttersprachlerin prägt einen englischen Slogan unter Rückgriff auf grammatische Eigenheiten des Schwedischen. Dieser Slogan wird dann weltweit als Name einer Klimaschutzbewegung aufgegriffen und als Vorbild für die Namensbildung weiterer Bündnisse verwendet. Schließlich bildet sich im Deutschen eine Variante mit einer Leerstelle, in die zunächst andere Substantive und inzwischen auch Verben eingesetzt werden können, um allgemein ein klimabewusstes Handeln zu bezeichnen. Das zeigt, dass die englische Sprache längst allen Sprachgemeinschaften der Welt gehört, die sich hier eine sprachliche Form geschaffen haben, um die Hoffnung nach einer Zukunft ohne Klimakollaps Ausdruck zu verleihen – ob das den Sprachpurist/innen und CO2-Apologet/innen nun gefällt oder nicht.
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