Der Anglizismus des Jahres 2018 ist Gendersternchen. Falls jemand das letzte Jahr abgeschnitten von der Außenwelt verbracht hat: das Wort bezeichnet ein
typografisches Zeichen (*), das bei Personenbezeichnungen zwischen der männlichen und der zusätzlich angefügten weiblichen Endung gesetzt wird, um neben Männern und Frauen auch Menschen mit anderer geschlechtlicher Identität miteinzubeziehen und sichtbar zu machen [Digitales Wörterbuch der Deutschen Sprache, s.v. Gendersternchen]
Es geht also um den Asterisk in Wörtern wie Linguist*in oder Sprachkritiker*innen. Um Missverständnisse von Vornherein auszuschließen: Die Jury würdigt damit ausdrücklich nicht das * an sich, sondern das Wort dafür, denn obwohl das Sternchen selbst aufgrund seiner Rolle in öffentlichen Diskussionen um geschlechtergerechte Sprache gute Aussichten hätte, „Interpunktionszeichen des Jahres“ zu werden, bleibt die Jury bei ihrer Kernaufgabe, nämlich, die Bereicherung des deutschen Wortschatzes durch englisches Lehngut zu beobachten und zu prämieren.
Mit Gendersternchen hat die Jury zum ersten Mal in der Geschichte dieser Wörterwahl eine englisch-deutsche Hybridform zum Anglizismus des Jahres gewählt. Aber das ist noch nicht der interessanteste Aspekt der diesjährigen Wahl.
Wenn wir in die Vergangenheit des Wortes blicken, stellen wir zunächst fest, dass es sich aus dem vollständig aus englischem Sprachmaterial bestehenden Wort Genderstar entwickelt hat. Die erste im Deutschen Referenzkorpus dokumentierte Verwendung diese Wortes stammt aus dem Jahr 2013 und ausgerechnet aus der Feder des wenig Gender-affinen Kolumnisten Jan Fleischhauer:
Kaum etwas ist so flüchtig wie der Fortschritt: Auch der Unterstrich als Genderzeichen ist schon wiedet veraltet, wie ich im Forum lernen musste (Dank an “fredheine”, Benutzer seit 14.10.2009!). Wer rechtschreibmäßig wirklich auf der Höhe der Zeit sein will, schreibt BäckermeisterInnen heute mit “Genderstar” , also: Bäckermeister*innen. Der Stern steht für die Vielfalt an Varianten, die Transgender haben kann. [Der Schwarze Kanal, 21.3.2013]
Natürlich ist das nicht die erste Verwendung des Wortes überhaupt – das Zitat selbst legt ja nahe, dass das Wort vorher schon im Forum des Online-Mediums verwendet wurde, und auch da wird man es kaum erfunden, sondern von anderswo aufgegriffen haben. Aber die Verwendung in einer reichweitenstarken Kolumne dürfte für die anfängliche Verbreitung im allgemeinen Sprachgebrauch durchaus eine Rolle gespielt haben.
Der genaue Ursprung des Wortes lässt sich nicht ermitteln, aber auf jeden Fall liegt er nicht im englischen Sprachraum, denn dort sind Personenbezeichnungen ohnehin weitgehend geschlechtsneutral. Das Gendersternchen ist eine deutsche Erfindung, und das Wort Genderstar ist es auch. Es handelt sich dabei also um einen sogenannten „Schein-“ oder „Pseudoanglizismus“ – es besteht zwar aus den englischen Wörtern gender und star, ist aber eine deutsche Wortbildung. Das dürfte vielen Sprecher/innen nicht bewusst sein, denn bis heute wird diese pseudoenglische Urform gerne, wie für das Englische typisch, getrennt geschrieben – wie jüngst in einer Pressemitteilung der Stadt Hannover:
Erst in zweiter Linie, wenn eine solche Formulierung nicht möglich ist, wird das sicherlich auffälligste Mittel – der “Gender Star” – eingesetzt. Das Sternchen* zwischen der maskulinen und femininen Endung soll in der Schriftsprache als Darstellungsmittel aller sozialen Geschlechter und Geschlechtsidentitäten dienen und hebt gezielt den Geschlechterdualismus auf. [Neue Regelung für geschlechtergerechte Sprache, hannover.de, 18.1.2018]
Einen kleinen Bekanntheitsschub erhält das Wort Gender Star 2015, als die Grünen beschließen, auf Parteitagen in Zukunft nur noch Anträge zu bearbeiten, die das Sternchen verwenden (das Sprachlog berichtete). Doch zu diesem Zeitpunkt findet sich bereits die zur Hälfte eingedeutsche Form Genderstern, erstmals dokumentiert im österreichischen Magazin Falter:
Im Feminismus für Fortgeschrittene kann man sich daher um Transgendertoiletten und den Genderstern *, die alle Geschlechtervarianten inkludierende Schreibweise, kümmern. Mit dem Siegeszug der Rechtspopulisten scheint der kurze Sommer des Genderfeminismus aber zu Ende zu gehen. [Emanzipation für Fortgeschrittene, Falter, 8.3.2017]
Obwohl der Beschluss der Grünen und die darauf folgende zunehmende Verwendung in deren öffentlicher Kommunikation zur weiteren Verbreitung des Sternchens an sich beigetragen haben dürften, setzt sich das Wort Gender Star nicht durch sondern wird ab 2016 zunehmend durch die heute übliche Form Gendersternchen verdrängt. Warum hier die Verkleinerungsform bevorzugt wird, darüber kann man nur spekulieren. Es könnte ein Ausdruck zärtlicher Zuneigung gegenüber dem Asterisk sein, aber wahrscheinlicher liegt es daran, dass das Symbol auch in der Typografie meistens Sternchen genannt wird.
Allerdings sind alle drei Formen des Wortes zu diesem Zeitpunkt noch sehr selten, in die breite Öffentlichkeit dringen die Diskussionen um das Für und Wider des Sternchens noch nicht. Das ändert sich erst 2018, als sich der Rat für deutsche Rechtschreibung auf Anfrage des Landes Berlin mit der Frage befasste, ob das Gendersternchen in die Amtliche Rechtschreibung aufgenommen werden soll.
Der Rat sprach sich dagegen aus (PDF), aber die Diskussion war da und trieb die Verwendungshäufigkeit des Wortes in die Höhe – zwischen 2017 und 2018 verzehnfachte sie sich im Deutschen Referenzkorpus (siehe hier).
Überzeugt hat die Jury am Wort Gendersternchen aber nicht nur dieser sprunghafte Anstieg im öffentlichen Sprachgebrauch, obwohl der natürlich darauf hinweist, dass es hier einen Redebedarf gab, für den es ein Wort brauchte.
Das Wort zeigt auch, dass die Aufnahme von Lehngut in eine Sprache kein passiver, willenloser Prozess ist. Schon sein Ursprung als Pseudolehnwort zeigt, dass Sprachgemeinschaften einmal entlehntes Sprachmaterial nach ihren eigenen Bedürfnissen weiterverarbeiten. Pseudoanglizismen sind also ganz reale deutsche Wörter.
Der aktive Umgang mit dem Lehngut zeigt sich auch an der schnellen Integration der Neubildung in den Wortschatz des Deutschen. Für das Wort Gender gibt es kein genuin deutsches Äquivalent, also wird dieses gut etablierte Lehnwort beibehalten. Das Wort Star hingegen hat zum einen im Deutschen eine gebräuchliche Entsprechung – eben Stern bzw. Sternchen –, und zum anderen gibt es ein Lehnwort Star mit der im Kontext des Gender Star unpassenden Bedeutung „prominente Person“. Die Sprachgemeinschaft entscheidet sich hier deshalb für eine Eindeutschung – so bleibt die Differenzierung zwischen Star und Stern erhalten, und das Wort Gendersternchen wird transparenter und damit leichter erlern- und verwendbar.
So wird die lexikalische Lücke gefüllt, die sich durch den eingeschobenen Asterisk auftut. Ob man diesen mag oder nicht, ob man die Absichten dahinter gutheißt oder ablehnt – das Sternchen ist da und wird so schnell nicht verschwinden, und um darüber zu streiten braucht die Sprachgemeinschaft ein Wort – ob das Gendersternchen eine Bereicherung für die deutsche Sprache ist, bleibt abzuwarten – das Wort Gendersternchen ist es auf jeden Fall.
Interessant auch noch, dass das typographische Zeichen im Englischen meines Wissens nach gar nicht mit “star” bezeichnet werden kann, sondern nur mit “asterisk”. Der Weg ist also “Sternchen” -> “star” -> “Sternchen”. Dabei führt das englischstämmige Wort “Gender” wahrscheinlich in einem ersten Schritt dazu, dass “Sternchen” als unpassend empfunden wird, weil man ja die Sprachen nicht mischen will. Also besser das englische Wort für “Sternchen”, und da nimmt man das naheliegende “star” (auch wenn in diesem Kontext eigentlich falsch). In einem zweiten Schritt fällt dann aber auf, dass es ersten Verwechslungsgefahr mit Interpreten der Popmusik gibt, und dann geht man wieder zurück zum “-sternchen”.
Quasi ein temporärer Ausflug in einen uninlingualen Pseudoanglizismus, der dann aber nur kurz währt und zu der gemischten Form zurückkehrt (die natürlich immer noch pseudo ist).
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