Die Sprachkritische Aktion hat gerade das Unwort des Jahres bekanntgegeben: Anti-Abschiebe-Industrie (PDF). Nach Volksverräter (2016), Gutmensch (2015), und Lügenpresse (2014) ist damit zum vierten Mal in den letzten fünf Jahren ein Begriff zum Unwort gewählt worden, mit dem Akteure am rechten Rand Institutionen und Menschen kritisieren, die sich im Prinzip nur um die Aufrechterhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien bemühen.
In diesem Fall war es der CSU-Politiker Alexander Dobrindt, der den Begriff in die öffentliche Debatte warf, um dem Bemühen um eine rechtskonforme Behandling von Asylbewerber/innen die Legitimität abzusprechen:
Der Ausdruck unterstellt denjenigen, die abgelehnte Asylbewerber rechtlich unterstützen und Abschiebungen auf dem Rechtsweg prüfen, die Absicht, auch kriminell gewordene Flüchtlinge schützen und damit in großem Maßstab Geld verdienen zu wollen. Der Ausdruck Industrie suggeriert zudem, es würden dadurch überhaupt erst Asylberechtigte „produziert“. [Pressemitteilung der Sprachkritischen Atkion]
Der Begriff fügt sich nahtlos in ein allgemeines Framing ein, das jeden Einsatz für Schwächere als Handeln mächtiger Akteure im Hintergrund darstellt — er ist nicht weit entfernt von rechtsradikalen Verschwörungtheorien, nach denen schwammig definierte Eliten (die oft von Angela Merkel, den Grünen und/oder George Soros angeführt werden) sich bereichern, indem sie die angestammte Bevölkerung des Landes durch Geflüchtete ersetzen wollen. Das ist kein Zufall: der Begriff greift direkt das gut etablierte rechtsradikale Schlagwort der Asylindustrie auf.
Auf breiter Ebene durchgesetzt hat sich die von Dobrindt popularisierte Wortschöpfung nicht, aber rechte Parteien, von der AfD bis zur NPD, haben das Wort dankbar aufgegriffen. Dass ein Politiker einer in ihrem Selbstverständnis demokratischen Partei sich auf diese Weise zum Stichwortgeber für Rechtsradikale macht — und Dobrindt ist da nicht der einzige –, trägt mehr zur oft beklagten „Verrohung“ des öffentlichen Sprachgebrauchs bei, als es die Rechtsradikalen alleine jemals könnten.
Die Unwort-Jury hat ihre Sache also wieder einmal gut gemacht — auch wenn die CSU sich von der Negativauszeichnung, die ihr radikalisierter Sprachgebrauch heute erfährt, wohl nicht mäßigen lassen wird.