Das Wort Nafri sorgt für heftige Debatten, seit die Kölner Polizei in der Silvesternacht 2016 über den Kurznachrichtendienst Twitter folgende Beschreibung ihres Vorgehens absetzte:
#PolizeiNRW #Silvester2016 #SicherInKöln: Am HBF werden derzeit mehrere Hundert Nafris überprüft. Infos folgen. https://t.co/VYMQuT6B7u pic.twitter.com/cCVVdRwr9D
— Polizei NRW K (@polizei_nrw_k) December 31, 2016
Die Diskussion wird, wie es in Deutschland leider üblich ist, wenn es um potenziell problematische Sprache geht, sehr hitzig, faktenarm und wenig produktiv geführt. Sie wird außerdem vermischt mit der wichtigeren Diskussion um Racial Profiling und öffentliche Sicherheit, die mit dem Wort Nafri eher am Rande zu tun hat.
Eigentlich wollte ich mich deshalb aus der Diskussion heraushalten, aber dann las ich folgende Aussage des Vorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt:
Das ist eine Abkürzung, die wir im Einsatz benutzen, beispielweise bei Funksprüchen oder wenn sich die Beamten etwas zurufen. Das braucht man nicht zu dramatisieren. Das ist eben der Unterschied zwischen einem sprachwissenschaftlichen Grünen-Seminar und einem Polizeieinsatz. (Rainer Wendt in der Jungen Freiheit, 2. Januar 2017)
Ich bin zwar kein Grüner, aber ein sprachwissenschaftliches Seminar kann ich liefern, und da die Kritik am Begriff „Nafri“ weitgehend am eigentlichen Problem vorbeigeht, habe ich Wendts Herausforderung dann doch angenommen.
Für die Kritik am Begriff lassen sich in der aktuellen Diskussion grob drei Begründungen erkennen:
1. Der Begriff klinge abwertend/herabwürdigend.
2. Der Begriff sei „Sprachgebrauch der Rechten“
3. Der Begriff pauschalisiere (suggeriere also, dass alle Menschen aus Nordafrika kriminell seien).
Die erste Begründung ist schwer einzuordnen, da es weitgehend subjektiv ist, was abwertend „klingt“ und ich keine genaueren Ausführungen finden konnte, worin dieser Klang liegen soll. Manche Kommentator/innen ziehen eine Parallele zum Wort N*ger, möglicherweise aufgrund des gemeinsamen ersten Lautes/Buchstaben, aber insgesamt besteht keine große lautliche Nähe zwischen diesen Wörtern. Mir sind auch keine anderen abwertenden Wörter bekannt, die eine besondere Ähnlichkeit zu Nafri hätten – Wörter, die auf -i enden, etwa, können sowohl negativ sein (Alki, Spasti, Assi, Tussi, Knacki), als auch neutral (Azubi, Zivi, Schiri, Promi) oder sogar positiv (Profi, Spezi, Mami, Papi, siehe auch Kosenamen wie Schumi). Ich würde deshalb vermuten, dass die subjektive Empfindung eines „abwertenden Klangs“ sich erst im Nachhinein aus einer negativen Bewertung ergibt, die andere Ursachen hat.
Die zweite Begründung lässt sich schnell als falsch einordnen. Der Begriff stammt nicht aus dem Sprachgebrauch der Rechten, sondern tatsächlich aus dem Sprachgebrauch der Polizei selbst. Er gelangte erstmals Anfang des letzten Jahres im Zusammenhang mit der sexualisierten Gewalt am Kölner Hauptbahnhof in die Öffentlichkeit. Die Bild zitierte damals aus einem internen Bericht der Kölner Polizei mit dem Titel „Analyseprojekt Nordafrikanische Straftäter“. Dort wurde eine Kategorie von sogenannten „Nafri-Delikten“ definiert, die folgende Eigenschaften haben (ich komme auf diese Defninition) später noch zurück:
- Täter ist Angehöriger eines „Nafri“-Staates (Ägypten, Algerien, Libanon, Libyen, Marokko, Syrien und Tunesien)
- Täter ist meist zwischen 15 und 25 Jahre alt
- Begangen werden Raub‑, Körperverletzungs‑, BtM‑, und Taschendiebstähle
- Tatorte liegen schwerpunktmäßig im Bereich der Kölner Altstadt, Martinsviertel, Frankenwerft, Weltjugendtagsweg
- Tatzeiten liegen schwerpunktmäßig an Wochenenden zur Nachtzeit
- Der jugendliche Täter ist regelmäßig in einer Einrichtung der Stadt Köln untergebracht.
Das Wort findet sich seitdem ab und zu auf einschlägigen Webseiten wie PI News, meistens in direktem Zusammenhang mit Diskussionen der Silvesternächte 2015 und 2016. Dass es in den allgemeinen rechten Sprachgebrauch eingegangen wäre, lässt sich zu diesem Zeitpunkt aber nicht behaupten.
Die dritte Begründung kommt einer sprachwissenschaftlich fundierten Kritik an dem Wort Nafri am nächsten, sehen wir sie uns also genauer an.
Die meisten Substantive bezeichnen Kategorien von Dingen. Das Wort Vogel, beispielsweise, bezeichnet eine Kategorie von individuellen Organismen, die ihrerseits in Unterkategorien wie Spatzen, Wellensittiche, Enten und Pinguine gehören. Das Wort Möbel bezeichnet eine Kategorie von individuellen Gegenständen, die ebenfalls in Unterkategorien wie Schränke, Betten, Stühle und Spülmaschinen fallen.
Die Gemeinsamkeit zwischen beiden Wörtern ist, dass sie unterschiedliche Dinge sprachlich als zusammengehörig kennzeichnen. Der Unterschied ist, dass Vögel tatsächlich eine natürliche Kategorie bilden – sie haben eine gemeinsame evolutionäre Geschichte und gemeinsame Eigenschaften (z.B. haben sie alle Schnäbel und legen alle Eier). Möbel bilden dagegen keine natürliche Kategorie – sie werden erst durch die sprachliche Bezeichnung zu einer Kategorie und sie haben auch keine gemeinsamen Eigenschaften, außer der etwas vagen Eigenschaft „stehen typischerweise in Wohnungen“ (das ist auch der Grund, warum die Grenzen solcher Kategorien schwerer zu ziehen sind – wir wären uns vielleicht uneins, ob Spülmaschinen tatsächlich Möbel sind, aber wir wären uns alle einig, dass Pinguine zwar merkwürdige, aber dennoch eindeutige Vögel sind).
Sprachlich behandeln wir beide Kategorien gleich. Da es ein Wort für sie gibt, gehen wir davon aus, dass die in ihnen enthaltenen Individuen zusammengehören. Wir erwarten eine gewisse Homogenität der Eigenschaften und des Verhaltens oder Vorkommens in der Welt (z.B., dass wir in einem Möbelhaus sowohl Betten als auch Schränke als auch Stühle vorfinden werden, und zumindest die großen Möbelhäuser bieten inzwischen auch Spülmaschinen an).
Die Kölner Polizei hat mit dem Begriff Nafri nun nicht nur ein Wort geschaffen, sondern auch die damit bezeichnete Kategorie: Sie fasst Menschen aus sieben sehr unterschiedlichen Ländern (von denen zwei, der Libanon und Syrien, tatsächlich gar nicht in Nordafrika liegen), zu einer Gruppe zusammen. Schon hier liegt das erste Problem dieses Begriffs: Sobald er sich etabliert hat, führt er dazu, dass wir (bzw. die, die ihn verwenden) davon ausgehen, dass die Individuen in der damit bezeichneten Kategorie eine gewisse Homogenität aufweisen. Das ist bei dem Begriff Nafri offenkundig der Fall – genau auf dieser erwarteten Homogenität im Verhalten beruhen ja die gesonderten Personenkontrollen, die die Polizei bei Menschen am Kölner Hauptbahnhof, die wie „Nafris“ aussehen, durchgeführt hat.
Der Begriff ist nicht deshalb problematisch, weil die Kölner Polizei (vermutlich korrekt) erkannt hat, dass bestimmte Gruppen von Menschen aus bestimmten Ländern ihnen besonders oft Probleme bereiten, sondern, weil die sehr breite Kategorie Nafri dazu führt, dass nicht nur etwa alle Tunesier unter einen Generalverdacht für die Taten einer bestimmten Gruppe von Tunesiern gestellt werden, sondern sogar etwa alle Syrer unter einen Generalverdacht für die Taten einer bestimmten Gruppe von Tunesiern gestellt werden (und umgekehrt).
Das zweite allgemeine Problem an Kategorienbezeichnungen – vor allem solchen für Menschen – ist, dass sie sich leicht mit zusätzlichen Bedeutungskomponenten aufladen, die eigentlich kein Teil der Definition sind. Nehmen wir das Wort Blondine — es bedeutet eigentlich nur „Frau mit hellen Haaren“, aber anders als die beschreibende Phrase Frau mit hellen Haaren ist das Wort Blondine mit zusätzlichen Bedeutungen wie „dumm“, „attraktiv“, „gut im Bett“ usw. Und diese Bedeutungen sind, wie dieses Beispiel zeigt, häufig stereotypisierende und abwertende Zuschreibungen.
Kategorienbezeichnungen changieren damit ständig zwischen der Kernbedeutung und der durch zusätzliche Bedeutungen erweiterten Bedeutung. Bei der Bezeichnung Nafri war das in der Silvesternacht augenfällig. Obwohl der Begriff von der Polizei selbst geschaffen wurde und neben der Herkunft eine ganze Reihe weiterer Bedeutungskomponenten umfasst – etwa, dass es sich eben um Straftäter handeln muss – wird es von der Polizei ganz eindeutig auch als allgemeine Bezeichnung für Menschen aus den genannten Ländern (oder auch solche, die nur so aussehen, wie Menschen aus den genannten Ländern) verwendet.
In dem oben zitierten Tweet kann sich das Wort unmöglich auf „Straftäter aus Ägypten, Algerien, Libanon, Libyen, Marokko, Syrien und Tunesien“ beziehen, da die Polizei ja vor der Überprüfung nicht wissen konnte, ob es sich um Straftäter handelt, und auch nicht davon ausgegangen ist, dass es sich bei allen um Straftäter handelt. Stattdessen lässt sich das Wort Nafri in diesem Tweet nur mit „Menschen aus Ägypten, Algerien, Libanon, Libyen, Marokko, Syrien und Tunesien“ übersetzen.
Die Polizei verwendet also ein und dasselbe Wort für Menschen aus bestimmten Ländern (bzw. solche, die ihrer Meinung nach so aussehen), und für Straftäter aus diesen Ländern. Diese Doppeldeutigkeit bestätigen auch Aussagen der Polizei selbst. Während ein Sprecher der Polizei vom Spiegel mit der Aussage zitiert wird, das Wort Nafri bezeichne „generell Personen, die dem nordafrikanischen Spektrum zugeordnet werden“ und es sei „frei jeder Wertung“, ist es laut dem Vorsitzenden der DPolG Bundespolizeigewerkschaft, Ernst Walter, „eine Abkürzung für nordafrikanische Intensivtäter“.
Bei der Debatte um das Wort Nafri sollte es nicht darum gehen, ob die Polizei das Wort in rassistischer Absicht geprägt hat, sondern darum, dass diese Art von Kategoriebezeichnungen grundsätzlich gefährlich sind. Die Pauschalisierung und die begriffliche Unschärfe, die in solchen Bezeichnungen steckt, muss nicht unbedingt zum Problem werden – bei Möbelstücken etwa wird sie kaum jemandem schaden. Aber wenn es um Menschen geht, ist eine besondere Vorsicht geboten, damit Kategorienbezeichnungen nicht zu einem Teufelskreis von negativen Zuschreibungen beitragen.
Die Kölner Polizei hat den Begriff zunächst geschaffen, weil sie eine Bezeichnung für eine bestimmte Gruppe wiederholt straffälliger Menschen brauchte. Die Absicht dahinter ist nicht zu verurteilen. Sobald die Bezeichnung da ist, nimmt ihre Bedeutungsentwicklung aber ein Eigenleben an – in diesem Fall hat sich schnell eine Doppeldeutigkeit zwischen Menschen und Straftätern aus einer bestimmten geographischen Region herausgebildet, die potenziell rassistsiche Denk- und Handlungsweisen auslösen bzw. verstärken kann. Zu dieser Doppeldeutigkeit hat sicher beigetragen, dass die Polizei mit Menschen grundsätzlich genau dann zu tun bekommt, wenn diese straffällig werden. Im Falle des Wortes Nafri kommt hinzu, dass ein sehr breiter und heterogener Personenkreis zusammengefasst wird, der sich vorrangig dadurch auszeichnet, nicht weiß zu sein. Auch das war vermutlich ursprünglich nicht beabsichtigt, aber auch das hat schnell ein Eigenleben angenommen, wie die zumindest etwas unreflektierten Personenkontrollen auf der Grundlage visueller ethnischer Merkmale in der Silvesternacht 2016 zeigen.
Natürlich gibt es einen Unterschied zwischen Polizeiarbeit und sprachwissenschaftlichen Seminaren aller Farben, aber dort, wo Polizeiarbeit sich auf sprachliche Kategorien bezieht, kann sprachwissenschaftliche Sensibilität sicher nicht schaden.
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Sehr schön auseinandergenommen, dankeschön!
Zwei kleine Anmerkungen:
1. “Nafri” entstammt in der Tat dem Polizei-Sprachgebrauch und nicht dem Sprachgebrauch der Rechten. Der Begriff ist aber (a) dort rasend schnell populär geworden, was ein wichtiges Indiz für seine inhaltliche Problematik ist und (b) stellt gerade Rainer Wendt eine breite Brücke zwischen Polizei und rechtem Milieu her bzw. bietet dem rechten Milieu den Begriff geradezu freimütig an — siehe den Ausdruck vom “Grünen-Seminar” als typisches Feindbild und vor allem den Publikationsort.
2. Die Ähnlichkeit zwischen “Nafri” und dem anderen N‑Wort dürfte vielleicht doch etwas größer sein als angenommen, aus zwei Gründen:
Erstens weil die Kombination N + Afri(ka) als Personenbezeichnung natürlich sofort Assoziationen auslöst, die genau an Menschen mit dunkler Hautfarbe denken lässt, fast wie ein Kofferwort aus “N*ger” und “Afrikaner”.
Und zweitens, weil “Nafri” stark zumindest an engl. “Negro” erinnert, das silbenstrukturell und im Betonungsmuster sehr viel ähnlicher ist als das deutsche Pendant.
“Und zweitens, weil “Nafri” stark zumindest an engl. “Negro” erinnert”.
mich erinnert das in absolut gar keiner weise an “negro”. null.
also Entschuldigung, JP Teitinger, zu 1. keine Kritik, aber bei 2. geht es mir zu weit. Wenn man bei Mama vier Buchstaben ändert wird daraus Bier. Nafri und Neger? Letztere sind schon irgendwie schwarz und mir ist es noch nicht untergekommen, dass man mit “Neger” einen Araber könnte.
Bei mir war das die allererste Assoziation, die mir in den Sinn kam.
Die übereinstimmende Silbenstruktur ’nVC.rV mit gleicher Betonung erscheint mir jedenfalls durchaus auffällig.
Also, ich denk dabei höchstens an Afri-Kola. Sonst an nix.
Das Problem ist weniger die Polizei, die entweder in ein Fettnäpfchen getreten ist oder sich wirlich rassistisch geäußert hat.
Das Problem ist, dass sie einen knackigen Begriff geliefert hat, der schon massiv von Rechts aufgegriffen wird. Das ist im Moment anscheinend DAS Schimpfwort für Asylanten und so geworden. Es ist knackig, klingt irgendwie gut und ergibt einen prima Hashtag. Das i wurde schon zu Intensivtäter umgedeutet und jetzt kann die AfD und ähnliches Publikum sich damit prima abfällig äußern. Dazu kapern sie einen scheinbar neutralen Begriff mal wieder, aber im Gegensatz zu “Fachkräfte” muss man nicht Ironie verstehen und sich auf deren ironischen Ansatz einlassen, sondern das Wort an sich wird wenn es in einem Text mehrfach entsprechend verwendet wurde direkt negativ konnotiert.
Ich würde darauf wetten, dass das uns in der rechten Szene noch das ganze Jahr verfolgen wird.
Ich verstehe nicht, warum sich alle über die Abkürzung “Nafri” aufregen. Wäre es besser, wenn die Polizei das ausformuliert hätte?
Also ich finde ja schon, daß der Begriff eine sprachliche Nähe zu einem anderen Begriff aus dem rechten Sprachraum hat. “Nafri” unterscheidet sich eigentlich nur durch die Konsonanten in der Mitte vom Begriff “Nazi”
@JP Teitinger: Ich glaube tatsächlich nicht, dass ein englisches Wort die erste Assoziation bei deutschen Polizisten ist. (Aber vielleicht habe ich da Sprachkompetenz-Vorurteile.) Zudem habe ich Zweifel an der Silben-Struktur-Ähnlichkeit: Ist das nicht bei /ni:.gr@U/ CV.CCV und bei /Na(:)f.ri(:)/ /CVC.CV/ (letzteres legt jedenfalls auch die – natürlich fehlbare – Duden-Silbentrennung nahe: http://www.duden.de/rechtschreibung/Afrika)?
Natürlich ist freies Assoziieren erlaubt, aber hier überzeugt es mich nicht so.
Also Herr Teitinger,
habe ich das jetzt richtig verstanden:
Die Polizei hat in der Twitterhektik keine entsprechung für Neger (nVCVr) gefunden, daraufhin wurde wissenschaftlich analysiert das man ja negro (nVCrV) zu nafri ändern könne? Bestimmt hat man dazu gleich ein paar Spachwissenschaftler herbeigezogen.
Sie haben recht, durchaus auffällig 😉
Mit freundlichen Grüßen
Dirk Jäckel
Das Wort erinnert an Afro und das erinnert an Schwarze, es erinnert auch an Afrika und das i klingt wie eine Verniedlichung, etwas das klein ist, schwach ist, nicht der Rede wert ist.
Oh, schön. Du hast das Thema also doch aufgegriffen. 🙂
Eine Nachfrage zum Thema “Wörter die auf i enden”:
Ist es nicht so, dass diese Wörter durchaus einen abwertenden Charakter haben, wenn sie etwas grundlegend Negatives beschreiben, wie im Ursinn des Wortes Nafri die Straftäter aus den “gefühlt nordafrikanischen” (kein Zitat, Ironie) Raum?
Die Diskussion um diesen Begriff, erinnerte mich an einen anderen brancheninternen (Krankenhaus) Begriff: Morbus Mediterraneus.
Ursprünglich handelte es sich um eine scherzhafte Bezeichnung für südländische Patienten, mit einem (unterstellten) übertrieben hohen Schmerzgebaren, bis hin zur Weinerlichkeit (früher galt das mal hauptsächlich für Italiener, mittlerweile sind damit vor allem türkische Männer bezeichnet). Ich behaupte unterstellt, weil mir in fast zehn Berufsjahren noch nie wirklich aufgefallen wäre, dass sich sowas auf die ethnische Herkunft zurückführen ließe, zumal ich diese Info erst während meiner Ausbildung “gelernt” habe.
Nun ja, ich stelle fest, dass dieser M. Mediterraneus mittlerweile oft zu einer Chiffre für den störenden (türkischen) Patienten geworden ist, dessen geäußerte Schmerzen dann aber auch nicht unbedingt immer ernst genommen werden. Aber leider werden im Gesundheitswesen solche Mechanismen nicht reflektiert :-/
@Bärchen hat recht: es wirkt lautlich wie eine (semantisch bizarre) Mischung aus Nazi und Afrika und ich war verwundert, dass ersteres im Artikeltext nicht vorkommt.
Ich hoffe, dass Prof. Stefanowitsch in seinen Vorlesungen und Seminaren die folgende Aussage nicht tätigen würde, sondern fürs Blog etwas „vereinfacht“ hat:
Wörter haben nie eine „eigentliche“ Bedeutung! → „etymological fallacy“
Wenn die Polizeieinsatzleitung hier einen Twitterkommissar eingesetzt hätte, der etwas weniger schnauzbärtig-vierschrötig, dafür aber etwas intelligenter gewesen wäre, hätte der vielleicht folgendes gemacht:
Er hätte diese Wortklippe umschifft und statt dessen schlicht von “Personen” gesprochen. So wie der Pressekodex es für den Umgang mit “Tätern” und “Verdächtigen” fordert, hätte die Berichterstattung es hier auf die angewendet, die Ziel der polizeilichen Maßnahmen waren: ethnische bzw. phänotypische Merkmale würden ausgeblendet. Mit dieser Strategie könnte man dann reale, durch das Handeln der Polizei bewirkte Diskriminierungen unsichtbar machen, da es auf einmal nur noch “Personen” gibt — und auf kritische Nachfragen könnten die Twitterbeamten, Einsatzleiter und Innenminister ganz bequem mit dem Verweis auf egalitären und politisch korrekten Sprachgebrauch kontern.
Aber für dieses Newspeak-Potential, das politisch korrektes Sprechen durch die Ent-Nennung von Othering-Kategorien eben auch hat, hat man in Polizeikreisen vielleicht (noch?) kein rechtes Gespür entwickelt.
“.., wie die zumindest etwas unreflektierten Personenkontrollen auf der Grundlage visueller ethnischer Merkmale in der Silvesternacht 2016 zeigen.”
Ist das so gewesen? Ich kenne keine Details, aber soweit ich das verfolgt habr, war die Gruppe “aggressiv” und ich entnehme dem das aus der Gruppe heraus Straftaten begagngen wurden oder zumindest befürchtet wurden. Wenn es so war — evtl. kennt der Autor andere Hintergründe — dann war die Kontrolle alles andere als unreflektiert.
Im gegnteil, es wurde diese Gruppe mit voller “Reflektion” kontrolliert, weil sie eben Ärger gemacht haben. Aber wie gesagt, ich weiß es nicht und vermute nur.
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“Nafri” ist in den Jahren 2015/2016 x‑fach von allen möglichen Zeitungen verwendet worden. Boulevard, Regionalzeitungen, sogar die “Zeit”. Mit und ohne Anführungszeichen.
Jetzt empört man sich über das Wort. Vorher war wohl keine Zeit dafür. 😉
Statt mit dem Begriff “Nafri” sollte man sich lieber erst einmal mit dem viel älteren, tatsächlich abwertend gemeinten Koran-Begriff “Kuffār”
https://de.wikipedia.org/wiki/K%C4%81fir
beschäftigen, der überhaupt erst die in ihren Augen legitimierende Grundlage für übergriffiges Verhalten muslimischer männlicher Jugendlicher gegenüber nicht-muslimischen Menschen und hier insbesondere nicht-muslimischen Frauen bildet.
Insofern halte ich den Begriff “Nafri” für unglücklich, denn diese Übergriffigkeit gegenüber “Ungläubigen” hängt ja viel mehr mit dem Islam als mit irgendeiner (vermeintlichen) geografischen Herkunft zusammen! Das sollte in einem Begriff für diese Intensivtäter auch zum Ausdruck kommen! Dass dies nicht der Fall ist, hat mit politisch-“korrekt”-verzerrter Kopf-in-den-Sand-/Vernebelungs-Sprache zu tun.
Wenn wir in Deutschland derzeit ein Problem haben, dann nicht mit Rassismus, sonderm mit religiösem (hauptsächlich muslimischem!) Chauvinismus und damit, diesen auch als solchen wahrnehmen zu wollen.
http://analitik.de/2017/01/03/das-overton-fenster-der-fluechtlingskrise/
“Die Flüchtlinge werden öffentlich als Sondergruppe anerkannt, die polizeiliche Sonderbehandlung verdient.”
Danke für die schöne Analyse!
Ich persönlich finde es ja (neben der anscheinend polizeilicherseits für notwendig erachteten geographisch-rassistischen bzw- kulturalistischen Kategoriebildung überhaupt) besonders traurig, dass das LKA offenbar glaubt, der Libanon und Syrien lägen in (Nord-)Afrika…
https://misanthrope.blogger.de/stories/2623286/
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@ Moritz: Klar, “Junge Männer, die so aussehen, als kämen sie aus Nahost/Nordafrika” hätte prima in einen Tweet gepasst und wäre ganz bestimmt weniger pauschalisierend und damit weniger problematisch als “Nafri” gewesen.
@ Christoph Päper: Vielleicht haben Wörter wirklich nie eine eigentliche Bedeutung, aber Blondine dürfte zur Bezeichnung blonder Frauen geschaffen worden sein. “Blonde Frau” ist damit die ursprünglich oder, wenn man so will, die eigentliche Bedeutung.
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DANKE! für einen der wenigen sachlichen/vernüftigen Artikel zu diesem Thema.
Vielen Dank für Ihren tollen Artikel.
Pingback: Umleitung: Wir starten mit düsteren Einsichten zu Jahresbeginn und landen dann bei Fake-News, Nafris, Rechtsextremismus sowie Jugendkultur im HSK. | zoom
„[…] weil die sehr breite Kategorie Nafri dazu führt, dass nicht nur etwa alle Tunesier unter einen Generalverdacht für die Taten einer bestimmten Gruppe von Tunesiern gestellt werden, sondern sogar etwa alle Syrer unter einen Generalverdacht für die Taten einer bestimmten Gruppe von Tunesiern gestellt werden (und umgekehrt).“
Das mußte ich zweimal lesen, denn ich sehe da keinen wesentlichen Unterschied. Diese Pauschalierung zurückzuweisen mit dem Hinweis, man sei schließlich Syrer und kein Tunesier, wäre selber wieder pauschale ethnische Diskriminierung.
@JP Teitinger: Egal, wie ähnlich die Wörter nun genau sind, mein (schwarzer) Kollege hat es inhaltlich auf den Punkt gebracht — „Nafri“ ist das N‑Wort für Araber.
Daß Iraker nicht in der Definition vorkommen, ist interessant, aber ich glaube nicht, daß sie das tatsächlich davor schützt, kontrolliert zu werden. Vermutlich nicht mal Perser und Afghanen.
Dass “Nafri” so negativ konnotiert wird, verdanken wir wohl weniger der Polizei, als den sozialen Medien, der Presse und den Rechten.
Leider zeigt das Beispiel auch, dass der Polizei immer noch in breiter Front eine rechte Orientierung unterstellt wird.
Interessant wäre jetzt zu wissen, welche Abkrürzung die Polizei jetzt wählt. By the way, die Polizei liebt Abkürzungen…
Grundsätzlich ist die Sensibilisierung durch solche Beiträge wie dieser sehr zu begrüßen. Ebenso wie die aufmerksam bleibende Kontrolle, der Verhältnismäßigkeit und Rechtmäßigkeit der Arbeit der Polizei.
Mir fehlen die Aspekte, dass die Polizei in solchen Abkürzungen denkt (vgl. Kripo) und dass Twittern zu Abkürzungen zwingt. Ausführlicher hier:
http://www.better-media.de/bmwp/2017/01/was-ist-ein-nafri/
Pingback: Zuckersüß 231 | Zuckerbäckerei
Wie sieht’s eigentlich damit aus, dass für lange und zusammengesetzte Wörter oft Abkürzungen eingeführt werden, die der milieubedingten Sprachanwendung bzw fachspezifischen Erfordernissen, wie beispielsweise einfache Identifikation im Rahmen verlustreicher Funkübertragung genügen? Ist das nicht der viel wahrscheinlicher Grund?