Beim Anglizismus des Jahres geht es uns nicht um eine inhaltliche Charakterisierung des abgelaufenen Jahres, sondern darum, englisches Lehngut auszuzeichnen, das die deutsche Sprache und den deutschen Sprachgebrauch auf besonders interessante Weise ergänzt hat. Der diesjährige Sieger – von Jury und Publikum übereinstimmend gewählt – erfüllt aber beide Kriterien: Refugees Welcome. Besser als durch diesen Slogan ließe sich die Welle der Weltoffenheit, Hilfsbereitschaft und Gastfreundschaft gegenüber Flüchtlingen, die in der zweiten Jahreshälfte unvermittelt große Teile der Bevölkerung erfasste, nicht einfangen. Aber auch aus sprachwissenschaftlicher Perspektive hat Refugees Welcome viel zu bieten.
Dass Firmen sich und ihre Produkte auch dann gerne mit englischsprachigen Slogans bewerben, ist nicht weiter ungewöhnlich. Sie stellen sich auf diese Weise als Global Players und ihre Kunden als Mitglieder einer kosmopolitischen Gesellschaft dar – manchmal zu recht, manchmal nur aus einem mehr oder weniger durchschaubaren Wunschdenken. Sehr viel seltener, wenn überhaupt, passiert es, dass die Sprachgemeinschaft von sich aus einen solchen Slogan für sich entdeckt. Schon das macht Refugees Welcome zu etwas Besonderem.
Noch interessanter ist aber der Weg, den der Slogan dabei zurücklegte. Er begann – wie es bei Anglizismen häufig, aber nicht immer der Fall ist – in der englischsprachigen Welt. Immer wieder einmal findet er sich vereinzelt als Aufruf zu einem positiven Verhältnis gegenüber Flüchtlingen – der früheste Beleg, den ich finden konnte, ist der Titel eines Editorials der El Paso Times aus dem Januar 1914. Spätestens in den 1990er Jahren wird er dann zu einem politischen Slogan in flüchtlingsaktivistischen Kreisen in der englischsprachigen Welt und bald auch international.
Seine dokumentierte Geschichte im deutschen Sprachraum beginnt um die Jahrtausendwende, auch hier im Umfeld linker, antifaschistischer Aktivist/innen, die für eine Ausweitung des Asylrechts oder oft auch gleich für eine Abschaffung aller Grenzen kämpften. Die erste Erwähnung im Deutschen Referenzkorpus findet sich in einem Bericht über linke Aktionstage in Hamburg unter dem bezeichnenden Titel „Land in Sicht“. In der Beschreibung einer politischen Kunstaktion, bei der Flüchtlinge symbolisch als (nicht-verwertbare) Sklaven dargestellt wurden, heißt es dort:
Während[dessen] … fuhren im Hintergrund Schlauchboote und Kanus mit untermalenden Transparenten vorbei: „Mehr Schleuser”, forderten diese, und „Refugees welcome (Flüchtlinge willkommen)“ [taz, 19. August 2002, Link]
Auch die nächste dokumentierte Erwähnung findet sich in einem eindeutig linken Umfeld: In einem Plenarprotokoll des Thüringer Landtags vom 4. Mai 2006 [Link (PDF)] erwähnt eine Abgeordnete der damaligen „Linkspartei.PDS“, dass dieser Slogan auf ihrem T‑Shirt stehe. Für die folgenden Jahre enthält das Korpus verstreute Hinweise auf den Slogan auf Bannern und als Graffiti, auf Kleidungsstücken und Aufklebern und als Name von Flüchtlingsinititativen und ‑vereinen, immer im linken, antifaschistischen Umfeld; in einem Artikel der taz aus dem August 2012 wird er als antifaschistische „Szeneformel“ bezeichnet.
Von einer Ausbreitung in den allgemeinen Sprachgebrauch war Refugees Welcome zu diesem Zeitpunkt also noch weit entfernt. Ab 2013 steigen Erwähnungen des Slogans dann deutlich an, er taucht immer häufiger im Zusammenhang mit Demonstrationen gegen Rassismus und Flüchtlingsfeindlichkeit auf, bleibt allerdings nach wie vor mit der antifaschistischen Szene assoziiert. Noch im November 2013 erwähnt die taz den Slogan in einem Atemzug mit dem Antifa-Klassiker „Still not loving police“ („Wir lieben die Polizei trotzdem/immer noch nicht“) [Link].
Erst 2014 breitet sich der Slogan langsam in den Sprachgebrauch jenseits des antifaschistischen Umfelds aus und findet sich immer häufiger auch in Berichten über Demonstrationen anderer Akteure (Parteien, Gewerkschaften, Kirchen usw.) – er wird sozusagen zu einer zivilgesellschaftlichen Antwort auf das althergebrachte „Ausländer raus!“ der rechten Szene. Vor allem findet er sich erstmals auch in Zusammenhängen, in denen er nicht mehr (nur) als politische Aussage, sondern tatsächlich als Wilkommensgruß an die Flüchtlinge selbst verwendet wird , z.B. im Rahmen eines Nachbarschaftsfests speziell zur Begrüßung von Flüchtlingsfamilien in Düsseldorf.
Im vergangenen Jahr wandelt sich Refugees Welcome dann endgültig von einem politischen Kampfruf zu einem allgemeinen Ausdruck einer aufrichtig empfundenen aber weitgehend unpolitischen „Willkommenskultur“ – er findet sich jetzt regelmäßig nicht mehr nur auf Demo-Bannern, T‑Shirts und Aufklebern, sondern auf Begrüßungstransparenten an den Bahnhöfen, an denen nach Merkels unvermitteltem Aussetzen des Dublin-Abkommens Hunderte von Freiwilligen die Flüchtlinge in Empfang nehmen und versorgen. Auch die nicht unbedingt für ihre Willkommenskultur bekannte Bild-Zeitung trägt mit ihrer Aktion „Wir helfen – #refugeeswelcome“ zur Verbreitung des Slogans und seiner Entpolitisierung bei.
In seiner Funktion als Ausdruck aktiver Menschlichkeit und Gastfreundschaft wird der Slogan dann schnell zu einem sprachlichen Kristallisationspunkt für die konservative Kritik an der allgemeinen flüchtlingsfreundlichen Stimmung, was seiner Verbreitung im Sprachgebrauch weiter Vorschub leistet.
Nicht nur in weit rechts stehenden Medien und den schon lange von einer offen flüchtlingsfeindlichen Stimmung dominierten Kommentarbereichen großer Onlinemedien finden sich Tiraden gegen die Refugees-Welcome-Schreier und die „Refugees welcome“-trunkene Politik der Regierung Merkel. Auch im Feuilleton der bürgerlichen Presse werden die Akteur/innen der Willkommenskultur als verblendete Ideolog/innen und/oder Naivlinge dargestellt, die „dreimal gegen Moskau gebeugt „Refugees Welcome“ aufsag[en]“ (Rainer Meyer, FAZ.net) oder denen man warnend erklären muss, dass „[j]eder, der ‚Refugees welcome!‘ ruft“ wissen müsse, dass mit den Flüchtlingen auch der „Nahe und Mittlere Osten“ nach Deutschland komme (Henryk Broder, Welt.de).
Eine prägnante sprachliche Antwort auf den Slogan haben die rechten und bürgerlichen Kritiker/innen bisher nicht gefunden — „Refugees Not Welcome“ ist zu offen kleingeistig und zu wenig klangvoll. Und so steht der ehemals linke Kampfruf „Refugees Welcome“ nach wie vor relativ unangefochten als Zusammenfassung der deutschen Einstellung zu den Flüchtlingen – auch im Ausland, wo er zwar ebenfalls von Flüchtlings-initiativen verwendet wird, sich aber derzeit gehäuft in der Berichterstattung über die deutsche Flüchtlingspolitik findet.
Trotzdem gerät der Slogan langsam unter Druck. An der Idee der „Willkommenskultur“ wird inzwischen auch aus linken Kreisen Kritik geübt – da die eben noch offenen Grenzen sich langsam aber sicher wieder schließen und das Asylrecht während der euphorischen Welle der Hilfsbereitschaft nicht etwa gelockert, sondern zwei Mal verschärft wurde, rückt die politische Debatte um Asyl als Menschenrecht wieder in den Vordergrund, und der weitgehend entpolitisierte Slogan Refugees Welcome taugt hier nicht mehr unbedingt als Schlachtruf.
Als sprachliches Symbol für das Willkommenswunder vom Herbst und Winter 2015 wird der Slogan aber in die deutsche (Sprach-)Geschichte eingehen.
[Pressemeldung und Materialien auf anglizismusdesjahres.de]
Ich habe trotzdem die Analysen aller Vorschläge auf der Shortlist im Vorfeld/Laufe der Wahl vermisst.
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Es fehlt nur noch die Anmerkung, dass das Wort ‘Refugee’ schon eingedeutscht worden ist und häufig auf der ersten Silbe betont wird.