Laudatio für den Anglizismus des Jahres 2015: Refugees Welcome

Von Anatol Stefanowitsch

Beim Anglizis­mus des Jahres geht es uns nicht um eine inhaltliche Charak­ter­isierung des abge­laufe­nen Jahres, son­dern darum, englis­ches Lehngut auszuze­ich­nen, das die deutsche Sprache und den deutschen Sprachge­brauch auf beson­ders inter­es­sante Weise ergänzt hat. Der diesjährige Sieger – von Jury und Pub­likum übere­in­stim­mend gewählt – erfüllt aber bei­de Kri­te­rien: Refugees Wel­come. Bess­er als durch diesen Slo­gan ließe sich die Welle der Weltof­fen­heit, Hil­fs­bere­itschaft und Gast­fre­und­schaft gegenüber Flüchtlin­gen, die in der zweit­en Jahreshälfte unver­mit­telt große Teile der Bevölkerung erfasste, nicht ein­fan­gen. Aber auch aus sprach­wis­senschaftlich­er Per­spek­tive hat Refugees Wel­come viel zu bieten.

Dass Fir­men sich und ihre Pro­duk­te auch dann gerne mit englis­chsprachi­gen Slo­gans bewer­ben, ist nicht weit­er ungewöhn­lich. Sie stellen sich auf diese Weise als Glob­al Play­ers und ihre Kun­den als Mit­glieder ein­er kos­mopoli­tis­chen Gesellschaft dar – manch­mal zu recht, manch­mal nur aus einem mehr oder weniger durch­schaubaren Wun­schdenken. Sehr viel sel­tener, wenn über­haupt, passiert es, dass die Sprachge­mein­schaft von sich aus einen solchen Slo­gan für sich ent­deckt. Schon das macht Refugees Wel­come zu etwas Besonderem.

Antifa-Motiv „Refugees Welcome“ (Urheber: Kollektiv „Red Stuff“, Berlin Kreuzberg)

Antifa-Motiv „Refugees Wel­come“
(Urhe­ber: Kollek­tiv „Red Stuff“, Berlin)

Noch inter­es­san­ter ist aber der Weg, den der Slo­gan dabei zurück­legte. Er begann – wie es bei Anglizis­men häu­fig, aber nicht immer der Fall ist – in der englis­chsprachi­gen Welt. Immer wieder ein­mal find­et er sich vere­inzelt als Aufruf zu einem pos­i­tiv­en Ver­hält­nis gegenüber Flüchtlin­gen – der früh­este Beleg, den ich find­en kon­nte, ist der Titel eines Edi­to­ri­als der El Paso Times aus dem Jan­u­ar 1914. Spätestens in den 1990er Jahren wird er dann zu einem poli­tis­chen Slo­gan in flüchtlingsak­tivis­tis­chen Kreisen in der englis­chsprachi­gen Welt und bald auch international.

Seine doku­men­tierte Geschichte im deutschen Sprachraum begin­nt um die Jahrtausendwende, auch hier im Umfeld link­er, antifaschis­tis­ch­er Aktivist/innen, die für eine Ausweitung des Asyl­rechts oder oft auch gle­ich für eine Abschaf­fung aller Gren­zen kämpften. Die erste Erwäh­nung im Deutschen Ref­eren­zko­r­pus find­et sich in einem Bericht über linke Aktion­stage in Ham­burg unter dem beze­ich­nen­den Titel „Land in Sicht“. In der Beschrei­bung ein­er poli­tis­chen Kun­stak­tion, bei der Flüchtlinge sym­bol­isch als (nicht-ver­w­ert­bare) Sklaven dargestellt wur­den, heißt es dort:

Während[dessen] … fuhren im Hin­ter­grund Schlauch­boote und Kanus mit unter­mal­en­den Trans­par­enten vor­bei: „Mehr Schleuser”, forderten diese, und „Refugees wel­come (Flüchtlinge willkom­men)“ [taz, 19. August 2002, Link]

Banner an einem Haus in der Rosenthaler Straße, Berlin, 2010 (Ausschnitt) (© <a href="https://www.flickr.com/photos/pavdw/16044704584/">Paul VanDerWerf</a>, CC-BY-2.0)

Ban­ner an einem Haus in der Rosen­thaler Straße, Berlin, 2010 (Auss­chnitt)
Paul Van­Der­W­erf, CC-BY‑2.0)

Auch die näch­ste doku­men­tierte Erwäh­nung find­et sich in einem ein­deutig linken Umfeld: In einem Ple­narpro­tokoll des Thüringer Land­tags vom 4. Mai 2006 [Link (PDF)] erwäh­nt eine Abge­ord­nete der dama­li­gen „Linkspartei.PDS“, dass dieser Slo­gan auf ihrem T‑Shirt ste­he. Für die fol­gen­den Jahre enthält das Kor­pus ver­streute Hin­weise auf den Slo­gan auf Ban­nern und als Graf­fi­ti, auf Klei­dungsstück­en und Aufk­le­bern und als Name von Flüchtlingsini­ti­ta­tiv­en und ‑vere­inen, immer im linken, antifaschis­tis­chen Umfeld; in einem Artikel der taz aus dem August 2012 wird er als antifaschis­tis­che „Szene­formel“ bezeichnet.

Von ein­er Aus­bre­itung in den all­ge­meinen Sprachge­brauch war Refugees Wel­come zu diesem Zeit­punkt also noch weit ent­fer­nt. Ab 2013 steigen Erwäh­nun­gen des Slo­gans dann deut­lich an, er taucht immer häu­figer im Zusam­men­hang mit Demon­stra­tio­nen gegen Ras­sis­mus und Flüchtlings­feindlichkeit auf, bleibt allerd­ings nach wie vor mit der antifaschis­tis­chen Szene assozi­iert. Noch im Novem­ber 2013 erwäh­nt die taz den Slo­gan in einem Atemzug mit dem Antifa-Klas­sik­er „Still not lov­ing police“ („Wir lieben die Polizei trotzdem/immer noch nicht“) [Link].

Erst 2014 bre­it­et sich der Slo­gan langsam in den Sprachge­brauch jen­seits des antifaschis­tis­chen Umfelds aus und find­et sich immer häu­figer auch in Bericht­en über Demon­stra­tio­nen ander­er Akteure (Parteien, Gew­erkschaften, Kirchen usw.) – er wird sozusagen zu ein­er zivilge­sellschaftlichen Antwort auf das altherge­brachte „Aus­län­der raus!“ der recht­en Szene. Vor allem find­et er sich erst­mals auch in Zusam­men­hän­gen, in denen er nicht mehr (nur) als poli­tis­che Aus­sage, son­dern tat­säch­lich als Wilkom­mensgruß an die Flüchtlinge selb­st ver­wen­det wird , z.B. im Rah­men eines Nach­barschafts­fests speziell zur Begrüßung von Flüchtlings­fam­i­lien in Düsseldorf.

Kampagnenlogo „Wir helfen“ (Urheber: Bild/Springer)

Kam­pag­nen­l­o­go
„Wir helfen“
(© Bild/Springer)

Im ver­gan­genen Jahr wan­delt sich Refugees Wel­come dann endgültig von einem poli­tis­chen Kampfruf zu einem all­ge­meinen Aus­druck ein­er aufrichtig emp­fun­de­nen aber weit­ge­hend unpoli­tis­chen „Willkom­men­skul­tur“ – er find­et sich jet­zt regelmäßig nicht mehr nur auf Demo-Ban­nern, T‑Shirts und Aufk­le­bern, son­dern auf Begrüßungstrans­par­enten an den Bahn­höfen, an denen nach Merkels unver­mit­tel­tem Aus­set­zen des Dublin-Abkom­mens Hun­derte von Frei­willi­gen die Flüchtlinge in Emp­fang nehmen und ver­sor­gen. Auch die nicht unbe­d­ingt für ihre Willkom­men­skul­tur bekan­nte Bild-Zeitung trägt mit ihrer Aktion „Wir helfen – #refugeeswel­come“ zur Ver­bre­itung des Slo­gans und sein­er Ent­poli­tisierung bei.

In sein­er Funk­tion als Aus­druck aktiv­er Men­schlichkeit und Gast­fre­und­schaft wird der Slo­gan dann schnell zu einem sprach­lichen Kristalli­sa­tion­spunkt für die kon­ser­v­a­tive Kri­tik an der all­ge­meinen flüchtlings­fre­undlichen Stim­mung, was sein­er Ver­bre­itung im Sprachge­brauch weit­er Vorschub leistet.

Nicht nur in weit rechts ste­hen­den Medi­en und den schon lange von ein­er offen flüchtlings­feindlichen Stim­mung dominierten Kom­men­tar­bere­ichen großer Onlineme­di­en find­en sich Tiraden gegen die Refugees-Wel­come-Schreier und die „Refugees welcome“-trunkene Poli­tik der Regierung Merkel. Auch im Feuil­leton der bürg­er­lichen Presse wer­den die Akteur/innen der Willkom­men­skul­tur als verblendete Ideolog/innen und/oder Naivlinge dargestellt, die „dreimal gegen Moskau gebeugt „Refugees Wel­come“ aufsag[en]“ (Rain­er Mey­er, FAZ.net) oder denen man war­nend erk­lären muss, dass „[j]eder, der ‚Refugees wel­come!‘ ruft“ wis­sen müsse, dass mit den Flüchtlin­gen auch der „Nahe und Mit­tlere Osten“ nach Deutsch­land komme (Hen­ryk Broder, Welt.de).

Demo-Banner, Hamburg (2014) (© <a href="https://www.flickr.com/photos/kassettenkind/14392801977/">Kas3tte</a>, CC-BY-SA 2.0)

Demo-Ban­ner, Ham­burg (2014)
Kas3tte, CC-BY-SA 2.0)

Eine präg­nante sprach­liche Antwort auf den Slo­gan haben die recht­en und bürg­er­lichen Kritiker/innen bish­er nicht gefun­den — „Refugees Not Wel­come“ ist zu offen kleingeistig und zu wenig klangvoll. Und so ste­ht der ehe­mals linke Kampfruf „Refugees Wel­come“ nach wie vor rel­a­tiv unange­focht­en als Zusam­men­fas­sung der deutschen Ein­stel­lung zu den Flüchtlin­gen – auch im Aus­land, wo er zwar eben­falls von Flüchtlings-ini­tia­tiv­en ver­wen­det wird, sich aber derzeit gehäuft in der Berichter­stat­tung über die deutsche Flüchtlingspoli­tik findet.

Trotz­dem gerät der Slo­gan langsam unter Druck. An der Idee der „Willkom­men­skul­tur“ wird inzwis­chen auch aus linken Kreisen Kri­tik geübt – da die eben noch offe­nen Gren­zen sich langsam aber sich­er wieder schließen und das Asyl­recht während der eupho­rischen Welle der Hil­fs­bere­itschaft nicht etwa gelock­ert, son­dern zwei Mal ver­schärft wurde, rückt die poli­tis­che Debat­te um Asyl als Men­schen­recht wieder in den Vorder­grund, und der weit­ge­hend ent­poli­tisierte Slo­gan Refugees Wel­come taugt hier nicht mehr unbe­d­ingt als Schlachtruf.

Als sprach­lich­es Sym­bol für das Willkom­menswun­der vom Herb­st und Win­ter 2015 wird der Slo­gan aber in die deutsche (Sprach-)Geschichte eingehen.

[Pressemel­dung und Mate­ri­alien auf anglizismusdesjahres.de]

3 Gedanken zu „Laudatio für den Anglizismus des Jahres 2015: Refugees Welcome

  1. Pingback: Woanders – Die vierundzwanzigste Sonderausgabe Flucht und Fremdenfeindlichkeit | Herzdamengeschichten

  2. Jake Walsh

    Es fehlt nur noch die Anmerkung, dass das Wort ‘Refugee’ schon eingedeutscht wor­den ist und häu­fig auf der ersten Silbe betont wird.

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