Ein Kampf der Kulturen tobt in unserem Land. Nicht so sehr zwischen Christen und Muslimen oder Abend- und Morgenland, sondern vielmehr unter Politiker/innen, die sich darin überschlagen, ständig neue Komposita mit dem Zweitglied -kultur zu erfinden und in Pokémon-Manier gegeneinander in den Kampf zu schicken.
Angefangen hat der Kulturkampf ganz unauffällig und noch wenig kämpferisch: Seit mindestens zehn Jahren fordern Politik und Wirtschaft eine Willkommenskultur gegenüber Migrant/innen – angefeuert weniger von Freundlichkeit als von Fachkräftemangel. In diesem Zusammenhang wird das Wort auch von deutschen Behörden wie dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, und – bezeichnenderweise – dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie verwendet. In jüngerer Zeit hat sich die Willkommenskultur dann im Rahmen ansteigender Flüchtlingszahlen zu einem schlagwortartigen Gegenentwurf zur bis dahin vorherrschenden, nennen wir sie mal bürgerlichen Besorgnis- und Kritikkultur entwickelt.
Dabei bekommt man fast den Eindruck, einziger Inhalt der Willkommenskultur sollte eigentlich das Nichtanzünden von Flüchtlingsheimen sein. Denn als die Bevölkerung begann, die geforderte Kulturworthülse mit Leben zu füllen und die Flüchtlinge an Bahnhöfen und vor den Gebäuden überforderter Behörden wortwörtlich Willkommen zu heißen, war es auch wieder nicht recht. Schnell musste ein Gegenentwurf zum Gegenentwurf her: die Verabschiedungskultur. Die Ehre für diese Orwellsche Wortschöpfung geht an den Vorsitzenden der schleswig-holsteinischen CDU, Ingbert Liebing, der – nomen est eben nicht immer omen – die Abschiebung von Flüchtlingen im Fernsehen zeigen wollte, damit ja niemand auf die Idee kommen sollte, die Bilder müde lächelder Flüchtlinge und freundlich applaudierender Einheimischer hätten tatsächlich etwas mit deutscher Kultur zu tun.
Das war natürlich selbst den etwas hilflos auf ihre kurzfristig ausnahmsweise mal konstruktiv freidrehende Kanzlerin starrenden Unionsparteien eine Nummer zu ehrlich, und so erfand Bundesinnenminister De Maizière schnell einen alternativen Gegenentwurf zur Willkommenskultur: Die Ankommenskultur. Diese Kultur wird nun nicht mehr von den Einheimischen gefordert, sondern, wie es sich aus Sicht eines Nationalstaats aus dem 19. Jahrhundert gehört, von den Herkommenden. Hakt man genauer nach, scheint die Ankommenskultur darin zu bestehen, klaglos den Anweisungen überforderter deutscher Behörden zu folgen, sich an Gesetze zu halten, die einem niemand erklärt hat, und auf unmenschliche Wohnsituationen mit durchgängig gesittetem Stillsitzen zu reagieren, statt mit punktuell von frustrierten Schlägereien unterbrochenem gesittetem Stillsitzen.
Mit anderen Worten: die Ankommenskultur besteht aus genau denselben Werten, die die Unionsparteien auch bei ihrer alteingesessenen Bevölkerung gerne sehen – es ist eigentlich die lang etablierte Untertanenkultur, also quasi die deutsche Daseinskultur an sich.
Danke für diesen Beitrag. Die Wortwahl mancher bürgerlicher Politiker entlarvt letztlich sich selbst: man würde gern die Zäune und Mauern haben, aber sie zu errichten sieht irgendwie nicht gut aus. Also vernünftelt man herum und schafft Wortungetüme…
“Diese Kultur wird nun nicht mehr von den Einheimischen gefordert, sondern, wie es sich aus Sicht eines Nationalstaats aus dem 19. Jahrhundert gehört, von den Herkommenden.”
Was soll das denn eigentlich bedeuten? Welcher Nationalstaat des 19. Jh. kann damit gemeint sein und auf welche konkrete historische Situation spielt das an — mir ist kein entsprechender Diskurs bekannt, zumindest kein für das 19. Jh. typischer.
Ist es nicht vielmehr wieder einmal der Versuch die Unterscheidung in einen guten und einen bösen Nationalstaat zu konstruieren (siehe z.B. auch Partypatriotismus), anstatt das Problem im Konzept Nation bzw. Nationalismus an sich erkennen zu wollen.
Man könnte in diesem Zusammenhang noch die Selbstoptimierungskultur nennen, die zusammen mit der (Selbst-)Kontrollkultur die früher maßgebliche Verbotskultur zumindestens teilweise überflüssig macht und ersetzt. Die Flüchtlinge haben sich deren Techniken natürlich im Rahmen der sicher demnächst eingerichteten Integrationskultur baldmöglichst anzueignen auf dass die Leitkultur keinen Schaden nehme.
Eine Kultur reicht natürlich nicht, man braucht als “Kulturnation” mindestens ein halbes Dutzend.*g
Wobei der Originalkulturkampf natürlich der Kampf zwischen Thron und Altar ist.
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Eckhard Henscheid hat sich 2001 der Mühe unterzogen, alle Begriffe zu sammeln, die ihm unterkommen und “-kultur” enthalten. Er ist auf 756 gekommen, die auch in Buchform veröffentlicht wurden.
Tja, der Begriff “Kultur” ist hierzulande erstaunlicherweise immer noch so positiv besetzt, dass man gut daran tut, ihn möglichst oft zu verwenden. Nur wenn Kultur (in welcher Form auch immer) Geld kostet, wird es schwierig. Dann bedienen wir eben mal schnell die “Sparkultur”, sprechen aber nicht so offen drüber…
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