Die Debatte in dieser Woche war von Sprache & Migration bestimmt. Wir liefern hier noch ein paar sinnvolle Links aus dem Dickicht von Häme, Spott, Zustimmung und „aber trotzdem“. Wir erweitern die Liste gerne, weil wir möglicherweise etwas den Überblick verloren haben:
- Die Sprachwissenschaft hat sich über die Woche in ungewöhnlich geschlossener und zahlreicher Weise zu Wort gemeldet. Damit dürfte klar illustriert sein, dass wir den Vorstoß der CSU nicht nur wegen seiner Absurdität verulken können, sondern wegen seiner perfiden Gefährlichkeit entschieden zurückweisen und sachlich dekonstruieren müssen:
- Juliana Goschler (Universität Oldenburg) stellt bei DR. MUTTI fest, dass bei der CSU niemand bei Expert/innen nachgefragt hat und liefert eine Übersicht, wo sie anfangen könnte.
- Christoph Schröder, Heike Wiese und Philip Braker (Universität Potsdam) beim Mediendienst Integration.
- Rosemarie Tracy (Universität Mannheim): „Mehrsprachigkeit ist ein Glücksfall, kein Störfall“. Sie ist hier auch vom DEUTSCHLANDFUNK zum Thema befragt worden.
- Stellungnahmen der Internationalen Forschungsstelle für Deutsch als Fremdsprache an der LMU München und des Zentrums für allgemeine Sprachwissenschaft (ZAS) in Berlin.
- Sowie eine Stellungnahme, unterzeichnet von 50 national und international tätigen Sprachwissenschaftler/innen, Sprachpsycholog/innen und Entwicklungspsycholog/innen.
- Andrian Kreye, SÜDDEUTSCHE ZEITUNG, zitieren wir am besten direkt aus dem Teaser: „Neben Herkunft, Glauben und Sexualität ist die Sprache der wichtigste Teil der menschlichen Identität. Wer dies in Frage stellt, wie es die CSU gerade macht, der zündelt. Das sollten gerade die Bayern wissen.“
- Von der anderen, allgemeinen Seite nähert sich Sebastian Gierke, ebenfalls SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG, und schreibt zum Begriff „Asylant“ und anderen sprachlichen Mitteln der Ausgrenzung.
- Und Richard Wolf (Universität Würzburg) schreibt in der MAIN POST einen Gastkommentar „Bayerische Politik und die Sprache“.
- In other news: John McWorther in THE NEW YORK TIMES zu „Warum wir Sprachen retten müssen“.
- Matthias Heine schreibt in DIE WELT was nettes über „Lichtgrenze“.
Was haltet ihr in diesem Zusammenhang, davon, dass deutschsprachige Eltern mit ihren Kindern Englisch sprechen .. dem begegne ich in letzter Zeit des öfteren ?
Gute Frage, das hab ich mich nämlich auch schon öfters gefragt, in welchem Ausmaß das sinnvoll oder kontraproduktiv ist.
@flux: Schwieriges Thema, ich nehme an, es hängt ganz wesentlich vom Englischniveau der Eltern ab. Schlimmstenfalls lernt das Kind schlechtes Englisch mit deutschem Akzent. Man kann nur hoffen, dass die Eltern diese Entscheidung mit Bedacht treffen und ihre eigenen Fähigkeiten nicht überschätzen und wenn sie es schon tun, sollten sie konsequent dabei bleiben. Das ist nicht einfach.
Nebenbei: Das, was Goethe Lichtgrenze nannte (siehe Beitrag im letzten Link) nennen Astronomen Terminator oder Separator. Da empfinde ich die Konnotationen ganz anders als bei der Lichtgrenze.
Ab wann jemand als ausreichend bilingual gilt, um über die dafür nötigen Sprachkompetenzen zu sprechen, ist schwer quantifizierbar.
Ich hätte aber mal eine andere Frage zum Thema CSU und Deutschsprech-Motivierung. Die Reaktionen auch außerhalb der Sprachwissenschaft hätten eindeutiger kaum ausfallen können. So ziemlich jeder Netzzwischenton dazu war negativ und darauf beschränkt, das ganze als großen Schmarrn zu entlarven. Das ist auch in Ordnung. Nur fiel mir wiederholt auf, wie häufig in diesem Zusammenhang die Dialektkeule geschwungen wurde (“Fangt doch erstmal selbst an, HOCHdeutsch zu sprechen”, blablabla).
Dabei liegt meines Erachtens hier dasselbe Missverständnis über Mehrsprachigkeit vor, wie bei Immigranten. Statt Pseudohierarchien zwischen Ausangs- und Zielsprache geht es nun um die Verortung von Varietäten zum Standard innerhalb des Diasystems. Das hat am Ende der Diskussionen fast mehr genervt, denn der depperte CSU-Vorschlag. Danach kann man zumindest die Uhr stellen.
@ deissler: Absolut richtig. So, wie Mehrsprachigkeitsbashing die letzte Bastion der heimlichen Xenophoben ist, ist Dialektbashing der letzte Ort, an dem vermeintlich aufgeklärte und progressive Menschen ohne Schuldgefühle ihren Klassismus ausleben können.
Kontraproduktiv wird es wahrscheinlich nicht sein. Die Frage ist, was die Eltern erreichen wollen. Als unterstützende Maßnahme kann es nicht schaden, genauso wie Mathe o.ä. nebenher zu üben. Aber die Eltern müssen natürlich selber ausreichende Kompetenz besitzen.
Die Situation ist da halt normalerweise die, dass die Eltern nonnative-Kompetenz haben – was ich mich da z. B. frage, ist, ob und inwiefern es störend sein kann, wenn der erste Hauptinput eben mit nonnative-Aussprache (setzen wir ausreichend korrekte Grammatik und Idiomatik mal voraus) daherkommt.
Englisch mit Eltern betreffend: Vor einiger Zeit machte der Wahn die Runde, dass es vorteilhafter wäre, Kinder würden “Chinesisch” (Mandarin vermute ich?) anstelle von Englisch lernen, da die Weltwirtschaft von China gelenkt werden würde, und Englisch würde daher an Bedeutung verlieren.
Ich finde es grundsätzlich eine Zumutung, von Eltern und ErzieherInnen zu erwarten, so viel wie möglich an am wirtschaftlichen Erfolg ausgerichteten Wissen in Kinder im Vorschulalter reinzustopfen.
Kinder unter sechs, sieben Jahren sollten spielen, spielen, spielen dürfen, unter Kindern, so lernen sie untereinander sehr viel, jedes in seinem und ihren individuellen Tempo und Intensität, ohne dem Druck in Hinblick auf eine 15, 20 Jahre später gefälligst steil zu steigen habende Karriere, weil die Eltern sich ein “durchschnittliches” oder gar “unterdurchschnittliches” Kind nicht gefallen lassen wollen.
Es ist zudem eine Schande, dass sich bei solchen Debatten alles um “unsere” Kinder dreht, während der Großteil der Kinder auf Terra von klein auf schwer arbeiten müssen und vom Spielen und späterer Karriere nicht mal träumen können.
Ich wünsche mir einen “Tag der schweigenden PolitikerInnen”, einen Tag im Jahr also, an dem keiner und keine irgendetwas fordern dürfte, nichts gut Gemeintes und nichts Bösartiges sowieso. Das könnte später mal auf eine Woche des Schweigens ausgeweitet werden, bis allen irgendwann klar wird, dass PolitikerInnen eigentlich völlig überflüssig sind.