Die Moschee des Kolumbus

Von Anatol Stefanowitsch

Haben mus­lim­is­che Seefahrer Ameri­ka ent­deckt, wie es der türkische Min­is­ter­präsi­dent Erdoğan behauptet? Nein, natür­lich nicht. Die Ure­in­wohn­er Amerikas haben Ameri­ka ent­deckt, und zwar vor über fün­fzehn­tausend Jahren, als es noch keine Mus­lime gab. Aber, und das meint Erdoğan ja, haben mus­lim­is­che Seefahrer Ameri­ka vor Christoph Kolum­bus besucht? Erdoğans Beleg für seine Behaup­tung ist eine Moschee, die Kolum­bus ange­blich auf einem Hügel an der kuban­is­chen Küste gese­hen habe und die er in seinem Schiff­stage­buch erwähnt.

Die AFP-Pressemel­dung, die bish­er alle deutschen Medi­en ein­hel­lig über­nom­men haben (z.B. ntv), führt diese Behaup­tung auf einen „umstrit­te­nen Artikel“ des His­torik­ers Youssef Mroueh von 1996 zurück und berichtet, dass der mit sein­er Inter­pre­ta­tion von Kolum­bus’ Tage­buchein­trag nicht auf bre­ite Zus­tim­mung stößt:

Seine Kol­le­gen weltweit inter­pretieren diesen [Ein­trag] jedoch anders — nach ihrer Auf­fas­sung nutzte Kolum­bus die Moschee nur als bild­haften Ver­gle­ich zur Beschrei­bung ein­er Hügelkette auf Kuba.

Liegt hier also ein wis­senschaftlich­er Stre­it über einen schwierig zu inter­pretieren­den Tage­buchein­trag vor? Eine vieldeutige Pas­sage, die die einen so, die anderen eben so deuten?

Wir erfahren es nicht, denn die Pressemel­dung zitiert die betr­e­f­fende Stelle nicht und kein Medi­um ver­linkt auf das Tage­buch, obwohl es bei Wik­isource im Voll­text vor­liegt.

Sehen wir also selb­st nach. Die strit­tige Stelle ist schnell gefun­den (der entschei­dende Satz ist hier durch Fettdruck hervorgehoben):

Señala la dis­posi­ción del río y del puer­to que arri­ba dijo y nom­bró San Sal­vador, que tiene sus mon­tañas her­mosas y altas como la Peña de los Enam­ora­dos, y una de ellas tiene enci­ma otro mon­te­cil­lo a man­era de una her­mosa mezqui­ta. Este otro río y puer­to en que aho­ra esta­ba tiene de la parte del Sud­este dos mon­tañas así redondas y de la parte del Oes­noroeste un her­moso cabo llano que sale fuera.

Kolum­bus beschriebt hier einige „schöne und hohe Berge“ (mon­tañas her­mosas y altas) und sagt dann: „und ein­er von ihnen hat oben einen anderen Hügel in Art ein­er schö­nen Moschee“.

Das ist nicht beson­ders schw­er zu inter­pretieren – mon­te­cil­lo bedeutet so etwas wie „Hügel“ oder „Erhe­bung“ (manch­mal auch „Haufen“), wom­it schon ein­mal klar ist, dass Kolum­bus eben über einen Hügel spricht, und nicht über ein Gebäude. Und a man­era de heißt eben „in Art von“ – deutsche Wörter­büch­er über­set­zen es oft auch schlicht mit „wie“.

Kolum­bus spricht hier also nicht von ein­er Moschee auf einem Berg, son­dern von einem „Hügel in Art ein­er Moschee“.

Es bleibt also bei der bekan­nten Endteck­ungsrei­hen­folge Amerikas. Erst kamen drei Wellen von Ure­in­wohn­ern, dann kamen die Wikinger, dann Kolum­bus und dann der ganze Rest.

15 Gedanken zu „Die Moschee des Kolumbus

  1. Pingback: Verrückte an der Macht – es werden immer mehr! | Mein giftgrünes Tagebuch

  2. Mycroft

    Mal eine Frage, da das öfter vorkommt, bedeutet “Ent­deck­en” tat­säch­lich “etwas find­en, wovon zuvor _niemand sonst_ wusste”? Weil es der Ver­wen­dung nach, die mir geläu­figer ist, mehr “etwas find­en, wovon _man selbst_ nicht zuvor wusste” zu bedeuten scheint. Ich meine, wenn jemand erzählt: “Ich habe da eine tolle Kneipe ent­deckt!”, wäre das ja auch Quatsch, weil selb­st, wenn man der erste Gast über­haupt wäre, zumin­d­est ihre Betreiber von ihrer Exis­tenz wis­sen. Und ihre Ver­mi­eter. Und die Gewer­beauf­sicht. Hoffe ich mal.
    Oder dann kann auch nie­mand einen Schatz oder ein Ver­brechen “ent­deck­en”, weil zumin­d­est der/die Verbrecher/in/nen bzw. die Person(en), die den Schatz versteckte(n), davon wusste(n). Effek­tiv wäre die Ver­wen­dung des Wortes “ent­deck­en” sehr eingeschränkt, wenn dazu erforder­lich ist, dass nie­mand son­st von der Ent­deck­ung zuvor weiß. Wer hat den Sauer­stoff “ent­deckt”? Scheele, Priest­ley oder vllt. ein Alien in der Androm­e­da­galax­is vor 1 Mrd. Jahren?

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  3. dc

    Vie­len Dank für die Recherche, endlich mal ein­er, der in der Orig­i­nalquelle nach­schaut und seinen Text somit vernün­ftig belegt. Jet­zt muss das nur noch ein­er an Hr. Erdo­gan mailen.

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  4. Peter Müller

    Super! Vie­len Dank, da haben die anderen Medi­en wirk­lich nir­gendswo einen Link zu der Pas­sage oder eine nähere Erk­lärung ob da wirk­lich eine Moschee war. Schnell kopiert ohne zu recher­chieren, so ken­nt man das ja inzwis­chen leider.

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  5. KrankyKat

    Danke für den Artikel, vor allem, weil er den unkri­tis­chen Gebrauch des Verbes “ent­deck­en” prob­lema­tisiert, was in anderen Zusam­men­hän­gen oft unterbleibt.
    Zu Sul­tan Erdo­gan: Es wäre schön, wenn man ihn ein­fach nicht ern­st­nehmen müsste, weil die Strate­gie, sich wichtig zu machen ja so offen­sichtlich ist. Lei­der hat er aber so viel Macht und verän­dert die türkische Gesellschaft nachhaltig.

    An Mycroft: Es han­delt sich eben nicht um Objek­te deren Ent­deck­ung unab­hängig von Geschichte stat­tfind­et, son­dern um den Beginn eines Völk­er­mordes, Koloni­sa­tion und ein­er schon seit über 500 Jahren andauern­den Aus­beu­tung. All dies veschleiert das Verb “ent­deck­en” mit sein­er eher pos­i­tiv­en Konnotation.
    Es geht also nicht um eine reine, alltägliche Wortbe­deu­tung, son­dern vielmehr um den ide­ol­o­gis­chen und geschicht­sklit­tern­den Gebrauch, der von amerikanis­chen Ureinwohner_innen immer wieder kri­tisiert wird.

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  6. Detlef Guertler

    Na ja, es ist natür­lich NICHT die Orig­i­nalquelle, son­dern die Voll­textver­sion der spanis­chen Aus­gabe von 1892. Das Orig­i­nal des Kolum­bus-Tage­buchs ist mW nicht erhalten.
    (Wobei ich nicht davon aus­ge­he, dass im Orig­i­nal von ein­er echt­en Moschee die Schreibe ist…)

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  7. Klaas

    Ich finde, Mycroft hat da einen inter­es­san­ten Punkt ange­sprochen. “Ent­deck­en” heißt sicher­lich nicht, dass man der erste Men­sch über­haupt ist, der von der Exis­tenz ein­er Sache erfährt. Mein­er Intu­ition nach reicht es aus, die erste Per­son inner­halb ein­er Gruppe zu sein, auf welche sich dann (impliz­it) bezo­gen wird. Wenn also von der “Ent­deck­ung” Amerikas durch Kolum­bus die Rede ist, wer­den die amerikanis­chen Ure­in­wohn­er nicht als Teil dieser Gruppe betra­chtet. Man kön­nte diese Aus­sage auch so para­phrasieren, dass Kolum­bus Ameri­ka für die Gruppe der Europäer ent­deckt hat.

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  8. Norbert Fiks

    Ich darf aus meinem Blo­gein­trag — http://wp.me/s5285B-erdogan — zum The­ma zitierten:
    »Nehmen wir an, Colum­bus hätte tat­säch­lich eine Moschee gesichtet. Dann wäre er schnurstracks dor­thin aufge­brochen, denn sein Ziel war es ja, den Herrsch­er von Chi­na, den Großen Khan, zu find­en. Er hat­te sog­ar einen Ara­bisch-Dol­metsch­er dabei, weil er davon aus­ging, dass dies am ehesten die Sprache sein würde, die die Men­schen im fer­nen Osten ver­ste­hen. Aber Colum­bus fuhr ein­fach weit­er und ist auch nie wieder zur Bahia de Bariay zurück­gekehrt.« Die Bahia de Bariay ist die Bucht, von der aus man den besagten Berg sehen kann.

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  9. rolf

    Die Frage, was mit “ent­deck­en” eigentlich gemeint ist, ist tat­säch­lich die entschei­dende beim Stre­it um die Ent­deck­ung Amerikas.

    Wir (naja, viele von uns) feiern oder ehren heute Kolum­bus, weil der einen Kon­ti­nent gefun­den hat, von dem außer­halb sein­er Gren­zen wahrschein­lich nie­mand etwas wusste; und weil die Welt durch ihn davon Ken­nt­nis erlangt hat; und weil diese Ken­nt­nis nicht wieder vergessen wurde.

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  10. Erster

    Der Amerikan­er, der den Kolum­bus zuerst ent­deck­te, machte eine böse Entdeckung.“

    Georg Christoph Licht­en­berg (Sudel­büch­er)

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  11. Mycroft

    @Rolf: Kolum­bus hat Ameri­ka zwar gefun­den, aber nicht _gesucht_. Kön­nte “ent­deck­en” im Unter­schied zum all­ge­meineren “find­en” nicht ein­fach bedeuten, “etwas, von dessen Exis­tenz man selb­st nicht wusste” find­en, im Unter­schied zu “etwas, von dessen Exis­tenz man wusste” finden?
    Mag­el­lan “ent­deck­te” die Mag­el­lanstraße. Er hat zwar nach ein­er (por­tugiesen­freien) Schiff­fahrt­sroute nach Asien gesucht, aber kon­nte nicht wis­sen, dass es sie tat­säch­lich gab.
    Amund­sen “ent­deck­te” den Süd­pol _nicht_, son­dern hat ihn _erreicht_, da er vorher genau wusste, dass es ihn gibt, und wo er liegt.
    Zoll “ent­deckt” Heroinversteck.
    Pro­duzent “ent­deckt” Showtalent.
    Kinder “ent­deck­en” die Welt.

    Mir fällt ger­ade kein Gegen­beispiel ein.

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  12. Pingback: Umleitung: Heute von Südafrikas kulturellem Erbe über die Moschee des Kolumbus zu den Medien Apps bis zum “Hirn-Angiom”. | zoom

  13. kamy

    Ich denke, dass man “ent­deck­en” mit einem Bezug auf jeman­den oder einen Kul­turkreis ver­ste­hen kann:

    Man “ent­deckt” eine Kneipe — für sich.
    Man “ent­deckt” einen neues Gebi­et — für den europäis­chen Kul­turkreis als wichtige geschichtliche Zäsur im Zeital­ter der “Ent­deck­er”.

    Ent­deck­en” ist also immer sub­jek­tiv, und damit abhängig von der Perspektive. 

    nur für die Türken hat Ameri­ka noch kein Türke wirk­lich entdeckt. 😉

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  14. Mycroft

    Nach “etwas” darüber Nach­denken — hat “ent­deck­en” wirk­lich eine pos­i­tive Kon­no­ta­tion? Für mich nicht, ich denke dabei neben pos­i­tiv­en Din­gen (wie Peni­cillin) auch an neg­a­tive (wie Kernkraft). Und wenn jemand dabei nur pos­i­tive Kon­no­ta­tio­nen hat (und schlechte his­torische Ken­nt­nisse) — war die “Ent­deck­ung” des Seeweges nach Indi­en durch da Gama dann etwas gutes? Es war defin­i­tiv nicht das erste Mal, dass jemand Afri­ka umrun­det hatte.
    Oder die Ent­deck­ung der Antark­tis? Und Kriege, Sklaverei und Völk­er­mord gab es schon vor Kolum­bus auf dem nach dem Banki­er benan­nten Dop­pelkon­ti­nent wie ander­swo auch; dass ist natür­lich keine Recht­fer­ti­gung für noch mehr davon, aber es ist auch nicht so, dass Kolum­bus qua­si im Allein­gang an allem Übel schuld ist.

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