Sprache verändert sich nicht von alleine, sondern sie wird von den Mitgliedern der Sprachgemeinschaft verändert. In jedem Gespräch kann es passieren, dass die vorhandenen Ressourcen der Sprache nicht ausreichen, um unsere Gedanken wiederzugeben. Oder, dass uns die vorhandenen Ressourcen nicht gefallen, z.B. weil wir Sprachnörgler sind und keine englischen Lehnwörter mögen, oder weil wir anständige Menschen sind und diskriminierende Sprache vermeiden wollen. In solchen Fällen können wir alle kreativ werden und dem Wortschatz eigene Erfindungen hinzufügen oder eine grammatische Regel ein kleines bisschen erweitern. Und es kann immer passieren, dass solche Neuerungen sich ausbreiten und Teil des allgemeinen Sprachgebrauchs werden.
Das ist natürlich vor allem dann der Fall, wenn wir mit einer einzigen Sprechhandlung möglichst viele Menschen erreichen: Einer der Helden der deutschen Sprachnörglergemeinde ist der Sprachpurist Philipp von Zesen (1619–1689), der für eine große Zahl erfolgreicher Eindeutschungen von (meist französischen, griechischen und lateinischen) Lehnwörtern verantwortlich ist – ihm zugeschrieben werden zum Beispiel die Wörter Abstand (statt Distanz), Bücherei (statt Bibliothek), Mundart (statt Dialekt) und Weltall (statt Universum). Dass er bei der Verbreitung dieser Wörter – anders als die heutigen Sprachpuristen vom Verein Deutsche Sprache – so erfolgreich war, lag daran, dass er wenig Zeit damit verbrachte, diese Eindeutschungen in Form eines Fremdwörterindex oder einer Sprachpanscher-des-Jahres-Wahl zu propagieren, und relativ viel Zeit damit, sie einfach zu verwenden – und da er ein sehr produktiver Schriftsteller und Übersetzer war, erreichte er mit jeder Verwendung ein großes Publikum.
Heute sind mit den Massenmedien Player an der Sprachentwicklung beteiligt, gegen die Philip von Zesen wie ein Amateur wirkt. Eine große Presseagentur oder ein großer Verlag, wie, sagen wir mal, der Axel-Springer-Verlag, können Wörter erfinden und innerhalb weniger Tage für eine Verbreitung sorgen, die eine Übernahme in den allgemeinen Sprachgebrauch sehr viel wahrscheinlicher macht als alles, was wir Kleinkommunizierenden tun könnten um die Sprache mitzuentwickeln.
Was würde es für Möglichkeiten eröffnen, wenn große Medienunternehmen diese Macht für das Gute einsetzen würden! Wie schnell könnte z.B. die Diskussion um bestimmte diskriminierende Wörter beendet sein, wenn große Medienunternehmen sie konsequent meiden und durch neutralere, differenzierendere, zeitgemäßere Alternativen ersetzen würden!
Leider tun sie oft das genaue Gegenteil. Die Döner-Morde sind nur ein extremes Beispiel für ein erniedrigendes und diskriminierendes Wort, das es nie hätte geben müssen und das es ohne die Medien auch nie gegeben hätte. Ein anderes, weniger extremes aber ebenfalls diskriminierendes Beispiel konnte man in seiner Erfindung und Verbreitung über die letzten Tage beobachten: das Wort Quassel-Imam.
Geschaffen hat es die BILD-Zeitung als Bezeichnung für den redefreudigen Imam Abdul Adhim, der am 28. September 2014 in Günter Jauchs Talkrunde „Günter Jauch“ zu Gast war. Am Tag nach der Sendung erschien dort eine TV-Kritik, die den folgenden Satz enthielt:
Der ebenso obskure wie redegewandte 37-Jährige Quassel-Imam redete ohne Punkt und Komma, fiel anderen ins Wort, gestikulierte wild, ließ sich auch von Jauch nicht stoppen. [Bild.de]
Die Hamburger Morgenpost und ihr Partnerblatt der Berliner Kurier versuchten sich interessanterweise an einer ähnlichen Wortschöpfung, dem Laber-Imam:
Man muss Abdul Adhims Ansichten nicht teilen und ihn nicht für einen sympathischen Menschen halten, um zu erkennen, dass Wörter wie Quassel- oder Laber-Imam problematisch sind. Man muss nur überlegen, ob irgendeine deutsche Zeitung auch über Laber-Pfarrer, Laber-Priester oder Laber-Rabbis schreiben würde. Das würde natürlich keine deutsche Zeitung tun, obwohl sich vermutlich unter den Geistlichen jeder beliebigen Religion problemlos welche mit einem Hang zum Quasseln oder Labern finden ließen.
Aber während Hamburger Morgenpost und Berliner Kurier es bei dieser einmaligen Schlagzeile bewenden ließen, schob die Bild am selben Tag noch drei weitere Artikel nach, in denen das Wort vorkam: Abends erschien ein Editorial unter dem Titel Gegen den Quassel-Imam war kein Kraut gewachsen (das gerade erst erfundene Wort war hier schon in die Schlagzeile selbst befördert worden), und nachts erschienen zwei weitere Beiträge, bei denen das Wort bereits als Kategorie über der eigentlichen Schlagzeile stand – QUASSEL-IMAM: Jauch-Prediger flog bei der Bahn raus und QUASSEL-IMAM ABDUL ADHIM GESTERN ABEND AUF FACEBOOK: Frau muss Mann nicht bei jeder Kleinigkeit fragen.
Am nächsten Tag (dem 30.9.) versuchte die B.Z., mit Quassel-Prediger eine eigene Variante des Wortes zu prägen, es blieb aber, wie beim Laber-Imam, bei einer einmaligen Verwendung.
Die BILD war nicht faul und schob, trotz relativ dünnen Nachrichtenwerts, gleich zwei Artikel hinterher, die den Quassel-Imam in der Schlagzeile hatten – ISLAMPREDIGER AUS DER JAUCH-SHOW Wovon lebt der Quassel-Imam? und BILD-ZWISCHENRUF Nicht der Quassel-Imam macht uns Angst….
Zu diesem Zeitpunkt hatte die BILD das Wort dann auch häufig genug verwendet, um endlich Nachahmer außerhalb des Springer-Verlags zu finden. Meedia titelte Der “Quassel-Imam” bei Jauch: die verpasste Chance, und die Huffington Post versuchte in einer Überschrift zwar, mit Krawall-Imam eine eigene Bezeichnung zu prägen, verwendete im Text dann aber gleich zweimal das Wort Quassel-Imam (einmal als BILD-Zitat, einmal direkt).
Auch am nächsten Tag (1.10.) arbeitete die BILD weiter an der Etablierung ihres Wortes. Imam entschuldigt sich für Quassel-Auftritt bei Jauch, titelte man, und im Text hieß es „Einem Autoren des Berliner „Tagesspiegels“ erklärt der Quassel-Imam jetzt, wie er selbst zu dem umstrittenen Auftritt steht…“.
Der Tagesspiegel hatte im enstsprechenden Artikel noch auf die Wortschöpfung aus dem Hause Springer verzichtet, aber am nächsten Tag (dem 2.1o.) tat ZEIT ONLINE der BILD den Gefallen, und holte das Wort aus der Boulevard-Schmuddel-Ecke heraus. In einem (absurden, aber das ist ein anderes Thema) Beitrag mit dem tiefsinnigen Titel Wo bleibt ein Imam der 95 Thesen? schrieb sie
Heinz Buschkowsky tastete sich an die richtige Formulierung heran, neulich im Streit mit dem als “Quassel-Imam” bezeichneten Abdul Adhim Kamouss bei Günter Jauch.
Anführungszeichen und die Formulierung dem als … bezeichneten dienen hier dazu, das Wort zu verwenden, ohne wirklich die Verantwortung dafür zu übernehmen. Die Formulierung schafft aber auch Tatsachen: Nicht die BILD bezeichnet den Mann so, nein, er wird ganz allgemein so bezeichnet.
Für den 3. Oktober habe ich keine Verwendung des Wortes gefunden – vielleicht wollte man sich im Freudentaumel der Einheit auf das Gequassel der Feiertagsredner/innen konzentrieren, oder man hat zwischen all den Geschichten über Trabis und wie-es-eben-früher-in-der-DDR-so-war keinen Platz gefunden.
Aber gleich am nächsten Tag leistete man der BILD aus den Redaktionen von WELT und B.Z. Wortverbreitungs-Beistand. Ein Kommentar von Henryk Broder (Jauchs Zurückhaltung war klug und souverän) hatte sowohl die Kategorie QUASSEL-IMAM als auch einen Teaser, der mit dem Satz begann, „Für den zahmen Umgang mit den “Quassel-Imamen” mussten die Talkmaster Jauch und Plasberg Prügel einstecken.“; und die B.Z. fragte besorgt Sollte der Quassel-Imam aus der Jauch-Show auch weiterhin öffentlich auftreten dürfen?
Außerhalb des Springer-Verlags griff der Stern das Wort auf, und verwendete es sowohl im Titel als auch im Text einer Art Home Story über den Imam: Tag der offenen Moschee: Zu Gast beim “Quassel-Imam”, lautet die Headline, und die Begegnung wird so beschrieben:
Ich trete in den Innenhof und werde vom Pressesprecher des Imams begrüßt, Abdul Adhim Kamouss. Sein Gesicht kommt mir bekannt vor. Es ist der “Quassel-Imam” aus der Jauch-Talkshow.
Am 5.10. legte die BILD selbst wieder nach, mit einer brandheiß recherchierten Geschichte über Die zwei Gesichter des „Quassel-Imam“.
Es dauerte aber immerhin bis zum nächsten Tag, bis der Tagesspiegel der BILD dann doch noch den Gefallen tat, die Wortschöpfung aufzugreifen – natürlich nur, um darüber zu berichten, dass die BILD ihn eben so genannt habe. In einem Artikel über die nun aktuelle Talkrunde von Jauch, in der es überhaupt nicht mehr um Imame ging, bezog man sich auf die Sendung der Vorwoche:
BILD, das Fachorgan für Mainstream-Empörung degradierte Kamouss zum „Quassel-Imam“ und beförderte ihn zum Schlagzeilenkönig.
Auch nordbayern.de, FOCUS und die BILD selbst verwendeten das Wort wieder, ebenfalls, um in Diskussionen der aktuellen Jauch-Sendung noch einmal an die der Vorwoche zu erinnern.
Am 7.10. gab es nun wirklich nichts mehr zu berichten, aber wer ein Wort etablieren will, muss es eben wieder und wieder verwenden, und so fand die BILD einen Aufhänger in irgendeiner Aussage, die der Imam irgendwann irgendwo gemacht hatte, und die stimmen könnte oder auch nicht.
Dann kam ein Glücksfall: Die Schweizer Tageszeitungen Tagesanzeiger, Basler Zeitung, Der Bund und Berner Zeitung brachten einen Bericht über ein geplantes Islamisten-Treffen, zu dem auch Abdul Adhim eingeladen sei und der, so eine Zwischenüberschrift sei Als «Quassel-Imam» bekannt. Im Text dann eine zu diesem Zeitpunkt zumindest auf die deutsche Medienlandschaft bezogen nur noch milde Übertreibung:
Seit seinem Auftritt in der Talkshow von Günther Jauch redet ganz Deutschland vom «Quassel-Imam».
Einmal über die Grenze gesprungen bahnt die Wortschöpfung der BILD sich jetzt auch in der Schweiz ihren Weg: Vom TV zum Islamischen Zentralrat: Jauchs «Quassel-Imam» kommt in die Schweiz, titelte gestern blick.ch.
Wenn die BILD es will, kann sie dieses Wort nun weiter propagieren, und ihm zu einem Siegeszug durch die gesamte deutschsprachige Welt verhelfen. Und dann wäre es nur ein kleiner Schritt, eine Bezeichnung für eine ganze Gruppe von Menschen daraus zu machen (z.B. alle Imame, die unpässliche Meinungen vertreten), oder einfach alle Imame so zu nennen.
Nicht, dass ich der BILD vorwerfen will, das vorzuhaben – der Punkt ist, sie könnte es, wenn sie wollte.
Und wer die Macht hat, Sprache im Schlechten weiter zu entwickeln, könnte diese Macht natürlich auch einsetzen, um sie im Guten voranzubringen. Hundert Behörden können hundert Leitfäden zur gerechten Sprache herausgeben, sie werden ebenso ungehört verhallen wie die Sprachnörgler mit ihren Anglizismen-Blacklists.
Aber wenn die BILD oder ein anderes großes Medium oder eine der großen Presseagenturen einen dieser Vorschläge aufgreifen würde, wäre er zehn Tage später bereits ein Fakt des deutschen Sprachgebrauchs.
(Mit Dank an Alf Frommer für den Hinweis auf das Wort).
“Oder, dass uns die vorhandenen Ressourcen nicht gefallen, z.B. weil wir Sprachnörgler sind …”
Oder weil wir Sprachignoranten sind und lieber was Englisches eindeutschen, da wir die vorhandenen Ressourcen nicht kennen; oder was könnte sonst der Grund dafür sein, dass z.B. seit Jahren viele von “urbanen Legenden” oder “Großstadtmythen” plappern, weil sie mal was von “urban legends” gehört haben, aber die ‘vorhandene Ressource’ “Schauermärchen” nicht kennen?
Da sind wir mal lieber “kreativ”, sonst müssten wir uns doch tatsächlich mit vorhandenem Wortschatz auseinandersetzen; wie langweilig ist das denn?
“Man muss nur überlegen, ob irgendeine deutsche Zeitung auch über Laber-Pfarrer, Laber-Priester oder Laber-Rabbis schreiben würde. Das würde natürlich keine deutsche Zeitung tun, obwohl sich vermutlich unter den Geistlichen jeder beliebigen Religion problemlos welche mit einem Hang zum Quasseln oder Labern finden ließen.”
Verstehe ich nicht so ganz. Soll das bedeuten, die deutschsprachigen Medien würden christliche/jüdische Geistliche nicht so hart angehen? Ist da der “Protz-Bischof” (Tebartz-van-Elst) nicht ein Gegenbeispiel?
Dein Pessimismus in Ehren, Anatol, aber diese Wort wird es nicht über den Status einer Gelegeneitsbildung bringen. Es wurzelt in der gelegenheitsgünstigen Bezeichnung einer einzelnen Person, und selbst, wenn eine Generalisierung schon versucht wurde, klingt die gezwungen. Lass uns in einem halben Jahr noch mal nachsehen — sine ira et studio. In die Wortwarte wird es jedenfalls nicht aufgenommen 🙂
Sie irren, Herr Stefanowitsch!
Es ist in humanistischen Kreisen durchaus üblich, Theologengeschwafel oder -“gequassel” ganz allgemein als das zu bezeichnen, was es ist: “pseudowissenschaftliches Geschwurbel”! Das tun wir Humanisten ganz unabhängig davon, um welchen Aberglauben, ob Islam, Christentum, Buddhismus oder sonstwas, es sich gerade handelt und die Presse greift es glücklicherweise mittlerweile auf! Die Aufklärung ist eben nicht zu stoppen.
Gruß, Gernot Back
https://www.google.de/search?q=schwurbel+theologen&ie=utf‑8&oe=utf‑8&aq=t&rls=org.mozilla:de:official&client=firefox‑a&channel=sb&gfe_rd=cr&ei=hjI4VO-TFsWH8QejhYCwCQ
Ja, Sie haben es durchschaut, Gernot Back, da sind in bei der BILD lauter Humanisten am Werk, die Theologiekritik betreiben.
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Fangen wir mit dem Klassiker an: Ich habe die Jauch-Sendung nicht gesehen. Was ich allerdings sehe und höre sind Unmengen von Klagen, wie perfide ein dorthin eingeladener islamischer Geistlicher die Massen manipulierte. Dazu könnte man eine ganze Menge sagen, aber Anatols Beitrag dreht sich ja um die Metakomponente, die Beschreibung des Imam, um genau zu sein.
Wie kommt man von einer offenbar hervorragenden rhetorischen Performance* auf die Bezeichnung ‘Quassel-Imam’? Quasseln ist doch genau das Gegenteil guter und erfolgreicher Rede, es ist quasi das, was die üblichen Verdächtigen* in solchen Quassel-Schauen* machen — deswegen heisst dieses Genre vermutlich so.
Ich schliesse daraus, dass die Redakteure der BILD — deren Texte ich so wenig lese, wie ich Jauch kucke -, entweder Probleme mit Wortbedeutungen haben oder entgegen journalistischem Grundgedanken manipulieren**.
*Das mache ich extra für Sie, Cavilador.
**Extra für Cavilador: Diese Wiederholung ist Absicht, ich setze damit die BILD mit dem oben als manipulativ beschriebenen Imam gleich.
Ich habe den Artikel gerne gelesen, weil er meine Gedanken bestätigt hat und mich über die Dimension der Verbreitung von (Un)Wörtern informierte.
Danke und viele Grüße
An den Protzbischoff musste ich auch sofort denken.
Eine Frage zum Begriff “Eindeutschung”. Ich verstehe den Begriff eher so wie Wikipedia: “Unter Eindeutschung versteht man die Angleichung der Schreibung von Fremdwörtern an die deutsche Laut-Buchstaben-Zuordnung. …
Beispiele für erfolgte Eindeutschungen
Büro für Bureau
Fete für Fête
Geografie neben Geographie
Keks für Cakes …”
(Wiki nennt das, was Sie meinen, “Verdeutschung”.)
Ist das ein gezielt anderer Sprachgebrauch?
Was Sie beschreiben ist aber doch eine Eigenheit des Deutschen. Man kann beliebig bekannte Wörter zu neuen zusammensetzen, was in zB Englisch nur Kollokationen wären. Sie machen das ja auch mit Ihren Sprachnörglern (ausschliesslich in der männlichen Form), die mir bisher nur bei Ihnen begegnet sind.
Ogottogott, die Medien haben Einfluss auf unser Denken und Sprechen. Danke für die Neuigkeit.
Sollte sich dann in Zukunft einer der “Sprachnörgler” gegen diesen Vorgang wehren wollen (nicht aus “guten” Gründen, sondern halt wieder, weil was Englisches verwendet wird, igitt), erklären Sie ihm nochmals, wie und warum sich Sprache verändert (und wer allein sie durch Verordnungen verändern darf, nämlich alle “Anständigen”, die wissen, was “das Gute” ist).
Herr Anatol, ich sehne mich ein bisschen nach den Zeiten, als Sie noch kein anständiger Mensch sein mussten und uns nur erklärten, warum die Eskimos (darf man das überhaupt noch sagen??) doch keine 1000 Wörter für “Schnee” haben.
@ urban legend oder urbane Legende:
Eine solche ist meines Wissens etwas anderes als einfach ein Schauermärchen (=gruselige Geschichte), nämlich eine (zwar in der Tat Schauer-) Geschichte, die als angeblich w a h r , weitererzählt wird ala: Die Schwester von der Freundin meiner Tante fuhr mal in ein Parkhaus… usw.… und im heutigen, urbanen Lebensraum stattgefunden haben soll … halt keine spukende Jungfrau im alten Schloss (=Schauermärchen)
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Ich möchte mich Lothar Lemnitzer anschließen. “Quassel-Imam” ist ein typisches Ad-hoc-Kompositum, dem ich keine großen
Chancen auf ein langes Leben prophezeie. Dergleichen produziert die Bild buchstäblich jeden Tag; die Erinnerung an den Protz-Bischof fand ich hier sehr erhellend.
Der Bindestrich drückt auch häufig aus, dass AutorInnen ihr Kompositum selbst irgendwie seltsam finden.
Ich sehe den “Protzbischof” in einer anderen Kategorie, da in seinem Fall tatsächlich rechtlich fragwürdige Ausgaben getätigt wurden, zumal das “Protz” ja auch inhaltlich gepasst hat, selbst wenn es aus journalistischer Sicht sicher ein furchtbarer Begriff ist (oder hat da jemand Gegenargumente?).
Bei dem “Quasseln”, wie Anatol ja schon erläutert hat, handelt es sich jedoch um eine subjektive Einschätzung der Redebeiträge von Adhim, in denen diese automatisch entwertet wurden. Da wurde quasi mit einem Spitznamen eine Wertung über die intellektuellen bzw. rhetorischen Fähigkeiten von Adhim verbreitet, die so sicher nicht jeder unterschreiben würde (ob man jetzt Adhim zustimmt oder nicht). Das sind große Unterschiede, würde ich jetzt mal so steil behaupten und gerade, weil man sich mit einem Spitznamen in Anführungszeichen so wunderbar aus der tatsächlichen Nutzung heraushalten kann (bzw. so tun kann als würde man sich heraushalten), verbreitet sich sowas dann in Medien, in denen solche Begriffe nichts zu suchen haben.
Übrigens, Die ZEIT verwendete den “Protzbischof” sehr kritisch (ich zitiere: ”
polemische Übertreibung “,), beim “Quassel-Imam” war das aber anscheinend alles in Ordnung so, wie die BILD Adhims Beitrag eingeschätzt hat.
Ich finde es merkwürdig, Bild (oder Spiegel) in Kapitälchen zu schreiben, wenn man nicht bei Springer (oder beim Spiegel) arbeitet. Wenn schon ein Sonderlayout, wäre kursiv mehr als genug der Ehre.
“Sprache verändert sich nicht von alleine, sondern sie wird von den Mitgliedern der Sprachgemeinschaft verändert.”
So ist es. Und da gibt es eben auch dumme Menschen, die dumme Wortschöpfungen er“denken”, die von dummen Menschen aufgenommen und nachgeplappert werden. “Döner-Morde” ist so eine dumme Schöpfung. Nicht alleine weil sie diskriminierend ist, sondern weil sie falsch ist. Werden da Döner ermordet? Oder morden Döner? Nur ein Beispiel von vielen dummen Wortschöpfungen des Schmierblattes. Aber von wem, außer den BILD-Deppen (Wortschöpfung von mir) sollte man sonst solch dumme Wortschöpfungen erwarten?
Ich halte den Aufhänger der Sprachveränderung mit den gewählten Beispielen nicht für passend, da es sich doch um unterschiedliche Phänomene handelt. Bei der Sprachänderung soll ein existierender Begriff endgültig ausgetauscht werden. Die Begriffe “Döner-Morde”, “Quassel-Imam” oder “Protz-Bischoff” sind hingegen darauf ausgelegt, singuläre Ereignisse oder Personen zu beschreiben. Eine langfristige Sprachänderung ist nicht das Ziel der Sache.
Das macht die Sache natürlich nicht weniger unproblematisch, denn natürlich möchte man mit den Begriffen eine Diskussion von Anfang an in eine bestimmte Richtung lenken. Das machen andere Medien aber sicherlich auch, nur nicht mit diesen eher plumpen Mitteln.
Die im Artikel angedeutete Befürchtung, dass die Medien ein solches Vorgehen bei christlichen Geistlichen nicht anwenden würden, halte ich mit dem bereits genannten “Protz-Bischoff” für widerlegt. Der von Juliane (siehe oben) behauptete Unterschied ist nicht überzeugend und wirkt eher konstruiert.
Es ist wirklich extrem widerlich und erschreckend, wie da mal wieder ein Feindbild konstruiert wurde und wird und dazu auch noch von anderen “Journalisten” mit Begeisterung weiterberbreitet wird. Wenn man sich so in der Journaille umschaut, egal in welche Richtung (z.B. auch Ukraine), möchte man die Macher rausschmeißen und mit fähigen, verantwortungsbewussten Menschen ersetzen, weil sie Volksverhetzung betreiben; vielleicht, ohne dass sie es überhaupt bemerken, aber das macht es auch nicht viel besser.
Was ich allerdings noch entsetzlicher finde sind so einige Kommentare unter diesem Artikel, die das Schüren von Hass auch noch verteidigen! Merkt ihr vor lauter Hass bzw. Angst eigentlich noch irgendwas?
@Gernot Back
Sie sprechen von Aberglauben in Bezug auf Christentum, Islam und Buddhismus. Ist Ihre Meinung, aber ist es so schwer zu verstehen, dass manche Menschen auch bloß nach den Lehren Jesu, Mohammeds oder Buddhas leben? Was hat es mit Aberglaube zu tun, wenn man nur nach den Lehren lebt?
Und eins sagt mir Ihr Kommentar: Sie kennen den Buddhismus überhaupt nicht. Im Buddhismus glaubt man an keinen Gott, aber trotzdem bezeichnen Sie auch diese Weltanschauung als Aberglaube.
Was sagen Sie zu Agnostikern? Auch Abergläubige? Ich bin Agnostiker!
Tja, Sie Humanist. Ihre Äußerung ist auch nichts anderes als Gequassel. Der Quassel-Humanist! Wow, das passt ja auch!
Och, ich finde solche Wortschöpfungen ausgesprochen gut.
Wenn mein Gesprächspartner nämlich solche Kreationen verwendet, weiß ich wenigstens direkt, dass er ein Bild-Nazi ist und kann ihm die Behandlung zukommen lassen, die einem Arschloch gegenüber angemessen ist.
Nach dem doch recht ausführlichen Artikel fällt mir spontan das Wort “Quassel-Blogger” ein. Hoffen wir mal, dass sich das nicht durchsetzt.
Sehr guter Artikel!
Ich kann die Nörgelei in den Kommentaren gar nicht nachvollziehen, da haben viele nur Angst, man würde ihnen die Sprache verbieten wollen. Aber ich finde es wichtig darauf hinzuweisen, dass Sprache eben einen starken Einfluss hat und solche Wortkreationen Bilder schaffen, die Emotionen verstärken mit denen gegen bestimmte Gruppen gekämpft wird. Natürlich wird der “Quassel-Imam” nicht für die Ewigkeit bleiben, aber er wird mit zum negativen Islambild beitragen, dass die Medien so gerne anfeuern. Dass ist beim “Protz-Bischof” nicht anders, aber mit der protzigen katholischen Kirche kennen sich die meisten Deutschen halbwegs aus, mit dem bedrohlichen Islam eher nicht. Insofern sehe ich da einen großen Unterschied und mehr Gefahrenpotenzial.
…aber super Artikel. Ist mir auch gleich aufgefallen.
Das Ganze ist schon aus dem Ruder gelaufen, als Buschkowsky den Ausführungen des Imam traurigerweise nichts zu entgegnen hatte außer einem unverschämten, aber publikumswirksamen “Können Sie mal die Bappen halten”. Was ist das schön, wenn man endlich jemand gefunden hat, der offensichtlich verantwortlich ist für das Abdriften der Jugend…
Das ist ein sehr guter, da unaufgeregter Beitrag. Selbst wenn sich Wortschöpfungen wie die genannte nicht ‘durchsetzen’, zeigen sie doch den perfiden Anspruch, der dahinter steht: Alle Menschen (oder auch: “Ganz Deutschland”, wie die BILD gern schreibt sollen gefälligst so denken.Wer viel redet, der “quasselt” eben nur, und ich muss mir keine eigenen Gedanken darüber machen.So hätten sie das gern. Letztlich snd solche Wortkreationen (das zeigt ein Blick auf die merkwürdigen Wortschöpfungen der BILD-Zeitung auf bildblog.de deutlich) nichts anderes als Infantilisisierungen, gern auch mit ebenso infantilen wie verklemmten Sexualbezügen. BILD traut sich ja nicht einmal, das Wort “Arsch” auszuschreiben, sondern setzt verschämte Sternchen, um Scham vorzutäuschen, wo sie doch ebenso pornografisch wie prüde ist.Das Foto daz ist natürlich da. So vermittelt sich ein doktrinäres Menschenbild: BILD als Volksempfänger (inklusive der Werbung für irgendwelche “Volkszahnbürsten, und was weiß ich noch alles).Dass andere Medien diese Termini verschämt als “Sogenannt” in Anführungen setzen, ist schlimm.Dahinter steht das Ziel,eingestanden oder nicht, komplizierten Sachverhalten ein Etikett aufzukleben, an das sich die Gefolgschaft gefälligst zu halten hat. Und das Volk macht ja mitunter fröhlich mit. Irgendwo bei Adorno steht: “Wenn an einem Tag die deutschen Faschisten ein Wort wie “untragbar” lancieren, dann sagt morgen das Ganze Volk: “untragbar””.Hier öffnet sich ein weites Feld. Das furchtbare Wort “alternativlos” gehört dazu; das quatscht inzwischen ein jeder nach.Schlussendlich verbirgt sich dahinter nichts anderes als der Hass auf alles, was Denken und reflektieren kann und damit der “Hass, auf alles, was anders ist.” Wenig trostreich scheint, dass vielen der BILD-Wortschöpfungen eine komische Kraft innewohnt, derer sich die Schöpfer der Produkte wohl kaum bewusst sind.
Beim Laberpriester ist mir sofort aufgefallen, dass das Wort schon im Sprachgebrauch ist.
Zumindest im hohen Norden Deutschlands, wo jeder suspekt ist, der zuviel redet.
Ins Fernsehen hat’s der Begriff auch geschafft. z.B. über die Heute-Show.
http://www.focus.de/kultur/kino_tv/focus-fernsehclub/die-probleme-dieser-welt-tv-kritik-zu-guenther-jauch-fluechtlinge-kommentar_id_6005670.html
Das ist doch ein Leserkommentar und kein redaktioneller Beitrag. Keine allzu clevere Verlinkung!
Es ist insofern ein redaktioneller Beitrag, als er aufgrund einer redaktionellen Entscheidung veröffentlicht wurde (Leser/innen-Kommentare aus offenen Foren etc. habe ich weggelassen).
Meine Güte M.L., wie kann man da nur so viel hineinlesen. Jede einzelne der Behauptungen halte ich für absurd:
“den perfiden Anspruch: … Alle Menschen … sollen gefälligst so denken”
“Letztlich snd solche Wortkreationen … nichts anderes als Infantilisisierungen, gern auch mit ebenso infantilen wie verklemmten Sexualbezügen.”
“ein doktrinäres Menschenbild: BILD als Volksempfänger”
“Dass andere Medien diese Termini verschämt als “Sogenannt” in Anführungen setzen, ist schlimm.Dahinter steht das Ziel,eingestanden oder nicht, komplizierten Sachverhalten ein Etikett aufzukleben, an das sich die Gefolgschaft gefälligst zu halten hat.” ??
“Schlussendlich verbirgt sich dahinter nichts anderes als der Hass auf alles, was Denken und reflektieren kann und damit der “Hass, auf alles, was anders ist.””
“… dass vielen der BILD-Wortschöpfungen eine komische Kraft innewohnt, derer sich die Schöpfer der Produkte wohl kaum bewusst sind.”
Das ist hier ein ganz komisches Bild von den Medien. Höchst berechnend, völlig perfid und hasserfüllt die Menschen beeinflussend (zu welchem Zweck eigentlich??) und sind sich der innewohnenden Kraft doch nicht bewusst. Wie geht das denn? Fehlt nur noch, dass sie die Weltrevolution anzetteln.
Die Journalisten suchen einfach nach eingängigen Begriffen, die ein aktuelles Thema griffig umschreiben. So entsteht dann halt Quassel-Imam, Jauch-Prediger, Protz-Bischof, Islam-Talk, Döner-Mord und Watergate-Skandal. Höchst selten überlebt so ein Begriff. Naturgemäß gibts halt ab und zu einen (eklatanten) Fehlgriff, wie bei allen Berufen. Mehr steckt nicht dahinter.
“… dass manche Menschen auch bloß nach den Lehren Jesu, Mohammeds oder Buddhas leben?”
Schwierig, zu wissen, ob man das überhaupt tut, wenn es keine zuverlässige Überlieferung gibt. Ganz abgesehen von der Selektion, was nun wörtlich gilt, was allegorisch und was gar nicht.
http://suicideforhire.comicgenesis.com/d/20060809.html
@ Daniel: Sie haben insofern recht, als dass Journalisten natürlich nach griffigen Worten suchen. Und die meisten dieser Wortschöpfungen setzen sich (und das ist gut so) nicht durch.
Diese Wortschöpfungen meinen dennoch etwas, sonst würden sie ja nicht vom Chef vom Dienst abgenommen und auf die Titelseiten gebracht. Zum Beispiel: “Döner-Morde”. Dies Etikett bedeutet: Es spielt keine Rolle, ob Neonazis türkische Menschen erschossen haben. Um die Menschen geht es auch gar nicht, sondern um “Döner”. Diese Wortschöpfung ist nicht einfach nur prägnant oder griffig, sie vernebelt den ganzen Sachverhalt. Die Menschen kommen darin gar nicht mehr vor, sondern bloß vage Assoziationen. Irgend etwas mit Dönern halt. Dass das politisch motivierte Morde waren, die von Killern aus Hass gegen vermeintliche Minderheiten begangen wurden, wird damit belanglos gemacht. Das hat nicht nur etwas mit vermeintlich griffigen Formulierungen zu tun. Da wird die Welt, weil eben nahezu alle Vorgänge derart bezeichnet werden (eine einzige Ausgabe der BILD-Zeitung reicht als Lektüre aus und, wie gesagt, ein Blick in die BILD-Wortschöpfungen auf bildblog.de) zum Kasperle-Theater, in dem alles gleichrangig nebeneinander erscheint, eben von den “Döner-Morden” bis zum “Super-Ar***”, wobei BILD sich denn auch gern zu schämen scheint,ihn als Arsch zu bezeichnen — man ist ja fein und sagt so etwas nicht (welche Heuchelei).
Diese Form der Einebnung empfinde ich freilich als furchtbar.
Es ist eben Reklamesprache; das ist das Widerwärtige daran.
Die unfreiwillige Komik von BILD-Überschriften wie (wenn ich mich recht erinnere) “Lottozahlen immer blöder” oder “Gericht entschied: Alle dürfen ‘Pimmel’ sagen”, oder “Hat Genscher neue Ohren?” sei dahingestellt. Das ist Realsatire, ohne dass die Redakteure das vermutlich merken.
@Juliane: Nach meinem Sprachgefühl beinhaltet ‘quasseln’ nicht zwingend eine inhaltliche Abwertung dessen, was gequasselt wird. Es ist ein sehr salopper Ausdruck, klar, aber ich wäre nicht beleidigt, wenn mich jemand als Quassel-Irgendwas bezeichnen würde.
Ich verstehe nicht, was an der Wortbildung “Quassel-Imam” so viel schlimmer ist als z.B. “Sprachnörgler” (außer man ist der Ansicht, religiöse Titelträger eigneten sich per se nicht für so etwas).
Der kleine “Schritt, eine Bezeichnung für eine ganze Gruppe von Menschen daraus zu machen…” ist im zweiten Beispiel übrigens auch schon getan.