Diese Woche twitterte Julia Probst – bekannt durch ihren Twitter- Lippenlesedienst bei Sportereignissen und ihren Aktivismus für Untertitel und gegen Cochlea-Implantate – folgenden linguistisch faszinierenden „Funfact“:
Funfact: Die #Merkel-#Raute bedeutet in #Gebärdensprache “Vagina”.
— Julia Probst (@EinAugenschmaus) 1. Oktober 2014
Nun ist Humor bekanntlich sehr individuell, und so lässt sich natürlich nicht objektiv feststellen, ob dieser Fact tatsächlich „Fun“ ist. Es gibt ja Menschen, die zum Beispiel Mario Barth lustig finden, und die wären vermutlich ganz aus dem Häuschen, wenn sich herausstellte, dass Merkel mit der für sie typischen Geste (siehe Abbildung links) seit Jahren unabsichtlich bei jedem ihrer Auftritte das Wort „Vagina“ gebärdet. Wenn sie es in subversiver Absicht ganz bewusst täte, könnte vielleicht sogar ich Humor darin erkennen.
Aber wir sind ja das Sprachlog, nicht das Lachlog, deshalb konzentrieren wir uns auf die Frage, ob dieser (potenzielle) Fun überhaupt „Fact“ ist.
Für die Deutsche Gebärdensprache lässt sich das recht unspektakulär verneinen. Die Gebärde für „Vagina“ erinnert hier nicht einmal entfernt an Merkels Raute – sie besteht darin, die Hand von der im linken Bild gezeigten Handstellung zu der im rechten Bild gezeigten zu bewegen (siehe auch hier):
Machen wir uns also auf die Suche nach dem Ursprung von Probsts Behauptung, indem wir etwas wie [Merkel Raute Vagina] googeln (und damit vermutlich sowohl die NSA auf ungute Weise auf uns aufmerksam machen als uns auch die Ergebnis-Rankings zukünftiger Google-Suchen für immer verderben). Es stellt sich schnell heraus, dass die Assoziation zwischen Merkels gestischem Erkennungs– und einem primären weiblichen Geschlechtsmerkmal eine lange Tradition hat.
Schon 2009 versuchte das Hamburger Abendblatt, der Bedeutung der Geste auf den Grund zu gehen und zitiert dabei einen „Internetnutzer“ namens „Cellizzo“, der glaubt, „die Bundeskanzlerin möchte signalisieren, dass sie tatsächlich eine Frau ist und die Gebärde heißt: ‚Ich habe eine Vagina.‘“ Ein Zusammenhang zur Gebärdensprache stellt Internetnutzer Cellizzo allerdings nicht her, ebenso wenig wie die pubertierenden Jungs, die bei Spiegel Online für das zuständig sind, was man dort für „Satire“ hält.
Suchen wir weiter, finden wir Menschen, die ihre erotisierte Wahrnehmung von Merkels Raute mit der Freudschen Psychoanalyse oder der Philosophie des Yoga begründen.
Ob diese Deutungen tatsächlich existieren, wollen wir hier nicht weiter verfolgen, suchen wir lieber weiter nach Hinweisen auf einen Zusammenhang zur Gebärdensprache. Es finden sich mit etwas Geduld ein paar verstreute Hinweise, dass es sich bei Merkels Raute eventuell um eine Gebärde aus der American Sign Language handeln könnte – ein Blogbeitrag spricht in diesem Zusammenhang von der „englischen Zeichensprache“, ein Facebook-Kommentar von der „amerikanischen Gebärdensprache“.
Und tatsächlich mag sich dem Laien eine gewisse Ähnlichkeit zwischen der Merkel-Raute und der Gebärde für „Vagina“ in der American Sign Language (siehe Abbildung rechts, oder, mit der dazugehörigen Bewegung, hier) aufdrängen.
Für Sprecher/innen der ASL dürfte die Ähnlichkeit allerdings nur eine sehr entfernte sein, etwa so, wie für Sprecher/innen des Deutschen die lautliche Ähnlichkeit zwischen Merkels Lieblingsadjektiv alternativlos und der Unsinnsphrase altes Nativ-Moos. Denn entgegen einem weit verbreiteten Missverständnis sind Gebärdensprachen keine Pantomime, bei der ungefähre Ähnlichkeiten zwischen Gebärde und Bezeichnetem oder zwischen unterschiedlichen Gebärden eine zentrale Rolle spielen. Gebärden sind komplexe sprachliche Zeichen, deren Form sich aus präzise definierten Kombinationen der genauen Konfiguration und Orientierung der Hand (oder der Hände) sowie der Art und Ort bzw. Pfad der ausgeführten Bewegung zusammensetzt.
Wer über Merkel lachen will, muss also weiter suchen – ihre Raute birgt kein verstecktes humoristisches Potenzial. Aber vielleicht tut sie uns ja den Gefallen, bei Gelegenheit wieder einmal ihre Deutschlandkette zu tragen.
[Nachtrag: Wie auch in meinem Kommentar unten angedeutet gibt es natürlich auch in der DGS, wie in anderen Sprachen, Dialekte, Soziolekte, Slang, Sprachspiele, etc. So gibt neben dem oben gezeigten auch andere Wörter oder Varianten d für Vagina z.B. eine Variation der von mir genannten Gebärde auch andere, z.B diese hier. In der Deutschschweizer Gebärdensprache gibt es eine Variante der von mir oben gezeigten Gebärde siehe hier.
Außerdem gibt es in der Schweizer Gebärdensprache eine Gebärde, die eine offensichtliche Variante der ASL-Gebärde ist, sie unterscheidet sich nur in der Position der Hände (siehe Abbildung links, die Bewegung ist dieselbe wie in der ASL; zu sehen ist sie in diesem schönen Wörterbuch der Schweizer Gebärdensprache, das auch dialektale Varianten enthält). Diese Gebärde ist identisch mit der aus der französischen Gebärdensprache Langue des signes française (LSF), ich nehme an, sie wird in der französischsprachigen Schweiz verwendet. American Sign Language stammt direkt von der LSF ab, sodass diese Ähnlichkeit auch zu erwarten ist.
Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass diese Gebärde über die Deutschschweiz auch in deutschen Gehörlosencommunities bekannt ist, aber sie sieht eben auch nicht aus, wie die Merkel-Raute. Wenn mir jemand eine Quelle nennen kann, die die Merkel-Raute in der DGS oder irgendeiner anderen Gebärdensprache als Gebärde für „Vagina“ dokumentiert, verlinke ich die hier natürlich. Die Handform von Merkels Geste ist allerdings nicht gerade typisch für die DGS, deshalb würde es mich aufrichtig wundern (aber keine Sorge: ich wundere mich gerne).]
[Nachtrag 2: Übrigens ist Angela Merkel nicht die einzige mächtige Frau, deren Gesten Assoziationen mit der Vagina auslösen: Michelle Obama musste sich als Reaktion auf ihre Handstellung auf einem Titelfoto der Zeitschrift Reader’s Digest (siehe Ausschnitt rechts) auch Unwissenheit/versteckte Absichten unterstellen lassen (z.B. hier). Ich sehe zwar die Ähnlichkeit, aber ich sag’s mal so: Mächtige Frauen und eingebildete Vaginen? Freud hätte seine Freude.][Nachtrag 3: Julia Probst hat hier und im Facebook-Thread des Beitrags mehrfach kommentiert. Ich möchte auf diese Kommentare nur insoweit eingehen, wie sie sich auf ihre ursprüngliche Behauptung und auf das Thema meines Blogposts beziehen. Zunächst behauptet sie, dass es keine Wörterbücher für Gebärdensprachen gebe, sondern nur „einige Seiten, wo man einiges nachschlagen kann“. Das ist schlicht falsch, es gibt eine Reihe von Wörterbüchern (einige davon stehen in meinem Bücherregal oder befinden sich als App auf meinem Rechner) und die „einigen Seiten“ (auf die ich mich teilweise beziehe) sind umfassende Videodatenbanken nach wissenschaftlichen Standards.
Sie greift dann die Behauptung einer anderen Kommentatorin auf, es handle sich bei der Merkel-Raute um die Gebärde für „Vagina“ in der International Sign Language (also nicht, wie sie in ihrem ersten Kommentar unten so ausdrücklich betont, der Deutschen Gebärdensprache). Das ist schwer zu überprüfen, denn die International Sign Language ist keine systematische, ausgebaute Sprache, sondern ein Pidgin, das Gehörlose aus verschiedenen Sprachgemeinschaften verwenden, wenn sie miteinander kommunizieren (auf Reisen oder internationalen Treffen), und das Gebärden aus verschiedenen existierenden Gebärdensprachen kombiniert. Dabei werden allerdings typischerweise Gebärden genommen, die in einer Reihe von Sprachen gleich oder ähnlich sind, was dafür sprechen würde, dass die Gebärde für „Vagina“ der in der Amerikanischen oder Französischen Gebärdensprache ähnelt – wenn die International Sign Language überhaupt eine Gebärde für „Vagina“ hat (hier ein Blogbeitrag, in dem auf der Grundlage von Hörensagen behauptet wird, es sei eine dem ASL ähnliche Gebärde, die aber unterhalb des Bauches gebärdet wird und bei der die Finger ausgestreckt geschlossen aneinander liegen. Wer hier mehr weiß, möge sich melden.
Außerdem liefert sie einen „Beleg“ in Form eines Youtube-Videos einer Aufführung der „Vagina Monologues“ in der American Sign Language, in der sich mehrfach eine Variante der von mir oben für ASL beschriebenen Gebärde findet, bei der die Finger aber ausgestreckt aneinander liegen (z.B. bei 0:28). Außerdem, und das soll wohl der Beleg sein, macht die Schauspielerin die Gebärde teilweise auch direkt über ihrer Vulva (z.B. bei 0:41, siehe Screenshot links) – das ist die Art von künstlerischer Freiheit, die sich im Theater (auch im Gebärdensprachtheater) findet. Diese Gebärde (oder Mischung aus Gebärde und Geste) ist aber ebenfalls nicht die Merkel-Raute, da die Finger ausgestreckt aneinander liegen und nicht, wie bei der Merkel-Raute, gespreizt sind. Um genau diese Details in der Handform und ‑position geht es ja in meinem Beitrag, denn diese Details sind in Gebärdensprachen genauso entscheidend, wie die exakten Laute eines Wortes in gesprochenen Sprachen.]
Georg Büchner:Danton. Sieh die hübsche Dame, wie artig sie die Karten dreht! Ja wahrhaftig, sie versteht’s; man sagt, sie halte ihrem Manne immer das coeur und anderen Leuten das carreau hin. – Ihr könntet einen noch in die Lüge verliebt machen.
Der Autor Anatol Stefanowitsch weist erschreckende Bildungslücken über Sprachen im allgemeinen vor, obwohl das hier ein Blog von Linguistinnen und Linguisten über Sprachen sein soll.
Die Informationen im Artikel kann man als Desinformationen bezeichnen, wenn der Autor der Meinung ist, dass für ein Wort nur eine einzige Vokabel gibt.
Es ist jedoch allgemein bekannt, dass es in jeder Sprache viele verschiedene Wörter für einen Begriff gibt. Und genau das gleiche gilt auch für die Gebärdensprache. Gebärdensprachen sind vollwertige Sprachen und besitzen auch regionale Dialekte ganz wie die Lautsprachen.
Außerdem funktioniert die Argumentation des Autors nicht, wenn man sich dann der amerikanischen Gebärdensprache bedient aufgrund der Tatsache, dass ich mich ganz klar auf die deutsche Gebärdensprache beziehe.
Und der deutschen Gebärdensprache gibt es 3 verschiedene Gebärden für Vagina, welche mir bekannt sind.
Und die Merkel-Raute gehört dazu und ist somit keine von mir aufgestellte “Behauptung”, sondern ein Fakt in der Gehörlosenwelt.
Freundliche Grüße Julia Probst aka @EinAugenschmaus
[citation needed]
Spannend ist, wie Julia Probst zu ihrem Urteil kam. Gebärdensprache ist doch ihre Muttersprache, oder? Vielleicht wird die Merkel-Raute in ihrem Umfeld tatsächlich für “Vagina” benutzt, quasi als Soziolekt. Mich würde ein Statement von ihr sehr interessieren.
Meines Wissens ist DGS nicht ihre Muttersprache, aber sie spricht es wohl fließend. Mich würde deshalb auch interessieren, wo/wann/von wem die Merkel-Raute mit dieser Bedeutung verwendet wird, denn natürlich gibt es in der DGS auch Dialekte/Soziolekte und Slang. In den bekannten Wörterbüchern finden sich verschiedene Zeichen (z.B. eine Variation der von mir genannten Gebärde hier und — für die Deutschschweizer Gebärdensprache – hier und eine ganz andere Gebärde hier), aber eben nicht die Merkel-Raute. Wenn ich eine Quelle benannt bekomme, verlinke ich sie natürlich.
Die Merkel-Raute ist schon seit Jahrzehnten als Frauen- und Lesbenzeichen in Gebrauch. Dazu eine Glosse von mir vom April 2010: http://www.fembio.org/biographie.php/frau/comments/merkel-bekennt-ostereierfarbe-und-mehr/
Sehr schön! Jetzt fange ich wenigstens an, an subversive Absichten der Kanzlerin zu glauben.
Der Kritik von @Augenschmaus, dass die verschiedenen parallel existierenden (und halt teilweise Nonstandard-) Gebärden nicht berücksichtigt wurden, kann ich zustimmen, aber die Generalbreitseite bzgl. Anatols linguistischer Kompetenz verstehe ich nicht – er schreibt ja im Text explizit, dass Gebärdensprachen (gegenläufig zur leider immer noch weit verbreiteten Meinung) vollwertige, hochkomplexe Sprachen sind …? Wozu die ad-hominem-Attacke zur Einleitung?
Merkels Schwester Irene ist Ergotherapeutin und gab ihr den Tipp, eine Raute mit den Händen zu formen, wenn sie mal nicht wisse, wohin damit.
Frau Probst scheint sich ja gewaltig auf den Schlips getreten zu fühlen, wenn man ihren unfreundlichen Kommentar hier und das geheule auf Twitter liest, dass ihr Kommentar nicht schnell genug freigeschaltet wird.
Sehe ich das richtig, dass ein konkreter Nachweis ihrer Behauptung nach wie vor aussteht?
Sicherlich kann man jeder zufälligen Geste in irgendeiner Gebärdensprache irgendeine Bedeutung zuordnen.
@Andreas: Ja, aber es ist damit halt ähnlich schwierig, wie wenn ich jetzt hier belegen sollte, was „Earchtling“ im Pongauischen Dialekt heißt. (Nein, noch schwieriger, weil danach kann ich wenigstens googlen (und find da sogar was, auch wenn das schwache Belege sind), aber mach das mal mit einer dialektalen Gebärde.)
@Manfred: Erstens „Gebärde“, nicht „Geste“ (das wird von sehr vielen Gebärdenden als abwertend empfunden), und zweitens: Nein, das ist falsch. Gebärden, auch Neubildungen von Gebärden (also Neologismen), folgen relativ strengen Regeln; gewisse Elemente (Handhaltungen, Richtungen, Parameter) kommen sehr häufig in Gebärden vor, einige manchmal bis selten, und sehr sehr sehr viele kommen gar nie vor. Alleine der Raum, in dem eine Gebärde ausgeführt werden kann, ist schon einmal sehr eingeschränkt (IIRC gibt es z. B. keine Gebärde, die unter Hüfthöhe ausgeführt wird).
@Vilinthril: Die Formen Ächtling, Ea[r]chtling, Eschdleng, Ächtleng u.ä. sind für Lungau, Pongau und Teile von Kärnten in der Forschungsliteratur eigentlich belastbar dokumentiert.
(Ah, sorry – da passt „Geste“ ja eigentlich, weil du dich tatsächlich auf Gesten bezogen hast. Sorry fürs Überreagieren, da bin ich mittlerweile in dem Kontext nur schon etwas überempfindlich. ^^;)
@Anatol: Ja, war jetzt nur das erstbeste Beispiel, das mir einfiel, ich kenn ja als Stadtkind leider keine wirklich obskuren Dialektausdrücke. 😉
Ich möchte zuerst auf das Foto mit Michelle Obama eingehen: Barack und Michelle Obama können beide ASL und sie sind gar nicht mal so schlecht darin, hat mir eine Quelle aus dem Arbeitsumfeld des weißen Haus erzählt. Auch gibt es Videos der beiden, wo man sie ganz kurz in ASL sprechen sieht.
Deswegen ist es völlig klar, dass Michelle Obama genau weiß, was sie da macht und deren Handhaltung entspricht außer der der Haltung der Vorderfinger eben nicht der ASL-Form für Vagina.
Und jetzt zum Gebärdenraum für Gebärden: Es gibt sehr wohl Gebärden, die sich unter der Hüfte abspielen, wenn auch in geringer Anzahl. Da wäre zum Beispiel die Gebärde für “Hund”, bei der man sich auf die seitliche Hüfte schlägt.
Und Merkel platziert ihre “Raute der Macht” vor dem Bauch, also knapp über der Hüfte: http://p5.focus.de/img/fotos/origs2575463/8879517297-w630-h407-o-q75-p5/Die.jpg
Man kann nicht sagen, dass es die Gebärde für ein bestimmtes Wort nicht gibt, weil man keine Quellen dazu im Internet findet. Die Merkel-Raute bedeutet unter anderem in der International Sign Language/International Sign eben “Vagina.”
Bisher gibt es eben kein Wörterbuch, wo man eben mal schnell alle Gebärden der Welt nachschlagen kann, sondern nur einige Seiten, wo man einiges nachschlagen kann.
Gebärdensprachler stehen in ständigem Austausch miteinander und das weltweit, weswegen auch Gebärdensprachler selbst die besten Quellen sind für die Herkunft der Gebärden und deren Bedeutung. Auch hat man durch die Gebärdensprache eine starke Bindung zueinander, weil man sich über die Gehörlosigkeit und die Gebärdensprache identifiziert.
Und die Gebärdensprache ist nicht meine Muttersprache, da ich sie erst mit 17 Jahren gelernt habe, aber: Die Gehörlosenkultur bzw. Gemeinschaft ist ein wichtiger Teil meiner Identität und gehört zu mir. Und ich spreche die Gebärdensprache ganz gut, ja.
Der Unterschied beim Erlernen einer Lautsprache ist: Erlernt man z.b. Englisch, so erlernt man einfach nur eine Sprache, aber nicht automatisch die englische Kultur mit, aber erlernt man die Gebärdensprache, so kommt man zwangsläufig mit der Gehörlosenkultur in Kontakt, was für sich eine ganz anderer Welt ist als die Welt der Nichtbehinderten.
Nur, damit ich es richtig verstehe: Wenn ich in meinem Beitrag die ASL heranziehe, um überhaupt eine Gebärde zu finden, die der Merkel-Raute ähnlich sieht, dann „funktioniert die Argumentation nicht“, weil Sie sich „ganz klar auf die deutsche Gebärdensprache“ beziehen (so Ihr erster Kommentar). Wenn eine Facebook-Kommentatorin ohne Belege behauptet, die Merkel-Raute sei die Gebärde für „Vagina“ in der „International Sign Language“, dann ist das plötzlich relevant? Ich habe die Argumente aus der Facebook-Diskussion in Nachtrag 3 einmal zusammengefasst und bewertet.
@Julia: Danke für den Hinweis bzgl. Gebärdenraum, dann hatte ich die einschränkende Grenze schlicht falsch in Erinnerung (hab erst ein Seminar dazu gemacht). (War aber gar nicht auf die Merkelraute bezogen, sondern nur eine allgemeine Feststellung zur Erläuterung, warum „zu jeder Geste wird’s in irgendeiner GS schon eine passende Gebärde geben“ nicht stimmt.)
es gibt nicht nur wörterbücher, sondern auch fachgebärdenlexika für die dgs (deutsche gebärdensprache).
allgemeine infos siehe: http://www.idgs.uni-hamburg.de/de/forschung/forschungsprojekte.html
ein beispiel: http://www.sign-lang.uni-hamburg.de/glex/intro/inhalt.htm
Eine Rhetorik Trainerin erzählte mir letztes Jahr mal, dass diese Geste international als unauffälligste Möglichkeit zur Handhaltung gilt. Nur gibt es eben auch dabei regionale und kulturelle Konjunktionen und dies in Deutschland nun eben nicht mehr funktioniert. Das erklärt das Obama Bild und passt zum Kommentar von geldkobra. Mit unterschwelligen sexuellen Botschaften hat das aber nichts zu tun.
Ich kann bestätigen, was Luise Pusch oben geschrieben hat: in den 70er Jahren wurde die nach oben, oberhalb des Kopfes, gehaltene Raute als Frauensymbol (und nicht nur als Lesbensymbol) auf so gut wie jeder Frauendemo verwendet. Eine Zeichnung von eine Frau, die dieses Zeichen mit ihren Händen formt befindet sich auf S. 23 von “Hexengeflüster 2 — frauen greifen zur selbsthilfe”, erscheinen im Frauenselbstverlag, Berlin, 1977.
Sie wollen auch alles missverstehen. Auf Twitter habe ich übrigens von mehreren Personen erfahren, dass Sie gerne die Belege von Muttersprachlern nicht als belege zulassen, weil Sie Ihnen das nicht in den Kram passt. Es ist ist schon interessant, wie sie sich an meiner Person abarbeiten wollen.
Zitat: “Zunächst behauptet sie, dass es keine Wörterbücher für Gebärdensprachen gebe, sondern nur „einige Seiten, wo man einiges nachschlagen kann“. Das ist schlicht falsch, es gibt eine Reihe von Wörterbüchern (einige davon stehen in meinem Bücherregal oder befinden sich als App auf meinem Rechner) und die „einigen Seiten“ (auf die ich mich teilweise beziehe) sind umfassende Videodatenbanken nach wissenschaftlichen Standards.”
Das ist falsch. Ich sagte, es gibt keine Wörterbücher, wo ALLE Gebärden der Deutschen Gebärdensprache oder der weltweiten Gebärdensprachen drinstehen, weil eben bisher noch nicht alle Begriffe dokumentiert wurden.
Das, was bisher existiert, kann man als Vokabelliste bezeichnen, aber ganz sicher nicht als 100% vorhandenes Lexikon der gesamten Gebärdenbegriffe in Deutschland. Es gibt derzeit das DGS-Korpus, wo man versucht alle Gebärden zu erfassen, aber das Projekt ist selbst noch nicht ganz abgeschlossen.
Desweiteren habe ich in meinen Blogbeiträgen in meinem Blog mehrfach z.b. auf Kestner verwiesen. Der Kestner gilt zwar ein großes Lexikon bzw. Duden der Gebärdensprache, hat aber den “Makel”, dass er nur den hessischen Dialekt bzw. die Gebärdensprachbegriffe, die in Hessen und im Umland drumherum gesprochen werden. Das ist ungefähr so, als würde man ein Wörterbuch herausgeben, wo man nur die bayerischen Begriffe sammelt und es dann als “Deutsch” herausgibt und dadurch alle anderen nichtbayerische Begriffe als nicht-existent werden, weil es dafür keine “Belege” gibt, da in diesem Wörterbuch nicht “erfasst.”
Das ist ja auch der Grund, weshalb des das Projekt “DGS-Korpus” gibt.
Weiterhin habe ich meine amerikanischen Freunde gefragt, ob die Merkel-Raute in ASL auch für Vagina steht. Und es würde bestätigt. Aber das wird ja nicht als Beleg zugelassen, weil nicht wissenschaftlich erfasst in ihren Augen.
Die besten Experten für Gebärdensprachen sind Gehörlose selbst, die sich in dieser Sprache auskennen. Wenn man dieses Wissen aus allen Diskussionen ausschließt, dann diskriminiert man dieses Expertenwissen.
Weiterhin: Die Vortragende verwendet ganz klar die Merkel-Raute für Vagina.
Die angsprochene Handform der Merkel-Raute setzt die Kanzlerin auch immer wieder ganz klar erkennbar ein.http://www.abendblatt.de/img/vermischtes/crop105503482/5918726852-ci3x2l-w620/Merkel-HA-Sport-TEGUCIGALPA.jpg
Mit ihnen über Gebärdensprachen zu diskutieren bringt überhaupt nichts, da sie Ihr Wissen über Gebärdensprachen ganz offensichtlich irgendwo aus Wikipedia zusammenklauben und dann versuchen als gebärdensprachkundig rüberzukommen.
Übrigens: Die Freundin von mir, die da bei Facebook kommentiert hat, hat das alles studiert und ist eine der besten Kennerinnen der Gebärdensprachen.
In dem angesprochenen Theaterstück “Die Vagina-Monologe” mit Emanuelle Labrorit steht die Merkel-Raute tatsächlich für Vagina. Und genau diesen Beweis wie alle anderen Beweise lassen Sie nicht zu, weil sie dafür keine Quellen finden.
Das muss man sich mal vorstellen: Ein Linguist, der die Existenz der verschiedenen Begriffe einer Sprache anzweifelt, weil er nur erfassten Belegen traut, aber nicht den Leuten, die die Sprache sprechen. Das hat schon eine gewisse Arroganz an sich, wenn man dann sich auch noch zutraut qualitativ adäquat über Gebärdensprache zu sprechen, dann aber dieser Aufgabe nicht gerecht wird, weil man nur ein sehr dürftiges Wissen hat über die Gebärdensprachen weltweit.
Überlassen Sie doch die Analysen über Gebärdensprache und welche Begriffe korrekt sind oder nicht, Gebärdensprachlern.
Frau Probst, ich habe Sie hier sehr ausführlich kommentieren lassen, obwohl Ihre Kommentare von Anfang an hauptsächlich aus unqualifizierten Angriffen auf meine Person und meine Fachkenntnisse bestanden und wenig Inhaltliches zum Thema beigetragen haben. Ich habe das getan, weil Ihr Tweet der Aufhänger für den Blogbeitrag war, aber ich bitte Sie, ab jetzt sachlich zum Thema zu kommentieren und Ihre Behauptungen zu belegen; ansonsten werde ich Ihre Kommentare hier nicht mehr freischalten (sie können Sie ja in Ihrem eigenen Blog veröffentlichen, Trackbacks lasse ich zu, und natürlich können Sie auf Facebook weiter kommentieren).
Die inhaltlichen Fragen sind die Folgenden:
1. Bedeutet die Merkel-Raute in der deutschen Gebärdensprache „Vagina“?
Auch, wenn Sie jetzt ständig von ASL reden, war das, laut Ihrer eigenen Aussage, ihr ursprüngliche Behauptung. Einen Beleg haben Sie bis jetzt nicht gebracht, während ich mindestens vier verschiedene Quellen genannt habe, die mehrere andere Gebärden enthalten, aber eben nichts rautenförmiges.
2. Bedeutet die Merkel-Raute in der ASL „Vagina“?
Das haben Sie inzwischen mehrfach behauptet, obwohl Sie mich am Anfang dafür kritisiert haben, dass ich ASL ins Spiel gebracht habe. Einen Beleg haben Sie hier ebenfalls nicht, nur eine „amerikanische Freundin“, die ASL spricht. So eine habe ich auch, und sie kennt die Merkel-Raute nicht, sondern nur die Gebärde, die ich im Blogbeitrag und im dritten Nachtrag diskutiert habe. Sie behaupten mehrfach, der von Ihnen verlinkte Film zeige die Merkel-Raute, obwohl sich ja jeder vom Gegenteil überzeugen kann. Sagen Sie uns einfach, an welcher Stelle das sein soll – ich habe meine Aussagen zum Video mit genauen Zeitangaben und Screenshot belegt.
3. Bedeutet die Merkel-Raute in irgendeiner anderen Gebärdensprache „Vagina“?
Schließlich haben Sie noch behauptet, die Gebärde komme in der International Sign Language und in einer Inszenierung der Vagina-Monologe von/mit Emanuelle Labrorit vor (die ja dann vermutlich die LSF oder die ASL verwendete).
Ich habe mir die Quellen sehr ausführlich angesehen und denke, die Antwort auf alle drei Fragen ist ein klares „Nein“, aber ich lasse mich gerne korrigieren und werde alle Belege verlinken und in den Beitrag einbauen. Wenn Ihre Freundin eine der besten Kennerinnnen der Gebärdensprache ist, wird sie ja entsprechende Belege nennen können.
Sorry Anatol, ihre angebliche Wissen bzw. Behauptung sei, ob Julia fließend DGS beherrsche.
Ich sehe das anders und konnte sie bis heute immer noch beobachten, fakt ist sie beherrscht die Gebärdensprache nur fortschrittlich, nicht fließend.
Macht nichts, immerhin hast du sehr interessante Thema verfasst.(likeitalafacebook)
Wenn man mal von den unterschiedlichen Gebärdensprachen (GS) und ‑dialekten absieht: Gibt es denn in den GS sowas wie individuelle “Handschriften”? Meine handgeschriebenen Texte sehen auch anders aus als andere und dennoch ist (fast) jeder in der Lage, den Text zu lesen und zu verstehen. Gibt es etwas Vergleichbares in der GS, oder müssen sich die Finger und Hände immer exakt an einer bestimmten Stelle befinden, um verstanden zu werden? Wenn die Hand etwas schräger gehalten wird, die Finger etwas weiter gespreizt sind, kann man die Gebärde dann nicht verstehen? Vielleicht liegt hier der Schlüssel, dass es einfach eine individuelle ‘Handschrift’ ist.
@Andreas H: Gebärden sind in Struktur und Funktionsweise nicht mit Schrift vergleichbar, sondern eher mit Lautsprache (nur halt in einem anderen Kanal). Insofern kann es keine Variation in der Größenordnung von Handschriften geben, sondern nur in der Größenordnung von Ausspracheunterschieden. Solche Ausspracheunterschiede gibt es einerseits auf der Ebene von Gruppen (z.B. bei regionalen Dialekten); hier können sie beträchtlich sein (denken Sie an den Unterschied zwischen Plattdeutsch und Bairisch). Zum anderen unterscheidet sich unsere Aussprache natürlich auch individuell und situativ – wir sprechen höher oder tiefer, schneller oder langsamer, wir nuscheln oder sprechen mit vollem Mund. Das gibt es bei Gebärdensprachen auch, wenn Sprecherinnen in einer Hand etwas halten, machen sie viele Gebärden z.B. einfach einhändig. Da ist es natürlich theoretisch möglich, dass bei der Variante der ASL-Gebärde mit den ausgestreckten Fingern einmal nicht alle Finger geschlossen sind – aber ein Beleg dafür fehlt bislang, und es wäre sowieso etwas ziemlich anderes als die Behauptung, dass die Merkel-Raute „in der Gebärdensprache ‚Vagina‘ bedeutet“. Manchmal gibt es auch regelhafte Aussprachevarianten, z.B. das deutsche Wort Vagina, das entweder auf der zweiten oder auf der ersten Silbe betont werden kann. Für eine regelhafte Variante der ASL-Gebärde, bei der die Finger gespreizt wären, fehlt auch jeglicher Beleg. Und außerdem ging es ja am Anfang angeblich um eine DGS-Gebärde. Wir können hier viel spekulieren und hin und her überlegen, solange Frau Probst, wenn sie schon keine Belege liefert, nicht wenigstens etwas genauer und weniger wechselhaft beschreibt, wer die Merkel-Raute wo und wann mit der Bedeutung „Vagina“ verwendet oder verwendet hat, wird das zu nichts führen.
Ich mag mich irren, aber ich sehe nicht, dass Angela Merkel irgendein Gebärdensprachezeichen nutzt. Wie bereits andere kommentiert haben, dürfte der Hintergrund eher in Ideen aus der angewandten Rhetorik liegen. Eine sichere Antwort darauf kann uns selbstverständlich nur Frau Merkel selbst geben.
Bleibt also nur die Frage, ob sie mit ihren Händen zufällig in die Gebärdensprache eindringt.
Anatols Versuche, genau dies zu belegen — und damit meine Interpretation, unsere Bundeskanzlerin würde bei jeder ihrer Reden gebärdig ausdrücken ‘Fickt euch, Bürger’ -, gingen bisher ins Leere. Alle gefundenen offiziellen, standardisierten Zeichen sehen anders aus. So, wie das auf dem Kopf stehende A oder das nach hinten weisende E aus einigen logischen Notationen eben keine A und E sind.
Nun sind wir alle relativ tolerant, wenn es darum geht, Lautfehler, lexikalische oder grammatische Fehler zu überhören, solange die Kommunikation nicht wesentlich gestört wird*. Ich vermute, Gehörlose übersehen entsprechende Fehler bei ungeübten Gebärdern. So wie in Four Weddings and a Funeral. In einer intendierten, vollständigen Kommunikation in Gebärdensprache macht es natürlich Sinn, Flüchtigkeitsfehler zu übersehen und korrigierend zu interpretieren.
Nur, Frau Merkel befindet sich beim Formen ihrer Raute nicht in einem solchen Gespräch. Ihre Raute soll gar nichts heissen**, die ist einfach so da. Und sieht eben nur ein wenig so aus wie das eine oder andere Zeichen, das Frau Probst verwendet, wenn Sie über weibliche Geschlechtsorgane spricht.
Kann passieren. Ich verhöre ich auch manchmal [absichtlich wie unabsichtlich] oder spreche undeutlich [absichtlich oder unabsichtlich]; geht es um ganze Sätze, mag ich Ambiguität, weil ich auch ein Scherzkeks bin. Aber ich versuche nicht krampfhaft darauf zu bestehen, dass jede Äusserung anderer zweideutig gemeint wäre!
*Doch doch, achten Sie mal drauf, wenn Sie sich das nächste Mal mit dem türkischstämmigen Chef des Gemüsehandels gegenüber unterhalten.
**Bis Dr. Merkel etwas Anderes sagt, bestehe ich darauf.
aber frau probst — die vorstellung eines wörterbuchs (egal welcher laut- oder gebärdensprache), das ALLE wörter bzw. gebärden dieser sprache verzeichnet ist schlicht absurd.
so etwas gibt es nicht und kann es nie geben.
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Ich sehe die “Raute” von Merkel ist eher ähnlich wie der Anfang von der Gebärde für “Lösung” zum Beispiel bei Schulaufgaben. Eine Bedeutung von “Vagina” kenne ich für sie nicht, sondern, nur so ähnlich wie auf den Bilder aber die Bewegung auch etwas kleiner.
…was man ganz gut hier illustriert sieht; dort nach
Lösung
suchen.Allerdings sehe ich auch hier eine eher entfernte Ähnlichkeit (wobei Merkel sich über diese Interpretation sicher freuen würde).
Insgesamt mal wieder ein “typischer Julia Probst”: Behauptungen in die Welt setzen und bei Kritik oder Nachweis, dass da was nicht stimmt, sich entweder versuchen herauszureden oder den anderen angreifen. Hat sie schon gesagt, dass der Autor audistisch ist?
Wieso erinnert mich diese Diskussion an die Kontroverse um die Verwendung von ser und estar (vor einiger Zeit ebenfalls in diesem Theater)? Oder an die Konflikte zwischen Sprachwissenschaftlern, die sich mit der Erforschung des Sintetikes/Sintitikes befass(t)en und den Sinti selbst?
Julia Probsts Argumentation und “Belege” mögen wissenschaftlichen Standards nicht genügen. Aber, wie wir Grobschlosserinnen der Sprachwissenschaft (vulgo: Übersetzerinnen) in der Praxis nahezu täglich erfahren müssen, sind Wörterbücher häufig nicht mehr als ein Anhaltspunkt und ihr Inhalt nicht immer der Weisheit letzter Schluss. Ich bin also geneigt, einer Praktikerin wie Julia Probst zu glauben, dass sie die “Raute” in der Bedeutung “Vagina” kennt und vielleicht sogar verwendet. Mich würde interessieren, ob Sie, Herr Stefanowitsch, eine Gebärdensprache beherrschen oder ob Sie sich auf die Konsultation von Wörterbüchern und Internetquellen beschränkt haben.
Ich stimme Ihnen zu, dass der einzelne Muttersprachler oder Sprecher mit nahezu muttersprachlicher Kompetenz eventuell nicht immmer in der Lage ist, sprachliche Muster zu erkennen, zweifelsfrei zu belegen oder gar zu erläutern. Dennoch erscheint es mir zweifelhalft, die Kompetenz dieser Personen derart zu missachten, wie dies in der Sprachwissenschaft häufig geschieht.
Auf welche Konflikte Sie sich bei ihrer Erwähnung des Sintikes beziehen, weiß ich nicht genau. Möglicherweise spielen Sie auf die Frage der Verwandtschaft zum Romani an, aber ich will hier nicht unnötig spekulieren. Wenn Sie mir sagen, was Sie meinen, nehme ich gerne Stellung dazu.
An die „Kontroverse“ um die Verwendung von ser/estar erinnert diese Diskussion hier nur insofern, dass ich etwas geschrieben habe und jemand anders widersprochen hat. Bei ser/estar ging es darum, dass ein spanischer Muttersprachler weder die von mir durch eine Reihe authentischer (von spanischen Muttersprachler/innen produzierter) Belege aus großen spanischsprachigen Zeitungen noch die explizite Beschreibung des Phänomens durch eine muttersprachliche Schriftstellerin akzeptieren wollte. Warum die Sprachwissenschaft die „Kompetenz“ solcher unbeirrbarer Muttersprachler/innen „missachtet“, dürfte eigentlich klar sein: Wenn wir belegte und überprüfbare Fakten zugunsten offensichtlich mit der sprachlichen Realität nicht übereinstimmender Behauptungen einer einzelnen Person ignorieren würden, wäre die Linguistik als Wissenschaft nicht sehr weit gekommen.
Im vorliegenden Fall liegt die Sache etwas anders. Frau Probst hat zunächst behauptet, die Merkel-Raute habe „in der Gebärdensprache“ die Bedeutung „Vagina“, in ihrem ersten Kommentar hier stellt sie klar, dass sie damit die Deutsche Gebärdensprache meint. Diese Behauptung ließ sich bislang aus keiner Quelle belegen und genauere Informationen dazu, wo und von wem die Merkel-Raute in der DGS so verwendet wird, hat Frau Probst nicht geliefert. Stattdessen ist sie umgeschwenkt und behauptet nun, es handle sich um eine Gebärde der American Sign Language und/oder International Sign Language. Auch dafür fehlen Belege, obwohl das ASL sehr ausführlich erforscht und dokumentiert ist. Der einzige „Beleg“ ist ein Video einer Theaterperformance, in der die Merkel-Raute aber nicht vorkommt.
Sollte „die Sprachwissenschaft“ Frau Probsts Behauptung also einfach als Tatsache akzeptieren? Da sie keine Muttersprachlerin ist und auch keine „nahezu muttersprachliche Kompetenz“ hat (weder der DGS noch gar der ASL), wäre das eine noch schlechtere Idee als im Fall des spanischen Muttersprachlers oben. Bedeutet das, dass sie Unrecht hat? Natürlich nicht, möglich ist alles. Es ist nur erstaunlich, dass es außer ihrer Aussage keinen einzigen Hinweis auf diese Verwendung gibt – bei geschätzt zwischen 50 000 und 80 000 Muttersprachler/innen der DGS müsste das ja irgendwann einmal jemandem aufgefallen sein, der/die das schon einmal irgendwo dokumentiert hätte oder wenigstens jetzt bestätigen könnte.
Ihr Grundproblem (und das vieler Laien und Laiinnen) scheint mir zu sein, dass Sie glauben, eine Sprache zu sprechen oder irgendwie mit Sprache zu tun zu haben, mache eine/n automatisch zur Autorität auf diesem Gebiet. Dieser Glaube sei Ihnen auch unbenommen, sie können „als Praktikerin“ ja glauben, was und wem Sie wollen. Als Wissenschaftler glaube ich gar nichts, und ich führe auch diese gesamte Scheindebatte erst weiter, wenn irgendjemand irgendeinen Beleg für die Behauptung liefert. Warum ich das Gefühl habe, dass ein solcher Beleg nicht kommen wird, habe ich in meinem Beitrag, den Nachträgen und einer Reihe von Kommentaren ja nun wirklich ausführlich dargelegt.
Nein, Herr Stefanowitsch, ich fürchte, Sie haben mich teilweise falsch verstanden. Aber das macht nichts. Im Übrigen habe ich ein Studium der Sprachwissenschaft absolviert, dann aber mein Auskommen außerhalb der Universität gesucht. Ich zweifele Ihre fachliche Autorität auf Ihrem eigenen Gebiet nicht an, nur auf dem fremden. Aber auch ich kann auf dem fremden Gebiet nur mutmaßen (allerdings ist Spanisch mein eigenes Gebiet), und wollte Ihnen nicht zu nahe treten.
@Trippmadam Es geht mir weder darum, meine Autorität zu bekräftigen, noch, Ihnen Ihre abzusprechen. Ganz im Gegenteil: Es geht mir darum, dass eine wissenschaftliche Betrachtung von Sprache auf Tatsachen beruhen muss, und nicht auf Behauptungen (ein sprachwissenschaftliches Studium ist da hilfreich, aber weder notwendig, noch hinreichend). Die einzige, die immer wieder ihre Autorität abgeführt hat, ist Frau Probst. Sie haben sich dem angeschlossen und das habe ich Ihnen nicht abgesprochen. Es bringt nur leider die Diskussion nicht voran.
Da Ihr Euch ja gegenseitig Eure amerikanischen Freudinnen um die Ohren zu hauen scheint, kommt hier als kleine Anregung in beide Richtungen eine Anekdote dazu:
Ein Osnabrücker, ein Bopparder und eine New Yorker Linguistin sitzen beim Bier zusammen. Irgenwann dreht sich das Gespräch umd digitale Kommunikation und alle drei benutzen das Wort “Mail”. Das wird der Amerikanerin aber erst nach kurzer Sprachverwirrung klar (Osnabrücker: “Mehl”, Bopparder: “Meyl”), worauf die Linguistin ziemlich lange darauf beharrt, dass die beiden Deutschen nicht das gleiche Wort gemeint haben und das für Standardsprache gehalten haben können. Sie erklärt den beiden sehr ausführlich, die beiden Aussprachen wiesen nur ungefähre Ähnlichkeiten auf. Auch den Hinweis auf nieder- bzw. hochdeutschen Sprachraum lässt sie lange nicht gelten und verlangt Belege für die Möglichkeit beider Aussprachen.
Moral: Die Möglichkeit des eigenen Irrtums in Erwägung zu ziehen hat schon so manche Auseinandersetzung entschärft…
Sie haben die Anekdote doch ganz falsch erzählt. In Wahrheit sagte doch der Bopparder: “In Lautsprache sagt man dazu ‘Möhl’ ” und die Linguistin meinte “Davon hab ich ja noch nie gehört, in welcher denn?” Worauf der Bopparder entgegnete: “Sie wissen ja gar nix, so bei Oberndorf am Neckar halt”, und der Osnabrücker und die Linguistin so: “what” und der Bopparder wiederum “gut, dann bei Erfurt. Ich hab da eine Freundin” und die Linguistin so: “ich auch”.
Davon abgesehen sehr instruktiv.
David, ich bitte um Entschuldigung und werde die Geschichte in Zukunft korrekt erzählen…
Nur so nebenbei, die Schreibweise “Mehl” hab ich übrigens aus einem Artikel, der im Bremer Sprachblog zu lesen war.
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