Das Wort Whistleblower war schon im ersten Jahr unseres Wettbewerbs nominiert und landete sogar auf dem dritten Platz (hinter dem Sieger leaken und dem zweitplatzierten entfrienden). Seinen Anstieg im Sprachgebrauch verdankte das Wort damals (wie auch das Verb leaken) der plötzlichen Prominenz von Wikileaks, einer Netzplattform, die geheime Dokumente veröffentlichte, die ihnen eben von sogenannten Whistleblowern zugespielt wurden.
Das Wort Whistleblower ist inzwischen akzeptierter Bestandteil der deutschen Sprache, es steht im Duden, wo es mit „jemand, der Missstände [an seinem Arbeitsplatz] öffentlich macht“ definiert ist, und es findet sich seit 2010 durchgängig im Deutschen Referenzkorpus des Instituts für Deutsche Sprache, einer Sammlung von Texten (hauptsächlich Zeitungstexten), die wir in der Bewertung unserer Wortkandidaten immer als Abbild des allgemeinen Sprachgebrauchs verstehen.
Mit der englischen Vorgeschichte des Wortes sowie der Entlehnung ins Deutsche habe ich mich seinerzeit in einem Sprachlogbeitrag ausführlich befasst und will meine Diskussion hier nur kurz wiederholen. Ich habe damals die Vermutung geäußert, dass sich das Wort von der Redewendung to blow the whistle on someone/something ableitet, die zunächst allgemein die Bedeutung „etwas beenden“ hatte und sich bildhaft auf die Fabriksirene bezieht, die das Ende einer Schicht signalisiert. Diese Deutung führt inzwischen auch die deutschsprachige Wikipedia neben den von mir damals abgelehnten Herleitungen von Polizei- oder Schiedsrichterpfeifen auf. Das Wort findet sich seit Mitte der neunziger Jahre im Deutschen Referenzkorpus, breite Verwendung fand es, wie gesagt, aber erst ab 2010.
Die entscheidende Frage ist, ob das Wort seit seinem damaligen Häufigkeitsschub im laufenden Jahr eine so drastische weitere Verbreitung gefunden hat, dass seine nochmalige Nominierung gerechtfertigt ist.
Das scheint zunächst klar der Fall zu sein: Seine relative Häufigkeit im Deutschen Referenzkorpus hat sich 2013 im Vergleich zu 2010 fast verzehntfacht und es zeigt sich nach einem relativ kontinuierlichen Anstieg 2011 und 2012 eine klare Beschleunigung des Anstiegs 2013 (ich zeige diesen Anstieg gleich grafisch, etwas Geduld noch, bitte). Auch die bei Google Trends ausgewerteten Suchanfragen für Whistleblower zeigen nach einer ersten Interessensspitze Ende 2010 zunächst ein relativ gleichbleibendes Interesse, bis Mitte 2013 die Suchanfragen explosionshaft ansteigen.
Aber der Grund für dieses plötzliche Interesse ist natürlich vermutlich nicht eine breite Beschäftigung mit Whistleblower/innen im Allgemeinen, sondern die Berichterstattung über einen ganz bestimmten prominenten Whistleblower: Edward Snowden. Wenn das so wäre, dürften wir dem Häufigkeitsanstieg nicht allzu viel Bedeutung beimessen, denn es wäre dann zu erwarten, dass das Wort im Sprachgebrauch wieder seltener wird, sobald das Interesse an Snowdens Enthüllungen abnimmt (was ja – angesichts der immer drastischerern Enthüllungen unfassbarer Weise – bereits der Fall zu sein scheint).
Die Google-Trends-Daten belegen den Zusammenhang zwischen dem Interesse am Wort Whistleblower und der Person Edward Snowden klar: Die Kurven der Suchverläufe für die beiden Ausdrücke sind nahezu identisch. Und auch die Daten des Deutschen Referenzkorpus lassen diesen Zusammenhang zunächst vermuten: Die Beschleunigung des Häufigkeitsanstiegs von Whistleblower geht klar mit dem plötzlichen Häufigkeitsanstieg des Namens Edward Snowden in der Berichterstattung einher:
Ein genauerer Blick auf die Jahre 2012 und 2013 (bis August, wo die Korpora des IDS derzeit enden) zeigt jedoch, dass die Sache etwas komplexer ist:
Während die Häufigkeit beider Ausdrücke im Juni 2013 (mit dem Bekanntwerden der Enthüllungen) stark ansteigt, deutet sich schon im August eine gewisse Entkoppelung der Häufigkeitsentwicklung an. Die Häufigkeit des Namens Edward Snowden sinkt in der Berichterstattung, aber die Häufigkeit des Wortes Whistleblower steigt weiter. Dies lässt vermuten, dass hier erneut (wie schon 2010) eine allgemeinere Diskussion um Whistleblower/innen begonnen hat, die nicht mehr nur mit Snowden zu tun hat, sondern mit der Frage, welchen gesellschaftlichen Stellenwert das Whistleblowing hat und haben sollte und wie mit Personen umzugehen ist, die sich entsprechend betätigen.
Diese Diskussion um Whistleblower/innen wird sicher so schnell nicht verstummen, da sich (trotz des erstaunlich geringen allgemeinen Interesses an Snowdens Enthüllungen) doch ein Wandel im Verhältnis zwischen Politik und Wirtschaft auf der einen und der Öffentlichkeit auf der anderen Seite abzeichnet. Die Forderung nach mehr Transparenz von Seiten der Öffentlichkeit wächst, und da sie Wirtschaft und Politik auf wenig Gegenliebe stößt, wird das Whistleblowing auch nach Snowden eine wichtige Rolle spielen.
Insofern dürfte uns das Wort Whistleblower/in langfristig erhalten bleiben und verdient auf jeden Fall eine zweite Chance, Anglizismus des Jahres zu werden.
Sehr informativ, danke. Da ich schon lange nicht mehr in D wohne, Immer sehr interessant zu sehen welche Anglizismen oft verwendet werden.
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Zum Ursprung des Begriffs Whistleblowing/blower wird bereits im zweiten Beleg in Dein Beitrag zum Anglizismus des Jahres 2011 auf Ralf Nader verwiesen, (1971 The Code [of Good Conduct of The British Computer Society] contains secrecy clauses that effectively prohibit Nader style *whistle-blowing. (New Scientist 9 Dec. 69)), und die englische Wikipedia verweist ebenfalls auf Ralf Nader (US civic activist Ralph Nader coined the phrase in the early 1970s to avoid the negative connotations found in other words such as “informers” and “snitches”). Ob Polizeipfeife oder Fabriksirene, ich würde als wesentliches Element des Whistleblowers die fehlenden negativen Konnotationen hervorheben. Ein Wistleblower ist kein Verräter, kein Informant, kein Petzer. Er tut das, was er als seine Pflicht betrachtet. Um die Kontroverse über den Ursprung des Wortes zu schlichten wäre es vielleicht am einfachsten, den Herrn Nader selbst zu fragen. Noch lebt er.
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