Unser heutiges Untersuchungsobjekt performt außerordentlich gut in allen Kriterien. Performen ist sozusagen eine Art Wortfeldkönig unter den Kandidaten für 2013 — denn einerseits komplementiert es ein bereits länger im Deutschen existierendes Muster mit perform-Stämmen, andererseits hat es seine semantischen Lücke in der bunten Welt der Kulturrezensionen gefunden (und sich längst breit gemacht).
Einige mögen jetzt vielleicht sagen: „performen? Ist das nicht ein ganz alter Hut?“ Und ganz so unrecht haben sie nicht: performen steht sogar schon seit 2004 im DUDEN. Aber immerhin: die Entwicklung ist stetig und wirkt robust, was wiederum ein deutliches Zeichen für seine wirkliche Verbreitung im allgemeinen Sprachgebrauch ist. Das ist ein Grund zur Freude, weil wir in der Jury sonst ja eher Probleme haben, überhaupt Korpusbelege für unsere Kandidaten zu finden ((NB: Google ist kein Korpus, ja?)):
Die ganz große Entlehnungswortwahlverzückung mag sich anhand dieser Alter-Hut-Etablierung fast gar nicht so richtig einstellen. Die Stammesverwandtschaft bei Familie Performance wirkt nämlich ganz und gar nicht anglizismusverdächtig: Performanz, performativ, performant oder performatorisch sind alles Wörter, die — wenn nicht direkt der linguistische Fachdiskurs feilgeboten wird (Performanz) oder von der Leistungsfähigkeit von Rechnern die Rede ist — eher an die intellektuelle Kulturkritik im sonntäglichen Feuillton erinnern. Anders dagegen performen: hier tut sich für uns alle wohl primär der Kulturkontext des Jugendlichen auf: Popmusik und bombastische Bühnenshows, aber halt auch die Coolness der Theaterkleinkunst. Performen (‚Rendite bringen‘) können wie im Englischen zwar auch Aktien, Hedgefonds und Algorithmen, als Freund/innen der Unterhaltungskunst beleuchten wir diesen performanten Kandidaten aber überwiegend von der künstlerischen Seite.
Seltsam, hm? Es ist derselbe Stamm, mit derselben Vergangenheit: im Englischen wird schon seit dem Mittelalter performt, damals noch in der mittelfranzösischen Bedeutung von par fornir (‚leisten, bringen, dienen‘), ab etwa der frühen Neuzeit um 1600 ist auch performance belegt — tja und die wiederum steht bei uns schon seit 1991 im DUDEN (und ist sogar bereits 1911 belegt ((„Performare, schon im Lateinischen: die Ausbildung vollenden, nahm im Englischen die Richtung auf das Virtuosentum; performance ist besonders eine theatralische oder musikalische Aufführung.“ — Fritz Mauthner, 2000[1910], Wörterbuch der Philosophie, in: Mathias Bertram (Hg.) Geschichte der Philosophie, Berlin: Directmedia Publ. S. 25608, via DWDS. )) ) und bezeichnet entweder den Akt oder aber auch den künstlerischen Gesamteindruck der Darbietung.
Deshalb könnte es sogar sein, dass performen in der Variante, die wir hier diskutieren, eigentlich nicht direkt aus dem Englischen entlehnt wurde, sondern bei uns im Deutschen als Ableitung der Entlehnung Performance gebildet wurde. Diese These ist natürlich schwer nachzuweisen, aber denkbar ist dieser Prozess allemal.
Im Gegensatz zu dem lexikalischen Material, was uns zur Beschreibung künstlerischer Darbietungen oder technisch-finanzieller Leistungsfähigkeit zur Verfügung steht, ist performen ein Verb, was uns morphologisch selten vor größere Probleme stellt. Anders als auf- oder vorführen muss es nicht auseinander gerissen werden (vs. sie führten das Stück auf). Im Gegensatz zu darbieten oder präsentieren kann es — in dieser Bedeutung — auch transitiv verwendet werden (sie performen und begeistern damit das Publikum). Interessant ist, dass performen im Vergleich etwa zu aufführen oder darbieten deutlich seltener in adjektivischen oder partizipischen Verwendungen vorliegt, sondern dass fast jeder zweite Treffer im DeReKo als performen vorliegt; dagegen machen bei darbieten oder aufführen die Formen dargeboten oder aufgeführt beispielsweise zwischen 70 und 80% der Treffer aus. Das deutet darauf hin, dass im Vergleich zu diesen Alternativen das dynamische Element bei performen etwas mehr im Vordergrund steht.
Fazit
Es ist paradox. Kandidat performen erfüllt nun wirklich alle Kriterien und insbesondere bei der Verbreitung im allgemeinen Sprachgebrauch kann man echt nicht meckern. Es vollständig etabliert, sogar in traditionellen Kontexten (und Medien). Es ist auch unproblematisch integriert ins deutsche System, verhält sich syntaktisch anders als seine angeblichen Synonyme und hat eine Lücke besetzt, in der gleichermaßen Akt und Dynamik des Bühnengesamtkunstwerks eingefangen wird. Und trotzdem fehlt irgendwie das gewisse Etwas, dieses kribbelnde frequenzbasierte AdJ-Wahl-Aha-Erlebnis, das Alleinstellungsmerkmal 2013. Vielleicht, weil es längst zu etabliert ist? Das ist doch irgendwie paradox.
Warten wir ab, wie es in der Jury performt.
„auch transitiv verwendet werden“
Intransitiv war gemeint, oder? 😉
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Ich würde jetzt nicht ausschließen, dass gut performende Aktien kurz vor oder nach Nachrichtensendungen vorkommen. Und ausdrücklich nicht: können. Aber dafür gibt’s keinen Korpus…