Kandidaten für den Anglizismus 2013: performen

Von Susanne Flach

Unser heutiges Unter­suchung­sob­jekt per­formt außeror­dentlich gut in allen Kri­te­rien. Per­for­men ist sozusagen eine Art Wort­feld­könig unter den Kan­di­dat­en für 2013 — denn ein­er­seits kom­ple­men­tiert es ein bere­its länger im Deutschen existieren­des Muster mit per­form-Stäm­men, ander­er­seits hat es seine seman­tis­chen Lücke in der bun­ten Welt der Kul­tur­rezen­sio­nen gefun­den (und sich längst bre­it gemacht).

Einige mögen jet­zt vielle­icht sagen: „per­for­men? Ist das nicht ein ganz alter Hut?“ Und ganz so unrecht haben sie nicht: per­for­men ste­ht sog­ar schon seit 2004 im DUDEN. Aber immer­hin: die Entwick­lung ist stetig und wirkt robust, was wiederum ein deut­lich­es Zeichen für seine wirk­liche Ver­bre­itung im all­ge­meinen Sprachge­brauch ist. Das ist ein Grund zur Freude, weil wir in der Jury son­st ja eher Prob­leme haben, über­haupt Kor­pus­belege für unsere Kan­di­dat­en zu find­en ((NB: Google ist kein Kor­pus, ja?)):

DeReKo_performen_1995-2013

Die ganz große Entlehnungswort­wahlverzück­ung mag sich anhand dieser Alter-Hut-Etablierung fast gar nicht so richtig ein­stellen. Die Stammesver­wandtschaft bei Fam­i­lie Per­for­mance wirkt näm­lich ganz und gar nicht anglizis­musverdächtig: Per­for­manz, per­for­ma­tiv, per­for­mant oder per­for­ma­torisch sind alles Wörter, die — wenn nicht direkt der lin­guis­tis­che Fachdiskurs feil­ge­boten wird (Per­for­manz) oder von der Leis­tungs­fähigkeit von Rech­n­ern die Rede ist — eher an die intellek­tuelle Kul­turkri­tik im son­ntäglichen Feuill­ton erin­nern. Anders dage­gen per­for­men: hier tut sich für uns alle wohl primär der Kul­turkon­text des Jugendlichen auf: Pop­musik und bom­bastis­che Büh­nen­shows, aber halt auch die Cool­ness der The­aterkleinkun­st. Per­for­men (‚Ren­dite brin­gen‘) kön­nen wie im Englis­chen zwar auch Aktien, Hedge­fonds und Algo­rith­men, als Freund/innen der Unter­hal­tungskun­st beleucht­en wir diesen per­for­man­ten Kan­di­dat­en aber über­wiegend von der kün­st­lerischen Seite.

Selt­sam, hm? Es ist der­selbe Stamm, mit der­sel­ben Ver­gan­gen­heit: im Englis­chen wird schon seit dem Mit­te­lal­ter per­formt, damals noch in der mit­tel­franzö­sis­chen Bedeu­tung von par fornir (‚leis­ten, brin­gen, dienen‘), ab etwa der frühen Neuzeit um 1600 ist auch per­for­mance belegt — tja und die wiederum ste­ht bei uns schon seit 1991 im DUDEN (und ist sog­ar bere­its 1911 belegt ((„Per­for­mare, schon im Lateinis­chen: die Aus­bil­dung vol­len­den, nahm im Englis­chen die Rich­tung auf das Vir­tu­osen­tum; per­for­mance ist beson­ders eine the­atralis­che oder musikalis­che Auf­führung.“ — Fritz Mau­th­n­er, 2000[1910], Wörter­buch der Philoso­phie, in: Math­ias Bertram (Hg.) Geschichte der Philoso­phie, Berlin: Direct­media Publ. S. 25608, via DWDS. )) ) und beze­ich­net entwed­er den Akt oder aber auch den kün­st­lerischen Gesamtein­druck der Darbietung.

Deshalb kön­nte es sog­ar sein, dass per­for­men in der Vari­ante, die wir hier disku­tieren, eigentlich nicht direkt aus dem Englis­chen entlehnt wurde, son­dern bei uns im Deutschen als Ableitung der Entlehnung Per­for­mance gebildet wurde. Diese These ist natür­lich schw­er nachzuweisen, aber denkbar ist dieser Prozess allemal.

Im Gegen­satz zu dem lexikalis­chen Mate­r­i­al, was uns zur Beschrei­bung kün­st­lerisch­er Dar­bi­etun­gen oder tech­nisch-finanzieller Leis­tungs­fähigkeit zur Ver­fü­gung ste­ht, ist per­for­men ein Verb, was uns mor­phol­o­gisch sel­ten vor größere Prob­leme stellt. Anders als auf- oder vor­führen muss es nicht auseinan­der geris­sen wer­den (vs. sie führten das Stück auf). Im Gegen­satz zu dar­bi­eten oder präsen­tieren kann es — in dieser Bedeu­tung — auch tran­si­tiv ver­wen­det wer­den (sie per­for­men und begeis­tern damit das Pub­likum). Inter­es­sant ist, dass per­for­men im Ver­gle­ich etwa zu auf­führen oder dar­bi­eten deut­lich sel­tener in adjek­tivis­chen oder par­tizip­is­chen Ver­wen­dun­gen vor­liegt, son­dern dass fast jed­er zweite Tre­f­fer im DeReKo als per­for­men vor­liegt; dage­gen machen bei dar­bi­eten oder auf­führen die For­men darge­boten oder aufge­führt beispiel­sweise zwis­chen 70 und 80% der Tre­f­fer aus. Das deutet darauf hin, dass im Ver­gle­ich zu diesen Alter­na­tiv­en das dynamis­che Ele­ment bei per­for­men etwas mehr im Vorder­grund steht.

Fazit

Es ist para­dox. Kan­di­dat per­for­men erfüllt nun wirk­lich alle Kri­te­rien und ins­beson­dere bei der Ver­bre­itung im all­ge­meinen Sprachge­brauch kann man echt nicht meck­ern. Es voll­ständig etabliert, sog­ar in tra­di­tionellen Kon­tex­ten (und Medi­en). Es ist auch unprob­lema­tisch inte­gri­ert ins deutsche Sys­tem, ver­hält sich syn­tak­tisch anders als seine ange­blichen Syn­onyme und hat eine Lücke beset­zt, in der gle­icher­maßen Akt und Dynamik des Büh­nenge­samtkunst­werks einge­fan­gen wird. Und trotz­dem fehlt irgend­wie das gewisse Etwas, dieses kribbel­nde fre­quenzbasierte AdJ-Wahl-Aha-Erleb­nis, das Alle­in­stel­lungsmerk­mal 2013. Vielle­icht, weil es längst zu etabliert ist? Das ist doch irgend­wie paradox.

Warten wir ab, wie es in der Jury performt.

3 Gedanken zu „Kandidaten für den Anglizismus 2013: performen

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  2. MCBuhl

    Ich würde jet­zt nicht auss­chließen, dass gut per­for­mende Aktien kurz vor oder nach Nachricht­ensendun­gen vorkom­men. Und aus­drück­lich nicht: kön­nen. Aber dafür gibt’s keinen Korpus…

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