Alle Welt redet heute über das „Jugendwort des Jahres“, das der Verlag von Mario Barths „Deutsch-Frau Frau–Deutsch“ gegen jede himmlische Gerechtigkeit jedes Jahr wählt. Lesen Sie exklusiv im Sprachlog die geheime Geschichte dieses Wörterwahl gewordenen Scheiterns lexikografischen Sachverstands.
Teil 1
Aufzeichnung aus den Redaktionsräumen des Wörterbuchverlags Schlangeneidt. Anwesend sind Oberlexikograf Dr. Willhelm Wortwisperer und Assistenzoberlexikograf Siegfried Silbensäusler.
WORTWISPERER. Silbensäusler, der Herr Direktor Schlangeneidt hat mir gerade eine Rohrpost geschickt: Das Jungspundwort des Jahres steht schon wieder an.
SILBENSÄUSLER. Potzblitz, schon? Ich hatte mir letztes Jahr doch fest vorgenommen, bis zum nächsten Mal endlich einmal etwas über diese „Jugendsprache“ herauszufinden. Aber die Zeit vergeht so schnell.
WORTWISPERER. Ja, viel schneller als früher, nicht wahr?
SILBENSÄUSLER. Was für eine Bredouille! Wie verfahren wir nun? Erfinden wir wieder ein Kompositum nach Gutdünken? So eins wie „Mafiatorte“ und „Knutschbunker“?
WORTWISPERER. Das riskieren wir lieber nicht noch einmal, Herr Kollege! Ich bekomme jetzt noch Fracksausen, wenn ich daran denke, wie der Herr Direktor uns vor drei Jahren unsere Kreation um die Ohren gehauen hat.
SILBENSÄUSLER. Und dabei klang „Niveaulimbo“ doch so wohlfeil! Wer konnte denn ahnen, dass die Jungspunde heutzutage Wörter wie „Niveau“ und „Limbo“ gar nicht mehr kennen! Ach, ach. Hätte ich doch nur meinen Vorsatz umgesetzt, und einmal ein paar Halbstarken gelauscht, wenn sie sich über diese moderne Jazz-Musik unterhalten, die sie jetzt allenthalben hören.
WORTWISPERER. Oder einer Gruppe junger Backfische, wenn sie mit ihrer Gouvernante auf eine dieser neumodischen Droschken ohne Pferde warten.
SILBENSÄUSLER. Halten Sie sich ja von Backfischen fern, Sie alter Schwerenöter!
WORTWISPERER. Ho ho ho.
SILBENSÄUSLER. Hö hö hö.
WORTWISPERER. Aber Scherz beiseite, Silbensäusler! Wo bekommen wir nun hurtig ein Wort her?
SILBENSÄUSLER. Oh weh.
WORTWISPERER. Ich weiß! Wir machen es wie in den letzten beiden Jahren, wir fragen einfach das Fräulein Janina, was das Jungvolk zur Zeit auf diesem „Jutube“ treibt. Vielleicht hat sie ein Wort in petto, das dem Herrn Direktor goutieren könnte.
SILBENSÄUSLER. Eine hervorragende Idee, Wortwechsler! Die Lieder von diesem „Manni Beu“ klingen für mich zwar nur wie Lärm, aber wenigstens haben wir auf diese Weise Wörter gefunden, die die jungen Leut tatsächlich kennen! „Swag“, was hieß das noch gleich?
WORTWISPERER. Wohl soviel wie „Nutze den Tag“, wenn ich mich recht entsinne.
SILBENSÄUSLER. Sapperlot, da fällt mir ein: Das Fräulein Janina ist ja nicht mehr in unserem Hause beschäftigt. Sie wollte ihr Praktikum nicht verlängern. „Ich kann nicht noch ein Jahr ohne Gehalt arbeiten“, hat sie gesagt.
WORTWISPERER. Das ist ja fürwahr sehr keck, Silbensäusler! Zu meiner Zeit durften die Weibsbilder überhaupt nicht arbeiten.
SILBENSÄUSLER. Ja, früher war das Leben einfacher, nicht wahr?
WORTWISPERER. Nun gut, schreiben Sie ihr einen Brief, vielleicht kann sie uns ja helfen.
SILBENSÄUSLER. Ich hoffe nur, das inkommodiert sie nicht allzu sehr. Ich weise meine Sekretärin Frau Federkiel an, eine von diesen Depeschen aus Elektrizität an das Fräulein Janina zu schicken.
WORTWISPERER. Ei der Daus, haben wir hier Elektrizität?
SILBENSÄUSLER. Nur bei der Frau Federkiel, Wortwisperer, nur bei der Frau Federkiel.
WORTWISPERER. Da bin ich ja beruhigt, Silbensäusler. Einen Moment lang war mir ganz blümerant.
Teil 2
Schriftverkehr zwischen Frauke Federkiel, Sekretärin von Assistenzoberlexikograf Silbensäusler und Janina Jung, ehemalige Praktikantin im Hause Schlangeneidt.
Von: Büro Assistenzoberlexikograf Silbensäusler <frauke.federkiel@schlangeneidt.de>
An: Janina Jung <janina.jung@sprachlog.de>
Betreff: Jugendwort des Jahres
Datum: 17.11.2013Liebe Janina,
Mein Chef Herr Silbensäusler hat mich gebeten, dich zu fragen, ob du eine Idee für das Jugendwort des Jahres hast. Sein Chef Herr Dr. Wortwisperer und er haben in den letzten beiden Jahren viel Lob für die Wörter aus den YouTube-Hits von Moneyboy bekommen, die du ihnen vorgeschlagen hast, und fragen sich, ob der junge Mann vielleicht einen aktuellen Hit (oder, wie mein Chef sagt, „Kassenschlager“) hat, in dem ein geeignetes Wort vorkommt.
Deine
FraukePS. Wir müssen uns unbedingt bald wieder mal auf einen Kaffee treffen, ich habe so viel über die neuesten Schrullen von Herrn Silbensäusler zu erzählen, und ich will natürlich alles darüber wissen, wie dein freiwilliges soziales Jahr beim Sprachlog läuft.
Von: Janina Jung <janina.jung@sprachlog.de>
An: Büro Assistenzoberlexikograf Silbensäusler <frauke.federkiel@schlangeneidt.de>
Betreff: Re: Jugendwort des Jahres
Datum: 18.11.2013Liebe Frauke,
Mein kleiner Bruder sagt, Moneyboy ist gerade nicht so angesagt (aber er hat die Wörter „Swag“ und „Yolo“ nochmal in einem eigenen Song aufgegriffen – Swaghetti Yolonaise, ganz lustig :-). Er sagt, wir sollen uns stattdessen mal einen „gewissen Herrn Haftbefehl“ ansehen, der zur Zeit „total abgeht“ (seine Worte). Er hat einen aktuellen Song „Die Chabos wissen, wer der Babo ist“. „Babo“ heißt soviel wie „Boss“, das kommt aus dem Türkischen. Das wäre doch genau das richtige für Wortwisperer und Silbensäusler. Natürlich benutzen es die Jugendlichen nicht wirklich (außer ein paar Haftbefehl-Fans), aber wenigstens kennen sie es!
Deine Janina
PS. Ja, lass uns doch nächste Woche treffen, da habe ich ein paar Tage frei. Die Arbeit beim Sprachlog war am Anfang ziemlich ungewöhnlich, weil meine drei Chefs hier tatsächlich Ahnung von Sprache haben. Aber inzwischen habe ich mich daran gewöhnt.
Teil 3
Aufzeichnung aus den Redaktionsräumen des Wörterbuchverlags Schlangeneidt. Anwesend sind Oberlexikograf Dr. Willhelm Wortwisperer und Assistenzoberlexikograf Siegfried Silbensäusler.
SILBENSÄUSLER. Wortwisperer, Wortwisperer! Das Fräulein Janina hat meiner Sekretärin einen ganz hervorragenden Vorschlag geschickt! Es geht da um einen Herrn Ordnungsgeld, oder nein, Strafzettel, glaube ich. Er hat auf diesem „Jutube“ einen ziemlichen Straßenfeger gelandet, über einen „Babo“, was unter Ganoven wohl soviel wie „Vorgesetzter“ bedeutet.
WORTWISPERER. Hm, „Babo“, ein merkwürdiges Wort. Klingt ein wenig wie „Garbo“.
SILBENSÄUSLER. Ach, die Garbo, das war noch eine echte Künstlerin! Sie hat mir manch unterhaltsame Stunde im Lichtspielhaus beschert!
WORTWISPERER. Das kann ich mir vorstellen, Sie alter Hagestolz!
SILBENSÄUSLER. Hö hö hö.
WORTWISPERER. Ho ho ho.
SILBENSÄUSLER. Die jungen Hüpfer können da nicht mithalten, diese Mia Farrow oder diese Diane Keaton.
WORTWISPERER. „Babo“ also. Und das Jungvolk kennt das Wort auch ganz sicher?
SILBENSÄUSLER. Das Fräulein Janina schwört Stein auf Bein, dass dieser Herr Platzverweis einer dieser Sittenstrolche ist, den die Pennäler kolossal zu schätzen scheinen. Ein richtiges Remmidemmi soll der veranstalten!
WORTWISPERER. Dann lassen Sie uns schnell den Herrn Direktor Schlangeneidt informieren.
SILBENSÄUSLER. Und danach feiern wir das bei einem Herrengedeck in dieser neuen Spelunke an der Ecke! Die, wo diese Duttengretel hinter dem Tresen steht!
WORTWISPERER. Ho ho ho.
SILBENSÄUSLER. Hö hö hö.
WORTWISPERER. Und dann wieder ein Jahr lang süßer Müßiggang!
[Die Dialoge sind frei erfunden. Ähnlichkeiten zu real existierenden Wörterbuchverlagen oder Wörterwahlen sind rein zufällig. Das Vokabular der Herren stammt aus dem Lexikon der bedrohten Wörter.]
Nachtrag. Hier die zukünftigen Jugendwörter des Jahres:
- 2014: läuft bei dir
- Jugendwort 2015, Teil 1: Verbot des Tabellenführers Alpha-Kevin
- Jugendwort 2015, Teil 2: smombie
Ist es schlimm, daß ich keins der alten Wörter nachschlagen mußte?
Die Schmerzen.
Ich finde jetzt natürlich den Aufsatz nicht mehr, aber ich habe Babo erst kürzlich irgendwo in der Literatur als multiethnolektal-jugendsprachliches Beispielwort gesehen. Halte es also für möglich, dass es doch ettttwas weiter verbreitet ist als unsere Janina das vermutet.
Da fehlt ein d. “Es ward mir ganz blümerant” müsste es da doch heißen,
Bedrohte Wörter? Die lesen sich wie Kästner im Original. Und dieses Herren Schriften gehören nun wirklich nicht ausgestorben!
@slowtiger: Also ich bin 23 Jahre alt und kannte auch alle diese Wörter 😀
Ich bin erquickt ob des Genius, das solches Werk vollzog. Mich dünkt, die Herren Wortakrobaten haben tatsächlich ihr holdes Licht komplett unter dem Scheffel vergessen. Welch schindludernde Filous. Ich gehe nun von dannen und ersetze den Zimmermann.
@Katinka Feinerbs: Kästner schrieb moderner! 🙂
Ich hoffe, das Fräulein Janina wird beim Sprachlog ihren Fähigkeiten angemessen bezahlt. 😉
“goutieren” ist aber grammatisch falsch verwendet! Es heißt nicht: “ein Wort, das dem Herrn Direktor goutieren könnte”, sondern: “ein Wort, das der Herr Direktor goutieren könnte”. Denn “goutieren” bedeutet nicht “schmecken”, sondern “Geschmack finden an”.
Niemand denkt an die schlimmen Folgen, die solche Wahlen für Jugendliche haben können. http://www.schoeneres-leben.de/2013/11/jugendlicher-wird-gemobbt-weil-er-jugendwort-des-jahres.html#more
Der erste Wörterbucheintrag, den ich für “babo” finde, wenn ich danach googel, ist übrigens “babo, koreanisch: Idiot”. Der zweite ist die britische Ballonfahrervereinigung.
@Clemens: Doch, goutieren heißt unter anderem auch “schmecken”. (Quelle: Duden, Fremdwörterbuch, Mannheim 1997)
Wie auch immer. Die Suche nach “goutiert(e) ihm” oder “goutiert(e) dem” verlief bei Google books jedenfalls erfolglos.
Sehr geehrter Herr Stefanowitsch,
bitte senden Sie mir eine Taube: Wo kann ich “Bundesbabuschka” als Seniorenwort des Jahres einreichen?
Ich verbleibe mit vorzüglicher Hochachtung.
Fürwahr — wahrscheinlich stellt man sich dort die Jugendsprache in etwa so vor:
http://de.webfail.com/66c28ee77b1
@Thomas R. Diehl Ist “Idiot” nicht sowieso meist gleichzusetzen mit “Boss” 😉
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