Ich war jung und brauchte das Wort

Von Anatol Stefanowitsch

Alle Welt redet heute über das „Jugend­wort des Jahres“, das der Ver­lag von Mario Barths „Deutsch-Frau Frau–Deutsch“ gegen jede himm­lis­che Gerechtigkeit jedes Jahr wählt. Lesen Sie exk­lu­siv im Sprachlog die geheime Geschichte dieses Wörter­wahl gewor­de­nen Scheit­erns lexiko­grafis­chen Sachverstands.

Teil 1

Aufze­ich­nung aus den Redak­tion­sräu­men des Wörter­buchver­lags Schlangenei­dt. Anwe­send sind Ober­lexiko­graf Dr. Will­helm Wortwisper­er und Assis­ten­zober­lexiko­graf Siegfried Silbensäusler.

WORTWISPERER. Sil­ben­säusler, der Herr Direk­tor Schlangenei­dt hat mir ger­ade eine Rohrpost geschickt: Das Jungspund­wort des Jahres ste­ht schon wieder an.

SILBENSÄUSLER. Potzblitz, schon? Ich hat­te mir let­ztes Jahr doch fest vorgenom­men, bis zum näch­sten Mal endlich ein­mal etwas über diese „Jugend­sprache“ her­auszufind­en. Aber die Zeit verge­ht so schnell.

WORTWISPERER. Ja, viel schneller als früher, nicht wahr?

SILBENSÄUSLER. Was für eine Bre­douille! Wie ver­fahren wir nun? Erfind­en wir wieder ein Kom­posi­tum nach Gut­dünken? So eins wie „Mafi­a­torte“ und „Knutschbunker“?

WORTWISPERER. Das riskieren wir lieber nicht noch ein­mal, Herr Kol­lege! Ich bekomme jet­zt noch Frack­sausen, wenn ich daran denke, wie der Herr Direk­tor uns vor drei Jahren unsere Kreation um die Ohren gehauen hat.

SILBENSÄUSLER. Und dabei klang „Niveaulim­bo“ doch so wohlfeil! Wer kon­nte denn ahnen, dass die Jungspunde heutzu­tage Wörter wie „Niveau“ und „Lim­bo“ gar nicht mehr ken­nen! Ach, ach. Hätte ich doch nur meinen Vor­satz umge­set­zt, und ein­mal ein paar Halb­starken gelauscht, wenn sie sich über diese mod­erne Jazz-Musik unter­hal­ten, die sie jet­zt allen­thal­ben hören.

WORTWISPERER. Oder ein­er Gruppe junger Back­fis­che, wenn sie mit ihrer Gou­ver­nante auf eine dieser neu­modis­chen Droschken ohne Pferde warten.

SILBENSÄUSLER. Hal­ten Sie sich ja von Back­fis­chen fern, Sie alter Schwerenöter!

WORTWISPERER. Ho ho ho.

SILBENSÄUSLER. Hö hö hö.

WORTWISPERER. Aber Scherz bei­seite, Sil­ben­säusler! Wo bekom­men wir nun hur­tig ein Wort her?

SILBENSÄUSLER. Oh weh.

WORTWISPERER. Ich weiß! Wir machen es wie in den let­zten bei­den Jahren, wir fra­gen ein­fach das Fräulein Jan­i­na, was das Jungvolk zur Zeit auf diesem „Jutube“ treibt. Vielle­icht hat sie ein Wort in pet­to, das dem Her­rn Direk­tor goutieren könnte.

SILBENSÄUSLER. Eine her­vor­ra­gende Idee, Wortwech­sler! Die Lieder von diesem „Man­ni Beu“ klin­gen für mich zwar nur wie Lärm, aber wenig­stens haben wir auf diese Weise Wörter gefun­den, die die jun­gen Leut tat­säch­lich ken­nen! „Swag“, was hieß das noch gleich?

WORTWISPERER. Wohl soviel wie „Nutze den Tag“, wenn ich mich recht entsinne.

SILBENSÄUSLER. Sap­per­lot, da fällt mir ein: Das Fräulein Jan­i­na ist ja nicht mehr in unserem Hause beschäftigt. Sie wollte ihr Prak­tikum nicht ver­längern. „Ich kann nicht noch ein Jahr ohne Gehalt arbeit­en“, hat sie gesagt.

WORTWISPERER. Das ist ja für­wahr sehr keck, Sil­ben­säusler! Zu mein­er Zeit durften die Weib­s­bilder über­haupt nicht arbeiten.

SILBENSÄUSLER. Ja, früher war das Leben ein­fach­er, nicht wahr?

WORTWISPERER. Nun gut, schreiben Sie ihr einen Brief, vielle­icht kann sie uns ja helfen.

SILBENSÄUSLER. Ich hoffe nur, das inkom­modiert sie nicht allzu sehr. Ich weise meine Sekretärin Frau Fed­erkiel an, eine von diesen Depeschen aus Elek­triz­ität an das Fräulein Jan­i­na zu schicken.

WORTWISPERER. Ei der Daus, haben wir hier Elektrizität?

SILBENSÄUSLER. Nur bei der Frau Fed­erkiel, Wortwisper­er, nur bei der Frau Federkiel.

WORTWISPERER. Da bin ich ja beruhigt, Sil­ben­säusler. Einen Moment lang war mir ganz blümer­ant.

Teil 2

Schriftverkehr zwis­chen Frauke Fed­erkiel, Sekretärin von Assis­ten­zober­lexiko­graf Sil­ben­säusler und Jan­i­na Jung, ehe­ma­lige Prak­tikan­tin im Hause Schlangeneidt.

Von: Büro Assis­ten­zober­lexiko­graf Sil­ben­säusler <frauke.federkiel@schlangeneidt.de>
An: Jan­i­na Jung <janina.jung@sprachlog.de>
Betr­e­ff: Jugend­wort des Jahres
Datum: 17.11.2013

Liebe Jan­i­na,

Mein Chef Herr Sil­ben­säusler hat mich gebeten, dich zu fra­gen, ob du eine Idee für das Jugend­wort des Jahres hast. Sein Chef Herr Dr. Wortwisper­er und er haben in den let­zten bei­den Jahren viel Lob für die Wörter aus den YouTube-Hits von Mon­ey­boy bekom­men, die du ihnen vorgeschla­gen hast, und fra­gen sich, ob der junge Mann vielle­icht einen aktuellen Hit (oder, wie mein Chef sagt, „Kassen­schlager“) hat, in dem ein geeignetes Wort vorkommt.

Deine
Frauke

PS. Wir müssen uns unbe­d­ingt bald wieder mal auf einen Kaf­fee tre­f­fen, ich habe so viel über die neuesten Schrullen von Her­rn Sil­ben­säusler zu erzählen, und ich will natür­lich alles darüber wis­sen, wie dein frei­williges soziales Jahr beim Sprachlog läuft.

Von: Jan­i­na Jung <janina.jung@sprachlog.de>
An: Büro Assis­ten­zober­lexiko­graf Sil­ben­säusler <frauke.federkiel@schlangeneidt.de>
Betr­e­ff: Re: Jugend­wort des Jahres
Datum: 18.11.2013

Liebe Frauke,

Mein klein­er Brud­er sagt, Mon­ey­boy ist ger­ade nicht so ange­sagt (aber er hat die Wörter „Swag“ und „Yolo“ nochmal in einem eige­nen Song aufge­grif­f­en – Swaghet­ti Yolon­aise, ganz lustig :-). Er sagt, wir sollen uns stattdessen mal einen „gewis­sen Her­rn Haft­be­fehl“ anse­hen, der zur Zeit „total abge­ht“ (seine Worte). Er hat einen aktuellen Song „Die Cha­bos wis­sen, wer der Babo ist“. „Babo“ heißt soviel wie „Boss“, das kommt aus dem Türkischen. Das wäre doch genau das richtige für Wortwisper­er und Sil­ben­säusler. Natür­lich benutzen es die Jugendlichen nicht wirk­lich (außer ein paar Haft­be­fehl-Fans), aber wenig­stens ken­nen sie es!

Deine Jan­i­na

PS. Ja, lass uns doch näch­ste Woche tre­f­fen, da habe ich ein paar Tage frei. Die Arbeit beim Sprachlog war am Anfang ziem­lich ungewöhn­lich, weil meine drei Chefs hier tat­säch­lich Ahnung von Sprache haben. Aber inzwis­chen habe ich mich daran gewöhnt.

Teil 3

Aufze­ich­nung aus den Redak­tion­sräu­men des Wörter­buchver­lags Schlangenei­dt. Anwe­send sind Ober­lexiko­graf Dr. Will­helm Wortwisper­er und Assis­ten­zober­lexiko­graf Siegfried Silbensäusler.

SILBENSÄUSLER. Wortwisper­er, Wortwisper­er! Das Fräulein Jan­i­na hat mein­er Sekretärin einen ganz her­vor­ra­gen­den Vorschlag geschickt! Es geht da um einen Her­rn Ord­nungs­geld, oder nein, Strafzettel, glaube ich. Er hat auf diesem „Jutube“ einen ziem­lichen Straßen­feger gelandet, über einen „Babo“, was unter Ganoven wohl soviel wie „Vorge­set­zter“ bedeutet.

WORTWISPERER. Hm, „Babo“, ein merk­würdi­ges Wort. Klingt ein wenig wie „Gar­bo“.

SILBENSÄUSLER. Ach, die Gar­bo, das war noch eine echte Kün­st­lerin! Sie hat mir manch unter­halt­same Stunde im Licht­spiel­haus beschert!

WORTWISPERER. Das kann ich mir vorstellen, Sie alter Hagestolz!

SILBENSÄUSLER. Hö hö hö.

WORTWISPERER. Ho ho ho.

SILBENSÄUSLER. Die jun­gen Hüpfer kön­nen da nicht mithal­ten, diese Mia Far­row oder diese Diane Keaton.

WORTWISPERER. „Babo“ also. Und das Jungvolk ken­nt das Wort auch ganz sicher?

SILBENSÄUSLER. Das Fräulein Jan­i­na schwört Stein auf Bein, dass dieser Herr Platzver­weis ein­er dieser Sit­ten­strolche ist, den die Pen­näler kolos­sal zu schätzen scheinen. Ein richtiges Rem­midem­mi soll der veranstalten!

WORTWISPERER. Dann lassen Sie uns schnell den Her­rn Direk­tor Schlangenei­dt informieren.

SILBENSÄUSLER. Und danach feiern wir das bei einem Her­rengedeck in dieser neuen Spelunke an der Ecke! Die, wo diese Dut­ten­gre­tel hin­ter dem Tre­sen steht!

WORTWISPERER. Ho ho ho.

SILBENSÄUSLER. Hö hö hö.

WORTWISPERER. Und dann wieder ein Jahr lang süßer Müßiggang!

[Die Dialoge sind frei erfun­den. Ähn­lichkeit­en zu real existieren­den Wörter­buchver­la­gen oder Wörter­wahlen sind rein zufäl­lig. Das Vok­ab­u­lar der Her­ren stammt aus dem Lexikon der bedro­ht­en Wörter.]

Nach­trag. Hier die zukün­fti­gen Jugend­wörter des Jahres:

24 Gedanken zu „Ich war jung und brauchte das Wort

  1. Kristin Kopf

    Ich finde jet­zt natür­lich den Auf­satz nicht mehr, aber ich habe Babo erst kür­zlich irgend­wo in der Lit­er­atur als mul­ti­eth­nolek­tal-jugend­sprach­lich­es Beispiel­wort gese­hen. Halte es also für möglich, dass es doch ettttwas weit­er ver­bre­it­et ist als unsere Jan­i­na das vermutet.

    Antworten
  2. Bob Blume

    Ich bin erquickt ob des Genius, das solch­es Werk vol­l­zog. Mich dünkt, die Her­ren Wor­takro­bat­en haben tat­säch­lich ihr holdes Licht kom­plett unter dem Schef­fel vergessen. Welch schind­lud­ernde Filous. Ich gehe nun von dan­nen und erset­ze den Zimmermann.

    Antworten
  3. Jess

    @Katinka Feinerbs: Käst­ner schrieb moderner! 🙂

    Ich hoffe, das Fräulein Jan­i­na wird beim Sprachlog ihren Fähigkeit­en angemessen bezahlt. 😉

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  4. Clemens

    goutieren” ist aber gram­ma­tisch falsch ver­wen­det! Es heißt nicht: “ein Wort, das dem Her­rn Direk­tor goutieren kön­nte”, son­dern: “ein Wort, das der Herr Direk­tor goutieren kön­nte”. Denn “goutieren” bedeutet nicht “schmeck­en”, son­dern “Geschmack find­en an”.

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  5. Thomas R. Diehl

    Der erste Wörter­buchein­trag, den ich für “babo” finde, wenn ich danach googel, ist übri­gens “babo, kore­anisch: Idiot”. Der zweite ist die britis­che Ballonfahrervereinigung.

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  6. Matthias

    @Clemens: Doch, goutieren heißt unter anderem auch “schmeck­en”. (Quelle: Duden, Fremd­wörter­buch, Mannheim 1997)

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  7. metaphora

    Sehr geehrter Herr Stefanowitsch, 

    bitte senden Sie mir eine Taube: Wo kann ich “Bun­des­babusch­ka” als Senioren­wort des Jahres einreichen? 

    Ich verbleibe mit vorzüglich­er Hochachtung.

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