Wir sollten uns viel öfter die Frage stellen, ob wir mit unserer ketzerischen Kritik an den Apokalypseprophezeiungen vom Untergang des Deutschen nicht zu einseitig argumentieren. Wo die anderen doch so überzeugende Argumente haben.
Die SÜDWEST PRESSE hat das Überzeugungspotential der Apokalyptiker erkannt und titelte deshalb unlängst „Deutsche Sprache auf Abwegen“. Vorangegangen war unter anderem ein Gespräch mit Holger Klatte, Geschäftsführer des VDS. Sind wir ehrlich: der VDS ist gegenüber dem Verdacht einer dreisten Verwirrungstaktik voll immun und glücklicherweise finden deshalb sprachkritische Themen immer häufiger Eingang in lokale Leitmedien.
Und vielleicht ist es Zeit, neidlos anzuerkennen, dass es endlich mal jemand ausspricht, wie es um den Zustand der deutschen Sprache wirklich bestellt ist:
Er [Holger Klatte, SF] habe ja nichts gegen den Einfluss anderer Sprachen, aber man habe den Eindruck, „dass auf manchen Seiten im Duden mehr englische als deutsche Wörter stehen“. Sein Beispiel ist Seite 977 in der aktuellen 26. Auflage, auf der sich Wort-Importe aneinanderreihen:
Zum Glück hat man beim VDS ja einen promovierten Germanisten, ((Dr. Holger Klatte)) der uns sein Wissen uneigennützig zur Verfügung stellt. Und, was kommt? Das hier:
Shake, Shakehands, Shaker, Shampoo, Shampoon, Shannon, Shanty, Shantychor, Shapingmaschine, Share, Shareholder-Value, Shareware, Shaw, Shedbau, She-DJ, Sheffield, Shelley, Sheriff, Shirt, Shit, Shitstorm, Shocking, Shooting, Shootingstar, Shop, Shopaholic, shoppen, Shopper, Shopperin, Shopping, Shoppingcenter, Shortlist, Shorts, Short Story, Shorttrack, Shorty, Show, Showblock, Showbusiness, Showcase, Showdown.
Diese Anglizismenflut ist unfassbar schwer zu ertragen, denn das geht über zwei Seiten so. ((Danke an Jan Wohlgemuth für die Verifizierung der Seitenzahl für <Shylock>, weil alle Exemplare in der Philologischen Bibliothek der Freien Universität von anglizismenverliebten Studierenden für Hausarbeiten in der Anglistik blockiert sind.)) Klatte aber hatte ein Einsehen und hat uns dankenswerterweise den Großteil der insgesamt 114 Einträge dieser Kategorie erspart. Denn immerhin würde er uns mit grauenhaft marodierenden Eindringlingen wie Shiitake, Shuttle oder dem sheinheiligen Shetlandpony im Shafspelz so richtig um den Shlaf bringen.
Den Untergang des Dudens illustriert offenbar nichts so zutreffend wie die Tatsache, dass sich das große Wörterbuch mit jeder neuen Auflage immer wieder aus dem Kanon deutschsprachiger Weltliteratur herauskatapultiert und damit sein Potential für gehoben-literarische Philosophie verspielt. Das Feuilleton sieht den Fakten längst ins Auge: die Zeiten des gediegenen Rezensierens der Einträge Lu–Ma bei badischem Rotwein und Kaminfeuerknistern sind vorbei.
Wir wären aber nicht das Sprachlog, wenn wir nicht noch ein einseitiges Fünkchen Hoffnung aus der dahinscheidenden Kaminromantik hüpfen sähen: als letzten Hort für Kopfnahrung kurz vor dem Schlafengehen empfehlen wir deshalb das Studium der Einträge <pf-> auf den Seiten 816–819 und <sch-> zwischen 924–965. Bei letzterem lesen Sie über Schal (engl.), Scharlatan (frz.) oder Schickse (jidd.) einfach hinweg.
Ich überlege noch, welchen Aktanden ich in diesem Apokalypseszenario am meisten bewundere: Klatte, Presse oder das Publikum.
Man hat es aber auch schwer mit den deutschen Worten. Ich wollte mein Buch
, das ich hiermit dreist bewerbe, ohne die Gastgeber vorab auch nur gefragt zu haben (vielleicht merken sie’s ja nicht),zuerst Nimmermehr nennen, durfte das dann aber nicht, weil es das schon gibt, und nun heißt es griechisch Discordia, englisch Inc.So leistet das Urheberrecht seinen eigenen Beitrag zum Verfall der Reinheit unserer
völkischenherrlichenschönen deutschen Sprache.Der VDS ist halt ein Club inkontinentieler Sprachler.…
Es macht Sinn, ihn zu missachten…
@Statistiker: naja, man kann es auch anders sehen. Sie werden eben auch immer wieder zitiert, permanent, unwidersprochen und ungeprüft. Und in diesem Fall ist das Versagen des lokalen Leitmediums auch so schmerzhaft offensichtlich.
Ja, schön so am Duden rumzunörgeln, aber man finde mal ein urdeutsches Wort,das mit Sh am Anfang. Kein Wunder also, dass sich dort nur Wörter aus dem Englischen einfinden. Das ist ja fast so toll wie diese Statistik: “Annähernd 100% aller Hausfrauen sind weiblich.”
Interessanterweise enthält die von Herrn Dr. Klatte so uneigennützig bereitgestellte Liste auch einige Orts- und Personennamen: Shannon, Shaw, Sheffield, Shelley. Was jetzt — sind für den VDS also auch schon harmlose englische Namen böse und sprachzersetzend?!
@Carsten: auch wenn ich glaube, dass diese hier keine Rolle spielen, ist es tatsächlich oft so, dass VDS-Ortsgruppen sich gerne darüber mockieren, wenn in Grenzgebieten die „deutsche“ Schreibweise auf Hinweisschildern ersetzt/gestrichen/ergänzt wird. Mir ist da so ein Aufreger um „Liège“ irgendwo im Dreiländereck in Erinnerung, weil „Lüttich“ von den Schildern gestrichen wurde. Für dieses Mal hab ich mich schon gefragt, auf welcher Grundlage Klatte diese 40 oder so Wörter aus den 114 möglichen ausgewählt hat.
»gehoben-literarische Philosophie« – bitte bringen Sie den guten Namen der Philosophie nicht durch Erwähnung in einem Atemzug mit dem VDS in Verruf!
@mawa: keine Sorge. Der Philosophie geht’s gut.
@ Susanne: Ja, genau das ist widerlich. Dieser Club älterer, weißer, reicher Männer erhält eine Aufmerksamkeit, die ihn nicht gebührt.
Schade drum.….. mach weiter so, auch wen die reicehn, älteren, weißen Männer was anderes sagen.…
@Casten: Natürlich, jetzt wo man Bejing statt Peking, Mumbai statt Bombay oder Chemnitz statt Karl-Marx-Stadt sagen muss, verschwinden immer mehr urdeutsche Namen zugunsten von ausländischen Sprachimporten!
😉
Es stimmt und ist sehr betrübich: Die meisten Wörter, die mit ¨SH¨ anfangen, sind eigentlich englisch und haben sich hinterrücks in unser treues Duden eingemogelt. Obendrein sind die meisten Wörter, die ein ¨GN¨ enthalten, französisch durchsetzt. Unerhört!
Aber unser ¨Ü¨ bleibt unser, und damit im Schilde werden wir die Wörterbücher dieser fremden, ausländischen Sprachen im Sturm erobern! Keine Überlegung ist uns dabei zu übermütig, unsere Überzeugung wird dabei von keinem der üblichen Überdrüsslingen über- oder gar unterhört, kein Übervater kann unser Überflug überwachen, ünd überhaupt. Üsch habe gesprochen!
Hülfe, die Türken stehen vor den Toren der Stadt! Sü schüßen mit den Üs auf üns zurück! Oh! Wo bleibt der VDS wenn man ihn braücht. Hüüülfe!
Das ü, ich hab das ü vergessen!
Herr O’Brien, mit der Attitüde wird das aber nix! Das deutsche ü ist doch nur eine typografische (warum schreibt man das eigentlich mit dem grüchischen Ü‑Surrogat Üpsilon?) Kuriosität, und es ist auch längst schon Ziel fremdsprachlicher, diesmal welscher, Infültrierung:
Der Desertör wird von Kürassieren füsiliert.
Es ist immer wieder erstaunlich, dass bei dieser ganzen Diskussion meist außer acht gelassen wird, dass das Deutsche im Laufe seiner jahrhundertelangen Entwicklung immer wieder Wörter aus anderen Sprachen aufgenommen hat. Manchmal frage ich mich, ob man sich im Mittelalter auch darüber aufgeregt hat. Dann hätten wir manche unserer schönen “deutschen” Wörter wahrscheinlich gar nicht…
@Susanne: Unsere schöne deutsche Sprache ist ihrerseits ja auch nur das Ergebnis der Degeneration einer “guten alten richtigen” Sprache. Immerhin ist sie nicht aus dem Nichts gewachsen, sondern nur ein Urenkel einer von allen möglichen Leuten auf verschiedenste Art verwursteten indogermanischen Ursprache und war selbst also irgendwann auch mal “so niveauloser neumodischer Schnickschnack”, über den damals bestimmt jemand gemotzt hat.