Ein kurzer Nachtrag zur Sache mit dem Zigeunerschnitzel: Wie der Tagesspiegel berichtet, folgen Teile der Hannoveraner Gastronomie dem Beispiel der Stadt, und streichen dieses und ähnliche Wörter (z.B. Zigeunersauce und -gulasch) von der Speisekarte. Die Gerichte nennen sie stattdessen Puzsta-Schnitzel oder Schnitzel Ungarischer Art, Pikante Sauce oder Paprika-Sauce und Paprikagulasch.
Das ist vernünftig, unaufgeregt und tut niemandem weh – die Gäste werden die gewünschten Speisen auch so finden und diejenigen Sinti und Roma, die sich durch das Wort Zigeuner herabgesetzt fühlen werden ernst genommen, ebenso wie diejenigen, die zwar nichts gegen das Wort an sich, aber gegen seine exotisierende Verwendung in kulinarischen Zusammenhängen haben.
Nur der „Verband der Hersteller kulinarischer Lebensmittel“ will auf das Wort nicht verzichten – die Zigeunersauce habe nämlich „als kulinarische Schöpfung eine über 100 Jahre alte Tradition“.
Nun kann man sich über diese Aussage ohnehin streiten, denn das, was heute unter diesem Namen verkauft wird, hat mit den Rezepten, die sich aus dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert (meist unter der französischen Bezeichnung Sauce Zingara) finden, nur einige der Zutaten und kaum etwas von der Rezeptur gemeinsam (siehe die Kommentare im oben verlinkten Beitrag).
Aber akzeptieren wir die behauptete Tradition einmal: Will der „Verband der Hersteller kulinarischer Lebensmittel“ dann sagen, dass etwas mit langer Tradition nicht diskriminierend sein kann? Oder, dass Diskriminierung in Ordnung geht, wenn sie schon sehr lange praktiziert wird? Oder, dass Tradition wichtiger ist als Diskriminierung?
Irgendwie wirft keine der drei Aussagen ein gutes Licht auf den Verein, der sicher nichts dagegen hat, ab jetzt als „Suppenkasperletheater“ bezeichnet zu werden – ein völlig neutraler Begriff, der sich nur auf die Tatsache bezieht, dass der Verein „aus der Verschmelzung der Verbände der Essig- und Senf‑, Feinkost- und Suppenindustrie“ entstanden ist.
Nachtrag: Sinn und Unsinn der Debatte
Auch Spiegel Online greift das Thema noch einmal auf und legt einen Schwerpunkt auf die (mangelnde) Sinnhaftigkeit der Debatte. Zwei Autoritäten werden dabei angeführt:
- Der Bundesrat der Jenischen Deutschlands, der die Beschwerde der Hannoveraner Sinti und Roma mit den Worten „Dass jemand allen Ernstes eine solch hanebüchene Beschwerde erhebt, war für uns bisher nicht vorstellbar“ kommentiert haben soll; und
- Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma der „erklärt [habe], eine Umbenennung sei unsinnig“ und „ziehe die eigentlichen Anliegen der Roma und Sinti ins Lächerliche“.
Zu den Jenischen lässt sich sagen, dass die sich generell durch die Bezeichnung Zigeuner weniger diskriminiert zu fühlen scheinen, und dass sie die Bezeichnung Sinti und Roma für sich ablehnen – aus dem offensichtlichen Grund, dass sie keine Sinti oder Roma sind. Wenn sie sich nicht diskriminiert fühlen, ist das aber natürlich kein Grund, den Sinti und Roma vorzuschreiben, dass die sich auch nicht diskriminiert zu fühlen haben (und vermutlich will der Bundesrat der Jenischen das auch gar nicht).
Zum Zentralrat lässt sich sagen, dass Spiegel Online dessen Meinung schlicht falsch darstellt. Im Artikel wird als Beleg für die Aussage auf ein Interview mit dem Vize-Vorsitzenden des Zentralrats, Silvio Peritore, verlinkt, das SpOn vor einigen Monaten führte. In diesem Interview sagt Peritore aber keineswegs, dass die Umbenennung „unsinnig“ sei – im Gegenteil, er spricht zwar davon, dass er das Thema „gelassen“ sehe, aber er fordert explizit eine Diskussion darüber, warum sich viele Menschen schwer damit zu tun scheinen, das diskriminierende Potential des Wortes zu erkennen (die Sternchen habe ich eingefügt, da ja klar ist, um welches Wort es geht):
Peritore: Fragen wir doch mal andersherum. Warum haben die Lebensmittelhersteller vor Jahren das Wort “N****kuss” abgeschafft? Warum macht man da einen Unterschied?
SPIEGEL ONLINE: Was denken Sie?
Peritore: Das müsste man diese Leute fragen. Warum hatte man den Respekt gegenüber jenen, die als N**** stigmatisiert wurden — und bringt den gleichen Respekt nicht auf für jene, die als Zigeuner bezeichnet werden?
Er weist auch ausdrücklich darauf hin, dass der Begriff von den Betroffenen weithin als diskriminierend wahrgenommen wird:
SPIEGEL ONLINE: Selbst bei jenen, die mit dem Begriff gemeint sind, gibt es aber verschiedene Ansichten über das Wort “Zigeuner”. Nehmen ihn denn überhaupt sämtliche Sinti und Roma als diskriminierend wahr?
Peritore: Die allermeisten tun das.
Er erklärt dann auch, warum und geht auf den historischen Kontext ein (lesen Sie das Interview selbst, es ist sehr interessant). Er sagt dann lediglich, dass es „widersinning“ wäre, ein „Verbot der Bezeichnung ‚Zigeuner‘ zu fordern, weil ihm ein reflektierter Umgang mit Sprache lieber wäre als Verbote.
Und nirgends im Interview spricht er davon, dass die Forderung nach einer Umbenennung die „eigentlichen Anliegen“ ins „Lächerliche“ ziehe. Er sagt lediglich, dass er sich „wünsche …, dass man sich um Dringenderes kümmert als um diese Frage. Solche Nebenschauplätze bringen niemandem etwas.“ Aber das ist eben nur ein Wunsch, verbunden mit der Sorge, die Debatte um die Umbenennung könnte von dringenderen Themen ablenken. Dieser Wunsch und diese Sorge stehen ihm natürlich zu.
Interessant ist aber, wie der Beitrag auf Spiegel Online hier versucht, die Diskussion an sich zu delegitimieren, indem scheinbar Betroffene zu Wort kommen. Wozu das gut sein soll, erschließt sich mir nicht: Die Diskussion existiert, und das auch nicht erst seit dem aktuellen Fall, und sie wird nicht dadurch verschwinden, dass man sie für „unsinnig“ erklären lässt. Alles, was damit erreicht wird, ist, dass der Wunsch einer gesellschaftlichen Gruppe nach weniger Diskriminierung als unwichtig dargestellt und die betreffende Gruppe damit an den Rand der Gesellschaft verdrängt wird.
Und dabei wäre die Lösung so einfach: Benennt diese völlig irrelevanten Saucen und Schnitzel einfach um, und alle haben mehr Zeit, sich um die wirklich wichtigen Probleme dieser Welt zu kümmern.
Der Supreme Court ist doch auch der Auffassung, dass Verfassungsverstöße irgendwann okay werden, wenn sie nur lange genug bestehen, und unsere Rechtsprechung hat mit dem Konzept einer Rechtfertigung durch Tradition auch keine Schwierigkeiten.
Wer wäre man denn als Verbandssprecher, eine solche Präzedenz zu ignorieren.
Bei Edeka stand auf Tomaten, die ich sonst als Roma-Tomaten kannte, “Topf-Tomaten”. Ob sie jetzt das Wort Roma ganz meiden wollen?
Möglicherweise will der Verband darauf hinaus, dass Tradition ein Wert an sich ist, der zwar nicht automatisch wichtiger ist, aber mindestens in der Diskussion berücksichtigt werden muss.
Fände ich persönlich jedenfalls sehr überzeugend.
In wiefern ist es überzeugend, „Tradition“ in einer Diskussion um Diskriminierung berücksichtigen zu wollen? Es gäbe nur eine überzeugende Argumentationslinie für die Hersteller der Sauce: Sie müssten zeigen, dass das Wort und seine Verwendung in diesem Zusammenhang nicht diskriminierend sind. Ich bin skeptisch, dass das gelingen würde, aber interessanterweise versuchen sie es ja nicht einmal.
@Eule: Ich hätte es gerne noch mal explizit, damit ich dich (Sie?) nicht missverstehe: “Wir haben das schon immer so gemacht!“ ist in deinen (Ihren?) Augen ein überzeugendes Argument?
@Iwa: Interessant — denn heißt nicht die Roma-Tomate nach der Stadt Rom? Man korrigiere mich, wenn ich flasch liege!
Das finde ich tatsächlich auch interessant, dass eine Gegenargumentation gar nicht versucht wird. Das legt den Verdacht nahe, dass es nicht um “Tradition”, sondern ums Prinzip geht. Und das ist beim Thema Diskriminierung sicher kein guter Ratgeber…
Laut Spiegel Online sagt der Suppenkasperlverband, der Begriff ‘Zigeunersoße’ werde “durchweg positiv aufgenommen”.
Also durchweg positiv von allen Menschen, die sich nicht daran stören. Meiner Meinung nach wurde hier allerdings die allgemeine Zuneigung für das Bezeichnete, also die Paprikatunke, mit einer Zustimmung zur Namensgebung verwechselt. Den meisten Menschen dürfte es ziemlich egal sein, wie diese Soße nun heißt. In unserer Mensa laufen entsprechende Gerichte seit Jahren unter dem Label “Puszta-…”, ohne dass sie den Leuten deswegen weniger schmecken würden.
@Muriel: Nein. Der Verweis auf Tradition ist an sich kein überzeugendes Argument. Aber Tradition ist eines von mehreren Argumenten, die aus meiner Sicht berücksichtigt und gegeneinander abgewogen werden müssen.
Tradition ist mit Identität verbunden. Wer eine Tradition abrupt beenden möchte, entreißt Menschen einen Teil ihres vertrauten Lebensumfeldes, ihrer Kindheitserinnerungen usw. — das kann durchaus berechtigt sein, weil andere Argumente eben überwiegen, sollte meines Erachtens aber explizit angesprochen werden, auch wenn die besagte Tradition eher trivial ist wie in diesem Fall hier. Weil: Wenn man das nicht tut, fühlen Menschen sich persönlich angegriffen und mauern, wodurch man sich dann selbst unnötig ein Bein gestellt hat.
Warum punktest du N. aus, Z. aber nicht?
Warum tut man das überhaupt in einem Zitat? Hab mal gelernt, man soll so zitieren, wie es da stand.
Ist immer eine schwierige Entscheidung, die ich im Einzelfall treffe und mit der ich nie richtig zufrieden bin. In diesem Fall ist es so, dass keine der beteiligten Organisationen der Sinti und Roma oder der Jenischen das Wort in ihren Texten auspunktet (es gibt allerdings auch Aktivist/innen, die es tun), und dass es innerhalb dieser Gruppen durchaus eine kontroverse Diskussion darum gibt, ob und wie weitreichend das Wort vermieden werden muss/soll. Ich habe das Wort deshalb vorerst für mich als eins eingestuft, dass nicht unbedingt ausgepunktet werden muss. Bei N**** ist das etwas anders, da gibt es unter den Betroffenen und Aktivist/innen eine sehr viel klarere Position zum Auspunkten, und das Wort an sich ist ohne Frage zutiefst rassistisch. Ich punkte es auch nicht in allen Beiträgen im Sprachlog aus, vor allem dann nicht, wenn ich konkret darüber schreibe. Allerdings versuche ich dann, es erst nach einer Inhaltswarnung in ausgeschriebener Form zu verwenden, in Überschriften ist es hier jetzt grundsätzlich ausgepunktet (in den Vorgängerblogs, auf die ich keinen Zugriff mehr habe, leider nicht). Mit den Zitaten – das halte ich für irrelevant. Solange ich deutlich mache, dass die Sternchen von mir stammen, ist das nichts anderes als ein […], das ja in Zitaten auch zulässig ist, um ausgelassene Satzteile zu kennzeichnen.
Eine ganz nette Korrelation die in manchen Foren (hier nicht) zu finden ist:
Personen, die Bezeichnungen wie “Zigeuner-xyz” oder “Neger-xyz” mit “Tradition” verteidigen, sind meist die selben, die (berechtigterweise!) gegen “Traditionen” wie Sharia oder Burka schreiben.
Um mich nicht falsch zu verstehen: Als Demokrat und Verfassungspatriot bin ich gegen jede Form von “traditionellem” Zwang oder gegen jedliche Art von “traditioneller” Diskriminierung, ich bin nur der Meinung, wer (völlig zurecht) Diskriminierung in anderen Kulturen anprangert, sollte auch vor der eigenen (Kultur-)haustüre kehrern. Und ja: die Bezeichnung Zigeuner-Sauce ist unnötig.
Was mich an der ganzen Debatte am meisten wundert: der örtliche Z‑Wort Kulturverein preist seine Veranstaltung mit an.
Der einzige Betroffene, den ich dazu gehört habe, zieht Zigeuner auch Roma und Sinti vor, obwohl er selbst Roma ist.
@Eule: Da kann ich dir sogar so halb zustimmen. So halb in dem Sinne, dass ich Tradition natürlich berücksichtigen sollte, in der Wahl meines Umgangs mit einem Thema gegenüber anderen Menschen, dass ich es aber (wie anscheinend du auch?) nicht für ein Argument halte, wenn es direkt um die Frage geht, ob eine bestimmte Verhaltensweise richtig oder falsch ist.
@dingdong:
Fürs Protokoll: Als Antidemokrat und Verfassungsgegner bin ich das auch und würde sogar behaupten, dass das besser zusammenpasst als deine Kombination, wenn ich nicht wüsste, dass diese Diskussion uns komplett off topic führen würde.
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Wenn man das Problem bis zum Ende dekliniert, dürften Aufführungen des “Zigeunerbarons” nicht mehr auf staatlich geförderten Bühnen stattfinden. Brahms “Zigeunerlieder” wären umzubenennen. Bietet nicht auch Amazon Rassisten eine Plattform, wenn es den herausragenden Film “Das Zigeunerlager zieht in den Himmel” und die nicht ganz so herausragende Fernsehserie “Arpad, der Zigeuner” anbietet? Dass subventionierte Betroffenenorganisationen sich mit solchen Themen positionieren, ist verständlich. Aber: Kirche und Dorf, Kanonen und Spatzen.
@E. Gulk: Ich kann nicht ganz folgen. Dieser Blogeintrag hier wäre dann in diesem Sprachbild die Kanone, oder wie?
@Muriel Jeder Blogger ist ein Sturmgeschütz der Demokratie. Social Media verbessern die Welt. Oder so.
Worauf ich hinauswill: Ehrenhafte Absichten verkehren sich oft ins Gegenteil, weil sie ihrerseits ins Extrem abzudriften drohen. Max und Monika Mustermann sind dann eher genervt, weil sie keinen Schlüssel für den Elfenbeinturm des Diskurses haben, aber soeben in der City aggressiv angebettelt worden sind von Menschen, bei denen unklar ist, ob es nun Sinti, Roma, Jenische sind. Mich nerven Radikalismen. Der Terror der Tugend ist ein Merkmal des Totalitären.
@E. Gulk: Echt jetzt? Ein Blogeintrag, der mit der Aufforderung endet:
ist für Sie radikal-totalitärer extremistischer Tugendterror?
Und das schreiben Sie auch noch direkt?
Haben Sie nicht über die Gefahr nachgedacht, dass Ihre zweifelsohne ehrenhafte Absicht sich ins Gegenteil verkehrt und Anatol Mustermann womöglich genervt reagiert, weil er keinen Schlüssel hat für … wo immer Ihr Diskurs angesiedelt ist?
Warum scheinen in Sprachforen viele so bierernst und geneigt, jederzeit beleidigt zu sein? Ich finde das Blog hier interessant, weil ich mich für Sprache interessiere — und dafür, was sie bewirken kann. Sollte der Hausherr genervt sein, kann er mich in Abhängigkeit vom Grad des Genervtseins gern vor die Tür setzen, da isses auch schön. Er scheint ein bisschen Krawall aber zu goutieren, wie eine Überschrift namens “Lustig ist das Rassistenleben, faria faria ho” andeutet. Wenn jemand weiter “Zigeunersauce” sagt, ist er demnach offenbar Rassist — egal, wie lange er bei Amnesty International schon die Wale retten mag. Aus einer Facette einer Meinung wird ein Etikett gleich für die Persönlichkeit. Jedenfalls dann wenn es zur eigenen Meinung passt.
Am persönlichen Beispiel: Ich bin schwerbehindert. Einige meinen, man dürfe nicht von Behinderten sprechen, sondern allenfalls von “behinderten Menschen”, weil die Behinderung ja nur einen Teil der Persönlichkeit ausmache usw. u.s. wohlmeinend. Und bestimmt finden sich in Foren genügend Diskutanten, die das aggressiv vertreten — und sicherlich kommt dann spätestens in Kommentar 13 das Nazi-Argument. Aber hat das für mich Auswirkungen? Nein, mir isses wumpe. Es kommt auf die Leute an, die das Wort verwenden. Wenn mein Freund sagt: “Hej, du bist doch behindert, da wird dich dieser Artikel interessieren” ist das keine Herabsetzung, egal was der Behindertenverband vorher verfügt hat. Oder wer sonst behauptet, in meinem Namen zu sprechen.
Joa, das frage ich mich auch manchmal.
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Merkwürdig, dass das Wort “Zigeuner” in Musikzusammenhängen beinahe gar nicht umstritten ist.
Man könnte dort auch die Relevanz der Verwendung des Begriffs trefflich anzweifeln.