Sprachbrocken 24/2013

Von Anatol Stefanowitsch

Die Über­schrift „Sprachre­form an der Uni Leipzig: Guten Tag, Herr Pro­fes­sorin“, mit der Spiegel Online die Mel­dung über das gener­ische Fem­i­ninum in der Grun­dord­nung der Uni­ver­sität Leipzig verse­hen hat, hat­te ihr Gutes und ihr Schlecht­es. Schlecht war, das die deutsche Presse diese Über­schrift flächen­deck­end wörtlich nahm und ein­er erstaunten Öffentlichkeit mit­teilte, dass (männliche) Pro­fes­soren in Leipzig ab sofort so anzure­den seien (das BILDBLOG hat das schön doku­men­tiert [1], [2]). Gut war, dass die Mel­dung, und damit auch das Prob­lem sprach­lich­er Diskri­m­inierung, auf diese Weise ins öffentliche Bewusst­sein gelangt ist. Ich sehe die Ver­ant­wor­tung für die Berichter­stat­tung auch gar nicht bei Spiegel Online, son­dern bei den Redak­tio­nen, die offen­bar gle­ich nach der Lek­türe der Über­schrift ihre eige­nen Mel­dun­gen ver­fassten, statt weit­erzule­sen und zu erfahren, worum es wirk­lich ging.

Keine Ver­ant­wor­tung tra­gen dage­gen die Kolumnist/innen, die dann auf der Grund­lage dieser Mel­dun­gen hämis­che und völ­lig unin­formierte Mei­n­ungsstücke in ihre Tas­taturen häm­merten. Denn anders als etwa Blogger/innen, von denen man eine gewisse Sorgfalt und Fachken­nt­nis gewohnt ist, muss sich das deutsche Feuil­leton ja an eine Selb­stverpflich­tung hal­ten, die max­i­male Empörung bei min­i­maler Zurken­nt­nis­nahme der Real­ität vorschreibt.

Dag­mar Rosen­feld ist auf RP ONLINE vor­rangig um den Fem­i­nis­mus besorgt. Der, so find­et sie, sollte „nicht im Ide­ol­o­gis­chen, son­dern in der Prax­is kämpfen“ – für Kinder­be­treu­ung und eine Frauen­quote. Der „Kampf um die richti­gen Worte“ sei doch dage­gen eine „Petitesse“. Was sie natür­lich nicht daran hin­dert, dieser Petitesse eben eine lange Kolumne zu wid­men, in der sie zunächst (natür­lich) behauptet, in Leipzig lehre „der Herr Pro­fes­sorin den Her­rn Stu­dentin dem­nächst die Ger­man­is­tik“ um dann mah­nend fortz­u­fahren: „Ja, Sprache ist Macht. Aber Sprach­beu­gung macht nichts – die gesellschaftlichen und ökonomis­chen Fak­ten bleiben trotz­dem.“ Worin die Macht der Sprache beste­ht, wenn deren Verän­derung keine Auswirkun­gen hat, behält sie eben­so für sich wie die Antwort auf die Frage, inwiefern eine Ver­wen­dung weib­lich­er For­men in der Grun­dord­nung die Uni­ver­sität daran hin­dert, die gesellschaftliche und ökonomis­che Diskri­m­inierung von Frauen zu bekämpfen. Inter­net-erfahrene Leser/innen erken­nen in ihr den Typus des „Sor­gen­trolls“ (con­cern troll), der die Ziele der von ihm kri­tisierten Bewe­gung unter­läuft, indem er vorgibt, sie zu teilen, dann aber alle Beteiligten in end­lose Diskus­sio­nen darüber ver­wick­elt, wie diese Ziele zu erre­ichen seien (näm­lich auf jeden Fall nie so, wie dies ger­ade der Fall ist).

Alexan­der Kissler geht es im FOCUS um viel mehr: Er will nicht den Fem­i­nis­mus vor möglichen Petitessen bewahren, son­dern das Abend­land vor dem Fem­i­nis­mus. Das gener­ische Fem­i­ninum in der Grun­dord­nung ist für ihn ganz klar „Gewalt“, aus­geübt von „Begriffsver­biegern“ gegen die Gram­matik und gegen „männliche Beschäftigte“ der Uni­ver­sität Leipzig, die sich nun „unter dem Sam­mel­be­griff „Pro­fes­sorin­nen“ mit ange­sprochen fühlen“ müssten. Diese Unge­heuer­lichkeit nimmt er als Aus­gangspunkt für einen dystopis­chen Blick in die Zukun­ft, in der diese Sprachregelung „auf die ganze Repub­lik“ aus­geweit­et würde. Die „Gen­der-Dog­matik­er“ in ihrem „Krieg gegen den Mann“ kön­nen in dieser Zukun­ftsvi­sion, in der er aus­giebig den Maskulis­ten Bern­hard Las­sahn zitiert, erst durch den Bun­desrat gestoppt wer­den, der sich nicht länger der „Welle des Gelächters“ aus­ge­set­zt sehen mag, „das vom Rest der Welt über Deutsch­land“ here­in­brechen werde: „Man habe sich nicht mehr ver­ständlich machen kön­nen außer­halb des Deutsch­tums und sei deshalb zur alten Redeweise zurück­gekehrt. Ein Mann sei schließlich ein Mann, eine Frau eine Frau, ein Drittes gebe es nicht.“ Warum es etwas Drittes nicht gebe, behält er eben­so für sich wie die Antwort auf die Frage, warum diese für ihn so natür­liche Ord­nung durch die Beze­ich­nung von Män­nern durch fem­i­nine Wörter ins Wanken gerät, nicht aber durch die bish­er übliche Beze­ich­nung von Frauen durch masku­line Wörter. Inter­net-erfahrene Leser/innen erken­nen in ihm den Typus des „Ver­nun­ft­trolls“, dessen Empfind­en für das Gewohnte schon deshalb das Maß allen ratio­nalen Diskurs­es sein muss, weil er noch nie gezwun­gen war, es infrage zu stellen.

Auf WELT ONLINE hat man sich angesichts der Brisanz des The­mas mit dem Köl­ner Ger­man­is­tikpro­fes­sor Karl-Heinz Göt­tert lieber einen Fach­mann ins Boot geholt. Als Lit­er­atur­wis­senschaftler mit dem Forschungs­ge­bi­et Ältere Deutsche Lit­er­atur ist der bestens qual­i­fiziert, uns nach einem Exkurs über das Englis­che, den Unter­schied zwis­chen „säch­lichen“ und „neu­tralen“ Artikeln und der Behaup­tung, dass Brück­en aus Spanisch männlich und auf Deutsch weib­lich seien, zu erk­lären, dass an „Herr Pro­fes­sorin“ nicht die „falsche Gram­matik“ das Prob­lem sei. An die könne man sich – der gen­i­tiv-mor­dende Dativ zeige dies – ja gewöh­nen. Nein, schlimm sei, dass der Aus­druck „Herr Pro­fes­sorin“ eine Empörung „nicht im Ver­stand, son­dern mehr in der Seele” aus­löse. Denn man(n) sei ja bere­it, „dem Fem­i­nis­mus zu geben, was des Fem­i­nis­mus ist“ – aber eben „nicht die deutsche Sprache, wie wir sie mögen.“ Und wie mögen wir die? Nun, „möglichst kor­rekt“ natür­lich (es ist ja die deutsche Sprache, und möglichst kor­rekt sei es eben nur „mit einem Her­rn Pro­fes­sor und ein­er Frau Pro­fes­sorin, die wir – Cha­peau! – den Fem­i­nistin­nen ver­danken“. Warum wir dann nicht „Frau Pro­fes­sorin“ son­dern „Frau Pro­fes­sor“ sagen, behält er eben­so für sich wie die Antwort auf die Frage, was genau er dem Fem­i­nis­mus denn geben will, wenn es nicht die deutsche Sprache ist Inter­net-erfahrene Leser/innen erken­nen in ihm den Typus des „Exper­ten­trolls“, der einen ausufer­n­den Flick­en­tep­pich aus irrel­e­van­ten und unzusam­men­hän­gen­den Fak­ten und Fak­toiden über das eigentliche Prob­lem deckt und ihn dann mit einem ver­söhn­lichen Ange­bot an die Gegen­seite festzur­rt: Wenn die sein Experten­wis­sen akzep­tieren, dür­fen sie im Gegen­zug die Klappe halten.

Und alle drei dieser Leucht­en am deutschen Feuil­leton­him­mel behal­ten für sich, warum sie sich mit ihren Kolum­nen über­haupt an den Fem­i­nis­mus und die „Gen­der-Dog­matik­er“ wen­den, und nicht an den Akademis­chen Sen­at der Uni­ver­stiät Leipzig. Denn der, und nicht der deutsche Fem­i­nis­mus haben ja die Entschei­dung bezüglich der Grun­dord­nung getrof­fen. Inter­net-erfahrene Nutzer erken­nen darin den Typus des „Inter­net­nutzers“, der jeden Anlass zum Anlass nimmt, über das zu reden, über das er sowieso ger­ade reden wollte.

8 Gedanken zu „Sprachbrocken 24/2013

  1. Johannes

    Am lustig­sten finde ich immer noch, dass unge­fähr alle die Ursache des Ganzen bei den pösen Abziehbild­fem­i­nistin­nen sehen, die ange­blich gerne auch “Kon­feren­zin” und “Uni­ver­sitätin” schreiben wür­den. Der Ablauf war ja, leicht über­spitzt, folgender:

    Jura-Fakultät so: “Bevor wir mit der son­sti­gen Sachar­beit fort­fahren, müssen wir endlich mal drüber reden, dass diese Dop­pel­nen­nun­gen total anstren­gend sind. Eine Form reicht doch, die anderen kön­nen sich mit­ge­meint fühlen, war schon immer so!”

    Kon­ferenz so: 

    Physikprof so: “Ok, wenn Ihr drauf beste­ht, eine Form reicht, die weib­liche. Kön­nen wir jet­zt weitermachen?”

    Jura-Fakultät und Zeitun­gen so: “Waaaaaaas? Nur noch Pro­fes­sorin­nen? Seid Ihr alle durchge­dreht? Haben wir keine Prob­leme außer Sprache, oder wie? Warum müssen wir über solche Petitessen über­haupt reden?”

    Und sie fuhren fort, lange, patzige Texte darüber zu schreiben, dass das fem­i­nis­tis­che Sprachge­walt sei und man(n) doch lieber über Inhalte reden wollte, weswe­gen die ger­ade aus eigen­er Ini­tia­tive erwach­sene Regelung sofort wieder zu disku­tieren / abzuschaf­fen sei.

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  2. Martin

    Das Prob­lem am Inter­net wie auch am Feuil­leton ist also die Tat­sache, dass viel zu viele Leute zu allem immer einen Kom­men­tar abgeben müssen.

    …schrieb er in die Kom­men­tarspalte und war sehr zufrieden mit sich selbst.

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  3. Muriel

    Applausap­plausap­plaus.
    Schon der zweite Absatz hat mich zu völ­lig enthemmter Begeis­terung hin­geris­sen. Allerd­ings ste­ht da ein “von” zu viel, das den Lese­fluss ein biss­chen hin­dert, und man weiß ja, wie wichtig die Les­barkeit von Tex­ten ger­ade bei diesem The­ma ist.

    [Kor­rigiert. A.S.]

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  4. Erbloggtes

    Oh, es ist wichtig, dass die deutsche Sprache kor­rekt sei, weil die Les­barkeit ger­ade bei diesem The­ma beson­ders wichtig ist? Na dann werde ich ein­fach noch ein biss­chen darüber reden, worüber ich sowieso ger­ade reden wollte:

    aus Spanisch” kommt mit vor als ob es auf Spanisch wäre.

    Glück­licher­weise bieten solche The­men ja ins­beson­dere dem Kor­rek­turtroll eine unendliche Spielwiese.

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    1. Muriel

      @Erbloggtes: Dein Anliegen ist ehren­haft und ich unter­stütze es ja eigentlich auch. Allein, mir scheint, dass du ein biss­chen ungün­stig an die Sache herangehst. Indem du dich selb­st als Troll offen­barst, machst du es den anderen Lesern schw­er, dich ernst zu nehmen, und über­haupt scheint es mir doch unangemessen, sich mit solchen Petitessen wie einzel­nen ver­wech­sel­ten Buch­staben aufzuhalten.
      Mit dieser Herange­hensweise schadest du am Ende nur allen echt­en Befür­wortern kor­rek­ter Gram­matik und Orthografie, und das kannst du doch unmöglich wollen, wie ich dich kenne.

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  5. Mario H.

    Was ich mich frage:
    warum ist es okay, wenn wir sagen, dass bei der männlichen Form auch Frauen ange­sprochen fühlen sollen, aber nicht okay, wenn wir sagen, dass sich bei der weib­lichen Form auch Män­ner ange­sprochen fühlen sollen?

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  6. Pingback: Linkgebliebenes 25 « kult|prok

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