Als erste Universität Deutschlands hat die Universität Leipzig das generische Femininum eingeführt: Amts- und Funktionsbezeichnungen werden in Zukunft grundsätzlich in der weiblichen Form genannt (Rektorin, Professorin, Studentin, …), eine Fußnote weist darauf hin, dass Männer mit gemeint sind.
Die Entscheidung stößt offenbar einige Professoren ((kein generisches Maskulinum)) so sehr vor den Kopf, dass sie alle Logik aufgeben:
„Das ist ein Feminismus, der der Sprache nicht gut tut und inhaltlich nichts bringt“, kritisiert der Jurist Prof. Dr. Bernd-Rüdiger Kern. Für den Rechtshistoriker stellt das generische Femininum die historische Sprachentwicklung auf den Kopf, da heutzutage die männliche die weibliche Form beinhalte. „Das hätte man auch mit einer Fußnote erklären können“, sagt er. [Unispiegel, 4.6.2013]
Die männliche Form beinhaltet die weibliche? Wohl kaum. Luise Pusch hat schon vor vielen Jahren darauf hingewiesen, dass es genau umgekehrt ist — die weibliche Form beinhaltet die männliche, und zwar wortwörtlich:
Aber zweihundert Jahre maskulin-textuelle Alleinherrschaft und Verbannung von Frauen in Fußnoten können einen ((kein generisches Maskulinum)) schon durcheinanderbringen.
Lustig ist ja, dass sich eben die Juristen an der vorher gültigen Regelung (Professor/Professorin) gestört haben, der Lesbarkeit wegen. Ich hoffe nur, es bricht nicht der nächste Kleinkrieg auf dem Campus los — wie mit den geplanten Sitz- und Bratwurstgrillblockaden gegen den ersten Veggie Day, an dem es in der Mensa kein Fleisch gab.
Leipzig ist leider nicht so progressiv, wie es auch in anderen Bereichen gern tut. In diesem konkreten Fall wird wohl ein Nachlöseticket gezogen: Man macht mittels einer (recht durchgreifenden) Sprachregelung aus der Not eine Tugend. Als ob das schon jemals erfolgreich funktioniert hätte.
“Von großer Freude ist auch beim Gleichstellungsbeauftragten wenig zu spüren. […] Vielleicht schärfe [die Änderung der Grundordnung] aber das Bewusstsein für die Frauenförderung. Denn das Thema habe die Hochschule lange Zeit verschlafen. Das bestätigt das im April veröffentlichte CEWS-Hochschulranking, in dem die Uni Leipzig in Sachen Gleichberechtigung bundesweit nur einen Platz im Mittelfeld belegt.” (http://goo.gl/7EOtb)
Nun gut, das Bewusstsein wird geschärft. Ist ja schon mal was, keine Frage. Aber ob das der Sache nützt? Auf jeden Fall interessieren mich die Hintergründe, die dazu geführt haben, sehr. Gerade in Leipzig arbeiten doch genügend Expertinnen, die wissen müssen, dass man mit einem solchen Eingriff in den (institutionellen) Sprachgebrauch die Kolleginnen eher nicht für sich gewinnt. Ich bin gespannt, wie sich das Thema (auch in der externen Kommunikation) entwickelt.
Ist ja eine nette Idee und wird auch in einigen amerikanischen Büchern schon so gehandhabt, das mit dem generischen Femininum. Auf Dauer kann meiner Ansicht nach aber auch das nur eine Zwischenstufe sein, bis wir zu einem generischen Neutrum kommen, evtl. nach schwedischem Vorbild. Ich halte es für keine gute Idee, eine Ungerechtigkeit durch eine andere zu ersetzen, auch wenn diese natürlich, wenn auch wohl nicht für alle, locker aushaltbar ist und versucht, ein aus der Balance geratenes Gleichgewicht wieder herzustellen.
So ein großer Vorreiter ist Leipzig hier auch nicht. In Karlsruhe sind zumindest allle Ordnungen die, die Fakultäten betreffen (Prüfungs‑, Promotions-…Ordnungen) jeweils in der Form geschrieben, die in der jeweiligen Fakultät unterrepräsentiert ist. (Maschinenbau, Informatik, Elektrotechnik… also in der weiblichen Form)
Wenn ich das richtig verstehe, ist eine generische Form immer ein Sammelbegriff, mit dem keine konkreten Individuen gemeint sind, ja? Also ist die Überschrift dieses SPON-Artikels “Guten Tag, Herr Professorin” (http://tinyurl.com/lgeuvnp) völliger Unsinn, oder?
Eine generische Form kann sich auch auf Individuen beziehen („Sie ist Professor an der Uni Leipzig“), selbst bei der Anrede („Guten Tag, Frau Professor“). Die Überschrift ist aber trotzdem Unsinn, da es im vorliegenden Fall darum geht, dass die Satzung der Uni Leipzig das generische Femininum verwendet, und nicht darum, dass die Uni Leipzig ihren Mitgliedern bestimmte Anredeformen vorschriebe.
“Sie ist Professor” klingt aber ganz schön holprig. Wenn ich schon im Pronomen das Femininum verwende, gibt es für mich keinen Grund, in der Apposition auf einmal ins Maskulinum zu wechseln. Da bleibe ich lieber bei individuellen Anreden konsequent und in Sammelanreden beim generischen Femininum.
@Anatol & ojahnn:
Hm, ich hätte die Anredeform im Titel jetzt auch als nicht-generisch interpretiert, da ja ein spezifisches Individuum angesprochen wird. Was ist Deine Argumentation für Generizität, Anatol? *neugier*
@ Kristin: Bei „Frau Professor (Müller)“ kann das maskuline Professor ja nur generisch interpretiert werden, und Kategoriebezeichnungen stehen ja auch an anderen Stellen manchmal im generischen Maskulinum, wenn sie sich auf spezifische weibliche Individuen beziehen (eben in „Sie ist Professor/will Professor werden“, „Als Professor stünde ihr ein größeres Büro zu“ usw. – diese Sätze klingen für mich übrigens auch holprig, für andere aber offensichtlich nicht, denn sie werden ja verwendet). Wenn „Frau Professor (Müller)“ ein generisches Maskulinum ist, dann kann „Herr Professorin (Müller)“ ein generisches Femininum sein.
Vielleicht kennt Ihr jungen Hüpferinnen Sätze nach dem Muster „Sie ist Professor an der Uni Leipzig“ oder „Guten Tag, Frau Professor“ auch einfach nicht mehr?
@Erbloggtes — Entweder das, oder man ist selten jenseits der Alpen, z.B. in Österreich.
Pingback: liebe leserinnen (leser sind natürlich mitgemeint) | lexikographieblog
Aha, Erbloggtes ist also alt!
Nein, ich kenne solche Sätze, ich weiß auch, dass teilweise (veraltend) maskuline Formen darin verwendet werden, aber irgendwie kriege ich trotzdem nicht ganz hin, inwiefern sie generisch sind.
Für mich klingt “Frau Professor” nach der Ehefrau eines Professors, die selbst keinen solchen akademischen Grad besitzt. Also völlig veraltet. Vielleicht ist daher als Abgrenzung dazu in meinem Umfeld eher “Frau Professorin” gebräuchlich (wenn denn überhaupt der Titel genannt wird).
Aber in beiden Fällen bezieht sich der Hinweis auf das Professorinnentum auf eine konkrete Person.
Kann mir jedenfalls gut vorstellen, dass ich wirklich zu jung bin, um “Sie ist Professor in Leipzig” normal zu finden. Je länger ich drüber nachdenke, desto mehr klingt “Sie ist Professor” für mich nach einer größeren Beleidigung/Diskriminierung als “Wir haben 4 Professoren, davon 2 weibliche”. Wer in der Pluralform die Frauen “vergisst”, ist einfach nur doof. Wer einer Frau gegenübersteht und das leugnet, muss schon eine Agenda haben…
Für das hier diskutierte Problem Professor/Professorin bietet sich natürlich eine Lösung analog zu den “Studierenden” an: Die Professierenden.
Die Frage, die sich mir stellt, ist diese: Sind die neuen Anredeformen nur Fassade oder führen sie wirklich zu mehr Gerechtigkeit? Was nutzt es also den Frauen, wenn sie jetzt nach Jahrhunderten mitbedacht werden aber trotzdem weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen und es trotzdem nicht in die Vorstände eines DAX-Unternehmens schaffen?!
lieber herr stefanowitsch,
ist es nicht so (oder lese ich den duz-artikel falsch), dass lediglich der text der grundordnung selber dem generischem femininum unterworfen wird? oder steht in der grundordnung, dass von in allem universitärem schriftverkehr, satzungsrecht etc. das generische femininum verwendet werden muss? letzteres wäre sensationell, ersteres ja doch eher unspektakulär.
Nach dem Artikel zu urteilen, geht es um den Text der Grundordnung. Da es sich dabei um die Satzung der Universität handelt, halte ich das durchaus für spektakulär.
hm,
ich finde es eher “symbolisch”. (ich arbeite als juristin in einem gleichstellungsbüro an einer großen uni) — und mir scheint, dass die personen in den führungsgremien/verwaltung, also diejenigen, die tatsächlich mit der Satzung arbeiten, sprachlich eigentlich schon ziemlich angepasst sind (“verbal aufgeschlossen”). also, alles, was so gesagt wird, schon halbwegs geschlechtergerecht formuliert wird. das kann dann ja trotzdem noch unerfreuliche inhalte haben. so eine grundordnung ist ja auch “nur” die hauptordnung — das gesamte satzungsrecht besteht ja aus weit mehr ordnungen/texten.
meine befürchtung wäre also, dass die satzung selber nicht so sehr “in die sprache” oder die auseinandersetzung darüber gelangt. vielleicht unterschätze ich das aber.
War nicht die erste Uni. Quelle: http://blog.refefe.de/?ts=af50a212
@ Franz Peter Steiner: Das ist die Promotionsordnung einer einzelnen Fakultät.
Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Uni Leipzig nicht die erste Hochschule ist, die in offiziellen Satzungstexten ein generisches Femininum verwendet. Ich meine mich zu erinnern, dass — zu meinem großen Erstaunen als Student — die Studienordnung der Informatik 1995 das generische Femininum verwendete. Auch aus dem KIT hörte ich — aktuell — ähniches. Músste mal wer recherchieren.
Professorin beinhaltet Professor. Klar, Kontrolleur beinhaltet auch ja auch Troll.
Carsten
–
http://www.toonpool.com/user/10807/files/eine_tuete_deutsch_1007145.jpg
@ Carsten Thumulla: Ich habe den Kommentar mal stellvertretend für eine Reihe sehr ähnlicher Kommentare durch die Moderation gelassen. Meine Frage: Glauben Sie ernsthaft, dass der Wortbestandteil Professor in dem Wort Professorin nur zufällig genauso klingt wie das Wort Professor? Denn nichts anderes besagt ihr Kommentar.
@Mike: Wenn schon, dann “die eine Professur Innehabenden” — was aber gleich wieder so sperrig wird, dass es kaum einer nutzen würde.
@Carsten Thumulla: Ich nehme an, Sie sind dann Fahrscheinkontrolleur? 😀
Vielleicht auch Farschein.
Im Kern bedeutet die Entscheidung der Univ. Leipzig doch eine Abkehr von der Idee der Notwendigkeit einer gendergerechten Sprache und der sprachlichen Sichtbarmachung sexueller Identitäten.
Der notwendige Konnex zwischen Genus und Sexus, wie von der feministischen Linguistik als Grundthese vormuliert, wird damit zugunsten eines freien Konsenses einer Sprachgruppe aufgegeben.
Wenn die Univ. Leizpig sich dafür entscheiden kann, daß “die Professorinnen” oder “die Studentin” (Femininum) alle sexuellen Identitäten “mitmeint”, kann sich eine andere Institution oder Gruppe gleichermaßen dazu entscheiden daß “die Professoren” oder “der Student” (Maskulinum) alle sexuellen Identitäten “mitmeint”. Alle können alles machen und niemand muß mehr auf Sprachtheorien welcher Provenienz auch immer Rücksicht nehmen.
Auch die Begründung aus Leipzig ist ein Schlag aus der bekannten Mottenkiste: die sprachliche Sichtbarmachung der sexuellen Identitäten wird als unpraktisch und nicht alltagstauglich bewertet — und bestätigt damit die gängige Kritik an Beidnennung, Binnen‑I, Gender-Gap usw. im geschriebenen und gesprochenen Wort.
Der Jubel aus feministischer und queerer Ecke dürfte also nicht langanhaltend (wenn überhaupt vorhanden) sein, wenn man die Implikationen des “Leipziger Weges” durchdekliniert.
Jetzt fällt mir endlich wieder die Assoziation ein, die mir seit gestern auf der Gehirnrinde liegt:
“Man kann unehrenhaft nicht buchstabieren ohne das Wort ehrenhaft.” — Homer Simpson
Dass ich die Schlussfolgerung „Wortform ‹A› enthält ‹B›, also enthält Bedeutung ‘A’ auch ‘B’“ ohne offensichtliche Ironie in einem Linguistikblog lesen würde, hätte ich auch nie gedacht. Obwohl – im gewissen Sinne stimmt das sogar, wenn man vergisst oder ignoriert, dass enthalten/beinhalten ambig ist: ein Hyponym enthält sein Hyperonym (bzw. dessen Eigenschaften), während ein Holonym seine Meronyme enthält. (Gemeinhin würde man Hyperonym und Holonym als „Oberbegriff“, z.B. in einem Baumdiagramm, (be)zeichnen.)
Der entscheidende Satz in dem SpOn-Artikel – unabhängig vom darin vorkommenden Pseudogenerikum – ist übrigens meiner Meinung dieser: „An der Uni seien 60 Prozent der Studierenden Frauen, bei den wissenschaftlichen Mitarbeitern betrage der Anteil 40 Prozent.“ Für sich genommen sind zwar beide Quoten völlig im Rahmen, aber ihre Beziehung zueinander ist schon ziemlich schief. (Man muss allerdings bedenken, dass die Fächer mit überproportional vielen WM pro Prof und WM pro Studi überwiegend die sind, in denen Studentinnen traditionell in der Minderheit sind.)
Interessant, in welchem Linguistikblog haben Sie das gelesen?
1.Erhellend finde ich die immense Empörung von zumeist männlicher Seite angesichts der Einführung eines generischen Femininums, verglichen mit dem müden Lächeln, das eben jene Empörten für die Frauen übrig haben, die sich beim generischen Maskulinum nicht mitgemeint fühlen
2. @ojahnn
Für mich klingt “Frau Professor” nach der Ehefrau eines Professors, die selbst keinen solchen akademischen Grad besitzt.
Genau: Jahrelang wurde ich während meiner Ehe mit einem Pfarrer mit “Frau Pfarrer” angesprochen. Niemand hat zu ihm “Herr Musikerin” gesagt.(obwohl akademischer Grad meinerseits vorhanden)
Interessant aber auch , dass nur bestimmte (ehrenwerte?) Berufe es mit sich bringen, dass die Ehefrau mit der Berufsbezeichnung / dem Titel des Gatten angesprochen wird: Frau Doktor, Frau Professor, Frau Pfarrer … niemand sagt Frau Klempner oder Frau Versicherungsvertreter 😉
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Das muss ich wohl zurücknehmen. Hätte ich nach den Kommentaren den eigentlichen Artikel nochmal genau gelesen, wäre mir hoffentlich selbst aufgefallen, dass darin tatsächlich nur von Formen, die andere Formen beïnhalten, gesprochen wird. Im Zitat dürfte das allerdings auch für die Bedeutung impliziert gewesen sein.
Die Ehefrau (oder der Ehemann) sollte gar nicht mit dem Titel des Ehegatten angesprochen werden. Ein Titel wird einer Person verliehen, nicht einem Ehepaar.
Die generische Form wird nur deshalb als männlich empfunden, weil die Frauen sprachlich abgesondert werden, obwohl dafür keinerlei Notwendigkeit besteht. Statt von Professoren und Professorinnen (wozu diese Aufsplittung?) könnte man auch von Damen und Herren Professoren sprechen.
Sitzen zwei Homosexuelle im Flugzeug. Sagt die eine zur anderen: “Segantini dachte bestimmt, wir wären beide Männer!”
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@segantini: “Die generische Form wird nur deshalb als männlich empfunden, weil die Frauen sprachlich abgesondert werden, obwohl dafür keinerlei Notwendigkeit besteht.”
Weil (sprach)historisch gesehen bezog sich das Wort “Professor” immer auf Frauen und Männer und erst durch die Frauenbewegung wurden die Frauen daraus “abgesondert”?
So habe ich das noch gar nie betrachtet. Danke für den neuen Blickwinkel.
@Segantini: Meinem Verständnis nach ist das Wort “Professor” durch den Artikel eindeutig maskulin und wird deshalb auch als solches empfunden, nicht erst durch die von Dir erwähnte sprachliche Absonderung. Stimmst Du meiner Sichtweise zu?
Mit “Frau Professor” wird hier immer noch die Frau des Professors angesprochen.
Die Professorin hingegen hat sich ihren Titel selbst erarbeitet.