So, jetzt wird hier mal wieder ein bißchen etymologisiert! Die Karwoche bietet dafür ja wirklich mehr als genug Gelegenheit – los geht’s mit dem Gründonnerstag. In meiner Kindheit wurde immer behauptet, das Erstglied gehe auf mittelhochdeutsch grînen ‘den Mund weinend/knurrend/winselnd/lachend verziehen’ zurück und drücke quasi die Traurigkeit über die Gefangennahme Jesu aus. Weil greinen im Alemannischen heute noch ein das Wort für ‘weinen’ ist, erschien mir diese Erklärung immer sehr einleuchtend.
Doch Kluge hat eine Überraschung parat: Im Mittelhochdeutschen gab es die Fügung der grüene donerstac bereits und somit einen eindeutigen Bezug zur Farbe Grün. Aber was hat das Grün mit diesem Tag zu tun? Kluge und die Grimms sagen: In religiöser Hinsicht kaum etwas.
die deutung von gr. bleibt umstritten, doch ist der name sichtlich eher volksthümlichen als kirchlichen gepräges (DWB)
Beide bieten als mögliche Erklärung an, dass es Brauch war, an diesem Tag (grüne) Kräuter zu essen:
das reich und vielfältig entwickelte brauchthum am gr., der genusz heilbringender kräuter, das gründonnerstagsei (antlaszei), der gr. als termin der säens und pflanzens u. s. w., […], läszt wie bei ostern an einen nachhall vorchristlicher übung denken; ob ihm, wie HOLTZMANN […] vermutet, ein Donarsfest im mai zugrunde liegt, bleibt unerweislich (DWB)
Ist die schöne Theorie vom Greinen also wirklich nicht zu retten? Muss der Gründonnerstag den Heiden überlassen werden? In den kryptischen Literaturangaben Kluges findet sich doch noch ein Minihinweis auf eine alternative Etymologie mit einem ganz ähnlich klingenden Wort – momentan habe ich aber keine Zeit (Habe ich erwähnt, dass ich scheinfrei bin?), die entsprechenden Zeitschriften und Bücher herauszusuchen:
“HWDA 3 (1931), 1186 f. Anders (Umdeutung von ahd. grun stm./stf. ‘Jammer, Unglück’): H. Jeske SW 11 (1986), 82–109; LM 4 (1989), 1752 f.”
Letztlich bleibt also rätselhaft, wie der Tag zu seiner Farbe kam. Ich habe mich mal in anderen Sprachen Europas umgesehen um herauszufinden, was noch als Benennungsmotiv dienen kann:
- ‘heiliger Donnerstag’: Spanisch (Jueves Santo), Italienisch (giovedì santo), Französisch (jeudi saint), Russisch (свято́й четве́рг)
- ‘großer Donnerstag’: Polnisch (Wielki Czwartek), Ungarisch (Nagycsütörtök), Estnisch (Suur neljapäev), Rumänisch (Joia Mare)
- ‘weißer Donnerstag’: Niederländisch (Witte Donderdag) – wahrscheinlich wegen der liturgischen Farbe Weiß.
- ‘Fußwaschungsdonnerstag’: Englisch (Maundy Thursday)
- ‘Reinigungsdonnerstag’: Schwedisch (Skärtorsdagen), Norwegisch (Skjærtorsdag), Dänisch (Skærtorsdag) – schwed. skära und seine Entsprechungen heißen eigentlich ‘schneiden’, haben hier aber wohl eine andere Bedeutung.
Aber der grüne Donnerstag ist doch nicht ganz einmalig:
- Tschechisch: Zelený čtvrtek. Die tschechische Wikipedia suggeriert irgendeine Art von deutschem Einfluss (inklusive greinen), aber mehr konnte ich nicht erraten. Wenn hier jemand Tschechisch kann … [breaking news: Meine Freundin Esther hat’s übersetzt: Der zitierte Bischof behauptet tatsächlich, es käme vom deutschen Greindonnerstag, der durch Lautvertauschung zum Gründonnerstag geworden sei. Quellen gibt er dazu aber keine an, es ist also Vorsicht geboten. Auch lustig: In Tschechien scheint man am Gründonnerstag traditionell Spinat zu essen.]
- Rumänisch: Joia Verde. Ist neben Joia Mare (s.o.) in meinen Wörterbuch angegeben. Ich könnte mir einen deutschen Einfluss über die Siebenbürger Sachsen gut vorstellen, will mich aber nicht zu weit aus dem Fenster lehnen.
Bezeichnungen in weiteren Sprachen herzlich willkommen! Jens ja Linda, wie ist es mit Finnisch? Ich bilde mir ein, die Wortgrenze gefunden zu haben (Kiiras|torstai), komme aber mangels Strukturwissen nicht auf die Nennform des Erstglieds.
Hey, wieder mal auf Deinem Blog (“ die Zeit , die Zeit , im Sauseschritt…”). Köstlich und sehr erhebend alles. Ich bewundere Deine in alle Nuancen einsteigenden Betrachtungen…
Frohe Ostern
alois lienhard
Die finnische Wikipedia sagt, daß der finnische Name vom schwedischen skära kommt, also quasi eine finnisierte Aussprache des Schwedischen.
Leider nichts außergewöhnliches.
Habe folgendes im Schottisch-Gälischen Wörterbuch gefunden. Hat zwar absolut nichts mit den anderen Begriffen gemeinsam, ist aber, wie ich finde, sehr lustig:
DiArdaoin a’ bhrochain mhóir, Maundy Thursday. It was at one time a custom in the Long Island, if the usual drift of seaweed were behind time, to go on Maundy Thursday and pour an oblation of gruel on a promontory, accompanying the ceremony by the repetition of a certain rhyme.
_DiArdaoin a’ bhrochain mhóir_ heißt, wenn ich das mit meinem Wörterbuch jetzt richtig übersetzt hab, wörtlich ‘Tag des großen Haferschleims’.
Allerdings ist das WB von 1911; ich weiß also leider nicht, ob der Begriff heute noch so benutzt wird.
Apopos Spinat am Gruendonnerstag. In meiner Familie (Deutsche aus dem rumaenischen Banat) isst man auch traditionell Spinat mit Spiegelei. Ist das in Deutschland kein Brauch?
Hm, also ich kenn’s nicht, aber das muss nichts heißen.
Ja, das mit dem Spinat kenne ich auch. Wir haben das, glaub ich, früher auch gemacht. Und in meiner Familie sind alle deutsch.
hi,
ich hab mal gehört beim gründonnerstag gebe eine verbindung zum englischen wort “grow” für wachsen. evtl eine gemeinsame wurzel. leider grad keine quellen zur hand. passt aber zumindest zum frühling.
Andy
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Das habe ich als Erklärung (neben greinen) gehört, wobei der Spinat ein europäischer Ersatz für alttestamentarische Bitterkräuter sein soll. *schulternzuck*
Das finnische, etymologische Wörterbucht gibt für “kiiras” die Bedeutung heftig, rein, glänzend, an. Kiirastorstai wäre daher der Tag der Reinigung (von den Sünden). Stimmt also überein mit der Theorie des Reinigungsdonnerstages im Schwedischen.
Kiirastuli übrigens bedeutet Fegefeuer.
Als heidnische Sitte wurde am kiirastorstai der/die/das kiira = der böse Geist vom Hof gejagt, mit viel Krach! Als vorbeugende Maßnahme gegen Schlangen und andere böse Tierchen…
Eine kleine Ergänzung zum Skandinavischen: Im Isländischen heißt der Gründonnerstag skírdagur (aisl. skírdagr bzw. skírþórsdagr), das dazu gehörige Adj. skír „rein, klar“; vgl. jedoch skíra „taufen“. Und es gibt noch mehr Ableitungen und Komposita, die vor allem in Richtung „Taufe“ deuten, was nicht verwundert, bedenkt man, dass das Sakrament der Taufe schon immer ein wesentlicher Bestandteil der österlichen Liturgie war.
Sebastian
Im älteren Schweizerdeutsch und sicher weit darüber hinaus hiess der Gründonnerstag “hoher Donnerstag”, der Karfreitag “hoher Freitag”. Gründonnerstag und Karfreitag sind hierzulande Entlehnungen aus der neuhochdeutschen Schriftsprache.