Wo Deutsche, Schweizerinnen und Östereicherinnen ((Der Einfachheit halber werden in diesem Text die femininen Formen verwendet; Männer sind selbstverständlich mitgemeint.)) Fäkalausdrücke verwenden, um ihren Unmut zu Äußern, verwenden unsere Nachbarinnen in Europa bevorzugt Wörter aus dem Bedeutungsfeld „Geschlechtsverkehr“. Zumindest behauptet das der Freiburger Sprachwissenschaftler Hans-Martin Gauger, dessen Buch „Das Feuchte & Das Schmutzige“ der Schweizer TAGESANZEIGER bespricht.
Unserer kulturellen Prägung sei das zu verdanken, erfahren wir dort, obwohl Gauger (wie auch ich) die Theorie ablehnt, dass eine sprachgemeinschaftsweite freudsche Analfixierung verantwortlich dafür ist, wenn wir Scheiße sagen, wo die Engländerinnen fuck, die Französinnen con („Fotze“), die Italienerinnen cazzo („Schwanz“) und die Niederländerinnen kut („Fotze“) oder kloten („Klöten“) sagen. Für mich die plausibelste Erklärung dafür: Sexualität ist im Deutschen nicht ausreichend stark tabuisiert, weshalb bei uns – anders als bei den alten Ägypterinnen – der Satz Ein Esel soll dich vögeln! nicht als Beleidigung, sondern als freundschaftlicher Rat empfunden wird (was sich mit dem anstehenden Verbot der Zoophilie dann vielleicht ändern wird).
Eine Flut von Kraftausdrücken (fäkal und anderweitig) ergießt sich mit schöner Regelmäßigkeit über die Duden-Redaktion, wenn die es wagt, ein gut etabliertes Fremdwort in ihr Wörterbuch aufzunehmen. Denn nichts empört unsere Sprachschützerinnen ((Ob ein generisches Femnininum hier tatsächlich zur Anwendung kommen darf, ist unklar, da mir persönlich nur männliche Sprachschützerinnen bekannt sind.)) so sehr, wie die Verunreinigung der blütenweißen deutschen Sprache durch schmutzige (und vielleicht auch feuchte) Lehngutfleckenzwerge. Ganz anders halten es da die Sprachschützerinnen in der englischsprachigen Welt: Die empören sich derzeit, wie ORF.at berichtet, darüber, dass Robert Burchfield, von 1972 bis 1986 verantwortlich für die Aktualisierung des Oxford English Dictionary, fast ein Fünftel der damals verzeichneten Lehnwörter entfernte, um Platz für neuere Entwicklungen des Wortschatzes zu schaffen. In der Online-Version des OED sind diese Einträge übrigens enthalten — das Internet, halt, macht mal wieder alles kaputt.
Und während die anglophone Welt sich nach den Lehnwörtern vergangener Zeiten verzehrt, argumentiert Österreichs oberster Sprachschützer Robert Sedlaczek in der WIENER ZEITUNG ernsthaft für eine bundeseingedeutsche Zukunft des österreichischen Wortschatzes: Da es unwahrscheinlich sei, dass die Norddeutschen in naher Zukunft österreichische Wörter wie Kren, Marille und Topfen übernähmen, sollten die Österreicherinnen sich mit den bundesdeutschen Entsprechungen Meerrettich, Aprikose und Quark anfreunden. Mit Verlaub, Herr Sedlaczek, was ist denn das für eine defätistische Sprachpolitik? Um dieser sprachlichen Selbstverleugnung unserer südlichen Nachbarinnen entgegenzuwirken, schlage ich vor, die nächste Woche im gesamten deutschsprachigen Europa zur „Woche des österreichischen Deutsch“ (Hashtag: #OeWoche) zu machen, und österreichisches Vokabular zu verwenden, wo es nur geht.
Um mal mit den nordischen Nachbarn zu komplettieren: In Schweden, wo ich mal lebte, muss eher der Satan für Schimpfworte herhalten. “Fan” (Teufel) ist einer der härteren Flüche.
Wie einer meiner einheimischen Kollegen es mal ausdrückte: “Wenn ich das in Deutschland versuche, ist die Antwort: ‘Interessant, erzähl mehr aus der Bibel’ ”
Schöner Seitenhieb auf die ganzen Möchtegern-Genderer ebenso wie auf Sprachschützer, die nicht verstehen, dass Sprache vor allem eins ist:
Ständig im Wandel.
Und auch wenn mir manche Tendenzen sehr gegen den Strich gehen, ist es gut so.
Dass es kulturelle Unterschiede beim Fluchen gibt, konnte ich mir aber aus meiner eigenen interkulturellen Praxis denken.
Im Russischen gibt es Abstufungen von Flüchen auf Sexualbasis — normale Flüche und “dreistöckige”, außerdem aber gesellschaftlich akzeptierte Fluch-Ersatzwörter.
Man sagt statt dem russischen Wort für “Sch***”, das mit einem “G” anfängt, dann oft tatsächlich, dass etwas “gä” ist. Und wenn man ausdrücken will, dass eine Frau von unanständigem Benehmen ist, so nutzt man im allgemeinen Sprachgebrauch nicht das obszöne Wort dafür, sondern ersetzt es mit dem Wort “Ballerina” oder “Bibliothekarin” oder schlicht mit “Bä”.
Die Liste könnte ich unendlich fortsetzen… Ist eine recht spannende Sache.
Schimpfwörter religiösen Ursprungs werden auch in den Teilen Europas gebraucht wo man normaler Weise Sex-basierte Termine bevorzugt, oftmals zusammen. Man gebraucht zum Beispiel hier in der Slowakei oder in Ungarn den Namen Gottes, Jesu oder sogar der Mutter Gottes als das Objekt des Zeitwortes “jebať” / “baszni” (“ficken”), also etwa “Jebem ti Boha/Krista/Máriu” / “Baszom az Istenét” = “Ich ficke deinen/den Gott” usw. Kanadisches Französisch ist dafür bekannt (wenigstens unter uns Maledictologen) dass man dort Wörter die mit der Katolischen Liturgie zu tun haben als Schimpfwörter benutzt wie z.B. tabarnac, hostie usw. Interessanterweise ist dem so auch auf Malta, wo man sich auch Wörter aus dem Bedeutungsfeld „Geschlechtsverkehr“ bedient (“għoxx” = “Fotze”, “żobb” = “Schwanz” usw.), wo aber “l’ostja” = “Hostie” oder “l‑Madonna” die beliebtesten Schimpwörter sind.
Auch wenn es am Ende ziemlich zischt, müsste es nicht “Woche des österreichischen Deutschs” heißen?
@Ona: Das ist ein typischer Zweifelsfall, bei dem es beide Optionen gibt. (Auch hier.) Gilt auch für andere Sprachbezeichnungen auf -isch (Englisch, Französisch, Finnisch, …).
Und es gibt noch eine weitere Möglichkeit: des Deutschen. Das kommt daher, dass Deutsch vom Adjektiv deutsch kommt. Substantivierte Adjektive behalten oft ihr adjektivisches Deklinationsverhalten bei, d.h.
(1) der Beschluss des deutschen Bundestags (Adjektiv)
(2) der Gebrauch des Deutschen (Substantiv)
Der ganze Komplex wird z.B. im Grammatik-Duden (8. Auflage) in §473 thematisiert.
@Kristin Kopf: Wieder was dazugelernt — danke für die Aufklärung 🙂
@ona: Das wird den gleichen Grund haben, aus dem es auch nicht Deutsche und Deutschinnen heißt.