Karibische Umnachtung

Von Anatol Stefanowitsch

Der Vere­in Deutsche Sprache pro­duziert ja so schnell und aus­dauernd so viel Unsinn, dass Deutsch­land eine Goldmedal­lie sich­er wäre, wenn Unsinn eine olymp­is­che Diszi­plin wäre. Aber dass Sprach­nörgelei (noch) nicht olymp­isch ist, hin­dert die Sprach­nör­gler natür­lich nicht daran, die Olymp­is­chen Spiele trotz­dem zu nutzen, um medi­ale Aufmerk­samkeit zu bekommen.

Zu diesem Zweck hat man in der Dort­munder Schaltzen­trale des deutschen Sprach­nör­gler­tums eigens einen neuen Neg­a­tivpreis aus­getüftelt: den Dscham­mee­ka-Preis. Mit diesem Preis sollen, so der Vere­in, Reporter aus­geze­ich­net wer­den, die „bei sportlichen Großereignis­sen am kon­se­quentesten die deutsche Aussprache von Orts‑, Län­der- und Per­so­nen­na­men vermeiden“.

Erster Preisträger und namen­stif­tende Muse für den Preis ist ARD-Reporter Wil­fried Hark. Der spreche näm­lich statt von Jamai­ka (das man beim VDS gerne aus­ge­sprochen sähe, wie man es schreibt, also etwa YA-MAY-KAH [jaˈmaɪ̯ka]) von „Dscham­mee­ka“. Und das, so der VDS, wür­den „vor allem Amerikan­er sagen“. Ein klares Zeichen, dass man sich hier „dem angel­säch­sis­chen Aus­land … unter­wür­fig anbiedern“ wolle. Wenn nicht deutsch, so der Vere­in, solle man Län­der gemäß ihrer Lan­dessprache aussprechen, was bei Jamai­ka dann aber etwa wie „Dschömei­ka“ klin­gen würde (wom­it ver­mut­lich DSCHÖ-MEY-KAH, mit weichem SCH und sehr schwach beton­tem Ö gemeint ist – [dʒəˈmeɪkə]).

Nun ist es keine schlechte Werbe­strate­gie, den Sprachge­brauch von Journalist/innen zu kri­tisieren, um andere Journalist/innen dazu zu bekom­men, darüber zu bericht­en. Allerd­ings würde es nicht schaden, wenn man selb­st etwas vom The­ma ver­stünde. Aber das passt bekan­ntlich nicht zum Selb­st­bild des VDS, und so hat man in schön­ster Sprach­nör­gler­manier ein­fach mal ins Blaue hinein fabuliert.

Zunächst: Im Deutschen sind zwei Aussprachevari­anten üblich, die man sich auf der Web­seite des Duden anhören kann: Das oben schon erwäh­nte YA-MAY-KAH sowie das san­ft am Englis­chen ori­en­tierte DSCHA-MAY-KAH (mit weichem SCH – [dʒaˈmaɪ̯ka]). Hier hat der VDS also zwar nicht die ganze, aber doch die Wahrheit gesagt.

Der Rest ist dann lei­der nicht nur falsch, son­dern um 180 Grad falsch. Der Lan­desname Jamaica wird in der Lan­dessprache, dem jamaikanis­chen Englisch beina­he exakt so aus­ge­sprochen, wie es Hark ange­blich getan hat: DSCHA-MEE-KAH ([dʒaˈmeːkə], natür­lich auch mit weichem SCH). Wer das nicht glaubt, kann sich die Aussprache eines berühmten Mut­ter­sprach­lers dieser Vari­etät anhören: Bob Mar­ley singt es so in der let­zten Stro­phe der Album-Ver­sion von „Buf­fa­lo Sol­dier“ (siehe hier bei Minute 3:38).

Die von Krämer vorgeschla­gene Vari­ante DSCHÖ-MEY-KAH dage­gen entspricht der Aussprache im britis­chen und amerikanis­chen Stan­dar­d­englisch (anzuhören z.B. hier). Wenn über­haupt, wäre diese Vari­ante also eine unter­wür­fige Anbiederung an den angel­säch­sis­chen Sprachge­brauch, und eine Dele­git­i­ma­tion des jamaikanis­chen Englisch.

Wil­fried Hark sollte also stolz zu sein­er Aussprache ste­hen. Stattdessen geht er in eine sprach­nör­g­lerisch kon­di­tion­ierte Abwehrhal­tung: „Ich war das nicht“, zitiert ihn die dpa.

 

[Dieser Beitrag erschien ursprünglich im alten Sprachlog auf den SciLogs. Die hier erschienene Ver­sion enthält möglicher­weise Kor­rek­turen und Aktu­al­isierun­gen. Auch die Kom­mentare wur­den möglicher­weise nicht voll­ständig übernommen.]

14 Gedanken zu „Karibische Umnachtung

  1. Andreas Cyffka

    Mit Ver­laub: Die Ver­mei­dung “sinnlos­er”, weil “über­flüs­siger” Anglizis­men, für die es gute deutsche Entsprechun­gen gibt, ist ein sin­nvolles Anliegen. Der Dscham­mee­ka-Preis aber ist ein Füller für das Som­mer­loch. Dafür gibt es nur – Par­don – ein Wort: uncool.
    Das habe ich heute auch auf dem PONS Deutschblog gesagt.

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  2. Muriel

    Und wie ste­ht es um die Ver­mei­dung “sinnlos­er”, weil “über­flüs­siger” deutsch­er Begriffe, für die es total okaye Anglizis­men gibt?
    Die macht doch auch Sinn, oder?

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  3. impala

    Beim dek­lin­ieren von “okay” rollen sich mir die Fußnägel hoch 😉

    Dabei ist das das per­fek­te Beispiel für die gelun­gene Ein­deutschung eines mehr als okayen Anglizismus!

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  4. TOPCTEH

    @cebewee, @impala
    Das “okaye” kommt bes­timmt aus dem gle­ichen Sprachraum (Flens­burg?), der auch die “zue Tür”, den “abben Knopf”, die “nicht mehr so gut zu fußen älteren Leute” oder die “ander­srumme Strecke” kennt.

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  5. impala

    Ich weiß nicht, ob okay nicht mit­tler­weile im gesamten deutschen Sprachraum flek­tiert wird. Ich weiß nicht, wie das mit der Flex­ion in Flens­burg aussieht, aber ich habe die ersten 19 Jahren meines Lebens im Ruhrge­bi­et ver­bracht und für mich sind die zue Tür, der abbe Arm (in der Aussprache mit [p]) und der durche Typ völ­lig nor­maler Sprachge­brauch. Dass das nicht stan­dard­sprach­lich ist, weiß ich, aber ein okay­er Vorschlag würde ich im Schrift­ge­brauch auch akzep­tieren. Das Adjek­tiv gay, was densel­ben Aus­laut hat, wird ja auch meist flek­tiert, z.B. ein gayes Lied.

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  6. klappnase

    @Okay-Debatte
    Also hier im Fränkischen gibt’s das “okaye” schon seit min­destens 20 Jahren, vom “abben Arm” habe ich allerd­ings noch nix gehört und die geschlossene ist hier eher eine “zune” Tür, die “zue” gibt’s zwar auch, aber das klingt hier eher nach “Hochdeutsch” 😉

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  7. Frank Rawel

    Gern wüsste ich noch die ety­mol­o­gis­che Wurzel. Was bedeutet Jamai­ka? “Land der schnellen Beine”? “Insel, die man schnell umrundet”?

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  8. Phaeake

    Die Arawak unter Arafat auf dem Ararat
    Die Antwort, die Wikipedia auf Frank Rawels Frage gibt, lautet: “Der Name leit­et sich vom arawakischen Xay­maca oder Chay­makas ab, was so viel wie Quel­len­land oder Holz- und Wasser­land bedeutet.”
    Was arawakisch ist, find­en Sie jet­zt aber bitte sel­ber heraus.

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  9. David

    Sehe ich das richtig?
    Die ange­blich typ­isch amerikanis­che Aussprache von Hark enthielt tat­säch­lich ein e:, wie in “Schnee”? Einen Laut also, den es im amerikanis­chen wie im britis­chen Englisch gar nicht gibt, und der dessen Sprech­ern m.W. so notorisch schw­er beizubrin­gen ist, daß er selb­st bei recht geübten oft noch zum Diph­thong wird?

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  10. Joachim

    Wie ver­hält es sich denn mit der Ver­mei­dung “sinnlos­er”, weil “über­flüs­siger” Kom­mentare. Ist die auch ein sin­nvolles Anliegen?

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  11. Phaeake

    Anstatt immer zu auf diejeni­gen unser­er Nach­barn zu zeigen, welche fremde geo­graphis­che Beze­ich­nun­gen noch rig­oros­er nach Art ihrer eige­nen Sprache aussprechen als die Deutschen, kön­nte man ja auch mal diejeni­gen erwäh­nen, die noch “unter­wür­figer” als die Deutschen die fremde Aussprache oder sog­ar die abwe­ichende Eigen­beze­ich­nung beherzi­gen. Ohne es mehr als anek­do­tisch bele­gen zu kön­nen, glaube ich, dass die Nor­weger hier gute Kan­di­dat­en wären.
    Ich erlebte mal, wie sich deutsche in Anwe­sen­heit sehr gut Deutsch sprechen­der Nor­weger über Niz­za unter­hiel­ten. Die Nor­weger wun­derten sich,dass sie von dieser anscheinend berühmten Stadt noch nie etwas gehört hat­ten, bis sie merk­ten, dass damit “Nice” gemeint war.

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  12. Nick der Bösewicht

    Wie find­et ihr eigentlich das Wort “benam­sen”? Ich höre das vor allem in der Fir­ma immer häu­figer. “Wir müssen das Ding dann noch benam­sen” heißt es dann zum Beispiel. Warum sagen die Leute nicht “benen­nen”? Ist das der richtige Aus­druck, wenn ich ein­er Sache einen Namen geben will?

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