Der schottische Schriftsteller Craig Russell schreibt Kriminalromane, die in Hamburg spielen und deren Hauptfigur ein Polizeikommissar mit deutsch-schottischem Familienhintergrund ist. Die Romane (derzeit gibt es drei) sind denen, die psychologische Thriller mögen, wärmstens zu empfehlen, aber darum geht es heute nicht.
Russell webt eine Vielzahl deutscher Wörter in seinen englischen Text ein und offensichtlich spricht er selber sehr gut Deutsch und hat einen guten Lektor, denn man erwischt ihn kaum bei sprachlichen Missgriffen, wie sie sonst häufig bei Autoren zu finden sind, die ihre Texte mit fremdsprachlichem Wortmaterial garnieren.
Aber manchmal finden sich doch extrem subtile Hinweise darauf, dass Russell eventuell doch nicht alle Schattierungen der deutschen Sprache beherrscht. So ist mir heute in seinem zweiten Roman, „Brother Grimm“, der folgende Abschnitt aufgefallen:
She stopped in the entrance hallway and when she spoke her voice was low, almost conspiratorial.
‘Mutti and Papi don’t know, but Hanna had been with someone. Not her boss … someone before that.’ (Craig Russell, Brother Grimm, S. 161)
Was für mich hier merkwürdig klingt ist die Kombination von Mutti und Papi. Wir haben im Deutschen ja eine Reihe von Koseformen der Wörter Mutter und Vater, aber die lassen sich meiner Intuition nach nicht frei kombinieren, sondern gehören paarweise zusammen: Mama und Papa, Mami und Papi, Vati und Mutti. Russell weiß das möglicherweise nicht, sondern kennt nur die Formen Mutti und Papi und glaubt deshalb, dass diese sich kombinieren lassen.
Vielleicht bin ich aber auch zu streng und meine Intuition ist falsch. Ich könnte nun eine Umfrage unter den Leser/innen des Sprachblogs machen, aber als Korpuslinguist ist mein erster Schritt immer eine Untersuchung der Verteilung sprachlicher Strukturen in großen Mengen authentischer Texte.
Die folgende Tabelle zeigt die Häufigkeit der neun möglichen Kombinationen von Papa, Papi und Vati mit Mama, Mami und Mutti (jeweils für beide Reihenfolgen, also Mama und Papa ebenso wie Papa und Mama usw., Quelle: Yahoo). Unter jeder beobachteten Häufigkeit ist in Klammern die Häufigkeit angegeben, die bei einer zufälligen Kombination der sechs Begriffe zu erwarten gewesen wäre. Die Zellen, in denen die beobachtete Häufigkeit positiv von der zufällig erwarteten abweicht, sind grün gefärbt, umso dunkler, je stärker die Abweichung ist. Die Zellen, in denen die beobachtete Häufigkeit negativ abweicht, sind rot gefärbt, wieder umso dunkler, je stärker die Abweichung ist (ich glaube, die Tabelle ist trotz der Farben barierrefrei, da die Zahlen ja für jeden erkennbar sind).
Mama | Mami | Mutti | Gesamt | |
Papa | 348 200 (305 493) |
466 (39 147) |
405 (4 431) |
349 071 |
Papi | 83 (38 820) |
44 055 (4 974) |
219 (563) |
44 357 |
Vati | 158 (4 128) |
129 (529) |
4 430 (60) |
4 717 |
Gesamt | 348 441 | 44 650 | 5 054 | 398 145 |
Zunächst bestätigt die Tabelle meine Intuition, dass die elterlichen Kosenamen im Sprachsystem relativ streng paarweise organisiert sind: Mama gehört zu Papa, Mami zu Papi und Mutti zu Vati. Am stärksten ist diese Einschränkung bei Mutti und Vati, während sie bei Mama und Papa etwas schwächer ist. Das dürfte daran liegen, dass Mama und Papa auch einzeln mit Abstand die häufigsten unter den sechs Wörtern sind — als eine Art Standardbegriffe (in der Sprachwissenschaft würden wir sie als „unmarkiert“ bezeichnen) sind sie tendenziell auch mit spezielleren Begriffen kombinierbar.
Darüber hinaus zeigt die Tabelle aber noch etwas interessantes: die „falschen“ Kombinationen unterscheiden sich stark voneinander: Vati und Mami bzw. Papi und Mutti lassen sich viel besser kombinieren als Papa und Mami oder Papi und Mama. Das könnte daran liegen, dass die ersten beiden Kombinationen zwar eigentlich nicht zusammengehören, aber miteinander gemeinsam haben, dass die Wörter jeweils auf -i enden, also in einer reimartigen Beziehung zueinander stehen. Die anderen beiden Kombinationen vermischen jeweils eine i- und eine a-Endung. Anscheinend bevorzugen wir Paare, deren Wörter ähnlich klingen: die Wörter in den „richtigen“ Kombinationen klingen ja jeweils maximal ähnlich.
Nun wäre es natürlich interessant, zu untersuchen, warum überhaupt irgendjemand die „falschen“ Kombinationen verwendet, aber das überlasse ich künftigen Forschergenerationen, denn ich muss jetzt unbedingt „Brother Grimm“ zu Ende lesen…
Welch ein Zufall … erst gestern berichtete ein Bekannter mir über seine Probleme, Weihnachtsgeschenke für “Mutti und Papi” zu finden. Und da hat sich mir kurz die gleiche Frage gestellt. Beantworten konnte mein Bekannter sie nicht: Kurzes Achselzucken — “Ist halt so”.
Zu ihrem Farbenproblem:
statt bgcolor=“cccccc”
muss bgcolor=#cccccc stehn..
und danke für diesen Blogeintrag, ich weiß garnicht, was ich da noch dazu sagen soll 🙂
[Anmerkung von A.S.: Danke für die Lösung des Farbproblems! Das ist der Nachteil am Web 2.0 — man verlernt die einfachsten Dinge…]
Der Autor war mir neu, und ebenfalls die Schreibweise seines Nachnamens mit nur einem L.
[Anmerkung von A.S.: Den Autor sollte man unbedingt kennen, wenn man ausreichend starke Nerven hat! Den Namen sollte man durchgängig mit zwei L schreiben, so wie ich es nun gemacht habe…]
Zuerst ein Lob für die Farben: Ich kann sie tadellos unterscheiden und auch paaren. Das ist mal ein Fall, wo’s hilft, dann brauche auch ich nicht auf die Zahlen zu sehen.
Zum Thema: Meine Intuition ist bei Ihnen, ich bin über die Kombi auch sofort gestolpert. Da ich intuitionsmäßig nicht immer auf Ihrer Seite stehe (auch ich hatte mir ein “daran” ans erinnern gedacht) deutet das auf einen erhöhten Objektivitätsgrad.
Und zuletzt: Denken Sie nicht, dass der Autor für solche Hinweise dankbar wäre? Umso mehr, als ihm die Qualität wichtig zu sein scheint?
Ich wußte immer schon, daß ich in einer seltsamen Familie aufgewachsen bin … meinen Vater habe ich früher (als ich noch ein Kind war) immer “Vati” genannt und meine Mutter “Mami” oder auch “Mama”, aber nie nie niemals “Mutti”. “Mutti” ist für mich kein Kosewort für “Mutter”, sondern eine abwertende Bezeichnung für eine Frau.