Bevor wir nächste Woche unsere Reihe über das Sinn machen abschließen, kommen wir heute auf einen eher nebensächlichen Aspekt zu sprechen. Es wird manchmal behauptet, die Redewendung sei nicht nur aus dem Englischen entlehnt (was möglicherweise stimmt, obwohl ich mir da inzwischen nicht mehr so sicher bin) sondern sie sei sogar falsch entlehnt. Robert Sedlaczek hat zum Beispiel im Januar in der Wiener Zeitung die Sätze Macht es überhaupt Sinn, zu spenden? und Selbstverständlich macht spenden Sinn… genannt und dann folgende, bemerkenswerte Behauptung aufgestellt:
Aber stilistisch sind die beiden Sätze eine Katastrophe! Sie klingen wie eine schlechte Übersetzung aus dem Englischen! Dort sagt man in der negierten Form „It doesn’t make sense“ und meint „Es hat keinen Sinn“. So steht die Phrase im „Langenscheidt“. „It makes sense“ wird dort gar nicht vermerkt, ist aber vereinzelt zu hören.
(ConAlma, die wir in der ersten Folge schon zitiert haben, findet übrigens auch, dass die Redewendung im Englischen „im Grunde in der Verneinung benützt“ wird).
Bemerkenswert ist Sedlaczeks Behauptung aus zwei Gründen. Erstens hat etwas sehr lobenswertes getan: er hat recherchiert, bevor er sich zu Wort gemeldet hat. Das sollte zwar eigentlich selbstverständlich sein, ist es aber nicht. Zweitens hat er aber viel zu oberflächlich recherchiert und das, obwohl eine tiefergehende Recherche viel einfacher gewesen wäre, als das mühselige Nachschlagen in einem Wörterbuch.
Das Internet, genauer gesagt, das World Wide Web, ist die größte öffentlich zugängliche Textsammlung, die es je gab. Warum nicht einfach nachsehen, was wie oft verwendet wird? Schränken wir die Suche auf britische Webseiten ein, um den Anteil der Texte, die von englischen Muttersprachlern verfasst worden sind, möglichst hoch zu halten. Dann finden wir etwas erstaunliches heraus: die angeblich übliche verneinte Form (Suchmuster: “doesn’t make sense” OR “does not make sense” site:uk) bringt es auf 142.000 G‑Treffer, die „vereinzelt zu hörende“ nicht verneinte Form (Suchmuster: “makes sense” site:uk) bringt es auf 1.100.000 G‑Treffer, ist also 7,7 Mal häufiger.
Nun können zwischen make und sense Wörter stehen, z.B. Adjektive, die die Art des Sinns beschreiben, der da gemacht wird (It doesn’t make economic sense…) oder Adjektive oder Partikeln, die eine Verneinung ausdrücken oder verstärken (It doesn’t make any sense, it makes no sense, it makes little sense, usw.). Vielleicht verzerren die ja das Bild. Suchen wir also nach diesen Fällen getrennt. Für die negative Form erhalten wir insgesamt 4.906.000 Treffer (766.000 für “does not make * sense” site:uk, 1.860.000 für “doesn’t make * sense” site:uk und 2.280.000 für “makes (no|little) sense” site:uk). Für die positive Form erhalten wir 10.720.000 Treffer (13.000.000 für “makes * sense” site:uk, abzüglich der 2.280.000 für “makes (no|little) sense” site:uk). Das Verhältnis ist nicht ganz so extrem wie vorher, aber es zeigt in dieselbe Richtung: die nicht verneinte Form ist 2,2 Mal häufiger.
Haben sich da am Ende doch tausende von Nicht-Muttersprachlern auf britische Webseiten geschlichen und das Bild verzerrt? Nein. Wenn wir die Suche auf eine von Muttersprachlern geschriebene Tageszeitung, den Guardian, einschränken und zur Sicherheit sogar die Foren und Blogs ausschließen, erhalten wir ein sehr ähnliches Verhältnis: 2.900 nicht verneinte Formen (Suchmuster: “makes sense” site:guardian.co.uk ‑site:commentisfree.guardian.co.uk ‑site:blogs.guardian.co.uk) und 516 verneinte Formen (155 für “does not make sense” site:guardian.co.uk ‑site:commentisfree.guardian.co.uk ‑site:blogs.guardian.co.uk und 361 für “doesn’t make sense” site:guardian.co.uk ‑site:commentisfree.guardian.co.uk ‑site:blogs.guardian.co.uk), also ein Verhältnis von 5,6 zu 1).
Ich habe das Gefühl, es ist bereits mehr als deutlich geworden , worauf ich hier hinaus will und erspare es mir deshalb, auch noch nach den Formen mit Zusätzen zwischen make und sense im Guardian zu suchen.
Die deutsche Redewendung Sinn machen verhält sich ähnlich: versucht man, alle Flexionsformen und grammatischen Varianten zu erfassen, stellt sich heraus, dass die nicht verneinte Form etwa doppelt so häufig ist, wie die verneinte. Wenn sie also aus dem Englischen entlehnt ist, dann sehr originalgetreu.
Die ganze Serie
Sinnesfreuden: Zweiter Teil
Sinnesfreuden: Dritter Teil
Ich glaube, die mangelhafte Recherche rührt daher, dass die meisten, die sich nicht professionell mit Sprache befasse, glauben, dass Lexikographen beim erstellen von Wörterbüchern irgendwelche hochkomplizierten Techniken durchführen, um zu ergründen, ob ein Wort (oder eine Phrase) verwendet wird oder nicht. Den meisten dürfte nicht klar sein, dass heute auch für Lexikographen Google (oder eine andere Suchmaschine) das Werkzeug der Wahl ist 😉