Sinnesfreuden (IV)

Von Anatol Stefanowitsch

Bevor wir näch­ste Woche unsere Rei­he über das Sinn machen abschließen, kom­men wir heute auf einen eher neben­säch­lichen Aspekt zu sprechen. Es wird manch­mal behauptet, die Redewen­dung sei nicht nur aus dem Englis­chen entlehnt (was möglicher­weise stimmt, obwohl ich mir da inzwis­chen nicht mehr so sich­er bin) son­dern sie sei sog­ar falsch entlehnt. Robert Sed­laczek hat zum Beispiel im Jan­u­ar in der Wiener Zeitung die Sätze Macht es über­haupt Sinn, zu spenden? und Selb­stver­ständlich macht spenden Sinn… genan­nt und dann fol­gende, bemerkenswerte Behaup­tung aufgestellt:

Aber stilis­tisch sind die bei­den Sätze eine Katas­tro­phe! Sie klin­gen wie eine schlechte Über­set­zung aus dem Englis­chen! Dort sagt man in der negierten Form „It doesn’t make sense“ und meint „Es hat keinen Sinn“. So ste­ht die Phrase im „Lan­gen­schei­dt“. „It makes sense“ wird dort gar nicht ver­merkt, ist aber vere­inzelt zu hören.

(ConAl­ma, die wir in der ersten Folge schon zitiert haben, find­et übri­gens auch, dass die Redewen­dung im Englis­chen „im Grunde in der Vernei­n­ung benützt“ wird).

Bemerkenswert ist Sed­laczeks Behaup­tung aus zwei Grün­den. Erstens hat etwas sehr lobenswertes getan: er hat recher­chiert, bevor er sich zu Wort gemeldet hat. Das sollte zwar eigentlich selb­stver­ständlich sein, ist es aber nicht. Zweit­ens hat er aber viel zu ober­fläch­lich recher­chiert und das, obwohl eine tiefer­ge­hende Recherche viel ein­fach­er gewe­sen wäre, als das müh­selige Nach­schla­gen in einem Wörterbuch.

Das Inter­net, genauer gesagt, das World Wide Web, ist die größte öffentlich zugängliche Textsamm­lung, die es je gab. Warum nicht ein­fach nach­se­hen, was wie oft ver­wen­det wird? Schränken wir die Suche auf britis­che Web­seit­en ein, um den Anteil der Texte, die von englis­chen Mut­ter­sprach­lern ver­fasst wor­den sind, möglichst hoch zu hal­ten. Dann find­en wir etwas erstaunlich­es her­aus: die ange­blich übliche verneinte Form (Such­muster: “does­n’t make sense” OR “does not make sense” site:uk) bringt es auf 142.000 G‑Treffer, die „vere­inzelt zu hörende“ nicht verneinte Form (Such­muster: “makes sense” site:uk) bringt es auf 1.100.000 G‑Treffer, ist also 7,7 Mal häufiger.

Nun kön­nen zwis­chen make und sense Wörter ste­hen, z.B. Adjek­tive, die die Art des Sinns beschreiben, der da gemacht wird (It doesn’t make eco­nom­ic sense…) oder Adjek­tive oder Par­tikeln, die eine Vernei­n­ung aus­drück­en oder ver­stärken (It doesn’t make any sense, it makes no sense, it makes lit­tle sense, usw.). Vielle­icht verz­er­ren die ja das Bild. Suchen wir also nach diesen Fällen getren­nt. Für die neg­a­tive Form erhal­ten wir ins­ge­samt 4.906.000 Tre­f­fer (766.000 für “does not make * sense” site:uk, 1.860.000 für “does­n’t make * sense” site:uk und 2.280.000 für “makes (no|little) sense” site:uk). Für die pos­i­tive Form erhal­ten wir 10.720.000 Tre­f­fer (13.000.000 für “makes * sense” site:uk, abzüglich der 2.280.000 für “makes (no|little) sense” site:uk). Das Ver­hält­nis ist nicht ganz so extrem wie vorher, aber es zeigt in dieselbe Rich­tung: die nicht verneinte Form ist 2,2 Mal häufiger.

Haben sich da am Ende doch tausende von Nicht-Mut­ter­sprach­lern auf britis­che Web­seit­en geschlichen und das Bild verz­er­rt? Nein. Wenn wir die Suche auf eine von Mut­ter­sprach­lern geschriebene Tageszeitung, den Guardian, ein­schränken und zur Sicher­heit sog­ar die Foren und Blogs auss­chließen, erhal­ten wir ein sehr ähn­lich­es Ver­hält­nis: 2.900 nicht verneinte For­men (Such­muster: “makes sense” site:guardian.co.uk ‑site:commentisfree.guardian.co.uk ‑site:blogs.guardian.co.uk) und 516 verneinte For­men (155 für “does not make sense” site:guardian.co.uk ‑site:commentisfree.guardian.co.uk ‑site:blogs.guardian.co.uk und 361 für “does­n’t make sense” site:guardian.co.uk ‑site:commentisfree.guardian.co.uk ‑site:blogs.guardian.co.uk), also ein Ver­hält­nis von 5,6 zu 1).

Ich habe das Gefühl, es ist bere­its mehr als deut­lich gewor­den , worauf ich hier hin­aus will und ers­pare es mir deshalb, auch noch nach den For­men mit Zusätzen zwis­chen make und sense im Guardian zu suchen.

Die deutsche Redewen­dung Sinn machen ver­hält sich ähn­lich: ver­sucht man, alle Flex­ions­for­men und gram­ma­tis­chen Vari­anten zu erfassen, stellt sich her­aus, dass die nicht verneinte Form etwa dop­pelt so häu­fig ist, wie die verneinte. Wenn sie also aus dem Englis­chen entlehnt ist, dann sehr originalgetreu.

Die ganze Serie

Sin­nes­freuden: Erster Teil

Sin­nes­freuden: Zweit­er Teil

Sin­nes­freuden: Drit­ter Teil

Sin­nes­freuden: Viert­er Teil

Sin­nes­freuden: Fün­fter Teil

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Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

Ein Gedanke zu „Sinnesfreuden (IV)

  1. A.T.

    Ich glaube, die man­gel­hafte Recherche rührt daher, dass die meis­ten, die sich nicht pro­fes­sionell mit Sprache befasse, glauben, dass Lexiko­graphen beim erstellen von Wörter­büch­ern irgendwelche hochkom­plizierten Tech­niken durch­führen, um zu ergrün­den, ob ein Wort (oder eine Phrase) ver­wen­det wird oder nicht. Den meis­ten dürfte nicht klar sein, dass heute auch für Lexiko­graphen Google (oder eine andere Such­mas­chine) das Werkzeug der Wahl ist 😉

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