Presseschau

Von Anatol Stefanowitsch

Eine inter­es­sante Geschichte find­et sich diese Woche in der Online-Aus­gabe des Reut­linger Gen­er­al-Anzeigers. Im Prozess gegen den Spedi­teur Thomas Betz kön­nte das Geständ­nis eines wichti­gen Zeu­gen der Anklage möglicher­weise für ungültig erk­lärt wer­den, weil ein lin­guis­tis­ch­er Sachver­ständi­ger Zweifel an dessen Echtheit geäußert hat:

Der sollte als sachver­ständi­ger Zeuge eigentlich das deutsche Hör- und Sprachver­mö­gen des Bul­gar­en beurteilen — und kam dabei zu kri­tis­chen Noten: „Er ken­nt viele Worte nicht und kann keine flüs­sige Aus­sage abgeben.“ Für sein Gutacht­en hat der Lin­guist den Osteu­ropäer auch zu den Vernehmung­spro­tokollen aus dem Früh­jahr 2003 befragt — die stets in flüs­sigem Deutsch gehal­ten waren.

Im Geständ­nis find­en sich beispiel­sweise Sätze wie „Die LKW-Dis­po­si­tio­nen bei den aus­ländis­chen Tochter­fir­men waren fin­giert“ — eine ungewöhn­liche Wort­wahl für einen LKW-Fahrer mit eingeschränk­ten Deutschken­nt­nis­sen, aber völ­lig nor­mal für den Stil eines Polizeibeamten.

Nun darf man solche Abwe­ichun­gen nicht gle­ich als Indiz dafür nehmen, dass das Geständ­nis von den Polizis­ten erfun­den wor­den ist. Ich musste selb­st vor einiger Zeit eine Aus­sage bei der Polizei machen, nach­dem jemand sein Auto mit Schwung in meins hineingeparkt und dann behauptet hat­te, es sei umgekehrt gewe­sen. Ich sagte dem Polizeibeamten unge­fähr: „Ich hab mein Auto gestern abend so um halb zehn rum hier geparkt und da stand das andere Auto noch nicht da. Die Hand­bremse war ange­zo­gen und der Gang war auch drin, ich kann also auch nicht in das Auto reingerollt sein.“

In dem Pro­tokoll, das ich dann unter­schreiben musste, stand aber so etwas wie: „Ich habe das Fahrzeug mit dem Kennze­ichen XX-XX XXX am XX. XX. 2007 gegen 21:30 abgestellt und ord­nungs­gemäß gegen Wegrollen und unbefugte Inbe­trieb­nahme gesichert. Das Fahrzeug der Unfall­geg­ner­in mit dem Kennze­ichen YY-YY YYY war zu diesem Zeit­punkt nicht am Unfal­lort abgestellt.“

Dass das ein Polizist for­muliert hat, ist klar, auch wenn er die Worte mir zuschreibt („Ich habe…“ und nicht „Der Zeuge sagt aus, er habe…“). Nur beherrsche ich Behördisch wenig­stens pas­siv und so war mir klar, was ich dort unter­schreiben sollte. Das war bei der Zeu­ge­naus­sage im Betz-Prozess anscheinend anders:

Zwar wollen die Vernehmer während der Befra­gun­gen für jeden sprach­lichen Ein­griff das O.K. des Bul­gar­en einge­holt haben. Ob der das gesamte Pro­tokoll beim Durch­le­sen aber ver­standen habe? »Eher nein«, war der Ein­druck des Protokollisten…

Das ist dann schon ein Problem.

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Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

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