Aktion scheintotes Deutsch

Von Anatol Stefanowitsch

Ich will eigentlich gar nicht über die „Aktion Lebendi­ges Deutsch“ schreiben, aber ich habe einen unin­spiri­erten Tag, deshalb tu ich es doch. Und wieder ein­mal haben die Her­ren (ja, es sind wirk­lich nur Her­ren) bewiesen, dass sie als Erneuer­er der deutschen Sprache gän­zlich ungeeignet sind (einen Kom­men­tar zu den Leser­vorschlä­gen für Fac­to­ry Out­let ers­pare ich mir; die hat der Wortis­tik­er bere­its Anfang Juli rel­a­tiv akku­rat vorherge­se­hen und kom­men­tiert).

Zunächst schla­gen die Her­ren der Jury als Alter­na­tive für den Begriff Just in Time das deutsche „ter­min­gerecht“ vor. Damit beweisen sie eigentlich nur, dass sie nicht wis­sen, was Just in Time bedeutet. Es bedeutet näm­lich, dass ein Zulief­er­er eine Ware genau in dem Augen­blick liefert, in dem sie benötigt wird — nicht später, aber auch nicht früher. So sollen Lagerkosten reduziert (bzw. auf den Zulief­er­er abgeschoben) wer­den. Ter­min­gerecht bedeutet aber lediglich, dass etwas spätestens zum vere­in­barten Ter­min geliefert wird. Außer­dem ist der Begriff Just in Time auf Pro­duk­tion­sprozesse beschränkt, während ter­min­gerecht über­all ver­wen­det wer­den kann. Man ver­liert also im dop­pel­ten Sinne begrif­fliche Schärfe, wenn man Just in Time durch ter­min­gerecht erset­zt. Wenn man das eigentlich recht präg­nante englis­che Lehn­wort nicht mag, sollte man deshalb lieber seine all­ge­mein etablierte deutsche Über­set­zung fer­ti­gungssyn­chron ver­wen­den (naja, so ganz deutsch ist die natür­lich auch nicht, aber bei alt­griechis­chem Lehngut scheinen die Emo­tio­nen nicht so hochzukochen, wie bei neuenglischem).

Für den laufend­en Monat suchen die Her­ren nach ein­er deutschen Alter­na­tive für das schöne Wort Block­buster. Das ist aus mein­er Sicht nun wirk­lich ein tre­f­fend­er Begriff, für den es allein deshalb keine deutsche Alter­na­tive braucht, weil die so beze­ich­neten Filme alle­samt aus Hol­ly­wood kom­men. Wenn man das Wort den­noch ver­mei­den möchte, emp­fiehlt sich ein Blick ins Wörter­buch: dort find­en wir die schö­nen deutschen Begriffe Kassen­schlager, Knüller und Straßen­feger — die klin­gen zwar alle leicht anges­taubt nach den fün­fziger Jahren, aber das ist ja eine Zeit, in die die Her­ren wohl ohne­hin gerne zurück­kehren würden.

[Nach­trag (2007–08-07): Mehr zu Just in Time und Block­buster auch in Detlef Guertlers Wortis­tik.]

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Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

4 Gedanken zu „Aktion scheintotes Deutsch

  1. Christoph Päper

    Immer­hin Werkverkauf und nicht Ab-Werk-Verkauf.

    Ich finde zeit­ge­nau und punk­t­ge­nau auch hin­re­ichend passend als Syn­onyme für JiT. (Ersteres dürfte 100%ig deutsch sein, aber wenn ich mich recht entsinne, kommt der Punkt von den ollen Römern.)

    Als Straßen­feger würde ich auss­chließlich Fernsehsendun­gen beze­ich­nen, denn die erfordern eine zeit­gle­iche Abwe­sen­heit aller Zuschauer vom Straßen­verkehr, wodurch der namengebende Effekt entste­ht. Der Begriff ist aber ohne­hin ver­al­tet seit es mehr als drei Pro­gramme und erst recht seit es vernün­ftige Aufze­ich­nungs­geräte gibt. Die WK2-Kri­tik des VDS an Block­buster kann ich nur schw­er nachvol­lziehen, schließlich kön­nen Filme auch im Deutschen ein­schla­gen wie eine Bombe – wobei diese For­mulierung ein gewiss­es Über­raschungsmo­ment erfordert, das bei 100‑M$-Produktionen kaum gegeben ist.

    Kassen­schlager lässt sich auf vieles anwen­den, wohinge­gen Block­buster auf Kinofilme beschränkt ist. Mir gefällt (Film-)Knüller oder, um das Mar­tialis­che beizube­hal­ten, Knaller.

    Davon abge­se­hen hat Block­buster seine Bedeu­tung als beson­ders erfol­gre­ich­er Kinofilm bei mir inzwis­chen ver­loren, da bei Pro 7 so ziem­lich jed­er Film unter diesem Schlag­wort läuft. Block­buster im tra­di­tionellen Sinn erfordern heute ein Steigerung­sprä­fix wie mega.

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  2. Chat Atkins

    Die Sprache hat einen guten Magen, sie schluckt zunächst vieles und spuckt es dann wieder aus. Wörter wie ‘Syn­ergieef­fekt’ oder ’sys­temim­ma­nent’ sind inzwis­chen mause­tot, obwohl jed­er Wirtschafts­führer sie ein­st­mals als Ausweis sein­er Moder­nität ver­wen­den musste. Dem meis­ten, was das all­ge­meine ‘Bull­shit­ting’ in Deutsch­land UND in den englis­chsprachi­gen Län­dern derzeit pro­duziert, dem wird es genau­so gehen. Von ‘Con­tent’ oder ‘Com­mu­ni­ty’ redet in fünf Jahren keine Sau mehr — wed­er hier noch dort. Was mich mehr stört, ist der all­ge­meine Hang zum Superla­tivis­chen: Ob es um einen ‘Block­buster’, ein ‘Mega-Event’ oder auch um einen toitschen ‘Quoten­gott’ gin­ge, das ist dabei ziem­lich egal: Immer drückt sich eine mir unan­genehme Men­tal­ität so aus, die etwas Kokaineskes hat …

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  3. Detlef Guertler

    @Chat Atkins: In der Phar­ma-Branche unter­liegt der Block­buster übri­gens keinem Hang zum Superla­tivis­chen, son­dern ist fest definiert: als Medika­ment, das pro Jahr einen weltweit­en Umsatz von mehr als 500 Mil­lio­nen Dol­lar macht. Und das ist in der Tat eine Größenord­nung, die ein eigenes Wort recht­fer­tigt — und weil es um glob­ale Umsätze geht, darf es meinetwe­gen auch gerne ein englis­ches Wort sein.

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  4. Chat Atkins

    @Detlef Guertler: Im Mil­itärischen drückt der ‘Block­buster’ meines Wis­sens noch ganz etwas anderes aus — den Inhalt ganz­er Häuserblocks wie einen Eit­er­pick­el näm­lich. Wenn also das Phar­ma-Mar­ket­ing diesen Begriff ver­wen­det, dann erschließt sich mir auf kürzestem Wege zunächst, dass sich dort irgendwelche Mar­ket­ing-Schnösel offen­sichtlich als ‘Krieger’ betra­cht­en. Von mir aus auch als ‘War­riors’ …

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