Als der urbane Mythos von der deutschen Kaffepaussi auf finnischen Linienbussen auf Betriebspause seinen Siegeszug durch die deutsche Presselandschaft antrat, gab es das Bremer Sprachblog noch nicht, und so konnte ich nichts dazu schreiben. Aber seitdem begegnet mir das Wort mindestens einmal pro Monat bei meiner Suche nach Blogbarem. Diese Woche war es wieder soweit, und so kann ich das endlich nachholen.
In einem Artikel über „Wörter mit Wanderlust“ las ich auf der Webseite von GEO:
Gemuetlichkeit könnte in Amerika beispielsweise beim kaffeeklatsching über die ahnenreihe entstehen, derweil in Finnland die kaffepaussi/kahvipaussi (“Kaffeepause”) angesagt ist – zum Beispiel in einem Bus in Turku, dessen automatisierte Anzeige bei einem längeren Stopp statt eines Fahrtzieles genau dieses Wort aufleuchten ließ. [Link]
Dieses „ausgewanderte Wort“ stammt (wie alle anderen Beispiele aus dem GEO-Artikel) aus dem Wettbewerb „Wörterwanderung“, in dem der Deutsche Sprachrat 2006 nach deutschen Lehnwörtern in anderen Sprachen fahndete:
Unter allen Einsendungen wurde eine Kulturreise nach Berlin verlost. Gewonnen hat Susanne Bätjer aus Deutschland mit dem Wort „Kaffepaussi“ (finnisch für Pause, außer Betrieb). Die Gewinnerin hatte das Wort 2005 auf einer automatisierten Anzeige eines Linienbusses entdeckt, an der sonst das Fahrtziel steht. Der Bus machte Pause. [Pressemitteilung des Deutschen Sprachrats]
Offensichtlich hat der Deutsche Sprachrat seinerzeit darauf verzichtet, die „ausgewanderten Wörter“ vor der Veröffentlichung einem Sprachwissenschaftler vorzulegen. Der hätte beim Siegerwort vielleicht zur Vorsicht geraten: Das Wort Kaffee stammt aus dem Arabischen (qahwa, vermutlich abgeleitet vom Namen der äthiopischen Provinz Kaffa), das Wort Pause lässt sich bis zum altgriechischen pausis „Aufhören“ zurückverfolgen. Beides sind extrem erfolgreiche Lehnwörter, die sich in hunderten von Sprachen finden. Das allein sollte Grund genug sein, keine voreiligen Schlussfolgerungen zu ziehen, wenn man sie irgendwo auf der Welt auf einem Bus liest.
Erstaunlicherweise hat auch sonst niemand nachgefragt: die Kaffepaussi wurde von der Presse begeisterst aufgenommen und dabei häufig gleich zur Kaffeepaussi (mit zwei e). Nur die Wissenschaftsredaktion des ORF fragte bei einem finnischen Sprachwissenschaftler nach und erhielt eine klare Aussage:
Laut dem Umgangssprache-Spezialisten Heikki Paukkonen vom finnischen Forschungsinstitut für einheimische Sprachen (Kotus) stammt „Kaffepaussi“ mit größter Wahrscheinlichkeit aus dem Schwedischen.
Professor Paukkonen zufolge lässt sich dies einerseits aus dem Umstand schließen, dass das Wort mit nur einem „e“ geschrieben sei. [Anm: So wird es im Schwedischen geschrieben, A.S.]
Außerdem werde es seines Wissens nach ausschließlich in stark zweisprachig geprägten Gegenden Finnlands wie Helsinki, Kokkola und Turku verwendet, wo der Einfluss des Schwedischen auf die Umgangssprache besonders stark ist. [ORF]
Der Deutsche Sprachrat war unbeeindruckt: „Es sei nun Aufgabe der Wissenschaft, die Herkunft der eingesandten Wörter zu überprüfen und systematisch zu erforschen“, teilte eine Sprecherin dem ORF mit (wohl kaum — das ist Aufgabe desjenigen, der so einen Wettbewerb veranstaltet). Auch den Hueber-Verlag hat die schwedische Herkunft des Wortes nicht daran gehindert, das Wort kommentarlos in sein Buch zum Wettbewerb aufzunehmen.
Außer dem ORF hat damals nur der Verein Deutsche Sprache aufgepasst und soll dafür natürlich zur Abwechslung einmal lobend erwähnt werden:
Beim Wettbewerb „Wörterwanderung“, das heißt der deutschen Wörter, die im Ausland gebräuchlich sind, wurde „Kaffepaussi“ als Sieger ausgesucht. Dieses in Finnland wenig gebräuchliche, ja altertümliche Wort ist aber gar nicht deutschen Ursprungs, sondern kommt aus dem Schwedischen, der zweiten Amtssprache in Finnland. [VDS-Sprachnachrichten 1/2007, S. 14]
Aber nicht nur die deutsche Herkunft des Wortes ist ein Mythos, auch bei der Bedeutung ließ sich der Deutsche Sprachrat vom Schein des Offensichtlichen in die Irre leiten: Weil das Wort auf einem Linienbus stand, musste es wohl „außer Betrieb“ heißen. Der ORF entlarvte auch diesen Fehlschluss sofort:
Der Sprachforscher verwies weiters darauf, dass „kaffepaussi“ sowie die häufigere, stärker finnisierte Variante „kahvipaussi“ kein Standardfinnisch sind und lediglich „Kaffeepause“ und nicht auch „außer Betrieb“ bedeuten… [ORF]
Auch Päivi Blinnikka, die Generalkonsulin Finnlands in Hamburg, wies dem NDR gegenüber darauf hin, dass Kaffepaussi genau das bedeutet, was man aufgrund der Kombination der Wörter kaffe und paussi vermuten würde:
Kaffeepaussi sagen wir — ich glaub, wie in Deutschland auch — wenn man eine kleine Pause nehmen möchte, wenn man lange gearbeitet hat und eine kleine Pause mit gutem Kaffee dazu haben möchte. [NDR]
Und die Moral von der Geschichte? Die Presse liebt nun einmal urbane Mythen, und der von der deutschen Kaffepaussi ist einfach zu schön, um ihn aufzugeben. Er suggeriert ein Bild vom Deutschen als gemütlichem Genießer und gleichzeitig spricht es die Vorstellung an, dass Lehnwörter oft merkwürdige Bedeutungsverschiebungen durchmachen. Der Mythos wird sich deshalb vermutlich genauso hartnäckig halten, wie der von den Eskimowörtern für Schnee. Dabei ist es nicht schwer, die Wahrheit herauszufinden: Der ORF-Artikel ist der erste Treffer für den Suchbegriff Kaffepaussi (wenn man ihn richtig schreibt).
Bildnachweis: Bus mit Anzeige „Kaffepaussi“ © 2007, Karen Fey. Verwendung mit freundlicher Genehmigung der Fotografin, die in ihrem Blog damals schon Zweifel an der deutschen Herkunft des Wortes hatte.
Oh je, nun hat die Frau Bätjer aber gewiss heiße Wangen und seltsame Fragen zu ertragen.
Na, wenigstens wird man uns das Afrikaans-Wort “Aberjetze” für “der Deutsche” nicht streitig machen. Der lässt Kaffeepaussis gar nicht erst zu.
Vielen Dank für diesen aufschlussreichen Text. Ehrlich gesagt, hatte ich — obwohl ich selbst viel mit dem Thema Sprache zu tun habe — das Bild und den Text in dem oben zitierten Buch “Ausgewanderte Wörter” immer für sehr drollig gehalten. Aber Sie haben völlig Recht, wahrscheinlich einfach ein (wahrscheinlich sogar unbewusster) Wunsch, dass auch mal ein nicht so schweres, militaristisches Deutsches Wort ausgewandert wäre. Tja, wieder ein urbaner Mythos mehr, wieder einmal wird man nette Menschen enttäuschen müssen, genauso wie bei den Eskimo-Wörtern für Schnee, die immer so gerne genannt werden.
Um wirkliche Klarheit zu erlangen, müßte man schon etwas tiefer schürfen. Daß kaffepaussi aus dem Schwedischen stamme, ist auch nur eine Vermutung. Selbst wenn sie stimmt, ist damit noch lange nicht widerlegt, daß das Wort nicht doch ursprünglich aus dem Deutschen stammt, z.B. auf dem Umweg über das das Dänische, das wegen der engen Nachbarschaft vieles aus dem Deutschen enthält.
Auf schwedisch heißt es kaffepaus, auf dänisch/norwegisch kaffepause. Woher stammt die i‑Endung im Finnischen? Wird diese Endung gewohnheitsmäßig angehängt, oder wäre eher eine Herkunft aus dem Dänischen oder Deutschen zu vermuten? Kann uns vielleicht ein Kenner der finnischen Sprache darüber Auskunft geben?
Wenn es wirklich stimmt, daß Pause aus dem Griechischen stammt (die Etymologie ist ja nicht eine der exaktesten Wissenschaften), dann ja vermutlich auch auf dem Umweg über das Lateinische, vielleicht noch das Französische.
Die Etymologie von Kaffee ist ja auch nicht so ganz klar. Phonetisch erscheint es mit der äthiopischen Provinz Kaffa ja enger verwandt als mit dem arabischen qahwe. Dem Grimmschen Wörterbuch zufolge soll qahwe aber ursprünglich Wein bedeutet haben, was keine offenkundige Beziehung zu dieser Provinz hat.
Die Übersetzung Pause, außer Betrieb ist im Zusammenhang mit der Busanzeige ja nicht gänzlich verfehlt, auch wenn es die ansonsten übliche Bedeutung nicht trifft. Ob diese Deutung von Frau Bätjer oder vom Deutschen Sprachrat stammt, ist auch nicht klar. Für heiße Wangen bei Frau Bütjer sehe ich jedenfalls keinen zwingenden Anlaß.
@Václav Jazyk:
Ich wüßte nicht, daß in andere Sprachen aus dem Deutschen eingewanderte Wörter besonders “schwer” und “militaristisch” wären, Gemütlichkeit, Kaffeeklatsch oder Angst jedenfalls nicht. Ganz im Gegenteil, viele militärische Begriffe im Deutschen stammen aus dem Französischen. Bei Theodor Fontane ist z.B. noch die Rede von Lieutenant, Train oder Rekognoszierung.
Im übrigen beschleicht mich bei der krampfhaften Suche des Deutschen Sprachrats nach deutschen Wörtern in anderen Sprachen ein unbehagliches Gefühl. Sollen wir damit darüber hinweggetröstet werden, daß es so viele Anglizismen im Deutschen gibt — nach dem Motto “die anderen machen es ja auch so”? Wenn mein Verdacht stimmt, dann hat sich der Deutschen Sprachrat erheblich in der Größenordnung vertan.
Das ‑i ist typisch finnisch und wird bei vielen Lehnwörtern angehängt. Finnische Wörter enden in der Regel auf einen Vokal.
In Gebieten, wo auch viel Schwedisch gesprochen und verstanden wird, hört man zum Beispiel oft bussi für ’Bus’ (woanders sagt man eher linja-auto ’Linienwagen’ – auch aus Lehnwörtern gebildet, aber aus älteren). Überall verbreitet ist musiikki.
Dafür, daß das Wort über das Schwedische ins Finnische gekommen ist, gibt es ja einige Hinweise, die schon im Text angesprochen wurden. Ich weiß nicht genau, was Sie mit „ursprünglich“ meinen, der Ursprung des Kompositums im Finnischen ist mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit das Schwedische. Die Ursprünge von Kaffee und Pause selbst liegen natürlich ganz woanders, wie Sie ja selbst schon schreiben.
Und das Blog hat noch Sommerzeit 😉
Jens (#6), danke für den Hinweis, ich habe das Blog nun auf Winterzeit umgestellt. Schuld an der Verzögerung (wie auch an der Finanzkrise und am Sieg von Panathinaikos Athen über Werder Bremen) waren natürlich die Sprachnörgler.
Es gibt bei uns keine Winterzeit, wenn’s um die Uhr geht.
Nur Sommerzeit und Normalzeit.
Und es ist mir völlig egal wieviele Treffer gugel für Winterzeit liefert. ;–)
Glück auf!
(wollte auch mal nörgeln)
Ergänzung:
Wie Jens ganz richtig schreibt, enden viele finnische Wörter auf einem Vokal, besonders viele Lehnwörter auf einem ‑i (posti, hotelli, apteekki, pankki, antenni).
Kaffepaussi ist ein Wort, das aus dem Südwestfinnischen kommt — die Gegend grob um Turku und Salo herum.
Diese Gegend, am Nächsten zu Schweden und den schwedischsprachigen Åland-Inseln liegend, hat im umgangssprachlichen Sprachgebrauch mehrere Wörter, die aus dem Schwedischen kommen, da ein Großteil der Bevölkerung dieser Gegend ehemals Schwedisch sprach/ sprechen musste.
Selbst meine Tante, sonst keiner Fremdsprache mächtig, bietet immer “kaffet” an, wenn man hinfährt, niemals, wie es die finnische Schriftsprache vorschreibt: “kahvia”.
Den Schriftzug “kaffepaussi” habe ich persönlich auch nur in der Turkuer Gegend gesehen, und in den Dialekt eben dieser Gegend gehört dieser Ausdruck auch.
Ich fände es vermessen zu sagen, dass dies ein Lehnwort aus dem Deutschen sei, da eben die schwedische Sprache in Finnland auch historisch gesehen viel präsenter ist als das Dänische oder Deutsche.
Aber das nur so am Rande… 😉