Jetzt mal Buttercakes bei die Fische (I)

Von Susanne Flach

Zuerst die unfrei­willige Komik: “Anglizis­men gehen mir auf den Keks.”

Warum komisch? Weil Keks ein Anglizis­mus ist. Also nicht so offen­sichtlich vielle­icht. Vielmehr ist es ein ehe­ma­liger, mit­tler­weile so gut inte­gri­ert­er und so eingedeutschter Anglizis­mus, dass er gar nicht mehr als solch­er erkennbar ist und sel­tenst in Anglizis­men­fil­tern hän­gen bleibt (aller­höch­stens um zu beto­nen, dass wir nicht ja alles aus­bürg­ern müssen). Eigentlich wollte ich nur amüsiert einen Anglis­ten­witz zum Besten geben und es dabei belassen. Doch dann uferte eine kleine Recherche so unglaublich aus, dass sich jen­seits der beina­he all­bekan­nten Herkun­ft und Entwick­lung von cakes (engl.) > Cakes (dt. pl.) > Keks (pl. & sg.) > Keks (sg.)/Kekse (pl.) plöt­zlich ein fan­tastis­ches Anschau­ungs­beispiel für eine ganze Menge sprach­lich­er Prozesse auftat.

Wenn wir hier­mit also durch sind, haben wir Entlehnung, phonetis­che und orthographis­che Inte­gra­tion, Vari­a­tion, Reanalyse und Sprach­wan­del abge­hakt, Meth­o­d­en der his­torischen Sprach­wis­senschaft angeschnit­ten und neben­bei eine urbane Leg­ende entza­ubert. Nur die Redewen­dun­gen, die müssen draußen bleiben. Freuen Sie sich nen Keks!

Die Etymologie

Cakes ist zunächst im Mit­te­lenglis­chen um 1230 das erste Mal als kake belegt (OED 2011). Es geht ver­mut­lich auf das Alt­nordis­che kaka zurück, wo es  ‘Kuchen’ bedeutete (Köbler 2003). Auch heute noch ist es in dieser Form und Bedeu­tung im Schwedis­chen und Isländis­chen zu find­en. Es ist mit dem neuhochdeutschen Kuchen ver­wandt, eben­so mit dem Nieder­ländis­chen koek ‘Kuchen’ und geht auf den west- und nordger­man­is­chen Stamm *kokon- zurück. Eine lange ver­mutete Ver­wandtschaft zum lateinis­chen coquere ‘kochen, back­en’ kann nicht bestätigt wer­den (OED 2011).

Der OED gibt die Def­i­n­i­tion für die Ver­wen­dung von cake etwa bis zum Ende des 19. Jahrhun­derts so an:

A com­par­a­tive­ly small flat­tened sort of bread, round, oval, or oth­er­wise reg­u­lar­ly shaped, and usu­al­ly baked hard on both sides by being turned dur­ing the process.
‘Eine ver­gle­ich­sweise flache Art Brot; rund, oval oder ander­weit­ig gle­ich­mäßig geformt und nor­maler­weise durch Wen­den im Back­prozess bei­d­seit­ig kross ausgebacken.’

Dazu kom­men aller­hand spezial­isierte, oft­mals lokale Beson­der­heit­en, was einen cake aus­macht. Allen gemein ist, dass es sich um ein kross geback­enes Erzeug­nis han­delt und es sich somit klar vom Brot­laib oder Kuchen unter­schei­det. Diese Def­i­n­i­tion fol­gt also generell dem, was wir unter ‘Keks’ ver­ste­hen oder mit ‘Gebäck’ all­ge­mein über­schreiben kön­nten. In den let­zten 100 Jahren hat cake diese Bedeu­tung im Britis­chen Englisch weit­ge­hend an bis­cuit weit­erg­ere­icht, welch­es als Lehn­wort aus dem Mit­tel­franzö­sis­chen bescoit im Mit­te­lenglis­chen erst­mals auf­taucht. Allerd­ings ist — je nach Region — cakes bis heute als Son­der­form des bis­cuit zu sehen.

Die Ver­wandtschafts­beziehung zwis­chen Kuchen und Keks find­et sich auch im Nieder­ländis­chen, das dem Amerikanis­chen Englisch über koek­je ‘Keks’ ver­mut­lich den cook­ie gab. Koek­je ist der Dimu­ni­tiv von koek ‘Kuchen’, also wörtlich ‘klein­er Kuchen’. Allerd­ings erk­lärt diese Ety­molo­gie nicht die Ver­wen­dung von cook­ie im Schot­tis­chen Englisch für Keks (OED 2011). Eine Beziehung zwis­chen Brot und Kuchen zeigt sich in (süd)deutschen Dialek­ten: dort heißt es für Keks oft brö­dle oder bree­dle; diese Beze­ich­nun­gen schwanken lokal. Das für Keks region­al auch ver­wen­dete Gut­sle ist für mich zum Beispiel diskus­sion­s­los ein Bonbon.

Was zeigt uns das? Erstens sind kuli­nar­ische Begrif­flichkeit­en notorisch schw­er zu disku­tieren, weil sie nicht nur von der regionalen Spezial­ität selb­st abhän­gen, son­dern auch von lokalen Sprachge­wohn­heit­en. Auf­fäl­lig sind zweit­ens die munteren Migra­tio­nen von Begrif­f­en in der Geschichte und zwis­chen Sprachge­mein­schaften. Da wird scho­nungs­los aus anderen Sprachen entlehnt wenn’s der Dif­feren­zierung dient; vom Import und Export der Spezial­ität ganz zu schweigen. Wie aber kam der Keks nach Deutschland?

Der kulinarische und linguistische Import

Wer im Inter­net zur Geschichte des Kek­ses forscht stößt unweiger­lich auf Her­mann Bahlsen. Das Knab­ber­imperi­um aus Han­nover ist so untrennbar mit der lin­guis­tis­chen und kuli­nar­ischen Entwick­lung des Kek­ses ver­bun­den, dass sich jen­seits der fak­tis­chen Ver­di­en­ste auch aller­hand zweifel­hafte Leg­en­den um den Leib­nizkeks ranken.

Her­mann Bahlsen (1859–1919) wird gerne sowohl die Erfind­ung des Kek­ses als auch die Schöp­fung des Wortes Keks zugeschrieben. Kom­men wir zunächst zur unstre­it­baren Geschichte: Bahlsen lernt während eines Aufen­thalts in Großbri­tan­nien in den 1880er Jahren die englis­chen Cakes ken­nen, die bis Ende des 19. Jahrhun­derts zu ein­er Gebäck­tra­di­tion gehören. Im Jahr 1889 übern­immt Her­mann Bahlsen in sein­er Heimat­stadt Han­nover das “Fab­rikgeschäft engl. Cakes- und Bis­cuits” (Arnu 1999). (Allein der Name des über­nomme­nen Geschäfts sug­geriert, dass Cakes in ein­er englis­chen Tra­di­tion bere­its auf dem deutschen Markt vertreten waren. Er kann also allein deshalb schon gar nicht der “Erfind­er” des Kek­ses gewe­sen sein.) Bahlsen nen­nt sein neues Unternehmen  “Han­nover­sche Cakes-Fab­rik H. Bahlsen”.

1891 wirft Bahlsen unter dem Namen “Leib­niz-Cakes” die Kekse auf den Markt, für die er viele Ausze­ich­nun­gen erhält. Da zur dama­li­gen Zeit Zuck­er teuer und eine (englis­che) Cakeskul­tur vor allem den Reichen vor­be­hal­ten ist, set­zt sich Bahlsen zum Ziel, die Kek­stra­di­tion auch für die bre­ite Bevölkerung erschwinglich zu machen. Er verbessert die Rezep­tur und kreiert ein Marken­pro­dukt in Fab­rik­fer­ti­gung. Mit dem Erfol­gt wächst sein Unternehmen in der Folge ras­ant. Bahlsen entwick­elt eine bahn­brechende Ver­pack­ung, die die Kekse frisch hält (1904) und set­zt die Fließband­fer­ti­gung ein (1905). Ab Sep­tem­ber 1911 vertreibt Bahlsen seine “Cakes” als “Keks”, 1912 ändert sich der Unternehmen­sna­men entsprechend in “H. Bahlsen Keks-Fab­rik” (Bahlsen-Fir­me­nar­chiv, per­sön­liche Kommunikation).

Aus diesen Infor­ma­tio­nen entspin­nen sich eine ganze Rei­he von Leg­en­den: So wird Her­mann Bahlsen zum “Wortschöpfer” von Keks, er “wagte” es, Keks “einzudeutschen” (hier), wahlweise erfand das “Kunst­wort” Keks. Er “bewegte” den Duden nach langer Diskus­sion dazu, Keks 1911, 1915, 1916, 1919 oder 1929 schlussendlich “offiziell” aufzunehmen (z.B. hier, hier, hier, hier, hier, hier oder hier). In dra­matur­gisch aufge­motzten Vari­anten führte Bahlsen mit der Duden-Redak­tion eine “jahre­lange Auseinan­der­set­zung, bis diese sein Kunst­wort 1915 schließlich akzep­tierte” (hier), laut ander­er Mel­dun­gen riefen die erbosten “Sprach­hüter” beim Duden einen Wet­tbe­werb zur Prä­gung eines “deutschen” Begriffs aus (hier und hier). Aus diesem ging “Knus­perchen” her­vor, welch­es sich aber nicht durch­set­zte und der Duden deshalb “ein­lenken musste” (hier).

In diesen Leg­en­den find­en sich viele offen­sichtliche und weniger offen­sichtliche Fehler. Zunächst: Keks ist kein Kunst­wort. Es ist schlicht eine Entlehnung aus dem Englis­chen oder, wem das lieber ist, ein voll­ständig inte­gri­ert­er Anglizis­mus. Zweit­ens: 1911, 1916 und 1919 erschien gar kein Duden (Duden 2011). Drit­tens: Den Wet­tbe­werb um einen Begriff rief nicht der Duden aus, son­dern die 1880 gegrün­dete Biele­felder Keks­fab­rik “Strat­mann & Mey­er” (Arnu 1999). Das Gewin­ner­wort Knus­perchen, übri­gens, kann so ver­schmäht nicht gewe­sen sein, weil es seit 1915 in jed­er Auflage und bis heute im Duden steht.

Bleibt die Frage nach der “Auseinan­der­set­zung” mit dem Duden. Dafür find­et sich laut Fir­me­nar­chiv nir­gend­wo ein Hin­weis (per­sön­liche Kom­mu­nika­tion); da will man bei Bahlsen aber noch die unsortierten Pri­vatun­ter­la­gen von Her­mann Bahlsen umfassend auswerten. Alle oben ver­link­ten Texte haben gemein­sam, dass die Leg­ende nahezu so wortwörtlich übere­in­stimmt, sodass allein an der Jahreszahl, wann der Duden “ein­ge­lenkt” haben soll, erkennbar ist, dass jet­zt nicht alle bei einem oder alle voneinan­der abgeschrieben haben.

Rein­er Mey­er drückt sich in ein­er Fußnote sein­er Dis­ser­ta­tion über die Wer­bung der Fir­ma Bahlsen vor­sichtiger aus: “Her­mann Bahlsen hat­te jahre­lang für diese Änderung der Schreib­weise gekämpft” (Mey­er 1999: 11); den Duden erwäh­nt er nicht. Mey­er beruft sich auf die Festschrift von Kessler (1964) zum 75. Fir­men­ju­biläum, dir mir jet­zt ohne größeren Aufwand nicht vor­liegt. Zwar lässt sich aus der online ver­füg­baren Unternehmen­schronik bei Bahlsen und Leib­niz nicht ableit­en, dass man die direk­te Quelle dieser Leg­en­den­schrei­bung wäre. Allerd­ings ist die dort gewählte Formulierung

Her­mann Bahlsen deutscht das englis­che Wort “Cakes” in “Keks” ein. Wenige Jahre später wird die Schreib­weise offiziell anerkan­nt und in den Duden aufgenommen.

Bahlsen GmbH & Co KG, bahlsen.com, Abschnitt 1911.

sehr unglück­lich und sug­geriert a) eine Bahlsen-Inno­va­tion und b) einen gewis­sen Zusam­men­hang. Neigt man darüber hin­aus zu einem grob­schlächtigeren Pathos mit eige­nar­tig schiz­o­phren­er Hal­tung zum heuti­gen Duden, fab­u­liert man da schnell eine “jahre­lange Auseinan­der­set­zung mit der Dudenredak­tion” hinein. Schwup­ps ist das Virus in Umlauf gebracht, über dessen Unkurier­barkeit man sich auch bei Bahlsen wundert.

Von phonetischer zu orthographischer Integration

Vielle­icht hil­ft uns die sprach­wis­senschaftliche Sicht. Nach der fol­gen­den Argu­men­ta­tion set­zte Bahlsen 1911 näm­lich lediglich eine längst einge­bürg­erte “deutsche” Aussprache auch orthographisch um. (Auch hier war er nicht der erste, dazu später mehr.) Denn min­destens seit 1898 sprach man Cakes wie das heutige Keks aus. Sehen wir uns dazu einen Werbeslo­gan des Unternehmens an:

Was ißt die Men­schheit unterwegs?
Na, selb­stver­ständlich Leibniz-Cakes!

Bahlsen GmbH & Co KG, leibniz.de, Abschnitt 1898.

Unter der plau­si­blen Annahme, dass sich der Spruch auch reimen sollte, kön­nen wir mit größter Wahrschein­lichkeit davon aus­ge­hen, dass sich Cakes auf unter­wegs reimte (und nicht umgekehrt). Die Analyse der Reim­form ist eine der Möglichkeit­en in der his­torischen Sprach­wis­senschaft, die Aussprache in früheren Sprach­sta­di­en zu rekon­stru­ieren. Dazu wäre natür­lich eine Absicherung der Aussprache von unter­wegs notwendig, aber das schenken wir uns jet­zt mal.

Nun ließe sich argu­men­tieren, dass Bahlsen die deutsche Aussprache einge­führt und mit diesem Slo­gan ver­bre­it­en und salon­fähig machen wollte. Dage­gen spricht aber bere­its ein Lexikonein­trag aus dem Jahr 1879 [1886], der zwar die englis­che Schreib­weise angibt, aber auch einen “Aussprachehin­weis” mit Dehnungs‑h liefert:

Cake, m. engl. (spr. kehk), ‘Kuchen’

Samostz (1879 [1886]).

Fassen wir zusam­men: Bere­its vor der Ein­führung des Leib­niz­cakes 1891 war cakes phonetisch einge­bürg­ert. Davon zeu­gen auch Abhand­lun­gen in Zeitschriften in der Fol­gezeit um die Jahrhun­der­twende, die eine orthographis­che Ein­deutschung vorschla­gen ({} beze­ich­nen Jahreszahlen, die Google­Books ausspuckt und die nicht in Hard­kopie ver­i­fiziert wur­den bzw. wer­den konnten):

Das früher all­ge­mein übliche franzö­sis­che “Bis­cuit” wird jet­zt mehr und mehr ver­drängt durch das englis­che Cakes. Diese englis­che Mehrzahl-Form gebraucht man in Berlin (…) auch für die Ein­zahl: “Gieb mir ein Keeks” ! Will man mehrere haben, so bit­tet man um einige “Keekse” .

Dunger {1889}. (Die Quelle dieser Stelle ist in ein­er Wikipedia-Diskus­sion als eine andere Pub­lika­tion aus dem Jahr {1899} angegeben).

…wir nicht auf den Namen eines in eini­gen Gegen­den üblichen alten Gebäcks zurück­greifen, etwa auf das friesis­che Kneck­er, das auch ein hartes Gebäck beze­ich­nete, so soll­ten wir ruhig das Wort in deutsch­er Orthogra­phie übernehmen, etwa als Keks oder Keeks, Plur­al Keekse.

Teub­n­er, B.G. {1904 oder 1905}.

Außer­dem find­en sich im Kernko­r­pus des Dig­i­tal­en Wörter­buchs der deutschen Sprache (DWDS) mit Sprach­dat­en des 20. Jahrhun­derts für 1903 sowie für 1911 unter anderem fol­gende Belege:

Früh­stück -: Kamillen‑, Pfef­fer­minz­tee oder Hygia­ma mit Milch, Weißbrot, Keks, Zwieback, Gelee, Bienen­honig. 9 Uhr -: frischgepreßter Obst­saft oder bei Abgemagerten einen Teller Hafer­schleim. (DWDS, 1903)

An diesem Abend kam das Fräulein nicht zum Essen, ließ sich von Frie­da Gontram nur ein wenig Tee und ein paar Keks hin­auf­brin­gen. (DWDS, 1911)

Und im Ausstel­lungskat­a­log des Deutschen Reichs für die Weltausstel­lung 1900 in Paris find­et sich (via Wikipedia):

Gebr. Tiede * Bran­den­burg a. Hav­el * Deutsche Keeks-Werke, eigene Müh­len­werke. Keeks und Waffeln. (…)

Witt (1900: 259).

Man sieht: Nach der phonetis­chen Inte­gra­tion fol­gte die orthographis­che. Die deutschen Schrei­bung schwankt zwis­chen <Keks> und <Keeks> (<Kehks> find­et sich nicht). Ver­wun­der­lich ist diese Unsicher­heit nicht: das <e> ste­ht für einen lan­gen Vokal [e:], den man mit Vokaldopplung <ee> eben auch orthographisch aus­drück­en kann. Zwei Belege aus dem DWDS von 1911 sind auf­grund der zeitlichen Nähe nicht ein­deutig von den Leib­nizkek­sen zu tren­nen, aber ich denke, die all­ge­meine Ten­denz ist klar: Schon lange vor Her­mann Bahlsen ver­wen­dete man eine eingedeutschte Schreibweise.

(Spätestens hier drängt sich die Frage auf, weshalb Bahlsen trotz sein­er viel zitierten Präferenz für eine “deutsche” Schreib­weise gut 20 Jahre ver­stre­ichen ließ, ehe er 1911 seine Cakes Keks nan­nte. Aber nun gut.)

Schre­it­en wir also zur Offiziellmachung.

Die Rolle des Duden

Richtig ist, dass die Schreib­weise <Keks> erst in der 9. Duden-Auflage im Jahr 1915 auf­taucht, also vier Jahre nach der Bahlsen-Umstel­lung. Hier ist <Kek> sg. und <Keks> pl. als Hauptein­trag zu find­en, <Keks> im Sin­gu­lar taucht erst in der 11. Auflage 1934 auf. Wenn ich aber schon so anfange, ist die Wahrschein­lichkeit groß, dass dies nur die halbe Wahrheit ist.

In der 7. Auflage von 1902 find­et sich neben dem Hauptein­trag <Cake> auch <Kake>, in der 8. Auflage von 1905 ist der Hauptein­trag schon <Kake>, außer­dem sind bere­its die Schreib­weisen <Keek> für den Sin­gu­lar und <Keeks> für den Plur­al aufge­führt. Wer also nur nach der heuti­gen Schreib­weise <Keks> sucht, muss zwangsläu­fig ent­täuscht wer­den. Faz­it: Kon­rad Duden wehrte sich ver­mut­lich wed­er gegen einen Anglizis­mus, noch gegen eine eingedeutschte Schrei­bung. Im Gegenteil.

Ein Erk­lärungsansatz für die wach­sende Akzep­tanz ein­er k‑Schreibung liefert außer­dem das Jahr 1901. Damals tagte die “II. Orthographis­che Kon­ferenz” zur Vere­in­heitlichung der deutschen Rechtschrei­bung. Im Zuge der Reform wurde unter anderem die Ein­deutschung von Fremd­wörtern mit <c> hin zu <k> bzw. <z> beschlossen. Das betraf natür­lich haupt­säch­lich lange einge­bürg­erte Fremd­wörter aus dem Lateinis­chen oder Franzö­sis­chen. Die große Wirkung dieser Änderung lässt sich bei GoogleN­Gram am Ver­lauf der Vari­anten von Centrum/ZentrumCircus/Zirkus, Cacao/Kakao oder Citrone/Zitrone able­sen: Alle Wort­paare “tauschen” um etwa die gle­iche Zeit, also kurz nach der Jahrhun­der­twende. Exem­plar­isch hier das deut­liche Ergeb­nis für Centrum/Zentrum, alle anderen Paare liefern ein ähn­lich­es Bild:

Verlauf Centrum/ZentrumVer­lauf von Cen­trum (blau) und Zen­trum (rot),  NGram­lab.

Auch wenn die Ten­denz ähn­lich ist, ist die Auswer­tung des Ver­laufs der Vari­ante Cakes/Keks im NGram­lab beina­he nut­z­los: Die Suche liefert zu viele Ergeb­nisse in rein englis­ch­er Sprache (cakes), NGram ist mit der deutschen Frak­turschrift und beson­ders dem <k> oft über­fordert oder spuckt Belege aus, in der Koks sehr viel wahrschein­lich­er ist. Viele Tre­f­fer kom­men auch aus dem Niederdeutschen kek(s) ’sehen, kuck­en’, außer­dem muss es irgend­wann mal einen Her­rn Keks gegeben haben.

Und Kon­rad Duden selbst?

Mit all diesen Argu­menten ist natür­lich die These vom Stre­it nicht ein­deutig vom Tisch. Hin­weise dafür, dass die Auseinan­der­set­zung aber trotz­dem nahezu aus­geschlossen ist, liefert Kon­rad Duden selb­st, indem er sich im Vor­wort zur 7. Auflage (1905) dankenswert­er­weise aus­gerech­net zum Keks äußert:

In betr­e­ff der Dinge, für die in den amtlichen Regel­büch­ern keine Vorschrift gegeben ist, habe ich mich bemüht, über­all so zu ver­fahren, wie es dem Geiste der amtlichen Vorschriften entspricht. So habe ich mich, beson­ders wo es sich um geläu­fige Fremd­wörter und bekan­nte Eigen­na­men han­delt, in der Regel für die deutsche Laut­beze­ich­nung entsch­ieden, und bin in eini­gen Fällen (…) sog­ar so weit gegan­gen, Vorschläge für eine laut­ge­treue Schrei­bung zu machen (…), z.B. Keeks statt Kakes oder Cakes (…).

(…)

Das Wort [hier: Chaussee] ist völ­lig einge­bürg­ert, und daher sollte man es auch in heimis­ches Gewand steck­en und “Schossee” schreiben. Und nicht anders ver­hält es sich mit dem schon oben erwäh­n­ten Worte “Cakes”. Diese Schrei­bung ist ein Hohn auf die Geset­ze der neuen Rechtschrei­bung. In dem­sel­ben Worte den k‑Laut ein­mal durch C beze­ich­nen und ein­mal durch K — das geht nicht! Aber auch die Schrei­bung “Kakes” hat wenig bestechen­des. Warum soll­ten wir da nicht, wie wir schon “Coaks” durch “Koks” erset­zt haben, so auch “Keeks” schreiben?

Duden (1905 [1910]: vii, xvii).

Was Kon­rad Duden hier phasen­weise in recht blu­mig-polemis­che Worte packt, ist der The­o­ri­eschule zuzurech­nen, die während den Stan­dar­d­isierungsver­suchen nicht eine his­torisch-ety­mol­o­gis­che, son­dern eine eher phonetis­che oder laut­ge­treue Orthogra­phie favorisierte. Duden betrieb mit den Ein­trä­gen und der Vari­anten­to­lerierung sowie der schrit­tweisen Anpas­sung an die Schrei­bung <Keks> eine soge­nan­nte “gezielte Vari­anten­führung” (Ner­ius 1991: 247). Damit ist gemeint, dass Duden a) eine Vere­in­heitlichung der Orthogra­phie zum Ziel hat­te und b) bei beste­hen­den Unsicher­heit­en zur Ver­ständlichkeit in der Bre­ite der Bevölkerung zu ein­er prak­tik­ablen da laut­ge­treueren Schrei­bung führen wollte (Ner­ius 1991: 245f).

In all­ge­mein übere­in­stim­menden Gebrauch greift [Kon­rad Duden] nicht ein, in den schwank­enden Fällen bevorzugt er jedoch die seinen orthogra­phi­ethe­o­retis­chen Posi­tio­nen entsprechen­den Schreibungen.

Ner­ius (1991: 248).

Das wird sich auch nach Dudens Tod 1911 nicht drama­tisch geän­dert haben. So wirkt die heutige Fabel ger­adezu wie Wun­schdenken: Die Duden-Redak­tion von damals erboste Sprach­schützer, gar Anglizis­men­has­s­er? “Bahlsen vs. Duden”, es wäre ja ganz nett gewe­sen — und passt heute wohl noch ein­er ganzen Menge Leute ganz gut ins Bild (vom Duden).

Warum der “Keks” dieses Jahr trotzdem 100 wird

Muss Bahlsen deshalb seine Unternehmensgeschichte neu schreiben? Nö. Vielle­icht sollte man die eine oder andere For­mulierung auf der Web­seite und in etwaigen Pressemel­dun­gen glät­ten, aber prinzip­iell wird der Keks dieses Jahr 100, zumin­d­est bei Bahlsen. (Ich werde zu gegeben­er Zeit noch eine schnell­recherche- und jour­nal­is­ten­fre­undliche Kurz­fas­sung “Der Keks — wie’s wirk­lich war” veröffentlichen.)

Auch wenn der Fir­men­grün­der Bahlsen sich doch ver­gle­ich­sweise kon­ser­v­a­tiv zeigte und sich mit der Ein­deutschung Zeit ließ, so fällt auf, dass seine Schreib­weise erst nach dieser Umstel­lung im Duden auf­taucht, obwohl sie vorher belegt ist. Hier kann als Erk­lärung ver­mut­lich der durch­schla­gende Erfolg der Leib­nizkekse her­hal­ten, auch auf­grund des Gewöh­nungsef­fek­ts beim Schrift­bild. Immer­hin haben wir den Cakes gegen den Keks getauscht, aber die Chaussee behalten.

Diese Prozesse sind nicht ungewöhn­lich: Herr Google hat auch nicht die Such­mas­chine erfun­den, trotz­dem googeln wir heute im all­ge­meinen Sprachge­brauch, unab­hängig vom ver­wen­de­ten Anbi­eter. Wir kön­nten ja lycossen oder altavis­tern. (Bevor sich jemand zur Klugscheißerei berufen fühlt: Ich weiß, dass es keinen Her­rn Google gibt und Lycos oder AltaVista auch nicht die ersten Such­maschi­nen waren). Aber Google hat die Such­maschi­nen opti­miert und rev­o­lu­tion­iert. Auch mein Tem­po ist nicht von wem auch immer Tem­po ger­ade gehört und mein Tesa nicht von Beiers­dorf. Soll heißen: <Keks> war um die Zeit der orthographis­chen Ein­deutschung ver­mut­lich auch maßge­blich vom Erfolg des Leib­nizkeks beeinflusst.

Und so darf natür­lich auch Bahlsen die Feste feiern wie sie fall­en: Der Keks wird am 9. Sep­tem­ber halt 100 Jahre alt.

Her­zlichen Glückwunsch!

Ein But­ter­cakes-Kind

Lesen Sie in Teil II: Wie aus cakes erst Keks und dann Kekse wur­den — eine kleine Korpusanalyse.

(Teil II sollte eigentlich im Lauf der Woche erscheinen. Dies wird sich etwas verzögern, da der Sturzre­gen in Ham­burg am let­zten Mon­tag durchs geöffnete Fen­ster meine gesamte Elek­tron­ik erledigt hat und der neue Rech­n­er mit Hard­warefehler zurück in die Reparatur musste.)

Vielen Dank

Ich bedanke mich recht her­zlich bei der Bahlsen GmbH & Co KG in Han­nover für die fre­undliche Unter­stützung. Ganz beson­der­er Dank geht an Bir­git Nachtwey vom Bahlsen-Fir­me­nar­chiv für die aus­führliche und hil­fre­iche Recherche und für die Ein­blicke in die Geschichte des Kekses.

Danke auch an Jan Wohlge­muth für einen sehr hil­fre­ichen Literaturhinweis.

Literatur

Arnu, Titus. 1999. Her­mann Bahlsen. Berlin.

Duden. 2011. Aufla­gengeschichte. [Link]

Duden, Kon­rad. 1905 [1910]. Orthographis­ches Wörter­buch der deutschen Sprache: nach den für Deutsch­land, Öster­re­ich und die Schweiz gülti­gen amtlichen Regeln. 8., neubear­beit­ete Auflage, 7. Neu­druck. Leipzig.

Dunger, Her­mann. {1889}. {Fremd­wörter}. Leipzig. [Link über GoogleBooks]

Dunger, Her­mann. 1899. Wider die Englän­derei in der deutschen Sprache. Zeitschrift des All­ge­meinen Deutschen Sprachvere­ins 14: 241–252.

Kessler, Han­si [H. Bahlsen Keks­fab­rik KG, Han­nover]. 1964. Bahlsen 1889–1964. Han­nover.

Köbler, Ger­hard. 2003. Alt­nordis­ches Wörter­buch, 2. Auflage. [Link]

Mey­er, Rein­er. 1999. Die Reklamekun­st der Keks­fab­rik Bahlsen in Han­nover von 1889–1945. Dis­ser­ta­tion, Georg-August-Uni­ver­sität zu Göt­tin­gen. [Online-Aus­gabe]

Ner­ius, Dieter. 1991. Posi­tion und Rolle von Kon­rad Duden in der Entwick­lung der deutschen Orthogra­phie. In: Ner­ius, Dieter & Jür­gen Scharn­horst (Hrsg.). Stu­di­en zur Geschicht­en der deutschen Orthogra­phie. Ger­man­is­tis­che Lin­guis­tik 108–109: 239–275.

Oxford Eng­lish Dic­tio­nary (OED) online. 2011. “cake, n.”, [Link]

Samostz, Emanuel. 1879 [1886]. Dr. Friedrich Erd­mann Petri’s Hand­buch der Fremd­wörter in der deutschen Schrift- und Umgangssprache, 13. Auflage, 2. Abdruck. Leipzig.

Teub­n­er, B.G. {1904 oder 1905}. Zeitschrift für den deutschen Unter­richt, Band 18. [Link über GoogleBooks]

Witt, Otto N. [Red.]. 1900. Weltausstel­lung in Paris 1900: amtlich­er Kat­a­log der Ausstel­lung des Deutschen Reichs. Berlin. [Link]

9 Gedanken zu „Jetzt mal Buttercakes bei die Fische (I)

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  2. Ex-Libera

    Das Konzept ‘Libera/o’ ver­liert im mod­er­nen Fußball tat­säch­lich an Bedeu­tung, aber der Begriff war während der WM 2011 den­noch wichtig, da Brasilien (wenn auch als einziges Team) noch mit dieser “antiq­ui­tierten” Tak­tik spielte.

    Wie man in der Ver­wen­dung von “Keeperin” einen Man­gel an Boden­ständigkeit und Sprachge­fühl aus­machen kann, habe ich mich beim Lesen des Inter­views auch schon gefragt… Ich höre den Aus­druck regelmäßig auf Bolz- und Fußballplätzen — wenn das mal nicht ein Zeichen von Boden­ständigkeit ist.

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  3. Peter

    Nur mal als Zusatz zur Aussprache von Cakes:

    Mey­ers Großes Kon­ver­sa­tions-Lexikon (1905)

    Cakes (engl., spr. keks), s. Biskuit

    Antworten
    1. suz Beitragsautor

      Ja, auf den Hin­weis bin ich auch gestoßen. Er war zeitlich aber nach dem Lexikonein­trag von Samostz und nach dem Bahlsen-Werbe­spruch, deshalb ist er hier nicht aufge­führt. Aber auch hier natür­lich ein deut­lich­es Zeichen, dass die Aussprache längst dem deutschen Lautin­ven­tar angepasst war. Vie­len Dank!

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  5. Artemis Hertz Inchlog

    Hal­lo,

    vie­len Dank für die aus­führliche Recherche! Dür­fen wir noch auf Teil II hoffen? (-;

    Ergänzung zu den Zitaten:
    1) Im Text zitierst du aus dem “Vor­wort zur 7. Auflage (1905)” des Dudens, das ist aber die 8. Auflage, wie du unter “Lit­er­atur” auch richtig angibst.

    2) Bei dem Zitat von Dunger liegt die WP richtig, es han­delt sich um den Auf­satz “Wider die Englän­derei in der deutschen Sprache” von 1899, und zwar um die erweit­erte Aus­gabe, die als eigen­ständi­ges Buch im Ver­lag des All­ge­meinen Deutschen Sprachvere­ins erschien. Diese erweit­erte Fas­sung gibts bei Google-Books. Der Abschnitt über Keekse erscheint nicht(!) in der kürz­eren Ver­sion aus der Zeitschrift des All­ge­meinen Deutschen Sprachvere­ins, die du unter “Lit­er­atur” angib­st (die Stelle find­et sich in Spalte 244, aber eben ohne die Bemerkun­gen zu den Keek­sen). Das bei Google-Books erscheinende Buch “Fremd­wörter” ist dieselbe erweit­erte Fas­sung, bloß mit falsch­er Titel- und Jahresangabe.

    3) Was du als “Teub­n­er” zitierst, stammt aus der “Zeitschrift für den deutschen Unter­richt”, 18. Jahrgang 1904, 3. Heft, Seite 208. Die Rubrik heißt “Sprechz­im­mer”, den ersten Teil, “Richtig oder falsch?”, schrieb Reimer Hansen aus Old­esloe. (Die Zeitschrift erscheint im Ver­lag B. G. Teubner.)

    Fre­undlich grüßt
    Artemis

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  6. Artemis Hertz Inchlog

    Eine Bemerkung zu den Aussprachehin­weisen in Nachschlagewerken:

    In der 4. Auflage des Mey­ers (Band 3, 1886) find­et man “Cakes (engl., spr. kehks)”. Beim Blät­tern und Suchen habe ich dann aber auch fol­gende Ein­träge gefunden:
    Cape (engl., spr. kehp)
    Cape Coast Cas­tle (spr. kehp kohst kässl)
    Cape Fear Riv­er (spr. kehp fihr riwwer)
    Band 10, 1888:
    Lake (engl., spr. lehk)
    Lake-school (engl., spr. lehk-skul)
    Band 13, 1889:
    Rainy Lake (spr. rehni léhk)
    Band 14, 1890:
    Salt Lake City (spr. ssáhlt lehk ssitti)
    Abwe­ichend aber: Slave Lake (spr. slähw lähk)
    Band 15, 1890:
    Traders (engl., spr. trehders)
    Trades’ Unions (engl., spr. tre­hds juhnjöhns)

    In der 6. Auflage (1905–09), die Peter oben zitiert, ste­ht an diesen Stellen statt “eh” immer ein e mit Längestrich (ē); auch bei “Cakes (engl., spr. kēks)”, was man am Fak­sim­i­le bei zeno.org erken­nen kann. Über zeno.org find­et man dieses “eh” in Lake und Cape auch in Pierer’s Uni­ver­sal-Lexikon und im Brock­haus. Weit­ere Beispiele:

    Pier­er, 1857–1865:
    Slave States (engl., spr. Sle­hv Stehts)

    Brock­haus, 1911:
    Free-trade (spr. frih trehd)
    Punja(u)b Native States (spr. pön­nd­schahb nehtiw stehts)
    Slave Lake (spr. ßle­hw lehk)

    Herders Con­ver­sa­tions-Lexikon, 1854–1857:
    Trade (tre­hd), engl., Handel

    Mit anderen Worten: Das “eh” scheint die damals übliche deutsche Lautschrift für die englis­che(!) Aussprache zu sein. Das wird die Aussprachekün­ste der Leser­schaft natür­lich nicht beflügelt haben, klar, aber es ist dann eben kein deut­lich­es, son­dern lediglich ein indi­rek­tes “Zeichen, dass die Aussprache längst dem deutschen Lautin­ven­tar angepasst war”, oder?

    Fre­undlich grüßt
    Artemis

    Antworten

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