Manchmal glaube ich, dass nicht wir als Gesellschaft andere Probleme hätten, sondern dass Nachrichtenredaktionen die Masse an Praktikanten irgendwie beschäftigen müssen. Und so schaffte es eine abkömmliche Meldung auf die Startseiten der Onlinemedien, die eigentlich mit Libyen, Fukushima und Knut in diesen Tagen genug zu tun haben dürften.
In der letzten Woche besuchten Prinz William und Kate Middleton die Hochwassergebiete im australischen Queensland und die Erdbebenregion in Neuseeland. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Der Besuch des Prinzen und seiner Zukünftigen wird den dortigen Menschen viel bedeuten. Aufhänger für die Nachricht war in den allermeisten Medien allerdings die Frage, ob das Bald-Prinzenpaar seine Flitterwochen im Sonnenstaat Queensland verbringt. Damit ist die Meldung eigentlich doch recht überflüssig bis zynisch.
Aber zur sprachlichen Seite. Heute: Idiomatische Sprachverwendung.
Die Premierministerin des Bundestaates Queensland, Anna Bligh, wird im britischen Sunday Telegraph über die Wirkung des Besuch des Prinzen so zitiert:
“I’ve been to Cardwell a number of times since the cyclone and floods and I’ve never seen so many smiles as today,” she said. “It’s been almost impossible for these people, but a little royal magic is just what the doctor ordered.”
In der Agenturmeldung, die mittlerweile laut Google an etwa 400 Stellen im deutschsprachigen Raum wortwörtlich übernommen wurde, liest sich das dann so:
Mit Blick auf die Freude der von der Naturkatastrophe geplagten Einwohner des Landes sagte sie: “Es ist fast unmöglich, aber ein bisschen royale Magie ist genau das, was der Doktor verordnet hat.” (Googleergebnisse für genau [!] diesen Abschnitt.)*
Nun ist es sicherlich für jeden ersichtlich, was gemeint ist: Immerhin assoziieren wir Ärzte, deren Ratschläge oder Medizin mit Genesung und Gesundheit. Das kennen wir auch von Redewendungen wie Lachen ist die beste Medizin. Wir verstehen also auch die wörtliche Übersetzung was der Doktor verordnet hat, da uns die metaphorische Erweiterung nicht vor unlösbare Probleme stellt.
Die Redewendung funktioniert also auch im Deutschen. Aber ungelenk ist der Ausdruck dennoch. Mit anderen Worten: was der Doktor verordnet (hat) ist im Deutschen kein idiomatischer Sprachgebrauch. Von nicht-idiomatischer Sprachverwendung spricht man, wenn ein Ausdruck zwar grammatisch in Ordnung ist, er von der Sprachgemeinschaft so aber nicht verwendet wird. Gerade Redewendungen einer Sprache sind sehr in ihrer jeweiligen (Sprach-)Kultur verankert. Für Übersetzer besteht die Kunst also darin, Texte oder Aussagen so zu übersetzen, dass sie trotz der geforderten Nähe zum Original klingen, als könnten sie von einem Muttersprachler geäußert worden sein. Gelingt das nicht, “stolpert” man als Leser über eine Konstruktion.
Kommen wir nun zu einer legitimen Form der Sprachkritik, wenn Sie so wollen. Die Agenturmeldung enthält keinen Übersetzungsfehler im eigentlichen Sinn. Es wurde ja genau das transportiert, was gesagt wurde. Aber Anna Bligh benutzte eine im englischen Sprachraum sehr gängige Redewendung, die wir im Deutschen nicht haben. Wir sagen je nach Kontext genau das Richtige oder passend. Wenn’s in dieser Situation eine Gesundheitsmetapher sein muss, könnte man natürlich auch über …und das ist gerade die beste Medizin diskutieren.
Natürlich ist nichts per se gegen kreativen Sprachgebrauch einzuwenden, je nach Textart oft auch nicht in Übersetzungen. Allerdings ist dieser sprachlich korrekte Satz nicht an den Sprachgebrauch der Zielgruppe angepasst worden. (Ich persönlich glaube, dass das deutlichste Zeichen, dass hier in der Nachrichtenagentur zumindest schludrig gearbeitet wurde, in der Übersetzung von doctor mit Doktor anstatt Arzt liegt, aber gut, das ist Gusto.)
Also — mit etwas mehr Zeit, Sprachgefühl oder Lektorat wäre dieser Ausdruck der Löschtaste zum Opfer gefallen. Möglich ist auch, dass demjenigen die Redewendung gar nicht bekannt war oder ihm/ihr die gängigen Verwendungskontexte im Englischen nicht geläufig waren. (Wäre es eine ad hoc-Bildung von Anna Bligh gewesen, dann wäre eine nahezu wörtliche Übersetzung vertretbar gewesen.) Aber es sagt doch einiges über die Arbeitsweisen in Onlineredaktionen aus, dass die Meldung von so vielen einfach in ihrer Gänze übernommen wurde. Irgendwem muss die unidiomatische Konstruktion aufgefallen sein, vor allem, wenn man davon ausgehen möchte, dass in den Redaktionen noch Menschen (und Lektoren) sitzen.**
Dass ich als Texterin die Formulierung ablehne, sie als Linguistin aber interessant finde, ist kein Widerspruch. Denn der gebotene Versuch, sich an den konventionellen Sprachgebrauch zu halten (Arbeitsanweisung vor allem an Journalisten), bedeutet nicht, dass wir die Redewendung nicht als passende Metapher schön und treffend finden und sie deshalb in unseren Sprachgebrauch übernehmen könnten. Bei Nachrichten und Agenturmeldungen haben wir es — naja, wir sollten zumindest! — mit lektorierter Sprache und nicht notwendigerweise mit natürlichem oder spontanem Sprachgebrauch zu tun. Wenn jetzt die Sprachgemeinschaft aber erkennen sollte, dass wir die Redewendung was der Doktor verordnete brauchen, dann könnte sie sich durchsetzen, egal, wie sie in unsere Sprache kam.
Da es den anderen Onlinepraktikanten nicht auffiel, ziehe ich zumindest in Betracht, dass mein Sprachgefühl hier eventuell fehlgeleitet ist. Google steht aber offenbar auf meiner Seite und liefert überwiegend wörtliche Verwendungen für was der Doktor/Arzt verordnet. Linguee, eine Webseite, die vergleicht, wo wie was übersetzt wurde, listet für die englische Redewendung einige wörtlichen Übersetzungen. Die Tendenz: Je eher eine Webseite bzw. deren Betreiber professionell (mit Sprache) arbeitet, wie das Goethe Institut, desto eher vermeiden sie die wörtliche Übersetzung. Bei anderen bin ich mir sogar sicher, dass eine maschinelle oder maschinengestützte Übersetzung vorliegt, wenn der Doktor bestellte oder verordnet hat (man beachte das Präteritum). Generell ist die Datenmenge hier aber zu klein, um eine vernünftige Aussage treffen zu können.
Und nun frage ich mich: Sitzen in Onlineredaktionen nur Agenturmeldungsverarbeitungsrechner? Ich habe ja tendenziell einen eher progressiven Sprachgebrauch und finde vieles akzeptabel, was bei anderen durchfällt. Aber hier tun mir die Heerscharen an gut ausgebildeten und arbeitslosen Übersetzern Leid, die es flüssiger hinbekommen hätten.
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*Persönlich stutzig machte mich ja eigentlich die relative Sinn- und Kohärenzfreiheit des ganzen Absatzes und besonders die der Formulierung “Es ist fast unmöglich, aber ein bisschen royale Magie…”, die im deutschen Zitat noch weniger Sinn macht, als im mutmaßlichen Original. (Dort wird sie zumindest noch um “for these people” präzisiert und bezieht sich auf die Schwierigkeit der Menschen, in ihrer Situation zu lächeln). Aber das würde jetzt wirklich zu weit führen. Und da auch das Telegraph-Zitat nicht das Original sein wird und mir dieses nicht vorliegt, belassen wir es mal dabei.
**Nordbayern.de lieferte tatsächlich einen Treffer für die Formulierung “ist jetzt genau das richtige”. Der Link führte aber in den Raum 404 — der Googletreffer verschwand danach und ist nicht mehr zu rekonstruieren. Stattdessen findet man auf nordbayern.de an mehreren Stellen die gleiche Formulierung, wie anderswo auch. Hä?
Ich bin eigentlich schon bei “royal” hängen geblieben. Das Wort “königlich” klingeldingelt in meinen Ohren viel herrlicher und edler. “Königliche Magie” — das schwebt doch gleich viel prinzessinnengleicher als “Royale Magie”, da denkt man eher an einen französischen Weichkäse. Dieser Weichkäse reiht sich ein in die endlose Reihe unglücklicher direkter Übersetzungen, mein Lieblings-Gruselbeispiel sind die “Computerwissenschaften” (computer science).
Ich glaube, dass für solche ‘eiligen’ Klatschmeldungen ein ausgebildeter Übersetzer einfach zu teuer ist. Und mal ehrlich, wer würde sich als guter Übersetzer schon tagein, tagaus mit derlei Meldungen befassen mögen?
Sicherlich wird in einigen Bereichen automatisch vorübersetzt und dann nur noch von Hand nachkorrigiert.
Du glaubst tatsächlich noch an so etwas wie Sorgfalt in der Branche? Lektorieren und recherchieren kostet Zeit, also Geld. Und dem Durchschnittskonsumenten fällt sprachliche Eleganz eh nicht auf.
@DrNi@AM: ‘royal’ kam mir auch schon merkwürdig vor. Danke dafür. (Ich glaube schon, dass für das entsprechende Geld auch ein gut ausgebildeter Übersetzer solche profanen Meldungen übersetzen würde. Ist immer eine Frage des Geldes, glaube ich. Und natürlich brauchen wir die Messlatte Qualität eigentlich nicht anlegen. Allerdings sieht es schon sehr danach aus, dass es sich um eine Agenturmeldung handelt. Also haben wir es mit zweifacher Schludrigkeit zu tun.)
@janwo: Nö. Dann weiß ich auch, weshalb meine Bewerbung, die ich angesichts des miesen Gehalts nie geschrieben habe, abgelehnt werden.
Der Klassiker ist ja immer noch “Caucasian female suffering from amnesia found wandering through NYC” im SPIEGEL mit “Das Mädchen stammt aus dem Kaukasus” übersetzt wurde. Da war wirklich menschliches Versagen im Spiel.
Ich bin auch an »royal« hängen geblieben, für mich geht dort ausschließlich »königlich«… Der »Doktor« samt Anhang ist mir erst nachher aufgefallen.