Sie haben’s geschafft. Ich stand letzte Woche im Restaurant zum goldenen M und war kurzfristig sehr verwirrt. Aber der Reihe nach.
McDonald’s wirbt auf Bussen im Hamburger Nahverkehr mit “Mehr Hamburger gibt’s bei uns”. Das Wortspiel funktioniert natürlich, weil Hamburger sowohl die Bedeutung ‘Person aus Hamburg’ als auch ‘gegrilltes Rindfleisch im Brötchen’ hat. Und auch wenn die Herkunft der zweiten Bedeutung nicht zweifelsfrei auf die Hansestadt zurück zu führen ist, bzw. zu Hamburg keine abschließende Beziehung herzustellen ist, ist — unter der Annahme, dass der Burger doch iiiiirgendwie mit der Hafenstadt zu tun hat — Hamburger eines der Haus- und Hofbeispiele für einige wichtige morphosyntaktische Prozesse.
Zum Anekdotenrepertoire eines Anglisten oder Linguisten sollte auch die Diskussion mit nicht-deutschsprachigen Globetrottern darüber gehören, dass Hamburger vermutlich keine uramerikanische Erfindung ist und dass Burger etymologisch nicht nur mit Fleisch zwischen Brötchen zu tun hat, sondern auch mit dem (der?) deutschen Burg verwandt ist. Eine solche Diskussion endet meist dann, wenn man dem linguistisch nicht geschulten Gesprächspartner die zugegebenermaßen fiese Frage stellt, wo im Hamburger denn der Schinken (engl. ham) sei. Von einem befreundeten Linguistenkollegen ist überliefert, dass er in Australien meist für mehrere Minuten glaubhaft aufrechterhalten konnte, dass die Schwesterstadt von Hamburg das über die Elbe liegende weniger bekannte Cheeseburg sei.
Was passiert hier morphologisch? Nachdem Hamburger mit Hamburgern nach Amerika segelten, interpretierten Sprecher ohne Kenntnisse der deutschen Wortbildung hamburger nicht mehr nur als
- [hamburg]+[er] ‘Mensch oder Spezialität aus Hamburg’
sondern analysierten die innere Struktur des Wortes vor allem so:
- [ham]+[burger].
Es verschieben sich also die Morphemgrenzen: -er wird nicht mehr als Anhängsel von hamburg gesehen, sondern als (nicht abtrennbarer) Bestandteil von -burger. Burger bleibt als monomorphemisches Element zurück, als ein Wort(bestandteil), der sich nicht weiter in bedeutungstragende Einheiten zerlegen lässt. Im Übrigen ergibt der monomorphemische Burger im Deutschen auch nur Sinn, weil wir die Bedeutung ‘Sandwich’ aus dem Englischen übernommen, also quasi reimportiert haben. Wenn [hamburg|er] zu [ham|burger] neu segmentiert wird, spricht man von Reanalyse (rule change).
Reanalysen sind generell unsichtbar und werden erst erkennbar, wenn sich durch Analogie (rule spread) die Ausweitung auf andere Bereiche ergibt: wenn das Rindfleischbrötchen als Vorbild für verwandte Köstlichkeiten dient und wir Geflügel zwischen die Brötchenhälften schieben, kreieren wir kulinarisch und linguistisch den Chickenburger. Dann wird -burger/Burger zum Oberbegriff für alle anderen Arten von ähnlichen Brötchengerichten: Fischburger, Veggieburger, Chiliburger, Aussie-Burger (“the lot, please”) — oder eben schlicht Burger.
Und wenn McDonald’s jetzt auf die Idee kommt, Rostbratwürstchen zwischen ihre Getreidescheiben zu schmuggeln und diese Kreation Nürnburger nennt, dann kann man unter dem erschlagenden Eindruck von Bergen von Linguistikbüchern schon mal verwirrt sein. Verwirrt, weil ich einige Minuten glaubte, es gibt ein Nürnburg — und irgendwie spürte, dass da was nicht stimmt.
Bleibt die Frage, wie man Nürnburger eigentlich ausspricht.
[’nyrn,børgə]?
@Lukas: irgendwas in mir sträubt sich dagegen. Aber dazu ist noch ein Artikel in Arbeit.
@liljan98: das mit dem Morphem geht so… Wörter lassen sich in bedeutungstragende Einheiten zerlegen, z.B. Hamburger in [ham] von Altdt. hamma ‘der Marsch vorstehende bewaldete Erhöhung’, [burg] und [er] ‘Person aus X’. [ham] und [er] sind bebundene Morpheme, sie können nur an eine Wurzel angehängt werden. [burg] hingegen ist ein ungebundenes Morphem, das auch alleine stehen kann. Wenn also Burger keine weiteren kleineren Einheiten hat, weil das -er mit ihm verschmolzen ist, ist es ein einziges Morphem, monomorphemisch also. So einfach ist das manchmal (okay, oberflächlich — aber es reicht erst mal).
@Melli: Pulli von pullover oder pullunder ist eine Verniedlichungsform, ein Hypokoristikum; also quasi eine Abkürzung, ohne wirklich eine zu sein. (Wenn ich’s mir recht überlege, ist pullover sogar ein recht seltener Fall eines Kompositums, in dem ein Verb und eine Präposition ein Substantiv ergeben. Super, kommt gleich auf die Beispielliste für Montag!)
@Kristin: 😀 Ich muss mich übrigens immer sehr anstrengen, da meine Fachliteratur ja ausschließlich auf Englisch daherkommt und meine Ausführung deshalb ja nur so vor Anglizismen sprühen sollten… Verdeckte Anglizismen, weil dürftig übersetzt…
In meiner neuen “abstract of…” Reihe (wenn es denn mehr als 2 Einträge diese Art werden) hat “monomorphisch” gute Chance zum Wort der Woche erklärt zu werden 🙂 Hin und wieder finde ich Linguistik ja auch sehr spannend und hier hab ich doch glatt mal wieder was dazu gelernt.
Als Vegetarierin bin ich äußerst selten bei McDoof und wusste daher von den Nürnburgern noch gar nichts. Irgendwie pervers ist es aber schon, das Bratwurstbrötchen nun auch in deren Speisekarte zu finden, oder ;-)?
Ups, das Wort ist so neu und so schön schräg (für meine Ohren und Verstand zumindest) dass ich doch glatt zwei Buchstaben vergessen hab. “monomorphemisch” muss es natürlich heißen…
[Bin gespannt ob man das mit den HTML Tags im Kommentar klappt]
aaaaha! Wieder was gelernt. Suz, du hast es drauf 😉
Was ist denn mit Pullunder und Pullover? Beide kann man nach dem “pull” ja abtrennen vom “under” und vom “over”… (ich bin halt nur Lit.wissenschaftlerin 😉 )
Ich hätte noch monomorphematisch zu bieten. Länger, aber keine zusätzliche Bedeutung 😉
Um mal einen Schwenk in die andere Richtung zu tun: Was denkst du, wie erst die Nürnberger über die Nürnburger die Köpfe schütteln… 😀
Gibt’s da aus deiner Ecke irgendwelche Ergebnisse?!?
Ja. Kopfschütteln. Und den Satz: “Zeich gibbds!” (Sachen gibt’s!) außerdem “Wer soll den Fraß essen” und verschiedene kleinere Rufe, die die abendländische resp. Nürnberger Kultur endgültig den Bach hinunter gehen sehen. Vor allem ja, da der Lieferant ja ein Münchner (mit gekaufter Nürnberger Fabrik) ist.
Die meisten Einheimischen reagieren aber fränkisch-pragmatisch: Ignorieren, nicht essen und zum “Dreia-im-Weckla”-Stand des Vertrauens gehen… 😉
Okay, vom rein kulturellen Standpunkt dürfte das überall in Deutschland so sein. Wir kennen doch unsere Wurst! (Und seit die EU die Nutzung der Nürnberger eingeschränkt hat, heißt die Nürnberger in der Mö in Hamburg eben Mö-Wurst.