Das Spektrogramm lebt! Die aktuellen Links sind nicht mehr durchgehend taufrisch, aber Spaß kann man daran durchaus noch haben. Es geht heute um die Ehe für alle, Vongolisch, die vermeintliche Sprache des Volkes, scary Englisch in Berlin und darum, was ein Hochbauingenieur mit Hochdeutsch zu tun hat:
- Stefan Niggemeier ist für ÜBERMEDIEN dem Ursprung der Bezeichnung Ehe für alle und ihrem Verhältnis zur Homoehe nachgegangen: »Natürlich hing der Kampf für die Gleichstellung nicht nur an der Durchsetzung eines Hashtags. Aber der Begriff „Ehe für alle“ half sehr, das Anliegen sympathisch, positiv und allgemein wirken zu lassen, nicht speziell und vor allem nicht sexuell. „Viele Leute sprechen das Wort ‚Homo‘ nicht gerne aus“, sagt der Initiator Sören Landmann. „Das ist schade, aber das ist Realität.“ […] Dass man plötzlich über die „Ehe für alle“ reden konnte, habe auch dafür gesorgt, dass sich mehr Menschen überhaupt zu dem Thema äußerten.«
- Vong Sprache her hat sich im letzten Jahr auch 1 bisschen was getan und es gibt Streit darüber, wem das zu verdanken ist. Für die SÜDDEUTSCHE hat sich Jan Stremmel die Sache genauer angesehen: »30 Millionen Deutsche sind aktuell bei Facebook. Und weil man sich dort vor allem schriftlich mitteilt, ist korrekte Sprache heute ein wichtigeres Distinktionsmerkmal denn je. Wer in seinen Postings “seid” und “seit” verwechselt, zu viele Ausrufezeichen oder falsche Kommata setzt, gilt umgehend als Trottel, egal was er zu sagen hat. […] Insofern war die absichtlich hirnlose Witzsprache in ihren Anfangstagen quasi Punkrock. Aber das ist lange vorbei.«
- Schon im März hat Anatol Stefanowitsch der SÜDDEUTSCHEN ein Interview zu Politik und Populismus gegeben: »Ich glaube, dass die Idee, dass man mit dem Volk sprechen kann, schon in sich populistisch ist. Weil sie davon ausgeht, dass es irgendwo ein Volk gibt, das eine bestimmte Sprache spricht, die man nur treffen muss. Wir leben aber in einer komplexen Gesellschaft, die insgesamt sehr gebildet ist. “Der kleine Mann auf der Straße” versteht im Zweifelsfall wesentlich komplexere Dinge, als es in diesem populistischen Zerrbild dargestellt wird. Der Populismus macht diesen sogenannten kleinen Mann viel naiver und uninformierter als er ist.«
- Fatma Aydemir trollt Jens Spahn in der TAZ: »Don’t get me wrong, Spahn möchte nicht das EasyJet-Prekariat in Schönefeld abfangen, um es in Integrationscamps zu stecken. Es geht ihm viel mehr „um uns Deutsche selbst“ und um eine drohende „kulturelle Gleichschaltung“. […] Dabei ist es nicht so, dass ich es kein bisschen sad finde, wenn sich Jens’Mom in Berlin-Mitte keinen Flat White bestellen kann, weil die Baristas nur noch Englisch sprechen. Zu Recht geht das Spahniboy ziemlich „auf den Zwirn“ (= es turnt ihn ab). Obendrein ist er als amtierender Staatssekretär für Finanzen dahintergekommen, dass mittelständische German-speaking Enterprises im Schwarzwald mehr Asche machen als die angeblich so boomende Start-up-Szene in der Hauptstadt. In short: Das Hipsterbusiness bringt nicht mal richtig Cash. Wieso sollte er die also supporten?«
- In Sven Regeners Betrachtung des Tiefbauingenieurberufs für die FAZ verbirgt sich auch ein wenig Sprachwissenschaft: »„Es ist ja so“, nimmt er mit einer wegwischenden Handbewegung plötzlich den Faden wieder auf, „dass man zwar Begriffe mit ‚hoch‘ beim ersten Hinhören positiver konnotiert findet als Begriffe mit ‚tief‘ oder ‚nieder‘, dass man damit aber eben oft auch falschliegt, nur dass das keiner merkt. […] Die meisten Leute glauben zum Beispiel, und da wird es eben jetzt mal einen Moment lang germanistisch, dass mit dem Begriff Hochdeutsch eine höherstehende, in höheren Kreisen und so weiter entwickelte Sprache gemeint sei, manche sagen auch Hochsprache, weil sie denken, es gäbe so etwas, und da sei ein Zusammenhang, dabei wissen sie bloß nicht, dass es Hochdeutsch heißt, weil es das Süddeutsche oder Oberdeutsche ist, die also einst in den höher gelegenen deutschen Gebieten gesprochene Sprache, dass also die hochdeutschen Dialekte eben das Bairische, Alemannische, Sächsische und Fränkische sind, im Gegensatz zum Niederdeutschen, das so heißt, weil es in den norddeutschen, tiefer gelegenen Landschaften gesprochen wurde und sowieso eine ganz andere Sprache ist und das schon seit dem achten, neunten Jahrhundert, als sich südlich der Benrather Linie das Hochdeutsche entwickelte, und niemand weiß, warum. Da können Sie schon mal sehen, wie sehr der Zusatz ‚hoch‘ in die Irre führen kann, teuflisch“, sagt der Tiefbauingenieur und beruhigt sich erst einmal mit einem Schluck aus dem Deckel seiner Thermoskanne.«
Ich finde den Begriff “Ehe für alle“ hoch problematisch, weil er gerad keine Ehe für alle beschreibt, sondern nur eine Ehe für ein paar mehr.
Das ist vielleicht auch schon nett, aber dafür auch extra unfair gegenüber denen, die weiter draußen bleiben müssen.
Wenn ich ganz dreist die Gelegenheit zur Eigenwerbung ergreifen darf:
Warum es im Niederländischen keine richtige Entsprechung zur “Ehe für alle” gibt, haben wir anlässlich der Berichterstattung über Deutschland in unserem Blog ergründet:
http://blogs.fu-berlin.de/nederlands/2017/07/02/ehe-fuer-jedermann/