Warum man Fake News nicht verbieten kann: Eine Fallstudie

Von Anatol Stefanowitsch

Zufäl­lig war ich heute auf der Suche nach Wei­h­nachts­geschenken in den Schön­hauser-Allee-Arkaden (einem Einkauf­szen­trum im Pren­zlauer Berg), als der Ein­gang und die Straße und der U‑Bahnhof vor dem Einkauf­szen­trum von der Polizei abges­per­rt wur­den. Ein fre­undlich­er Beamter erk­lärte auf Nach­frage, dass man einen verdächti­gen Gegen­stand gefun­den habe, der nun unter­sucht würde.

Das wurde auch schnell von eini­gen lokalen Medi­en auf Twit­ter bekan­nt­gegeben, z.B. hier (um 14:33):

Der Gegen­stand wurde am Ende ergeb­nis­los gesprengt (es war, je nach Mel­dung, eine Tüte, ein Kof­fer oder ein leer­er Schuhkar­ton) und mein Wei­h­nachts­geschenk habe ich auch nicht gefun­den, aber dafür eine schöne Fall­studie darüber, wie man Fake News ver­fasst, ohne dabei zu lügen.

Der Dai­ly Star, eine britis­che Boule­vardzeitung, griff die Mel­dung auf und twit­terte dazu „BREAKING: Berlin shops LOCKED DOWN and trains off as hunt for ter­ror sus­pect gath­ers pace“, also „Berlin­er Läden unter Aus­gangssperre und Züge eingestellt während die Jagd nach dem Ter­rorverdächti­gen Fahrt aufnimmt.“

Auch die Mel­dung selb­st hat­te ursprünglich eine mit dem Tweet iden­tis­che Über­schrift und auch der Teas­er stellte eine Verbindung zwis­chen der Sper­rung und der europaweit­en Fah­n­dung nach dem Täter des Berlin­er Wei­h­nachts­markt-Angriffs her:

Meldung der britischen Boulevard-Zeitung Daily Star

Mel­dung der britis­chen Boule­vard-Zeitung Dai­ly Star

Nun gab es ja keinen solchen Zusam­men­hang, und wer auch immer die Über­schrift und den Teas­er ver­fasst hat, wusste das zu diesem Zeit­punkt (eine Stunde nach der ersten Mel­dung) auch. Aber „Polizei über­prüft Schuhkar­ton an U‑Bahnhof“ ist halt keine Mel­dung, also wird eben ein Zusam­men­hang hergestellt (inzwis­chen wurde die Über­schrift aktu­al­isiert und lautet nun „BREAKING: Berlin shops LOCKED DOWN and trains off as cops inves­ti­gate bomb scare” – der URL sieht man aber die ursprüngliche Schlagzeile noch an).

Inter­es­sant ist nun, wie dieser Zusam­men­hang hergestellt wird, näm­lich völ­lig ohne dass er tat­säch­lich behauptet wird. Schlagzeile und Teas­er sagen wortwörtlich genom­men nur aus, dass zwei Dinge gle­ichzeit­ig passieren: Läden sind geschlossen und die Polizei sucht einen Terrorverdächtigen.

Kein Wahrheitsmin­is­teri­um hätte einen Grund, diese Mel­dung zu ver­bi­eten – was kann schließlich der Dai­ly Star dafür, dass in den Köpfen der Leser/innen die Idee entste­ht, der gesuchte Ter­rorverdächtige sei in der Umge­bung des Einkauf­szen­trums gesichtet worden?

TL;DR: Sprache ist kom­plex­er als die Ver­fechter von Fake-News-Ver­boten glauben: nicht alles, was mit einem Text gesagt wird, ste­ht auch tat­säch­lich da.

10 Gedanken zu „Warum man Fake News nicht verbieten kann: Eine Fallstudie

  1. Muriel

    Najaaaa… Das finde ich als Begrün­dung aber nun gar nicht zwin­gend. Gerichte entschei­den ja jet­zt schon über Tat­sachen­be­haup­tun­gen und deren For­mulierung, und so. Es gibt schon Straftatbestände wie Betrug, bei denen solche Unschär­fen über­wun­den wer­den müssen. Nur weil etwas nicht ganz expliz­it da ste­ht, muss es ja noch lange nicht unver­boten bleiben.

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  2. David

    Das Wörtchen “as” sug­geriert m.E. hier aber nicht nur einen zeitlichen, son­dern auch einen kausalen Zusam­men­hang, wom­it die Mel­dung doch “Fake” wäre:
    “Berlin shops LOCKED DOWN and trains off as hunt for ter­ror sus­pect gath­ers pace”

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  3. Mycroft

    Haarspal­ter wür­den jet­zt sagen, dass sich das “as” nur auf die Jagd nach dem Ter­rorverdächti­gen bezieht, nicht auf die geschlosse­nen Läden.

    Kul­tivierte Men­schen wür­den natür­lich in der Über­schrift schreiben: “Was hat­te der Vor­fall x mit der Jagd auf den Verdächti­gen y zu tun?” um dann im Text (sin­ngemäß) zu schreiben: “Nix!”

    Die Frage ist eigentlich, ob man solche jour­nal­is­tis­chen Glan­zleis­tun­gen ver­bi­eten sollte, und ob “Fake-News” vllt. doch was anderes ist.

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  4. Anatol Stefanowitsch Beitragsautor

    @ David: Natür­lich sug­geriert das Wort as einen kausalen Zusam­men­hang – das ist der Punkt meines Beitrags. Es beze­ich­net aber keinen kausalen Zusam­men­hang, son­dern nur eine Zeit­gle­ich­heit – z.B. The phone start­ed ring­ing as John left the house. Das gilt nicht nur für as – Wörter, die Zeit­gle­ich­heit oder direk­te zeitliche Abfolge beze­ich­nen, leg­en schnell einen kausalen Zusam­men­hang nahe, dieser entste­ht aber im Kopf der Hörer/innen bzw. Leser/innen, er steckt nicht in diesen Wörtern selb­st. Die Mel­dung ist also wortwörtlich wahr.

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  5. Thomas

    Ich halte es für von vorn­here­in aus­sicht­s­los, “polizeilich” gegen Fake News vorge­hen zu wollen. Mal ganz abge­se­hen davon, dass dies nur durch einen enor­men Überwachungsap­pa­rat mit weit­ge­hen­den Befug­nis­sen über­haupt tech­nisch denkbar wäre, ist es auch inhaltlich nicht möglich, wie dieser Beitrag am Beispiel des Wörtchens “as” zeigt. Wer sollte auch entschei­den, wo hier die Gren­ze zwis­chen tat­säch­lich aus­ge­sagter (zeitlich­er Zusam­men­hang) und sug­geriert­er (kausaler Zusam­men­hang) verläuft? 

    Das Prob­lem ist ein ganz anderes: Der fehlende kri­tis­che Umgang mit Infor­ma­tio­nen. […]* Inzwis­chen braucht es solche “exter­nen” Anreize aber kaum noch; Fake News wer­den gle­ich in den sozialen Net­zw­erken in die Welt geset­zt und ger­ade deshalb geglaubt, weil sie eben *nicht* von konkreten exter­nen Quellen stam­men, die nachgeprüft wer­den kön­nen, und schon gar nicht aus den “Main­stream-Medi­en”, son­dern aus dem Nichts.

    Das Prob­lem sind also nicht die ver­gle­ich­sweise weni­gen Urhe­ber von Fake News, son­dern die vie­len, die sie glauben und/oder weiterverbreiten.

    * Ein Teil dieses Kom­men­tars wurde auf­grund ein­er entsprechen­den Anfrage gelöscht., A.S. (5.10.2018)

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  6. Daniel

    Auch aus einem ganz anderen Grund ist der Kampf gegen “Fake-News” prob­lema­tisch: Man muss erst­mal bes­tim­men, ob eine News fake ist oder nicht.

    Bei Mil­lio­nen von News über Twit­ter und Face­book ist das nicht so triv­ial. Da müsste man bei allen erst mal umfan­gre­iche Recherchen starten, um den Wahrheits­ge­halt zu bes­tim­men. Um es rechtsstaatlich sauber zu machen, müsste erst ein Gericht urteilen.

    Es wird darauf hin­aus­laufen, dass eine Stelle ( http://www.focus.de/politik/deutschland/kampf-gegen-fake-news-innenministerium-will-abwehrzentrum-gegen-desinformation_id_6397882.html http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/fake-news-bundesinnenministerium-will-abwehrzentrum-einrichten-a-1127174.html ) definiert, was wahr ist und was falsch und eine Soft­ware bei Twit­ter und Co. im Hin­ter­grund die Texte analysiert und bei einem Wider­spruch zur definierten Wahrheit die gle­ich löscht.

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  10. Mathias

    Lustig, diesen Beitrag zu lesen, wo ich mir doch eben erst angeschaut habe, was es mit der “Fake News Chal­lenge” auf sich hat.

    Also, irgend­je­mand hat auf Twit­ter gewet­ter, man werde es nicht schaf­fen, einen vernün­fti­gen Algo­rith­mus zu schreiben, der Fake News erken­nen kann. Daraufhin wurde die Fake News Chal­lenge ins leben gerufen. Die Ini­tia­toren sind erst mal ganz beschei­den und for­mulieren die erste Wet­tkamp­fauf­gabe etwa wie folgt:

    Gegeben ist ein Kor­pus von Nachricht­e­nar­tikeln. Jede Nachricht hat eine Schlagzeile und einen den eigentlichen Nachrich­t­en­text. Bei eini­gen dieser Nachricht­en han­delt es sich um Fake News. Die Auf­gabe beste­ht nun im “stance detec­tion”, genauer darin, automa­tis­che zu entschei­den, ob der Nachrich­t­en­text die Schlagzeile bestätigt, ihr wieder­spricht oder MIT IHR GAR NICHTS ZU TUN HAT.

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