Unser letztes Donnerstagsrätsel wartet noch auf Auflösung. Gefordert war die paarweise etymologische Verbindung aus dem folgenden Worthaufen:
In den Kommentaren wurde fleißig und zumeist auch richtig geraten. Für alle, die dazu keine Lust hatten, vollziehe ich die Windungen aber heute und in den nächsten Tagen noch einmal kurz nach, bevor ich zur Siegerehrung schreite. Los geht’s mit den Wörtern auf A:
Advent und Akrobat
Der Advent gehört zu lat. advenīre ‘ankommen’ (ad ‘zu’, venīre ‘kommen’) weil es die Zeit ist, die vor der “Ankunft” Jesu liegt. Im Akrobat steckt zunächst griech. ákros ‘höchst, äußerst, an der Spitze’ — man kennt es von der Akropolis, die wörtlich einfach die ‘Oberstadt’ ist. Der zweite Teil des Akrobaten geht auf griech. bá͞inein ‘gehen, schreiten’ zurück. Die Ausgangsbedeutung des Wortes war damit ‘auf (Fuß-)Spitzen gehend’.
Schon im alten Griechenland war akrobatische Betätigung aber nicht auf die Zehen beschränkt: Darstellungen wie hier aus dem 4. Jh. v. Chr. zeigen Verrenkungen, die auch heute noch gemacht werden. Anfang des 19. Jh. gelangte das Wort Akrobat, wahrscheinlich über das Französische, ins Deutsche, wo es zunächst nur für Seiltänzer gebraucht wurde. Als sich kurz darauf der Zirkus, wie wir ihn heute kennen, entwickelte, wurde das Wort in seiner Bedeutung erweitert.
So also die getrennten Wortgeschichten — wo verbergen sich aber die Gemeinsamkeiten? Die beiden Fortbewegungsverben venīre und bá͞inein sehen sich auf den ersten Blick wenig ähnlich, gehen aber auf eine indogermanische Wurzel zurück und haben im Deutschen das ebenfalls unerwartete Geschwisterchen kommen. Wie geht das? Zugrunde liegt wohl idg. *gwa-, *gwem- ‘gehen, kommen’. In den germanischen Sprachen, darunter das Deutsche, hat sich das g in einen k-Laut verwandelt. ((Das ist eine ganz reguläre Veränderung im Rahmen der sog. 1. Lautverschiebung, die bei allen Wörtern mit g eingetreten ist. Im Althochdeutschen (500‑1050 n.Chr.) lautete das Wort daher queman (q für den k-Laut, u für den Halbvokal, der wie das englische water ausgesprochen wurde), im Mittelhochdeutschen (1050–1350) verschmolz der Halbvokal mit dem folgenden e zu einem o.)) Im Lateinischen und Griechischen hat man dagegen das g abgeworfen, sodass das Wort nun mit dem zweiten Laut begann. Der blieb im Lateinischen ein w-Laut (gesprochen wie in engl. water), im Griechischen entwickelte er sich zum lautlich nicht weit entfernten b: Beide Laute werden an den Lippen gebildet, im Gegensatz zum Halbvokal w verschließt man sie aber beim b kurz komplett (“Plosiv”).
Armut und Kleinod
Das ist ein gemeines Paar: Die Armut war im Althochdeutschen (500‑1050) eine armuotī, aus dem Adjektiv arm und der heute nicht mehr gebräuchlichen Substantivendung -uotī/ōtī. Die steckt auch anderswo: Die Einöde (ahd. einōtī mit ein ‘ein, allein, einsam’) hat gar nichts mit öde zu tun — das dachte man aber schon in mittelhochdeutscher Zeit (1050–1350), weshalb man das alte ōt volksetymolgisch in ein öd verwandelte. Auch der Zierrat (mhd. zierōt) ist eigentlich (im Gegensatz zum Hausrat und Unrat) kein Rat – die Volksetymologie hat sich aber ebenfalls durchgesetzt, weshalb man es heute mit doppeltem <r> schreibt.
Bei der Heimat (ahd. heimōti mit heim) wird man zwar nicht auf eine falsche Fährte gelockt, aber erkennbar ist die Endung auch hier nicht mehr. Und ebenso ist es beim Kleinod, das, von klein abgeleitet (mhd. kleinōt), anfangs einfach nur ein kleines Ding war, sich dann aber schnell zu einer kleinen Kostbarkeit mauserte. Zeitweise konnten auch ganz schön große Dinge ein Kleinod sein, man denke nur an die Reichskleinodien. Heute sind meist Schmuckstücke gemeint, oder man benutzt es im übertragenen Sinne z.B. für als Schatz empfundene Gebäude (wie hier Schloss Friedrichsfelde) oder Ortschaften (Szeged). Manch einer erklärt das Kleinod schon für bedroht oder ausgestorben, andere verhelfen ihm dagegen zu neuem Leben: Das in Analogie dazu gebildete Großod taucht immer wieder in deutschen Zeitungen auf.
Mit Freuden entnehmen wir der Agenturmeldung, daß wenigstens der Bundeskanzler die Bundeskunsthalle vor den Menschen draußen im Lande als „echtes Kleinod“ bezeichnet habe. „Echtes Großod“ hätten wir von Helmut Kohl ja auch nicht erwartet. (ZEIT, 26.6.1992)
Das Kleinod, das ein Großod werden möchte [Osnabrück, KK], bekam einen lang ersehnten Wunsch erfüllt und ist seit Einführung des Winterfahrplans endlich ICE-Haltestelle. (taz, 24.2.2004)
Ein Gang durchs Großod von Darmstadt | ECHO-Sommertour – Mit Lesern durch den Botanischen Garten (Echo, 13.8.2014)
Und damit endet die Betrachtung sprachlicher Schmuckstücke für heute — bis demnächst, dann mit körnigen Soldaten an der Grenze!
Im dwds.de gefunden:
“(…) kleinot rümpt vnnd preyßt.”
“Paulus dise zeügnuß Dauids in den gschichten der Apostlen von Christo außgelegt habend / so kan doch nieman löugnen / dann das sich dises auch seiner weyß auff Dauiden reyme / welcher imm selbigen Psalmen sein glauben bekennt / sein hoffnung erklärt / vnd sein Michtam / das ist sein wollust / sein fröüd / sein zier vnd kleinot rümpt vnnd preyßt.”
(Bullinger, Heinrich: Haußbuoch. Zürich, 1558)