Ich habe nun auch endlich angefangen, auf dem Handy mit Wischgesten zu “tippen”: Man zieht den Finger einfach nur über die entsprechenden Buchstaben, statt jeden einzeln anzutippen, und die Tastaturapp rät, was gemeint ist. Das klappt insgesamt sehr gut, auch wenn ich jetzt dauernd darüber nachdenke, ob das Wort bekannt ist oder nicht — wenn nicht, muss ich es dann doch Buchstabe für Buchstabe eingeben. Ein Aspekt macht mich allerdings wahnsinnig: Die Tastatur weiß ja nicht, wie häufig ein bestimmter Buchstabe hintereinander benötigt wird. Sie weiß aber sonst jede Menge, z.B. wie häufig ich bestimmte Wörter verwende (ein gerade erst gelerntes schlägt sie z.B. in den nächsten Minuten dauernd vor, selbst wenn es von der Wischgeste her unwahrscheinlich ist) — und sie weiß, dass nach einem Komma oft ein Nebensatz folgt. Und damit sind wir beim dass.
Auch hier hat die Tastatur zwei Optionen für eine Geste, dass und das. Der Satz mit dass ist ein Subjunktionalsatz (1), der mit das meist ein Relativsatz (2), manchmal auch ein anderer Satztyp (3, 4):
(1) Ich sehe, dass wir uns verstehen.
(2) Ich mag das Buch, das du mir geschenkt hast.
(3) Ich hoffe, das findet sich.
(4) Ich finde das gut, das machen wir so!
Nun scheint meiner Tastatur die Regel beigebracht worden zu sein, dass nach Komma ein dass-Satz folgt. Sehr viele das-Sätze, die ich schreibe — und das sind nicht wenige! — werden also fehlerhaft und ich muss manuell nachkorrigieren. Rechts im Bild sieht man einen entsprechenden Fall — hier wird mir nicht einmal das als Alternative angeboten (in der grauen Zeile), dafür aber das Wort dass-das-Fehler, das es von mir gelernt hat, und das hier überhaupt nicht passt.
In manchen Fällen wählt die Tastatur aber auch richtig, z.B. bei Das Blog, das oder Ich mag das Kind, das. Entweder sie kann also eine Art rudimentäre Grammatik, die ihr sagt, dass nach einem derartigen Anfang keine dass-Sätze folgen, oder sie hat das aus dem Input gelernt (was dann letztlich auf dasselbe hinausläuft).
Wie schlau ist es nun, nach Komma im Zweifel dass zu setzen? Liegt man damit öfter richtig oder öfter falsch? Ich hab mir dazu mal verschiedene Daten aus den DWDS-Korpora angesehen:
Ich habe geschriebene und gesprochene Sprache nach allen Vorkommen von das bzw. dass/daß nach einem Komma durchsucht ((Abfragen: “/,/ @das” bzw. “/,/ {dass,daß}”)). Tatsächlich gewinnen die dass-Sätze klar, sie machen über die Hälfte bis fast zwei Drittel der Treffer aus. Die gesprochene Sprache fällt dabei allerdings etwas aus dem Rahmen, hier gibt es mehr das-Sätze als in den geschriebenen Texten. ((Ich habe einen Chi-Quadrat-Test gemacht (p<0,01) und die Residuen analysiert (Zahlen für Interessierte unten), daran kann man sehen, welche Zellen ausschlaggebend für die Unterschiede sind. Die gesprochensprachlichen Daten fallen dabei ganz klar raus, hier ist die das-Menge unerwartet hoch. In den Zeitungstexten ist sie übrigens unerwartet niedrig.
dass das be -1.3717029 1.8511592 wi 0.6679327 -0.9013977 geb 0.1629739 -0.2199387 ze 7.9940064 -10.7881803 spr -10.6141502 14.3241525
)) Das könnte wichtig sein, weil ich am Handy ja auch Texte verfasse, die konzeptionell eher gesprochen als geschrieben sind: Kurz, dialogisch, umgangssprachlich. Ein flüchtiges Durchscrollen der gesprochensprachlichen Treffer (das sind hautpsächlich Parlamentsprotokolle und Fernsehdiskussionen) legt aber nahe, dass der Unterschied an der Verschriftlichung liegt: Wo man in einem gedruckten Text wahrscheinlich Punkte gesetzt hätte, reiht man hier eine Vielzahl von Hauptsätzen mit Komma aneinander. Wahrscheinlich will man damit markieren, dass die SprecherInnen keine Pause machen:
Also gerade die erste Geschichte da , die Urwaldärztin und der Kampf der Ar- meisen gegen die Termiten, und dann wird das wirklich zwanghaft übereinander geblendet, das finde ich sehr anfängerhaft und absolut gezwungen. (Das Literarische Quartett, 14.12.2001)
Das Wachstum des vergangenen Jahres ist passabel, 35 Milliarden Mark Steuergelder sind im Laufe der Jahre in Konjunkturprogrammen ausgegeben worden, das neue Steuerpaket bringt Entlastungen … (Der Spiegel, 28.01.1980)
Es sieht also so aus, als nähme meine Tastatur tatsächlich die häufigere Variante und ich würde mich viel mehr aufregen, wenn sie es umgekehrt handhaben würde. Aber gilt das auch für meine eigene Sprache?
Glücklicherweise gibt es da einiges an Material: Ich habe das kleine Etymologicum (eventuell durch Lektorat etwas verzerrt), meine Dissertation und meine Redeanteile in einem Facebook-Gruppenchat ausgewertet. Bei dem Chat handelt es sich um die ständige Redaktionskonferenz des Techniktagebuchs. ((Die Daten stammen aus dem Zeitraum Februar 2014 bis März 2016, die Extraktion und Umwandlung in ein sinnvoll durchsuchbares Format ist Kathrin Passig zu verdanken.)) Die Redeanteile anderer habe ich, wo ich sie doch schon hatte, auch noch ausgewertet.
Die Tendenz bleibt bestehen, aber es zeigt sich eine ganz schön große Variation: Bei der Dissertation stehen in über 80% der Fälle dass-Sätze, ganz schön viel (die DWDS-Wissenschaftssprache hatte nur 66%). Das liegt wahrscheinlich daran, dass ich zur Beschreibung von Daten sehr häufig Formulierungen wie an X zeigt sich, dass … benutze. Im kleinen Etymologicum sind dagegen besonders wenige dass-Sätze zu finden, grade einmal 52% der Belege. Man müsste sich das mal im Detail ansehen, spontan habe ich nur sehr vage Vermutungen dazu. Im Chat, den ich zu einem großen Teil mit dem Smartphone bestreite, liegt mein dass-Anteil dagegen sogar über dem der anderen (hellerer Balken ganz rechts) und auch über allen DWDS-Teilkorpora, inklusive dem für gesprochene Sprache. ((Verzerrender Einfluss durch Wischfehler ist hier für meine Sprache auszuschließen, die Chatdaten gehen nur bis März, ich kann aber erst seit August auf dem Handy wischen.))
Halten wir fest: Ob auf ein Komma ein dass- oder ein das-Satz folgt lässt sich zwar nicht sicher sagen, in allen untersuchten Textsammlungen dominieren die dass-Sätze aber. ((Eine textsorten- oder modalitätenspezifische Tendenz lässt sich an den vorliegenden Daten nicht ausmachen: Egal ob Zeitung oder Chat, gesprochen oder geschrieben, das grobe Muster bleibt bestehen. Außerdem schwankt der Anteil individuell enorm: Der niedrigste Anteil findet sich im kleinen Etymologicum (einem Sachbuch), der höchste in meiner Dissertation. Mein persönlicher Sprachgebrauch lässt sich also nicht sinnvoll durch einen Durchschnittsanteil auf den Punkt bringen. )) Meine Tastatur macht das also eigentlich ganz gut. Dass mich die Fehlgriffe so wahnsinnig machen, dass mein Handy sogar das Wort dass-das-Fehler lernt, liegt also nicht daran, dass das generell die bessere Option wäre. Der Grund dafür ist eher, dass der Fehler in Kontexten auftritt, bei denen ich sofort weiß, dass es nur eine Möglichkeit gibt (z.B. nach einer äußerungsinitialen Präpositionalphrase wie Mit dem Blog). Die Tastatur bräuchte einfach mehr Wissen darüber, nach welchen Konstruktionen dass-Sätze auf gar keinen Fall folgen können.
Danke, wieder mal ein sehr interessanter Artikel, der die „gefühlte“ mit der empirischen Realität konfrontiert und dabei zu einem differenzierten Ergebnis kommt. 🙂
Das Problem, dass die Smartphone-Tastatur mit falschen Korrekturen Weißglut hervorruft, liegt sicher auch an der Wahrnehmungsverzerrung „The other line always moves faster“ (der psychologische Fachbegriff ist mir entfallen) – wenn die Tastatur-App richtig rät, was wir meinen, nehmen wir das eben normalerweise gar nicht wahr – weshalb es es umso mehr stört, wenn Sie falsch rät.
Außerdem: Nicht nur künstliche, auch natürliche Intelligenz steht mit dem Unterschied zwischen „dass“ und „das“ auf dem Kriegsfuß. Konservativ geschätzt wird er in 85% aller Äußerungen in Facebook, Twitter oder Foren komplett ignoriert; ich vermute, wer hier orthographisch korrekt schreibt, gilt mittlerweile oft als pedantisch. Und obwohl ich in dem Punkt durchaus zu meiner Pedanterie stehe, erwische ich mich selbst oft genug dabei, „das“ statt „dass“ zu schreiben oder – peinlich, peinlich – in umgekehrter Richtung zu hyperkorrigieren. 😉
Ich habe jetzt ehrlich gesagt lange über die Überschrift nachgegrübelt, weil ich mich auf eine Nebensatzkonstruktion versteift hatte wie: “Ich will, dass das dass ein das ist”. Schöner Artikel!
z.B. bei Das Blog, das oder Ich mag das Kind, das. Entweder sie kann also eine Art rudimentäre Grammatik, die ihr sagt, dass nach einem derartigen Anfang keine dass–Sätze folgen, oder sie hat das aus dem Input gelernt
Am Genus kann’s nicht liegen? Möglicherweise schlägt die Tastatur nur nach sächlichen Wörtern “das” vor.
Nur mal so: Wie kommt das r in Ameise (Zitat aus dem Literarischen Quartett)?
Ich kenn Iimäätze und Uumintzelcher, aber Armeisen kenn ich nicht.
Ich denke es handelt sich um dieses Phänomen, wobei natürlich interessant wäre, zu erfahren, ob der Sprecher das r bereits artikuliert hat oder ob es sich “nur” um einen Fehler bei der Verschriftlichung handelt.
murphy´s law ?
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Wäre ich der Sprecher der beiden Zitate gewesen, hätte ich mich wohl mit erstens Doppelpunkt und zweitens Semikolon besser widergegeben gefühlt. Auch die drücken ja eine nähere Verbindung im Vergleich zum einfachen Punkt aus.
Wer weiß, wie die Statistik aussähe, ständen an solchen Stellen m.M.n. angemessenere Satzzeichen.
Und obwohl ich in dem Punkt durchaus zu meiner Pedanterie stehe, erwische ich mich selbst oft genug dabei, „das“ statt „dass“ zu schreiben oder – peinlich, peinlich – in umgekehrter Richtung zu hyperkorrigieren.