An der Arbeit der Sprachkritischen Aktion „Unwort des Jahres“ habe ich ja selten etwas auszusetzen, und auch dieses Mal hätte sie es schlechter treffen können, als sie es mit der Wahl des Wortes Gutmensch getan hat. Die Verachtung und spöttische Delegitimation anständigen Verhaltens, die in diesem Wort zum Ausdruck kommt, hat nicht erst, aber auch im Jahr 2015 die öffentliche Diskussion geprägt und wenn die Wahl zum Unwort dabei hilft, eine Grundsatzdebatte darüber anzustoßen, dass die auf Solidarität und Hilfsbereitschaft aufbauenden Werte der Gutmenschen besser sind als die auf den eigenen Vorteil und das eigene Fortkommen aufbauenden Werte derer, die das Wort verwenden, wäre das ein Gewinn.
Allerdings stellt sich die Frage, ob Gutmensch und die damit verbundene Ideologie tatsächlich besonders prägend für die Debatten des Jahres 2015 waren. Die waren ja (wie vom schon im Dezember gewählte Wort des Jahres eingefangen) vom Thema Flucht und Flüchtlinge geprägt. In diesen Zusammenhang stellt die Unwort-Jury ihre Wahl denn auch:
Als „Gutmenschen“ wurden 2015 insbesondere auch diejenigen beschimpft, die sich ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe engagieren oder die sich gegen Angriffe auf Flüchtlingsheime stellen. Mit dem Vorwurf „Gutmensch“ , „Gutbürger“ oder „Gutmenschentum“ werden Toleranz und Hilfsbereitschaft pauschal als naiv, dumm und weltfremd, als Helfersyndrom oder moralischer Imperialismus diffamiert. Der Ausdruck „Gutmensch“ floriert dabei nicht mehr nur im rechtspopulistischen Lager als Kampfbegriff, sondern wird auch von Journalisten in Leitmedien als Pauschalk ritik an einem „Konformismus des Guten“ benutzt. [Pressemitteilung]
Der Begriff Gutmensch wird tatsächlich sehr einmütig von Neoliberalen (die ihn ursprünglich geprägt haben) und Rechten genutzt, und da letztere die Debatten 2015 bis weit in den medialen Mainstream hinein geprägt haben, ist die Wahl nicht unzeitgemäß. Allerdings hätte es m.E. eine Reihe von Wörtern gegeben, die das Wiedererstarken rechter Gedankenmuster im öffentlichen Diskurs prägen.
Ich denke da besonders an die Euphemismen, mit denen rassistische, nationalistische, fremdenfeindliche und rechtsextreme Positionen im Laufe des Jahres immer wieder belegt wurden – vom Asylgegner über den Asylkritiker und die Asylkritik bis zur Asyldebatte. Auch das Wort rechtspopulistisch, das die Unwort-Aktion selbst in ihrer Pressemitteilung verwendet, ist ein solcher Euphemismus, wenn er nicht für tatsächliche Rechtspopulisten (wie gewisse Spitzenpolitiker der CDU, CSU oder SPD) sondern für Rechtsextreme verwendet wird.
Diese (und ähnliche) Euphemismen signalisieren eine Angst, die Positionen, die sich derzeit wieder einmal vom rechten Rand in die Mitte unserer Gesellschaft ausbreiten, klar und deutlich beim Namen zu nennen. Damit tragen sie dazu bei, diese Positionen zu legitimieren, als Spielarten gesellschaftlich akzeptierter oder zumindest akzeptabler Meinungen darzustellen. Damit sind sie Teil einer subtilen, schwer erkennbaren Verschiebung von Werten, die viel gefährlicher ist als ein eigentlich schon etwas in die Jahre gekommenes Wort wie Gutmensch.
Danke für die Bewertung, stimme speziell bei “Asylkritiker” und Co zu. Bei “Gutmensch” fällt mir auf, dass ich das irgendwie klanglich, ohne das genauer benennen zu können, mit antijüdischer Propaganda assoziiere. Gibt es da irgendwie eine sprachliche Verbindung oder bilde ich mir das nur ein?
Was eventuell auch ein Aspekt ist, ist die Tatsache, dass die negative Bedeutung des Wortes “Gutmensch” vermutlich mehr Menschen bewusst ist als die der anderen Begriffe. Um aufmerksam zu machen, wäre demnach ein anderes Unwort angebrachter gewesen.
Natürlich kann man jetzt darüber streiten, ob es nicht sinnvoller gewesen wäre, einen Euphemismus zu dekonstruieren. Aber warum nicht auch mal auf Dysphemismen aufmerksam machen? Die negative Konnotation von „Gutmensch“ hat sich mir nämlich noch nie so recht erschlossen. Ich finde die Wahl des Unwort des Jahres somit sehr treffend.
Die Diskussionspartnerin oder auch die “unerwünschten Mitmenschen” mit einem subtilen Dysphemismus zu belegen gehört ja zu den klassischen Immunisierungstaktiken unanständiger Gesprächspartnerinnen. Ich kenne es aus der Sozialarbeit nur allzu gut, dass marginalisierte Personen mit Begriffe belegt werden, die suggerieren, dass diese Menschen der Gemeinschaft insgeheim schaden und deshalb dort keinen Platz haben soll. So zum Beispiel der Begriff der “Elendsmigrantin”, der wohl ausdrücken soll, dass diese Menschen aus selbstverschuldetem Elend kommen und es quasi durch “magisches Handeln” in unsere Gesellschaft bringen. Man spricht ihnen damit subtil das Recht ab sich eine bessere Zukunft in einem anderen Land aufzubauen — deshalb eine widerliche Terminologie. Mich stört vielmehr, dass die Verunglimpfung “Gutmensch” in der breiten Masse im Moment so akzepiert wird.
Ich halte gerne entgegen: “Lieber Gutmensch als Scheißkerl.”
@ Lars:
Das Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung sagt, es wäre keine Nazivokabel: http://www.diss-duisburg.de/2011/11/das-stigma-gutmensch/
Im Wikipedia-Artikel zu „Gutmensch“ (wo ich den obigen link herhabe) wird aber der DJV mit der gegenteiligen Behauptung zitiert …
@ Martin, Lars:
Ich habe nie einen Beleg für einen (manchmal behaupteten) Zusammenhang des Wortes mit dem Nationalsozialismus gesehen und denke, wenn es einen gäbe, wäre er bekannt.
Pingback: Gutmensch ist das Unwort des Jahres 2015 | Kotzendes Einhorn
Pingback: Umleitung: Sexmob, Gutmensch, Ebola, Waldorf, Plagiate, Bibliotheken, Integration, das Bild Polens in aktuellen deutschen Karikaturen und der Tag des Quietscheentchens | zoom
Ich freue mich hier besonders über den letzten Abschnitt, der mir eine noch ein wenig latente Überzeugung, die ich schon länger hatte, bestätigt und präzisiert und plausibel begründet hat.
Was mir aber an der Wahl des Wortes Gutmensch gefällt, hat mit meiner Beobachtung zu tun, dass sich viele in der abwertenden Verwendung dieses Worts noch selbst für irgendwie progressiv und nicht-rechts zu halten scheinen – oder sich zumindest so geben. Als wäre nicht seit Jahren klar, dass den Begriff außer Rechten, die Humanismus, Wohlwollen, Menschlichkeit verächtlich zu machen trachten, nahezu niemand (mehr?) verwendet. Nach der breit publizierten Unwortwahl kann jetzt eigentlich keiner mehr ernsthaft behaupten, vom Charakter des Begriffs nichts gewusst zu haben.
Interessierte Kreise haben die Unwort-Jury, die ihnen das Wort Gutmensch verbieten will, allerdings natürlich längst als Teil der Lügenpresse (und, sowieso, als Gutmenschen) identifiziert.
Damals, vor über zehn Jahren, begegnete mit Gutmensch regelmäßig – ich könnte es sogar mal selbst verwendet haben – und es bezeichnete gutmeinende Menschen, die einer guten Sache einen Bärendienst erwiesen, indem sie unreflektiert übers Ziel hinausschossen oder Nebenschauplätze ins Zentrum rückten. Insbesondere traf es die Unaufrichtigen, die sich aus rein egozentrischen Motiven scheinbar altruistisch verhielten. Es sind diejenigen, die durch ihr als nervig empfundenes Verhalten andere, die der Sache gegenüber eigentlich neutral bis wohlwollend passiv eingestellt waren, ins Gegenlager treiben.
Populäres Beispiel mit Sprachbezug: „Gutmenschen“ gendern Texte mechanistisch stur mit immer derselben Beidnennungsvariante, bis sie eine neue, angeblich politisch noch korrektere Variante aufschnappen, deren Akzeptanz oder sogar Umsetzung sie fortan gerne in einer leicht als überheblich wahrgenommenen Art auch von anderen einfordern.
In meiner aktuellen Filterblase kommt das Wort nicht mehr vor. Seiner Kür zum Unwort 2015 entnehme ich, dass es einen gewissen Bedeutungswandel durchlaufen zu haben scheint. Es wird jetzt wohl abwertend für Leute verwendet, die aufrichtig Gutes tun.
@Lars Fischer: Es gibt tatsächliche eine klangliche Gemeinsamkeit: Gutmensch und Jude ist eine Assonanz oder Halbreim, denn die Vokalstruktur ist gleich: langes betontes u, kurzes unbetontes e. Kein Wunder, dass Nazis der Begriff so gut gefällt;-)
@ Christoph Päper
Inwiefern denken Sie, dass die von Ihnen beschriebenen Gendergutmenschen der Gleichstellung einen Bärendienst erweisen?
Ich sehe da eher die Immunisierung, also dass Leute halt lieber nicht ihr Sprachhandeln anpassen wollen, vor allem wenn das hieße, sich feministisch (also letztlich auch gegen hegemoniale Maskulinität) zu positionieren.
Sich von einer durchaus verstandenen und auch nicht näher problematisierten anderen Sprachpraxis mancher Menschen angegriffen zu fühlen, kommt mir wiederum arrogant vor und der Vorwurf daher als Projektion.
und wer hat den Artikel geschrieben ?
Ein GUTMENSCH !
Pingback: Unwort des Jahres 2016: Volksverräter. – Sprachlog