Die Entscheidung der Oxford Dictionaries, ein Emoji zu ihrem Wort des Jahres zu machen, begrüße ich selbstverständlich (schließlich bin ich ja zumindest nebenberuflich der „Emoji-Professor“, wie mich eine Journalistin des Berliner Kurier gestern am Telefon begrüßte). Emoji sind ein wichtiger Teil der Online-Kommunikation geworden, und wozu sonst sollte eine Wörterwahl gut sein, wenn nicht dazu, auf derartige Entwicklungen hinzuweisen.
Auch, dass die Oxford Dictionaries bei der Entscheidung, welches Emoji es denn sein soll, nach der Verwendungshäufigkeit gehen und das Freudentränen-Emoji 😂 gewählt haben, ist nachvollziehbar. Dass man es dann aber bei der etwas abstrusen Begründung belassen hat, dieses Emoji drücke in besonderer Weise die Stimmungen und Gedanken des Jahres 2015 aus, ist schade. Denn erstens stimmt es nicht (oder kommt irgendjemandem hier das Jahr 2015 besonders lustig vor?), und zweitens sollte eine Wörterwahl dazu dienen, etwas über das gewählte Wort, und damit über Sprache allgemein, zu lernen.
Es wäre also interessant gewesen, wenn die Oxford Dictionaries ihre lexikografische Kompetenz dazu eingesetzt hätten, uns etwas über den Gebrauch des Emoji 😂 und Emoji allgemein zu erzählen.
Sie haben es nicht, und deshalb muss ich es tun. Ich habe mir also eine Stichprobe von 200 hauptsächlich englischer Tweets angesehen, in denen das Emoji verwendet wird. Hier die Ergebnisse meiner Analyse, die vielleicht dazu beitragen, zu verstehen, warum das 😂 das häufigste Emoji ist.
Da es eins der Emoji ist, die die traditionellen Emoticons ersetzen – in der Emoticon-Schreibweise würde es :’) oder klassisch :’-) lauten – ist zu erwarten, dass es wie ein Emoticon verwendet wird. Das bedeutet: dass es die Stimmung der Äußerung signalisiert und dass es hinter dem Satz steht, auf den es sich bezieht.
Beide Erwartungen stellen sich als richtig heraus. Fast alle Vorkommen in meiner Stichprobe stehen am Ende des Satzes, wie in den folgenden Beispielen (die ich zu Illustrationszwecken denen in meiner Stichprobe nachempfunden habe): ((Da Tweets zwar öffentlich einsehbar, aber nicht undbedingt öffentlich gemeint sind, verzichte ich hier darauf, Originaltweets im Wortlaut zu zitieren oder zu verlinken.))
- Wozu habe ich mir ein neues Telefon gekauft, mich ruft ja sowieso nie jemand an. 😂
- Meine Urlaubsfotos sind alle unterbelichtet oder unscharf. 😂
- Habe ich mir wirklich gerade Helene Fischers neues Album runtergeladen? 😁😂 #nichtweitersagen
Die Beispiele illustrieren außerdem eine der Funktionen des Freudentränen-Emoji: Es signalisiert, dass eine potenziell traurige (siehe 1), ärgerliche (siehe 2) oder peinliche (siehe 3) Aussage der Sprecherin ((Aus Gründen der Lesbarkeit verwende ich hier das generische Femininum, aber Männer sind selbstverständlich mitgemeint.)) nicht nahegeht – eine Art selbstironisches Lachen (manchmal, wie in 2, mit dem Grinse-Emoji kombiniert).
Eine zweite Funktion ist der aufgrund des offziellen Namens („face with tears of joy“) des Emoji erwartbare Ausdruck von tatsächlicher Freude, illustriert durch Beispiele wie 4 und 5:
- Schule fällt aus, kann gleich weiterschlafen. 😂
- Danke für eure lieben Geburtstagswünsche 😍😂
Am häufigsten aber wird das Emoji verwendet, um zu zeigen, dass die Sprecherin etwas lustig findet. Das können tatsächliche Witze sein, vor allem solche, die etwas makaber und damit potenziell irritierend sein könnten, wie 6:
- Meine Freundin sagt, wenn ich sie betrüge, bringt sie erst mich und dann sich um. Ich habe sie überzeugt, es umgekehrt zu machen 😂
Häufiger sind es aber Tweets wie die folgenden, in denen das Emoji verwendet wird, um ein lustiges Bild zu kommentieren, meistens ohne weiteren Text (wie in 7), aber manchmal mit (wie in 8), um einen Retweet als lustig zu markieren (wie in 9), oder um per Reply zu zeigen, dass man einen Tweet lustig findet.
- 😂 http://picture.example.com
- Das könnte ich sein! 😂 http://picture.example.com
- 😂 RT @mustermann Meine Urlaubsfotos sind alle unterbelichtet oder unscharf.
- @mustermann 😂
Zu dieser Funktion passt auch, dass fast ein Fünftel der Tweets in der Stichprobe eine weitere Markierung der Lustigkeit beinhalten, nämlich LOL oder LMAO (in je etwa 5 Prozent der Stichprobe) oder unterschiedlich lange Varianten von hahaha (in etwa 10 Prozent der Stichprobe).
Auffällig ist noch, dass das Lachtränen-Emoji oft verdoppelt (😂😂) oder sogar vervielfacht (😂😂😂😂😂) wird, um seine Bedeutung zu intensivieren. Diese Strategie, in der Linguistik als „Reduplikation“ bezeichnet, findet sich in knapp 10 Prozent meiner Stichprobe. Die Reduplikation ist in vielen Sprachen eine konventionelle Strategie, um Bedeutungen wie Dauer, Menge oder Intensität auszudrücken (im Deutschen ist sie nur begrenzt einsetzbar, findet sich aber in Äußerungen wie „eine lange, lange Zeit“ oder „viele, viele Millionen“).
Dass sie bei Emoji eingesetzt wird, ist interessant, weil es zeigt, dass die Reduplikation eine natürliche kommunikative Strategie ist. Außerdem findet sie sich bei klassischen Emoticons nur selten, stellt also einen genuinen Unterschied zwischen Emoticons und emoticon-artigen Emoji dar.
Wir sehen also: 😂 ist nicht häufig, weil es den Zeitgeist des Jahres 2015 wiedergibt, sondern, weil es eine Reihe von Funktionen hat, die in der Online-Kommunikation eine wichtige Rolle spielen. Falls es je einen Eintrag im Oxford English Dictionary bekommt (wovon ich allerdings nicht ausgehe), finden sich diese Funktionen dann hoffentlich dort wieder.
Vielen Dank für einen weiteren super interessanten Artikel!
Wenngleich ich es als alter Emoticon-Fan natürlich schlimm finde, dass meine Lieblings-Ausdrucksweise von so neumodischem Zeugs verdrängt wird…