Sonntagskaffee getrunken? Dann ist jetzt höchste Zeit für eine gemütliche Leserunde mit einem komischen Buchstaben, besorgten Leuten, Babynamen, dem Internet anno 2000 und Wörterbuchgeschichten.
- Ein ÿ mit Punkten drauf? Die GFDS weiß, woher’s kommt und wann es benutzt wurde: »Besonders im 16. und 17. Jahrhundert, in der Renaissance und im Barock, sind Schreibweisen wie zwaÿ, Maÿ, Julÿ, Kaÿser oder seÿn zu finden, seltener einige für unser heutiges Sprachgefühl seltsam anmutenden Schreibungen wie wÿr (›wir‹). In dieser Zeit wurden auch Ortsnamen oder Namen von Regionen wie z. B. Steÿr, Tÿrol und Kÿburg oft mit ÿ verschriftet«
- Wenn besorgte Menschen sich irgendwo äußern, dann sind das zunehmend Menschenfeinde, stellt Martin Haase auf NEUSPRECH fest: »Wer besorgt ist, macht sich Gedanken und will möglicherweise sogar etwas zum Positiven verändern. Jedoch wird b. leider auch in einem ganz anderen Kontext verwendet: als Euphemismus für fremdenfeindlich, rassistisch oder schwulenfeindlich: b.-e Bürger protestieren gegen Flüchtlinge, b.-e Anwohner gegen Flüchtlingsunterkünfte in ihrer Nähe, wobei nicht sicher ist, ob alle „Anwohner“ wirklich dort wohnen, wo sie protestieren. Worum sie sich eigentlich sorgen, bleibt ebenso unklar. Um das Schicksal der Flüchtlinge jedenfalls nicht.«
- Deborah Cameron sieht sich auf LANGUAGE: A FEMINIST GUIDE an, welche Rufnamen Kinder momentan in Großbritannien bekommen – und wirft einen Blick auf ihre Geschlechtsmarkierung: »In the early 20th century ‘Dana’, ‘Marion’, Stacy’ and ‘Tracy’ were all androgynous; but as they became more popular with the parents of daughters, they fell out of favour with the parents of sons. As a result, they have all become girls’ names. There are no examples of a name moving in the other direction, and this reflects the basic feminist insight that gender isn’t just a difference, it’s a hierarchy.«
- Gretchen McCulloch hat in ihrer Jugend Stilempfehlungen von Wired gelesen, die sie in ihrem Umgang mit Sprache nachhaltig geprägt haben — jetzt hat sie sich eine alte Buchausgabe davon gekauft und ihr (Wieder-)Leseerlebnis für THE TOAST festgehalten: »The thing that stuck in my mind about the Wired style guide was the attitude. I’d read other usage guides […] But while Strunk & White and their inheritors considered themselves the last thing standing between The English Language and Mortal Peril, Wired Style said, essentially, No. We’re not the guardians of tradition, we’re a forward-facing tech publication, and it’s essential for us to be on the vanguard of linguistic change. Hyphens will drop eventually, so let’s drop them now; capitals will eventually de-capitalize, so let’s lowercase as soon as the opportunity presents itself.«
- Wörterbücher enthalten nicht nur Wörter, sondern auch Sätze — und aus denen baut Jez Burrows auf DICTIONARY STORIES Kurzgeschichten: »Almost every word you’ll find in the dictionary will be accompanied by an example sentence. These sentences—researched and written by fearless lexicographers—are intended to demonstrate the most probable usage of a word, in order to help you use it correctly. All the stories collected here are written entirely using example sentences from the New Oxford American Dictionary, with nothing added except some punctuation to piece them together.« Für das Deutsche wurde so etwas auch gelegentlich schon unternommen, allerdings nicht zum Spaß, sondern als Gesellschaftskritik (z.B. Luise Pusch: Das DUDEN-Bedeutungswörterbuch als Trivialroman).
Wo finde ich denn den Text von Luise Pusch?
Meines Wissens nicht online, aber es ist gedruckt in dieser Aufsatz- und Glossensammlung erschienen.